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www.kurzgeschichten.de – Zuhause im Netz
Eine nicht ganz ernst zu nehmende Geschichte zum Thema exotisches Setting
für ardandwen, Felsenkatze, Malinche, Megabjörnie, sirwen, vita, Webmaster und alle, die es lieben ihre PIMs durch die Hallen von kurzgeschichten.de zu jagen.
fanaticus fantasticus stolperte aus dem Dunkel und begann zu denken.
Was mache ich hier?, war die erste Frage, die er sich stellte. Dann: Wo bin ich hier eigentlich? die zweite und Wer bin ich? die dritte.
Er stand am Eingang eines achteckigen weißen Raumes. Hinter ihm lag die Leere. Immer zwischen zwei Ecken gab es eine weitere Tür, durch die der Raum zu verlassen war. fanaticus fantasticus brummte der Schädel. Er wollte seine Gedanken ordnen, aber dabei wurde ihm klar, dass es da nicht viel zu ordnen gab. Außer unbeantworteten Fragen konnte sein Gehirn nichts Intelligentes ausspucken.
„Hier herüber bitte!“
Er ließ seinen Kopf los, den er gekratzt hatte, als könnte das die Gedanken und das Wissen wieder hervorzwingen, an deren Stelle da drin nur Löcher zu sein schienen, und sah auf. Am anderen Ende des Raumes stand vor einem der Ausgänge ein halbkreisförmiger Tisch, kompakt und so weiß wie alles in diesem Raum – alles außer ihm und der Dame, die hinter dem Schreibtisch saß und ihn zu sich winkte. Sie hatte schulterlanges graues Haar, trug eine – was für ein Zufall – achteckige Brille und eine dünne Eisenkette endete in einem Ring um ihr Handgelenk – und in einer Befestigung im Schreibtisch.
fanaticus fantasticus hob die Augenbrauen. Wo war er hier nur gelandet?! Obwohl, so sollte er sich die Frage besser nicht stellen. Denn sie endete zunächst in der Frage wo er zuvor gewesen war – eine Frage, die er beim besten Willen nicht beantworten konnte. Hatte es ein Zuvor gegeben?
Unsicher machte er einige Schritte auf die Dame am Schreibtisch zu. Zwei Schritte vor dem Tisch blieb er stehen. Er ließ sie nicht einen einzigen Moment aus den Augen. Sie war offensichtlich die einzige, die ihm Antworten geben konnte. Eigentlich war es nicht das Schlechteste, dass sie angekettet war – da musste er wenigstens nicht befürchten, dass sie verschwinden könnte, ehe er seine Antworten erhalten hatte. Er wollte gerade den Mund aufmachen, als sie ihm zuvor kam.
„Dein Name?“ fragte sie geschäftsmäßig und blätterte in den Unterlagen, die vor ihr auf dem Tisch lagen.
Moment mal. Er hatte Antworten bekommen wollen. Fragen stellen konnte er selber. Aber was blieb ihm schon anderes übrig als auf die Frage einzugehen? „fanaticus fantasticus.“
Die Dame schüttelte den Kopf und suchte weiter in ihren Unterlagen.
„Doch“, beharrte fanaticus fantasticus. „Das ist mein Name.“
„Oh, daran zweifle ich nicht“, erklärte die Frau und sah kurz über den Rand der Brille zu ihm auf, bevor sie sich wieder dem Papier zuwandte. „Ich habe nur gerade gedacht, wir hatten schon mal eine Zeit, da hatten neue Mitglieder intelligentere Namen.“
fanaticus fantasticus schnappte nach Luft. „Wie bitte?!“ Er wusste nicht viel, nein, aber er kannte seinen Namen und dass es ein intelligenter Name war, soviel wusste er auch. „Das ist Latein!“, versuchte er zu argumentieren.
Die Frau grinste nur spöttisch. „Das macht ihn noch nicht intelligent.“ Dann zog sie ein Blatt aus dem Stapel hervor und legte es oben auf. „So, da haben wir ja die Anmeldung.“
„Anmeldung?“
„Aber ja.“ Sie seufzte leise. „Ich erkläre dir gerade was Sache ist, ja?“
Das war nun das erste Intelligente, das fanaticus fantasticus bisher von ihr gehört hatte. „Bitte!“
„Nun, mein Lieber, ich mache es kurz und klar. Und bitte keinen Existenzschock kriegen, denn dann müssten wir dich austauschen und das würde nur unnötigen Papierkram für mich mit sich bringen – und unnötige scheiternde Versuche es deinem Benutzer klarzumachen. Andererseits, bei deinem Namen täte es vielleicht sogar die Billigerklärung. Na, wie auch immer. Dazu soll es ja nicht kommen, nicht wahr? Also: du bist ein PIM – ein Personal Internet Manager! Du bist ein Wesen des World Wide Web, einer Einrichtung, über die eine Wesensform namens Mensch unter anderem Kontakt untereinander hält ohne die anderen Wesen ihrer Art mit Sinnen wahrzunehmen. Gewissermaßen also ein technisch geschaffener Sinn. Du verstehst was ich meine?“
„Äh – du willst mir sagen ich bin ein Wesen das durch Technik geschaffen wurde?“
„Ja und nein. Das Internet ist ein Produkt der Technik, was uns PIMs angeht, da streiten sich die Geister. Manche meinen wir wären Wesen des Geistes, andere sagen, das ist fünfzig zu fünfzig, Geist und Technik. Wenn du mich fragst, alles viel zu philosophische Gedanken. Allerdings gibt es einige ausgediente PIMs, die sich der Wissenschaft verschrieben haben und glauben tatsächlich eines Tages eine Lösung zu finden. Na, wie auch immer…“
fanaticus fantasticus war sich immer unsicherer ob er die Antworten auf seine Fragen wirklich hatte bekommen wollen. Was diese Frau ihm da erzählte, klang wie ein schlechter Traum – wenn man einmal davon absah, dass Träume vermutlich in der Veranlagung – oder Programmierung? – von PIMs nicht vorgesehen waren.
„Und – wie viele PIMs gibt es?“
„Im ganzen Internet? Frag mich nicht. Das kann dir höchstens ein Statistiker beantworten. Aber selbst der dürfte seine Probleme damit haben. Nicht alle sind registriert, du musst unterscheiden zwischen aktiven und von Menschen entlassenen und von PIMs entlassenen und kollabierten und…“
„Kollabierten?!“ Je mehr er hörte, desto weniger schmeckte ihm die Sache.
„Habe ich kollabierten gesagt? Ähm, vergiss es. Nicht wichtig. Der Prozentsatz ist gering. Sei lieber froh darüber, dass du unter keinen physischen Krankheiten leiden kannst. Zugegeben, psychische Leiden sind dafür noch häufiger als unter Menschen, aber ich würde mir an deiner Stelle wirklich keine Gedanken machen. Du wolltest Zahlen wissen. Was ich dir sagen kann, ist, wie viele PIMs wir hier auf kurzgeschichten.de haben. Das sind nur wenige tausend und viele davon sind nicht aktiv.“
fanaticus fantasticus überlegte, ob er die Frage wirklich stellen wollte, konnte es dann aber doch nicht lassen. „Nicht aktiv – was genau heißt das?“
„Ruhestand. Du stellst einen Antrag auf ehrenhafte Entlassung, sobald dein Benutzer keine Verwendung mehr für dich hat. Wird sie dir gewährt, bekommst du ein paar Jahre Urlaub. Andernfalls… wirst du gleich ausgestellt.“
„Ausgestellt?!?!“
„Keine Panik. Schlimmer als der menschliche Tod ist das auch nicht – also jedenfalls gibt es keinen Grund anzunehmen, dass…“
„Schon gut!“, unterbrach fanaticus fantasticus sie. Er merkte wie seine Stimme zitterte. „Was anderes. Arbeiten alle PIMs an Schreibtischen, äh, mit Ketten?“
Sie folgte seinem Blick. Ein wehmütiges Lächeln entstand in ihrem Gesicht. „Nein, das tun nicht alle. Nur ich als Sekretärin von kg.de.“
„Aber warum?“
„Tja, Jungchen, das ist die Strafe, wenn man sich nicht auf seine Arbeit konzentriert und wenn man, na ja, so unzuverlässig wird, dass man zum Beispiel versucht einen Blick über die Grenzmauern von kg.de ins restliche Internet zu werfen. Ich würde dir raten niemals auf diese Idee zu kommen. Zumal, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, ich nicht glaube, dass es da draußen was gibt, das wirklich besser wäre als kg.de.“
Das war das Beste, was er bisher von ihr gehört hatte – und doch irgendwie das Unglaubwürdigste. „Aber warum wolltest du dann raus?“
Wieder dieser wehmütige Ausdruck. „Schon mal was von amazon.de und ebay gehört? Nein, wie könnest du… Das ist der Traum vom Shoppen. Habe ich von meiner einstigen Benutzerin, denke ich mir. Werde ich wohl nie ganz los werden.“
fanaticus fantasticus nickte, obwohl er keine Ahnung hatte wovon sie sprach.
In diesem Moment öffnete sich eine Tür links von fanaticus fantasticus und eine junge Frau betrat den Raum. Sie trug ein langes weißes Gewand und sah damit edler aus als die Sekretärin in ihrer deutlich schlichteren grauen Robe.
„Darf ich vorstellen“, sagte die Sekretärin. „Das ist Malinche. Malinche – fanaticus fantasticus, ein Neuling.“
„Herzlich willkommen!“, sagte Malinche mit einem freundlichen Lächeln und reichte ihm die Hand. „Fantasy, nehme ich an?“
„Wie?“ fanaticus fantasticus hatte einmal mehr den Eindruck, dass er der Depp war, wo alle anderen zu wissen schienen, was Sache war. Nur, dass ihn das gegenüber Malinche deutlich mehr störte als gegenüber der Sekretärin.
„Oh. Ich wusste nicht, dass du so neu bist.“
Bin ich nicht, hätte fanaticus fantasticus fast gesagt. Gerade noch rechtzeitig fiel ihm auf wie lächerlich das gewesen wäre.
„Vielleicht begleitest du ihn einfach gerade“, schlug die Sekretärin vor. „Zeigst ihm die wichtigsten Räumlichkeiten und lässt ihn seinen Beitrag platzieren.“
Malinche zuckte mit den Schultern. „Meine Benutzerin wird sich wundern warum ihr PC so langsam reagiert, aber das soll ja nicht mein Problem sein. Du sorgst dafür, dass ich deswegen keine Ermahnung kriege, ja?“
„Falls dir das entgangen ist, meine Liebe, ich bin hier diejenige, die Ermahnungen ausstellt. Es wird mir also nichts leichter fallen als das.“
Malinche nickte. Dann sehe ich kein Problem. Kommst du, fanaticus?“
Etwas in ihm ärgerte sich über diese Kurzform. War er es oder sein Benutzer? Na, immerhin war diese hübsche junge Frau doch ein erster Lichtblick an diesem Ort. Er folgte ihr durch die Tür in den Flur aus dem sie gekommen war in eine große Halle.
„Von was für einem Beitrag war da gerade die Rede?“, wollte er wissen.
Sie grinste. „Sieh mal in den Taschen deiner Jacke nach. Da dürftest du das finden, was deine Verbindung zu deinem Benutzer ist und noch oft sein wird, wenn er nicht die Lust an kg.de verliert: einen Beitrag für eines unserer Foren.“
„Foren“, wiederholte fanaticus fantasticus. Sicher würde sie ihm auch diesen Begriff gleich erklären.
„Ja. Das sind die Hallen, in die man von hier aus kommt. Hinter jeder der Glastüren befindet sich ein solches Forum für Geschichten. Wenn du jetzt deinen Beitrag herausholst, können wir uns ansehen, wo wir hinmüssen.“
fanaticus fantasticus nickte und griff in seine Taschen. Bevor er jedoch etwas hervorholen konnte, zog er die Hände wieder heraus und starrte gebannt auf eine der Türen. Sie wurde von der anderen Seite geöffnet und ein Kopf, der mehr als die Hälfte des Türrahmens ausfüllte, erschien in der Öffnung. Ein Kopf mit einem entsprechend großen Mund, der entsprechend große Flüche ausstieß, während er nach dem Kopf den Rest seines Körpers durch die Tür zwängte. fanaticus fantasticus wich Schritt um Schritt zurück und machte sich zur Flucht bereit, aber Malinche fasste ihn am Arm und hielt ihn zurück.
„Kein Grund zur Beunruhigung. Er ist auch nur ein PIM.“
Der Hüne schaffte es die Tür hinter sich zu lassen und richtete sich nun zu voller Größe auf. Die Halle war groß und das gläserne Dach, das von einer großen Säule aus Felsgestein in der Mitte gestützt wurde, lag an seiner niedrigsten Stelle bestimmt zehn Meter über dem Boden. Der Gigant ragte dennoch fast bis zur Decke auf. Es war fanaticus fantasticus ein Rätsel wie er es durch die nicht annähernd halb so hohe Tür geschafft hatte.
Als sich der Riese den Schweiß von der Stirn gewischt hatte, verfluchte er erst einmal seinen Benutzer und wurde dann der beiden kleineren PIMs gewahr.
„Oh, hallo Malinche. Und, äh, haben wir uns schon einmal gesehen?” fragte er fanaticus fantasticus. „Und damit meine ich nicht ob du mich schon einmal gesehen hast – das ist ja keine Kunst.“
„We…“ fanaticus fantasticus musste sich räuspern bevor er vernünftig sprechen konnte. „Weder noch. Ich heiße fanaticus fantasticus.“ Rasch verbarg er die Hände auf dem Rücken. Der Mann sollte bloß nicht auf die Idee kommen Hände schütteln zu wollen.
„Ja, so siehst du auch aus – so fanatisch, meine ich. Fantastisch nicht unbedingt. Nichts für ungut. Freut mich dich kennen zu lernen.“ Der Riese rieb sich den Kopf, der offenbar doch etwas abbekommen hatte als er sich durch die Tür gequetscht hatte. „Ich bin Megabjörnie. Mein Meister sei verflucht für diese Vorsilbe. Und die Konstrukteure unter den PIMs seien verflucht dafür, dass sie immer noch nicht die Türen erweitern.“
„Megabjörnie, die Türen wurden deinetwegen schon erweitert!“, erinnerte ihn Malinche.
„Und? Ist es jetzt meine Schuld, dass sie damals nicht imstande waren meine Maße richtig zu nehmen?“
„Es hält sich tapfer das Gerücht, dass du damals nie still gehalten hast. Also: ja.“
Megabjörnie grummelte etwas unverständliches und verschwand durch die Tür, durch die sie hereingekommen waren – mit den gleichen Flüchen wie zuvor.
„Tja, so ist das mit den Menschen“, meinte Malinche bedauernd. „Sie denken nicht an uns, wenn sie uns Namen geben. Sie denken überhaupt nie an uns.“
Na ja, dachte fanaticus fantasticus. So tragisch das auch war, es konnte verschiedene Gründe haben. „Vielleicht wissen sie gar nicht von uns.“
Plötzlich nahm er aus den Augenwinkeln eine Veränderung an der großen Säule wahr. Er sah hin, konnte aber nicht sagen was passiert war – bis unvermittelt ein Fellbündel zu ihnen heruntersprang – aus einer Art Höhle hoch oben in der Säule, die er zuvor nur für einen dunklen Fleck gehalten hatte.
Einmal mehr wich fanaticus fantasticus angstvoll zurück. Diesmal allerdings so schnell, dass er ins Stolpern geriet und rückwärts hinfiel.
Malinche bedachte ihn mit einem tadelnden Blick und half ihm auf die Beine. „Das ist Felsenkatze, eine Moderatorin von kg.de. Du könntest ihr mit etwas mehr Respekt begegnen.“
Dass ihm noch niemand beigebracht hatte was eine Moderatorin war, daran schien sie nicht zu denken.
Das Fellbündel entpuppte sich bei näherem Hinsehen als Vielfraß, das sich um ein paar Schritte zurückzog, als es festgestellt hatte, dass es ihn erschreckt hatte - oder war es sein wie Megabjörnie gesagt hatte „fanatisches“ Aussehen, dass das Tier zu diesem Rückzug bewegte?
Er starrte die PIM mit ihrem tierischen Aussehen einen Moment lang nur recht ungläubig an.
„Katze-", wiederholte er und zog ein schiefes Gesicht.
„Nicht alles was aussieht wie ein Mensch, ist ein Mensch und nicht alles was Katze heißt sieht aus wie eine Katze", sagte Malinche und verstand das offenbar als Erklärung.
Felsenkatze kam auf seine Theorie zurück. „Die Menschen sollen nicht von uns wissen?“, fauchte sie und im Hintergrund schwang ein Knurren mit. „Was glauben sie denn bitteschön wie das Internet funktioniert? Ganz von allein? Dass ich nicht brülle! Nein, mein Freund, die wissen von uns genau so wie wir von ihnen. Aber es kümmert sie nicht. Weißt du was ich an zusätzlicher Arbeit habe seit meine Benutzerin auf den dummen Gedanken gekommen ist, dass sie Moderatorin sein möchte? Nein, davon machst du dir keine Vorstellungen. Aber jeder andere Moderator wird dir bestätigen, dass es einem unerträglich wenig Freizeit lässt.“ Sie drehte den Kopf zu einer der Türen, die zu den Foren führten. „vita!“
Nur einen Moment später wurde die Tür aufgestoßen und heraus kam ein Wesen, das von allen, die fanaticus fantasticus bisher gesehen hatte, das abstoßendste war. Es war klein und damit zum Glück nicht so furchteinflößend wie Felsenkatze und Megabjörnie, aber ungefährlich sah es auch nicht gerade aus. Grüngraue Haut spannte sich über den sehnigen Körper. Bedrohliche gelbe Äuglein lagen in tiefen Höhlen und in dem breiten Mund war eine Vielzahl von spitzen Zähnen zu sehen. Das Wesen kam schneller zu ihnen herüber als fanaticus fantasticus es den platten krallenbewehrten Füßen zugetraut hätte.
„Sieh mich nicht so an, ja?!“, fauchte es ihn an. „Ich sah auch schon mal besser aus. Aber ich kann nun wirklich nichts dafür, wenn meine Meisterin unbedingt einen Quoten-Goblin aus mir machen muss! Im Übrigen habe ich schon ganz andere Goblins gesehen. Habe mir aus dem ganzen Internet Bilder zusammentragen lassen. Nicht ein Goblin darunter, der annähernd so gut aussieht wie ich. Und denk jetzt nicht das hätte ich getan um mein eingebrochenes Selbstwertgefühl zu steigern!“
„Ich… ich habe gar nicht so geguckt“, versuchte fanaticus fantasticus sich herauszureden.
„Falsche Antwort!“
„Na gut. Ich habe. Aber es tut mir Leid. Es ist nur alles so – verwirrend! Du bist vita?“
„In der Tat! Moderatorin für Fantasy und Märchen. Kann ich dir irgendwie helfen?“
„Ich weiß nicht…“
Malinche erinnerte sich in diesem Moment offenbar, dass sie zu tun hatten und auch ihre eigene Benutzerin noch auf sie wartete. „Nein, für den Moment kann keiner von euch helfen. Wir kommen schon zurecht. Wenn ihr uns entschuldigen wollt…“
vita nickte. „Natürlich. Meine Benutzerin will sowieso schon wieder eine Bewertung loswerden.“
„Da hast du’s“, murrte Felsenkatze. Keine Ruhe für Moderatoren-PIMs. Und für Quoten-Goblins natürlich schon mal gar nicht. Also dann, ihr beiden, man sieht sich.“
Die Moderatoren verschwanden und sie konnten sich wieder dem geheimnisvollen Ding namens Beitrag zuwenden. fanaticus fantasticus kramte abermals in seinen Taschen und fand rasch etwas, das sich nach Papier anfühlte. Es war ein Briefumschlag.
„Fantasy/Märchen; Neuer Beitrag“, las Malinche. „Na, das ist doch eine klare Adresse. Komm mit.“
fanaticus fantasticus folgte ihr und öffnete den Umschlag, während sie in das Forum gingen, aus dem vita gekommen war. Er fand ein langes Blatt Papier vor, von oben bis unten in kleiner Schrift beschrieben.
Das Forum war ein großer, kreisrunder Raum, der in der Mitte tiefer war und über kleine im Kreis herumführende Treppenstufen mit dem Gang verbunden war, der an der Außenwand verlief, vor einer Vielzahl von Regalen. Malinche hielt allerdings auf eine Tür zu, die von dem Raum nach rechts weiterführte, bevor man richtig in den Raum hineinkam. „Neuer Beitrag“ stand in großen Lettern auf der Tür geschrieben.
Dahinter lag ein kleiner Raum. Viel mehr als ein kleiner Schreibtisch war hier nicht zu sehen.
Malinche hob erstaunt die Augenbrauen. „Niemand da. Das sieht stark nach einer Abmahnung aus. Entweder nach einer, die gerade abgeholt wird, oder nach einer, die jetzt dafür geschrieben wird. Na, das muss dich nicht kümmern. Leg die Geschichte einfach hier ab. Ich bin zuversichtlich, sie wird bald einsortiert werden. Wie heißt sie denn?“
„Der verhexte Gladiator“, las fanaticus fantasticus vor.
„Ah ja. Na, das wäre glatt was fürs Thema des Monats Oktober gewesen. Das sind mir die liebsten: die Benutzer, die sich gar nicht erst richtig umsehen, sondern einfach mal was reinstellen. Menschen können ja so unorientiert sein.“
fanaticus fantasticus ging nicht darauf ein. In Gedanken hoffte er, dass diese Eigenschaft seines Meisters nicht auf ihn abgefärbt war. Im Augenblick kam er sich noch arg unorientiert vor.
Sie verließen den Raum wieder – und wären fast mit einer weiteren PIM zusammengestoßen. Diesmal handelte es sich wieder um eine PIM in gewöhnlicher Gestalt – Menschengestalt, wie fanaticus fantasticus ahnte. Das außergewöhnliche an dieser PIM war lediglich, dass sie vier Augen, ansatzweise zwei Münder und deutlich mehr als zehn Finger hatte.
„Und noch eine Bekannte“, erklärte Malinche. „asirdandwen.“
„Hallo“, sagte die Frau. „Du bist neu hier, ja?“
„Ja“, antwortete fanaticus fantasticus. Er wusste nicht, was er sonst noch hätte sagen sollen.
„Bevor du fragst – ich habe vier Augen weil ich zwei Benutzer habe. Und alle anderen Mutationen erklären sich genauso.“
„Zwei Benutzer?“ Ein ungemütlicher Gedanke, fand fanaticus fantasticus. Wie viele konnte man denn davon kriegen?
„Tja, nicht alle Benutzer erstellen ihre eigenen PIMs völlig neu“, erklärte Malinche. „Einige – na ja, wenige, in der Regel einfühlsame Menschen, nehmen wahr, dass da schon PIMs sind, die – in der Regel – keinen Benutzer haben und ihnen zugänglich gemacht werden könnten. Ob sie sich dessen bewusst sind oder ob sie glauben einen neuen PIM zu erschaffen, da ist sich die Wissenschaft nicht sicher. Jedenfalls geben sie ihnen Namen, die schon vergeben sind und damit werden ihnen schon vorhandene PIMs zur Verfügung gestellt.“
„Nur dass meine beiden Benutzerinnen dann doch nicht einfühlsam genug waren, meinen ganzen Namen zu erkennen“, erläuterte asirdandwen bedauernd. „Die eine wollte eine PIM mit Namen ardandwen, die andere einen mit dem Namen sirwen. Ich habe damals darauf bestanden höchstens einen der beiden Jobs anzunehmen, aber der PIM des Global Moderators hat mich vor die Wahl gestellt beide oder keine und da es der Existenzverlängerung dienlich war, habe ich zugesagt beide zu machen. Ich schätze die Entscheidung des Global-Mod-PIM damals war im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass sie mit einer sirwen arge Schwierigkeiten gehabt hätten. Wenn ich richtig informiert bin, dann heißt das in irgendeiner Sprache soviel wie ,fließendes Mädchen’. Und jetzt stelle man sich den Ärger vor, wenn wir jetzt auch noch ein ganzes Flussbett oder so was durch alle Räumlichkeiten von kg.de leiten müssten. Megabjörnies ständige Anträge auf größere Durchgänge und die Anträge zahlreicher anderer außergewöhnlich proportionierter PIMs machen schon genug Probleme.“
„Ja, das… klingt logisch.“
„Ja, das tut es. Für mich klingt es aber in der Regel immer nur nach mehr Arbeit. Oh, verdammt, wenn man von der Teufelei spricht… Meisterin Lexi ruft mich. Ich sollte sie besser nicht warten lassen. Das musste ich letztens erst, weil meine andere Meisterin mich komplett beanspruchte. Also, fanaticus fantasticus, wenn dein Meister für Fantasy schreibt, werden wir uns sicher bald wiedersehen. Bis dann.“
„Ja, bis dann.“
„Und ich muss jetzt auch los“, erklärte Malinche. Du kommst alleine klar? Ich meine, viel musst du ja erst mal nicht tun. Sieh dich ein bisschen um. Du darfst halt nur nicht den Ruf deines Meisters überhören.“
Sie hatte es eher im Scherz gesagt. fanaticus fantasticus hatte zwar von Anfang an ein unbestimmbares schlechtes Gefühl gehabt, als sie das gesagt hatte, schließlich hatte er nicht die geringste Ahnung wie sich ein solcher Ruf anhören sollte, aber sowohl Malinche als auch asirdandwen schienen keine echten Zweifel daran zu haben, dass er ihn hören und als solchen erkennen würde.
Sie hatten sich getäuscht.
Wie sie ihm nahegelegt hatten, hatte er die Zeit genutzt, um sich umzusehen. Die Zeit, die er gehabt hatte und auch die Zeit, die er schon nicht mehr gehabt hätte. Sein Meister hatte einen neuen Auftrag gehabt und er hatte außer einem Anfall von Schwindel, den er sich nicht erklären konnte, nichts gespürt, was darauf hingewiesen hätte.
„fanaticus fantasticus! Auf der Stelle in mein Büro!“
Das hatte er gehört. Laut und deutlich. Er wusste nicht wo die Lautsprecher angebracht waren, aber irgendwo mussten sie sein. Er hatte Angst gehabt und war minutenlang nicht imstande gewesen sich zu bewegen. Zum einen war da die Angst vor einer Bestrafung für eine Fehltat, zum anderen hatte er keine Ahnung in wessen Büro er sich einfinden sollte, geschweige denn dass er gewusst hätte wo er dieses Büro suchen musste. Die Ansage hatte sich jedoch wiederholt und das hatte ihn endlich dazu gebracht wieder einen Fuß vor den anderen zu setzen. Vermutlich konnte jeder ihm weiterhelfen, es kam nur darauf an, einem anderen PIM zu begegnen. Nur war ihm so unwohl dabei jemanden anzusprechen, weil dann vermutlich jeder wissen würde was er angestellt hatte – selbst wenn er es zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste.
Schließlich ging er bis in den Empfangsraum der Sekretärin zurück, obwohl ihm unterwegs geradezu haufenweise andere PIMs begegneten. Immerhin wiederholte sich die Ausrufung kein weiteres Mal.
„Was hast du nur angestellt?!“ fragte die Sekretärin und sah ihn über ihre Brille hinweg an als er in ihren Raum gestolpert kam. Allerdings, so hatte fanaticus fantasticus den Eindruck, wirkliches Bedauern war weder in ihrem Blick, noch in ihrer Stimme. Vielmehr war ihr Ausdruck vielschichtig, als ob sie bestimmte Absichten und Gefühle zu verbergen versuchte.
Sie sagte sonst nichts, sondern zeigte nur auf eine der Türen.
fanaticus fantasticus nickte und ging darauf zu. Zögernd drückte er die Klinke herunter und trat ein. Wie erwartet fand er sich in dem Büro wieder, in das er hatte kommen sollen. Der Raum war anders als alle anderen, die fanaticus fantasticus bisher gesehen hatte. Er wirkte komfortabler, gemütlicher. Mehr als alle anderen Zimmer und Hallen war es ein Ort, der zum Verweilen einlud – wäre da nicht der Grund für seine Anwesenheit gewesen.
Eine Marmortreppe führte knappe drei Meter zu einem Schreibtisch vor einer verzierten und von vielen eleganten Wandvorhängen behangenen Wand empor. Zwischen Schreibtisch und Wand saß ein Mann in höchst vornehmer Kleidung. In seinem Blick lag Strenge, aber ebenso Gerechtigkeit. Man brauchte diesen Mann nur einen Augenblick lang zu sehen und wusste, dass es sich bei ihm um eine würdige Respektsperson handelte. Die vielen Augenblicke, die fanaticus fantasticus ihn ansah, nötigten ihm somit eine ganze Menge Respekt ab.
Langsam und mit immer wieder gesenktem Blick stieg er die Stufen hinauf, bis er vor dem Schreibtisch stand.
„fanaticus fantasticus!“, stellte der Mann fest.
„Ja“, antwortete fanaticus fantasticus kleinlaut.
„Das war keine Frage, sondern eine Feststellung“, wurde er sachlich korrigiert. „Ich weiß wer du bist. Aber ich schätze, du bist dir noch nicht sicher wer ich bin. Man nennt mich Webmaster, ich bin der PIM des Administrators von kurzgeschichten.de.“
„Ah“, machte fanaticus fantasticus.
„Du hast den Ruf deines Benutzers ignoriert, als er dich brauchte. Du hast ihn deutlich zu lange ignoriert. Dein Benutzer glaubte sein Internetserver mache ihm Probleme. Und Miss Nomynenny, unsere Sekretärin, hat ihre liebe Mühe das jetzt wieder geradezubiegen.“
„Aber… ich habe keinen Ruf gehört!“
„Das haben schon andere behauptet, aber Fakt ist, dass neunundneunzig komma neunneun Prozent aller PIMs nicht das geringste Problem haben die Rufe ihrer Meister wahrzunehmen. Ich kann daher diese Entschuldigung, ob Ausrede oder wahre Ausnahme, nicht gelten lassen.“
fanaticus fantasticus schluckte mehrfach schwer, bevor er angstvoll fragte: „Was geschieht jetzt mit mir?“
Der Webmaster seufzte. „Tja, PIM deines bisherigen Meisters kannst du nicht bleiben. Wir haben ihm bereits einen neuen zugewiesen, der jetzt so tun muss als wäre er du. Und natürlich kann ich dich auch nicht guten Gewissens einem anderen Benutzer überlassen. Nein, mir bleibt keine Wahl. Wir haben nur eine einzige Verwendung für dich.“
Durfte er aufatmen? Er war sich nicht sicher. Aber immerhin: sie hatten noch eine Verwendung für ihn. Also wurde er nicht ausgeschaltet! Das war doch schon mal eine gute Nachricht.
„Du wirst die Sekretärin ablösen.“
Gefesselt an einen Schreibtisch Neuankömmlinge willkommen heißen und warten bis ein anderer einen ähnlichen Fehler machte und man abgelöst wurde? Keine rosigen Aussichten, aber es hätte deutlich schlimmer kommen können. Und so beeilte sich fanaticus fantasticus zuzusagen. „Gut; ich bin einverstanden.“
„Das ist schön, wenn auch nicht notwendig.“
Webmaster stand auf und bedeutete fanaticus fantasticus ihm zu folgen. Sie stiegen die Treppe hinunter und gelangten durch die Tür zurück in den Empfangssaal. Der Administrator-PIM zog einen großen Schlüsselbund aus der Tasche und schloss die Kette auf, welche die Sekretärin an den Schreibtisch band. fanaticus fantasticus setzte sich bereitwillig auf ihren Stuhl und ließ zu, dass die Kette nun sein Handgelenk befestigte. Er wusste nicht was er von all dem halten sollte. Es war zu verwirrend. Er wusste ja noch nicht einmal ob er glücklicher gewesen wäre, wenn er für seinen Meister die Aufträge erfüllt hätte. Letztendlich hatte er zwar keinen Grund glücklich zu sein, aber einen rechten Grund unglücklich zu sein, sagte er sich, hatte er auch nicht.
Der Webmaster verschwand wieder in seinem Büro. Die erlöste Sekretärin aber blieb noch für einen Moment zurück.
„So schlimm ist es nicht“, machte sie ihm Mut. „Und wenn du es nicht mehr aushältst – du weißt wie du dich davon entbindest.“
fanaticus fantasticus sah sie an als hätte sie nur jedes zweite Wort wirklich ausgesprochen und es wäre nicht alles zu verstehen gewesen. „Nein, das weiß ich nicht.“
„Oh doch“, versicherte ihm die Dame in Grau lächelnd. „Du hast schließlich schon miterlebt wie es funktioniert.“
Und während er dabei war zu begreifen, verschwand sie durch eine Tür, von der fanaticus fantasticus nicht wusste, was dahinter lag.
Sie hatte ihn benutzt! Sie war schuld, dass er den Ruf nicht gehört hatte und nun fürs erste hier endete! Es war unglaublich – und doch so einleuchtend. Aber wenn es so einfach war das zu erzielen, dann gab es keinen Grund warum er es nicht auch schaffen sollte. Sie hatte gesagt er könnte es. Dummerweise wusste er bloß nicht wie man einem PIM die Sinne nahm, mit denen er seinen Meister hörte. Oder mussten sie ihm erst gegeben werden?
Eine Tür neben dem Durchgang zur schwarzen Leere wurde geöffnet und ein PIM, den fanaticus fantasticus noch nicht kannte, kam herein. Er stellte sogleich überrascht die Veränderung fest.
„Nanu, was ist denn hier passiert?“
Wenn ich Glück habe, und es mir gelingt es der Sekretärin nachzumachen, dann wirst du das bald sehr genau wissen, dachte fanaticus fantasticus. Fürs erste musste er den Unbekannten ins Gespräch verwickeln, dann würde er schon feststellen, ob er herausfand wie es funktionierte.
„Ich habe den Job hier übernommen“, erklärte er überflüssigerweise. „fanaticus fantasticus ist mein Name. Und wie heißt du?“
„Tolkiens Padawan“, antwortete der andere, während er stirnrunzelnd näher kam.
„Ein schöner Name“, versuchte der neue Sekretär sich einzuschleimen.
„Findest du? Mich stört die Bezeichnung Padawan. Ich meine, sie ist absolut bescheuert. Ein Padawan wird normalerweise irgendwann zum Meister, das ist der Zweck seines Padawan-Daseins, aber wie soll man zum Meister werden, wenn man an die Bezeichnung Padawan gebunden ist? Mein Status ist mein Name, das ist ein Fluch, wenn du mich fragst. Und wieder mal ein Beweis dafür, dass sich die Menschen nicht um das Seelenheil ihrer PIMs kümmern!“
„Also, Tolkiens Padawan, was kann ich für dich tun?“
„Du? Im Grunde gar nichts. Ich weiß wo ich hin muss. Ich habe hier eine Geschichte, die ich in Fantasy reinstellen muss.“
fanaticus fantasticus wurde unruhig. Der PIM wollte schon gehen und dabei wusste er noch immer nicht im Ansatz wie er ihn von der Verbindung zu seinem Meister trennen könnte. Er musste verstärktes Interesse heucheln. „Eine Geschichte für Fantasy? Ich interessiere mich brennend für Fantasy-Geschichten. Wie heißt sie denn?“
„Ich weiß nicht.“ Tolkiens Padawan zog den Umschlag mit der Geschichte aus der Tasche und öffnete ihn. Dann ließ er ein leises Lachen hören. „Wie einfallslos: www.kurzgeschichten.de – Zuhause im Netz!“