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Wunderbare Paare/Vol.I
Sie hatte es sich auf meinem Lieblingsstuhl bequem gemacht und begann, über ihren gestrigen Auftritt zu reden. Ich arrangierte mich derweil so gut es ging mit der ungewohnten Lehne.
„Gibst du mir mal bitte die Margarine?“, fragte ich nach einer Weile, als sie gerade eine Kaupause einlegte.
„Mmh.“
Sie gab sie mir. Unsere Finger berührten sich leicht dabei.
„Ich stell´ sie mal wieder in die Mitte“, sagte ich, vielleicht etwas zu grob.
„Mit meinem ersten Freund war ich viel zu lange zusammen“, erwähnte Linda mit nachdenklichem Nicken. „Bis ich zwanzig war. Dann ging es nicht mehr. Ich brauchte einfach mehr Freiheit. Ja, und die hab´ ich mir danach auch genommen.“
Linda kicherte vergnügt und tunkte ihren Brötchenstumpf in die – fortan verkrümelte – Marmelade. Da fiel mir ein, dass ich ohne Kondom in sie eingedrungen war, als sie wie ein betäubtes Äffchen auf meiner Matratze lag. Ihre Beine zuckten unwillig, während ich ihr die Jeans vom Leibe riss. Nur ein kaum vernehmbares Japsen ließ darauf schließen, dass sie in irgendeiner Ecke ihres Bewusstseins noch bei der Sache war. Hatte ich in ihr abgespritzt? Ich war mir nicht ganz sicher, denn auch ich war sturzbetrunken. Geschehenes konnte sich jedenfalls nicht rückgängig machen.
„Einmal bin ich mit zwei Koksern abgestürzt. Das war ganz schön anstrengend auf die Dauer. Als die beiden dann endlich eingeschlafen waren, hab´ ich meine schwulen Freunde angerufen. Die sind dann mit Sekt und Erdbeer-Eis angerückt, mmh, das war so meine kleine Rache. Bei so ´nem Gangbang hab´ ich auch mal mitgemacht. So als Erfahrung war´s nicht schlecht, aber ich würd´s nicht noch mal machen. Viel zu anstrengend. Aber solche Sachen muss man halt echt mal ausprobieren. Wenn dir so Fantasien ständig im Kopf rum geistern, ist das auf die Dauer ungesund. Dann ärgerst du dich nämlich, weil du dich nicht traust, die auch auszuleben…“
Vielleicht musste ich an Aids denken, oder aber daran, dass ich offenkundig weniger intensiv lebte als Linda, die exzentrische Schauspielerin, jedenfalls wurde ich unsicher. In meinem Lieblingsstuhl wäre mir das so schnell nicht passiert. Aber so flatterten meine Lider wie die Flügel eines Kolibri, so als wollten sie meinen im Sitzkissen versinkenden Rumpf wieder aufrichten.
Mit einer wildfremden Frau entspannt und angeregt zu frühstücken war jedoch auch keine leichte Aufgabe – zumal mich noch der Kater plagte und ich ohnehin ein Morgenmuffel war. Linda sprach nun über ihre Eltern, während sie einen Punkt auf meiner Gardine fixierte, so als ob sich dort ein besonders hässlicher Fleck befunden hätte. Ihr Handgelenk ließ sie dabei kreisen wie einen Ventilator. Es wimmelte in meiner Bude jedoch nicht vor Fliegen und besonders streng roch es auch nicht. Zugegeben, mein Wäschekarton quoll gerade über und ich wechselte meine Unterhosen nicht jeden Tag – weil ich das für penibel und spießig hielt.
Linda sprach weiter über ihre Eltern, mit denen sie anscheinend mehr zu tun hatte, als es ihr recht war. Ich entschied, ihr zuzuhören, anstatt mich weiter meiner Unruhe zu widmen, die sie glücklicherweise gar nicht registriert zu haben schien.
„Die waren ja früher überhaupt nicht lieb zu mir. Und jetzt soll ich lieb zu ihnen sein. Da frage ich mich schon manchmal, wer von den Beiden wohl zuerst stirbt. Denn dass beide gleichzeitig sterben, ist ja eher selten. Und dann überleg´ ich mir, wen ich lieber pflegen würde, meinen Vater oder meine Mutter..“
„Und, wen?“, fragte ich.
„Meine Mutter“, erwiderte Linda bestimmt.
„Mmja, das ist so eine Sache“, sagte ich, doch ich war eigentlich nicht bei der Sache. Die Teevereinstürken vertraten sich wieder die Beine vor meinem Fenster - auf der anderen Straßenseite um genau zu sein. Ich hatte eigentlich nichts gegen sie. Ich bewunderte sogar ihre entspannte Rund-um-die-Uhr-Geselligkeit. Doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie ab und an in meine Bude spähten und sich Blick für Blick ein Urteil über mich bildeten. Das Fenster war in der Nacht, in der ich es Linda besorgte, gekippt gewesen. Vielleicht hatte ich sie durch meine Lustseufzer in ihren religiösen Gefühlen verletzt.
Ich stand schließlich auf und zog hastig den Vorhang zu, obwohl der Schinken gerade so appetitlich in der Sonne glänzte.
„Ich mach das nu-“
„Der Tobi ist einfach zu steif“, rief Linda kopfschüttelnd aus. Daraufhin trank sie ihren Kaffee in großen Schlücken aus. Als Linda ihren Becher wieder absetzte, saß ich da wie vorher, so als ob sich überhaupt nichts verändert hätte.
„Der gehört eigentlich nicht auf die Bühne. Neben mir wirkt der wie ein Fremdkörper. Ich muss ihm das auch mal sagen. Wir passen einfach nicht zusammen. Ich brauche jemanden, der sich gehen lassen kann, der keine Komplexe hat..“
„Mmh. Willst du noch ´n Kaffee?“
„Ja, gerne.“
Ich ging ins Hinterzimmer und stellte neues Wasser auf. Dann entlud ich mich in aller Eile, obwohl ich es auch noch hätte aussitzen können. Aber so fühlte ich mich freier. Linda ließ sich weiter über Tobi aus. Er schien wirklich nicht das Zeug zum Schauspieler zu haben. Als ich ihr frischen Kaffee nachgoss, erzählte Linda gerade über ihr Jahr in Australien. Sie hatte das Outback per Anhalter durchquert. Außerdem sprang sie in 8000 Metern Höhe aus einem Flugzeug (mit Fallschirm natürlich) und tauchte 30 Meter tief in Gesellschaft drei Meter langer Riffhaie.
Es machte Spaß, Linda beim Erzählen zu beobachten. Ihre flinken Äuglein hüpften munter auf und ab und nahmen mich niemals ins Visier. Ihre blonden Strähnen glänzten mir, trotz dämmriger Lichtverhältnisse, verheißungsvoll entgegen.
Als wir uns schließlich voneinander verabschiedeten, schlossen sich unsere Finger für einen kurzen Augenblick fest zusammen.
„Willst du meine Telefonnummer?“, fragte Linda, wobei sie zum ersten Mal verlegen wirkte.
„Ja, gerne“, antwortete ich, und zwar genauso lässig, wie ich es vorhatte.