Mitglied
- Beitritt
- 07.05.2003
- Beiträge
- 54
Wut
Ich stand auf und ging zu Nencis Bank hinüber. Terry warf mir einen verstörten Blick zu und verschwand schnell. „Hey Nenci. Also von mir aus geht das mit heute Nachmittag klar", sagte ich locker, und setzte mich zu ihr. Sie lächelte. „Find ich toll, freu mich schon drauf. Also die Beck lauert ja nur darauf die was anhängen zu können, warum hat die denn so einen Hass auf dich?" Ich seuftzte und erklärte dann: „Keine Ahnung, ich bin halt nicht gut in der Schule, und ständig bin ich an allem Schuld und so. Es muss wohl in jeder Klasse ein schwarzes Schaf geben."
In diesem Augenblick hörte ich Mrs. Beck: „Nenci, kommst du mal?", rufen. Ich ahnte, dass dies nichts Gutes bedeuten konnte. Die Beck saß noch am Lehrerpult und in ihren Händen lag der Zettel, den Nenci mir geschrieben hatte. Arglos standen wir auf, und gingen nach vorn. „Nein, du nicht!", schimpfte die Lehrerin und zeigte auf mich. „Dich geht das hier nichts an! Verschwinde!"
Meine Neugier war zu groß. Ich stellte mich an einen Heizkörper in der Nähe und lauschte auf jedes Wort, das die zwei miteinander sprachen. „Nenci...", begann Mrs. Beck zaghaft. „Ich weiß, du bist noch nicht lange in dieser Klasse, und kannst das Eine oder Andere nicht wissen." Sie unterbrach und musterte Nenci kurz. Dann fuhr sie fort: „Es ist so: das mit dem Zettel nehme ich dir nicht übel." Sie lachte künstlich. „Ich meine, wer hat das in seiner Schulzeit nicht getan? Es ist nur..." Wieder unterbrach sie und ich fragte mich, was denn so schlimm sei. „Weißt du,... Natürlich kannst du das nicht wissen, es ist so..." Sie schaute in meine Richtung, und ich versuchte so auszusehen als würde mich das Gespräch nicht interessieren. „... Dan... Ist nicht gerade der beste Umgang für dich, Mädchen, er ist... Ein Nichtsnutz, ein Rowdy, ein Schläger, verstehst du, was ich dir sagen will? Eine Dame aus so gutem Hause wie du, wird sich doch nicht durch so einen verderben lassen."
Ich schloss die Augen. Am liebsten wäre ich hingegangen und hätte die Beck angeschrien, sie solle sich gefälligst aus den Angelegenheiten anderer heraushalten und mal schauen wie sie selbst zu einer verträglichen Person wurde, doch ich nahm mich zusammen. 'Ich hasse sie', dachte sich. 'Ich hasse diese Schlampe.' Mir wurde klar, dass ich Nenci irgendwie davon überzeugen musste, dass all diese Anschuldigungen aus der Luft gegriffen, und nicht ernst zu nehmen waren.
Nenci lächelte zaghaft, und dann sagte sie etwas, dass ich niemals von ihr erwartet hätte. „Vielen Dank, ich glaube ich weiß schon selbst, was mich verdirbt. Einen schönen Tag noch." - Und ließ die Beck einfach sitzen. Sie kam zu mir herüber und lächelte mich an. „Kommst du mit auf den Hof?", fragte sie, und nahm mich bei der Hand, wobei die völlig verdutzte Mrs. Beck zusah. Wir verließen eilig das Klassenzimmer und folgten dem Schülerstrom die Treppen hinunter auf den Hof. Es war noch immer so düster und bewölkt, aber komischerweise angenehm warm. Nenci und ich standen auf dem betonierten Teil des Hofes, an den Grünen Maschendrahtzaun gelehnt, der das Schulgelände von den angrenzenden Gärten trennte, und grinsten über das ganze Gesicht.
„Der hast du´s aber gegeben", sagte ich befreit. „Die ist doch nicht ganz dicht!", stellte Nenci fest. Kopfschüttelnd fuhr sie mit ihrer Hand durch ihre blonden, langen, seidig glänzenden Haare. Dann wandte sie sich ernst an mich: „Sag mal, bist du echt so schlimm?" Ich hatte keine Ahnung was ich sagen sollte, und mir blieb auch kaum Zeit darüber nachzudenken, weil fast im selben Augenblick eine kräftige, amüsierte Stimme aus dem Hintergrund auf Nencis Frage antwortete: „Oh ja, so schlimm! Der Schlimmste überhaupt!" Es war Ed, ein Typ aus meiner Klasse. Er musste unser Gespräch mitbekommen haben. Ich mochte Ed nicht, obwohl er kein Spießer war, und nichts gegen meine Art die Dinge zu nehmen wie sie waren, hatte. Oft fand ich ihn einfach lächerlich und dumm, auch wenn ich wusste, dass er sich mit Absicht so benahm. Er war ein Schwarzer, hatte dunkelbraune Augen und Rasta-Zöpfe, was die Mädchen ganz toll fanden.
Er schnitt eine Grimasse und äffte Mrs. Beck gezielt und voller Ironie nach. „Dan ist der böseste Schüler der Schule! Der böse Wolf höchstpersönlich jaja! Nehmt euch nur in acht ihr Geißlein!" Ich hätte diese Vorstellung lustig finden können, doch allmählich ging es mir zu weit. Denn auch andere Schüler waren auf uns aufmerksam geworden. Langsam bildete sich ein Kreis um Nenci, mich, und den in der Luft gestikulierenden und Grimassen schneidenden Ed. Er hob seinen Kopf, tat, als blicke er von oben auf mich hinab und sagte mit verstellt hoher, feiner Stimme: „Kein Wunder, dass er so unerträglich ist, immerhin trinkt er ja und raucht, ah!" Ed tat als würde er in Ohnmacht fallen. Die Schüler im uns herum kreischten vor Lachen. Mir wurde das alles langsam zu dumm. Ed war eben ein wenig minderbemittelt, aber was zu viel ist, ist zu viel. Ich ging auf ihn zu und sah ihn fest an.
„Halt die Klappe okay?" „Oh, jetzt kommt er mit seinen schmutzigen Redensarten daher! Er will mir etwas antun, Hilfe, Hilfe!" Wieder lachten die Anderen laut auf, als Ed die Augen weit aufriss und tat, als habe er Angst vor mir. „Halt jetzt endlich deine scheiß Klappe du Arschficker!", schrie ich ihn an. Es fiel mir schwer noch die Nerven zu behalten. Die Anderen glaubten ich würde bei der Show mitspielen und vielleicht dachte Ed das auch, für so dumm hielt ich ihn allemal. Aber für mich war das kein Spaß mehr. „Aber er konnte ja nur als Rassist enden, bei dem Vater!"
Ich starrte auf Eds grinsendes Gesicht. Meine Schläfen begannen zu pochen, ich ballte meine Hände zu Fäusten. Die Stimmen meiner Mitschüler wurden leiser, und ich hörte sie nur noch, wie durch eine Wand. Krampfhaft versuchte ich, meinen Atem zu beruhigen. Eds Grinsen wurde breiter.
Plötzlich packte ich ihn am Kragen und schlug mit meiner rechten Faust auf ihn ein. Ich packte sein Shirt mit meiner linken Hand, und zog ihn ein Stück weiter an mich. Ed versuchte sich aus dem Griff zu befreien, doch schon bekam er wieder meine Faust zu spüren. Ich warf ich ihn vor mich auf den Boden, kniete mich auf ihn, und schlug weiter auf ihn ein. Sein Gesicht war voller Blut, seine Nase scheinbar gebrochen. Er versuchte mich abzuschütteln, stemmte sich verzweifelt nach oben, doch ich drückte ihn unbarmherzig wieder auf den betonierten Schulhofsboden zurück. Ich hörte Schreie, Rufen und Stimmen von Lehrern. Immer von neuem schlug ich auf ihn ein, und fühlte mich mit jedem Schlag besser. All der aufgestaute Hass auf Dieter, für den ich nur ein, ihm auf der Tasche liegender Nichtsnutz war, auf die Beck, die mich als schwer erziehbar einstufte, und auf dieses ganze beschissene Leben, musste jetzt heraus.
Dann fühlte ich, wie zwei starke Arme mich von hinten packten und von Ed wegzogen. Kurz versuchte
ich, mich dagegen zu wehren, und wieder auf ihn loszustürzen, dann gab ich es auf. Der Sportlehrer war eben kräftiger als ich. Ed wimmerte vor Schmerz, und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Eine Lehrerin war herbeigeeilt und versuchte ihn zu beruhigen. Aber mir war egal ob es diesem Schwein wehtat. Er hatte alles verdient, jeden einzelnen, verdammten Schlag. Wie durch einen Schleier sah ich, dass die Schulärztin kam, Ed sich auf sie stützte und er nach Drinnen gebracht wurde.