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Xeroderma Pigmentosum
I
Alles war tot. Und ich-
Ich stand mit dem Rücken zur Dunkelheit, die mich von allen Seiten, aus allen Richtungen, aus allen Dimensionen mit unbarmherziger Einsamkeit umpeitschte. Ich drehte mich um und zitterte vor Entsetzten und Angst. Der einzige Lichtschein in diesem kalten, metallischen Etwas, in dem ich mich befand, rührte von einer einzigen an der Decke, wenn es denn eine war, baumelnden Neonröhre her. Sie warf ein fahles, totes Weiß in einem kleinen Radius in ihre Umgebung und machte den Eindruck seelenloser Grausamkeit in der scheinbar riesigen, vor bläulichem Grau schimmernden Halle perfekt. Durch den Lichteinfall wurde schemenhaft eine Wand etwa zwanzig Meter vor mir und davor eine Art Bühne sichtbar, zu der scheinbar nur ein steriles Gerümpel aus klirrend kalt blitzendem Stahl führte.
Endlos war die Halle nicht, denn an einem Ende befand ich mich ja. Und um mich herum sah ich die Silhouetten der Leichen meiner...meiner...Wegbegleiter liegen. Sie steckten mit den Köpfen im undurchdringlich scheinenden Metallboden fest und ihre schlaffen Körper lagen zusammengesackt in den widernatürlichsten Positionen auf selbigem. Ich kannte sie nicht und habe sie nie gekannt und überhaupt konnte ich mich an nichts, was zuvor geschehen war, wenn denn etwas geschehen war, erinnern. Ich verzweifelte, weil ich absolut gar nichts wusste. Ich wusste nichts und erkannte nichts und hatte Erinnerung an nichts.
Hinter mir, in der alptraumähnlichen, stumm grollenden Dunkelheit vernahm ich plötzlich ein tierhaftes Gebrüll. Es schwoll dissonant an, bis zu solch unerträglichen Ausmaßen, dass ich gezwungen war, meine Ohren mit den Händen zu bedecken. Urplötzlich hörte es auf und ich erkannte, dass an seine Stelle das immer lauter werdende Geräusch einer galoppierenden Bestie trat. Wie lang mochte die Dunkelheit hinter mir, aus welcher der Laut offensichtlich drang, nur sein? Das war mir gleich, jetzt wusste ich zumindest eins: Das Untier, denn so hatte es vorhin geklungen, wusste, dass ich hier bin und trachtete nach meiner Existenz, deren Vorhandensein mir selbst so unwirklich schien. Doch aber wirklich genug, um dem Erhaltungstrieb nachzugeben. Ich musste ein Versteck zwischen all dem scheinbar nutzlosen Metall finden!
Während der infernale Galopp hinter mir immer bedrohlicher wurde, rannte ich nach vorne, auf die „Bühne“ zu, dabei stets panisch und in Todesangst um mich blickend. Wo konnte ich hin? Irgendeine enge Öffnung musste doch in diesem Chaos zu finden sein!
Doch während ich allmählich verzagte, kam das Ungeheuer immer näher! Kurz hatte ich darüber nachgedacht, mich tot zu stellen, hatte den Einfall dann aber wieder fallen lassen, es war zu wahrscheinlich, dass meine Tarnung auffliegt und außerdem wusste das Tier scheinbar, dass etwas lebendiges hier war.
Nein! Eine Spalte, durch die ich hindurchschlüpfen konnte, gab es hier nicht! Und Es war schon beinahe da! Hirnlos rannte ich aufs Geröll zu und kletterte unter Tränen daran hinauf. Ich achtete nicht auf spitze Vorsprünge und so war die Haut meiner Hände schon sehr bald vollkommen aufgerissen und ich blutete. Ebenso erging es meinen Knien und Füßen und nun musste ich feststellen, dass ich nackt war. Schmerzgepeinigt erklomm ich die Bühne und kauerte mich in die hinterste linke Ecke, zitternd und weinend. Das ganze Geröll vor der Bühne befand sich auf der linken Seite und so ruhte meine ganze Hoffnung darauf, dass es meinen Anblick verbergen möge. Andernfalls wäre ich mit Sicherheit dem Tode geweiht.
Die Laufgeräusche nahmen extreme Dimensionen an, es klang, als wäre ein Heer kannibalischer Teufel der Hölle entstiegen. Ich dachte, das Geräusch wolle meine Seele fressen.
Das Tier! Es war nun hier in meinem Teil der Halle. Es blieb anscheinend stehen, denn seine entsetzlichen Schritte waren nicht mehr zu vernehmen und dann schrie es gewaltig auf und das Echo polterte und rumpelte durch die metallischen Wände. Ich bemühte mich, keinen Mucks von mir zu geben, jedoch hielt ich diese Furcht kaum aus. Auf einmal rannte es los, dass konnte ich hören, und ein schreckliches Beben warf mich in meiner Ecke umher und bereitete meinem geschundenen Körper noch größere Schmerzen. Es musste gegen das Gerümpel vor der Bühne gerannt sein! Aber es konnte mich doch nicht sehen, weil ich es nicht sehen konnte! Es wusste also, wo ich war, aber hier stellte sich eine neue Frage: Wenn es das wusste, warum kam es nicht her und zerfleischte mich? Gut, das Gerümpel war steil, doch sogar ich habe es erklimmen können, sollte dieses Widerding dazu etwa nicht in der Lage sein? Warum kommt es nicht nach oben? Ich überlegte kurz, ob ich das durch einen Blick auf meinen Feind herausfinden sollte, entschied mich aber dagegen. Zu viel Angst.
Nun, eigentlich hätte ich auch einfach aufstehen und mich zum Bühnenrand begeben können, denn das Ding stieß wie zwanghaft in kürzesten Intervallen gegen die Wand und der nächste, donnernde Stoß katapultierte mich beinahe über besagten Rand hinaus. Und da sah ich das Monstrum!
Und zugleich sah ich das Nichts! Ich finde keine richtigen Worte dafür, was ich sah, ich will es nur so gut ich kann aufzeigen: Es handelte sich um eine Substanzlose, hässliche, mit dogmatischem Grau von ihren Schöpfern gefärbte Staubwolke, in welcher ekelerregende Gesichter und Schemen pulsierten. Und dieses Nichts begehrte, mich zu verschlingen, soviel konnte ich auch ohne weitergehende Induktion feststellen.
Seltsam, aber kaum hatte ich die Bühne erklommen, schon wurde ich von einer fremden Macht darauf festgehalten und konnte nicht hinunterfallen. Es war, als stünde vor mir eine unsichtbare Wand weichen Glases, die mich vor der Vernichtung bewahrte. Ich sollte bald herausfinden, was es damit auf sich hatte. Aber während meiner angstvollen Überlegungen ließ das Monster nicht nach, sondern schleuderte mich in meinem wunderbaren Gefängnis von einer Seite zur anderen, sodass mir bereits der ganze Körper schmerzte, denn meine Nacktheit trug nicht gerade zu einer Minderung der mir zugefügten Wunden bei. Diese unnachgiebige Gnadenlosigkeit brachte mir fast noch mehr Angst und Schrecken, als die unnatürliche Gestalt des Wesens. Lange würde ich das nicht mehr ertragen können und so schwand mir das ohnehin knapp bemessene Licht langsam, aber sicher vor den Augen und meine Ohren wurden von statischen Sirenen erfüllt: Die Ohnmacht empfing mich.
II
Still. Das Licht
und mit ihm die Besinnung kam zurück. Die Sirenen waren verschwunden, ebenso die Stöße des Biestes. Ich stand langsam auf, alles kam mir zunächst wie ein Traum vor, aber die mich einholenden Schmerzen bewiesen mir das krasse Gegenteil meiner Hoffnungen. Das erste, was meine Augen erblickten, war die Neonröhre. Ich war immer noch hier. Immer noch eine Geisel der Bühne. Oder nicht?
Ich tat einige vorsichtige Schritte nach vorn zum Bühnenrand hin. Voll schrecklichster Befürchtungen hob ich eine Hand und führte sich zum Rand. Sollte ich wirklich auf so engem Raum vor mich hin dämmern, um schließlich tatenlos erloschen zu sein? Andernfalls könnte ich weitergehen, die Dunkelheit barg mit Sicherheit Gefahren, aber was konnte denn schlimmer sein, als langsam wie eine Kerze zu erlöschen, ohne einen Versuch, das auszehrende Feuer zu ersticken versucht zu haben?
Ich streckte den Arm ganz aus und wurde von einer Woge der Erleichterung erfasst! Der Weg, wenn auch nur in die verhängnisvoll entgegenströmende Dunkelheit, war frei für mich!
Ich stieg vorsichtig das Metallgerümpel hinab, das mich so schmerzhaft zur Bühne geführt hatte. Manche Vorsprünge waren durch die Kollisionen mit dem Unwesen für mich sehr günstig ausgefallen, wodurch mein Abstieg einfacher und weniger schmerzlich ausfiel.
Als ich mit dem Rücken zur Bühne stand, befiel mich wieder die Hoffnungslosigkeit und das Gefühl, gefangen zu sein. Die Finsternis vor mir waberte mir nebelgleich entgegen und kam immer näher. Zumindest schien es mir so. Jetzt, da ich ein wenig Ruhe hatte, überdachte ich meine Gesamtsituation.
Ich kannte keine andere Realität. Vielleicht hatte ich eines Tages eine gekannt, ich konnte sie, wenn sie gewesen war, leicht unter der Oberfläche meines Bewusstseins fühlen, wo sie mit bis zur Stummheit abgedämpften Schreien die Aufmerksamkeit meines Diesseits erbat.
Die Realität, in welcher ich mich aber befand, war die einzige, die mir wirklich erschien. HIER waren meine Schmerzen, HIER meine Hoffnungen, HIER meine Verzweiflung. Manchmal, in verwirrenden Ausflügen meiner Gedanken in entferntere Gefilde, erschien sie mir wie ein Traum, irreal bis zum Maximum und surreal bis in die tote Neonröhre hinein. Diese Zustände dauerten jedoch nur einen Augenblick und kehrten dann in ihren Teil der Zeit oder des Raumes zurück. Ganz gleich, dies war nun mal die Welt und ich stellte mir nicht die Frage nach ihrem Sinn. Ich nahm mir nur vor, in ihr die Freiheit und meinen Frieden zu finden.
Ich schritt auf die Finsternis zu. Zuerst langsam, aber ich konnte es nicht erwarten, von hier fortzukommen und rannte los, so schnell ich nur konnte. Ich bezwang den Drang zu schreien und die Dunkelheit vor mir umarmte mich, umfing mich mit ihrer traurigen Geborgenheit, verlieh mir unsichtbare Flügel! Ich fühlte mich, als wäre das Paradies nahe, als rannte ich auf seine weit und nur für mich geöffneten Tore zu. Posaunen der Freude tönten durch meine Ohren, jeden Moment musste vor mir das wunderbarste Licht erstrahlen. Komm Frieden, komm Erlösung!
Als hätte jemand einen versteckten Schalter versteckt, verschwanden die Posaunen, die Hoffnung und die Aussicht auf nahende Befreiung. Das sterbende Flackern der Neonröhre war außerhalb meiner Sicht, ich befand mich in absoluter Dunkelheit. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich hinein. Nachdem ich so zur Besinnung gekommen bin, wusste ich nicht mehr, wo vorne und hinten, links und rechts, oben und unten war. Ein Schwall Angst hämmerte gegen meine Schädeldecke und pochte mir laut im Kopf. Ich sah die pechschwarze Luft sich vor mir winden in grässlichen Posen. Sie nahm irrationale Formen an, deren Geometrie meinen Verstang überstieg. Ich merkte, wie meine Füße sich bewegten und mich fortzerrten, in die Formen, in die Formen! Das Pochen stieg an, lauter, lauter, lauter, lauter, lauter, lauter, lauter, lauter!!!!!!!
Eine Explosion entstand vor meinem Blickfeld und plötzlich und unvorhergesehen wurde ich liebkost vom wärmsten Licht, das ich je auf der Haut zu spüren bekam. Nicht zu grell, nicht zu düster, lieblich schwebte es um mich. Alles war zur Unkenntlichkeit verschwommen, Konturen hatten ihre Bedeutung verloren. Und siehe da! Einige Meter vor mir stand eine Gestalt von menschlicher Größe, nur aus Licht bestehend. Wurden meine Hoffnungen doch erfüllt? War die Angst in der Dunkelheit nur eine Probe für meinen Mut und meine Zuversicht? Ja, so musste es sein! Oh, wie ich frohlockte, wie ich innerlich jubelte!
Diese Erscheinung da vorne, dies musste mein Retter sein! Er war nun schon nahe bei mir und breitete seine Arme aus, um mich zu trösten und mir ewiges Heil zu schenken! Ja, errette mich! Erlöse mich!
Doch auf einmal rammte sich die blutige Erkenntnis wie ein eisiger Splitter in mein Denken! Kurz vor der Umarmung sah ich noch einmal hin und scheinbar war mein Blick diesmal genauer, denn nun erkannte ich, das die Lichtstrahlen, die von dem Etwas ausgingen, sich nun in lange, fürchterliche Nägel verwandelt hatten, die mich aufzuspießen drohten. Ich wich erschrocken zurück und da schrie die falsche Lichtgestalt auf und schrie erneut voller Qual und Enttäuschung und fuchtelte und flehte in orgiastischem Zucken und barst schließlich in unzählige Partikel, welche wie ein Funkenregen über mir niedergingen.
Mit der Erscheinung war auch das liebliche Licht verschwunden und ich erkannte, wo ich war. Vor mir befand sich Metallgerümpel. Und dahinter eine Bühne. Und darüber ein totes Neonleuchten.
Aber etwas hatte sich verändert: Die Bühne war nun nicht länger leer. Und es lagen auch keine Leichen mit dem Köpfen im Boden mehr vor der Bühne. Nein, jetzt war die Bühne von ihrem starren Dasein bevölkert. Sie waren mit dem Kopf nach unten gekreuzigt worden. Genauer gesagt, staken die Köpfe im Boden fest wie vorher, nur handelte es sich hier um den Bühnenboden. Die Haut der Leichen war mit zahllosen Einstichen bedeckt, an denen getrocknetes Blut zu sehen war. Arme und Beine waren in voller Länge an umgedrehte Kreuze aus Metall genagelt. Der Ekel stieg in mir auf und ich kämpfte minutenlang darum, mich übergeben zu können, doch diese Wohltat wurde mir nicht gegönnt. Hier gab es nichts mehr zu sehen. Ich wand mich, nachdem ich die Fassung einigermaßen wiedergewonnen hatte ab, und rannte zurück zur Finsternis.
III
Die Hölle,
in der ich mich befand, hatte mich verschluckt und verdaut ausgespuckt. Ich war geschwächt und fürchtete mich, nachdem ich erneut ins Dunkel gegangen war und die Explosion vernommen hatte, die Augen zu öffnen. Ich öffnete die Augen.
Es war meinen Befürchtungen ähnlich. Hier gab es nichts außer dem Tod für mich, das spürte ich klar und deutlich. Jedwede Emotion ließ mich los und ich erkaltete bis zur Indifferenz meinem jämmerlichen Schicksal gegenüber. Die Welt war also dazu da, damit ich Leid erfuhr. Wenn ich ihr Mittelpunkt war, wenn meine bloße Anwesenheit es vermochte, diese Welt oder alle Welten zu variieren, wenn ich also wie ein machtloser, hilfebedürftiger, idiotischer Gott ohne Gläubige zwischen Welt und Parallelwelt hin und her schwanken und zittern sollte, musste also ein kosmisches, sadistisches Gewissen mir, der ich sowieso schon unwissentlich in seinem trügerischen Spinnennetz gefangen war, mit einem grausamen Nackenstoß sein letztes Hab und Gut nehmen. Nämlich den letzten Funken Hoffnung. Ist dieser erloschen, ist es unmöglich, das Feuer wieder neu zu entfachen. Dann ist es vorbei, der Lebensfaden wird abgeschnitten und traurige Engel geleiten einen zur letzten Ruhe.
Ha! Ich wusste zwar nicht, woher mir dieses utopische Bild vom Sterben in den Sinn gekommen war, wo ich doch niemanden habe sterben sehen, kann ich auch kein Bild davon haben, meine Existenz ist ein..., aber hier in diesem kalten Raum werden bestimmt weder feinstoffliche Wesen, noch irgendeine Art wahren Lichts erscheinen, die ich mir wie von selbst ausmalte. Nein, in dieser Welt war der Tod gewiss anders: von stiller Aggression.
Der Raum war wieder derselbe, aber zugleich war er anders. Das Geröll war fort. An seine stelle war eine Treppe getreten, welche zur Bühne hinaufführte. Irgendetwas stimmte aber nicht mit der Treppe. Vielleicht...Auf der Bühne stand etwas, das ich nicht genau erkennen konnte, es flimmerte und nahm keine konkrete Form an. Wie ein sich immerzu wiederholendes Implodieren sah es darin aus.
Zumindest war ich allein. Aber halt! Was waren das denn für Gestalten? Eine ganze Armee, wohin ich mich auch drehte, von rechts und links starrten sie mich an, sie sahen sonderbar vertraut und alle gleich aus und irgendetwas, irgendetwas geschah mit ihnen. Sie blieben nicht gleich, sondern wandelten sich! Zuerst war es mir überhaupt nicht aufgefallen, aber in ihnen ging nahezu unmerklich eine Veränderung vor. Ganz fein. Als ich bemerkte, dass sie nicht auf mich zukamen, fasste ich mir ein Herz und schritt meinerseits in ihre Richtung, dabei ihnen fest in die Augen schauend, die meinen Blick ebenso fest erwiderten und mir bewegungslos entgegen gingen. Ich war schon recht nahe herangetreten, als ich erkannte, warum sie mir nicht näher kommen konnten: Sie waren hinter Wänden harten Glases eingesperrt. Alle blickten sie mir in die Augen, wenn ich sie ansah. Ihre Gesichter wurden anders, langsam, aber sicher wirkten sie älter, eingefallener und vergänglicher. Es waren Zeitlupengesichter und ich bekam Mitleid mit ihrem Dasein, dass ja noch lächerlicher und sinnloser schien, als meines. Fast ohne es zu wollen, streckte ich meine Hand nach ihnen aus- und machte die Entdeckung, dass sie alle das gleiche taten. Das brachte mich zum Stutzen. Ich tanzte ein wenig umher und sah, dass sie alle wie auf ein stummes Kommando zum gleichen Zeitpunkt wie ich zu tanzen begannen. Angst keimte in mir auf, da sich mir eine schlimme Vermutung aufdrängte (WAR ICH DAS?). Ich drehte mich mit dem Rücken zu ihnen. Dann drehte ich blitzschnell den Kopf! Und sie taten dasselbe!
Ich hatte lange gebraucht, aber anders als die anderen Dinge in meinem Kopf, denen ich irgendwelche Namen geben konnte und die ich aus irgendeiner Ebene meines Ichs kannte (an die ich mich wohl erinnerte), zu denen ich eine Verbindung aufbauen konnte, war mir dieses reflektierende Glas fremd, so, als hätte ich es hier zum ersten Mal gesehen. Und ich wusste jetzt, dass ich mich selbst darin sah. Mich selbst darin altern sah.
Nach dieser Erkenntnis hatte ich nur noch ein Ziel, nur noch einen Wunsch: Hinauf zur Bühne! Was auch immer dort war, würde mich retten können! Hin zu den Stufen! Aber mit denen stimmte wirklich etwas nicht. Als ich vor ihnen stand, wirkte es, als wäre die Bühne unendlich weit oben und meine paradiesische Treppe unendlich steil. Die Zeit rannte mir davon und ich bildete mir bereits ein, viel schwächer und müder zu sein, als noch vor Sekunden. Ich musste die Treppe überwinden, mir blieb keine Wahl! Also, Stufe um Stufe, Auge um Auge, Zahn um Zahn kletterte ich dieses verhängnisvolle Täuschungswerk empor, hinauf zur Erlösung. Wenn es keine war, war es zuende.
Habe ich nicht gesagt, der letzte Funken Hoffnung wäre mit diesem Raum erloschen? Das war er auch, aber bei der Art Wesen, der ich mich zugehörig fühlte, ist das vielleicht nie endgültig der Fall. Ich habe während meines kurzen Lebens festgestellt, dass egal, wie aussichtslos alles erscheint, ich doch im tiefsten Innern nie aufgeben kann und wenn ich mich auch in tränenreichem Selbstmitleid und Melancholie verging, mir dabei aber einbildete, mein Schicksal sei mir eigentlich egal, so war dies nur eine Täuschung meiner eigenen Person. Mir war es nie egal gewesen. Wo es auch nur den geringsten Lichtschein gab, war Hoffnung!
Endlich kam ich zur letzten Stufe. Ich fühlte mich so erschöpft, dass ich lange zögerte, den notwendigen Schritt zu tun. Ich stützte mich mit dem Armen auf die Oberschenkel und holte tief Luft. Die Angst war zurückgekehrt. Was war das auf der Bühne? Ich sollte es gleich erfahren.
Es flimmerte und veränderte sich immer noch, wie ein ewiges Gesetz oder Monument. Organisch und doch fremd, so schien es mir. Ich kam ihm näher, wie ein Verdurstender seiner Fata Morgana. Es lud mich ein, ähnlich, wie die Lichtgestalt, doch ohne Euphorie. Sein Glanz war von kaltem Grau und ich schlang meine Arme darum und stützte meinen Kopf mit der Stirn darauf und schloss in seligem Vertrauen die Augen.
Als ich sie wieder öffnete, wusste ich , dass es vorbei war. Um meinen Kopf war eine Schlinge gelegt, das Ding war nicht mehr da und ich stand immer noch auf der Bühne. Im nächsten Moment bemerke ich, dass auch die Bühne verschwunden ist und ich bleibe, mit dem auf meinen Erstickungstod hinarbeitenden Seil um den Hals in der Luft hängen. Kurz zischen Bilder vor meinem Auge, die mir eine andere Realität zeigen, die mir erklären, woher ich all die Wörter kenne, die mir sagen, dass ich einst woanders existiert habe. Jetzt gehen die Lichter aus und die letzte Dunkelheit.........!
IV
Alles war tot. Und ich stand mit dem Rücken zur Dunkelheit, die mich von allen Seiten, aus allen Richtungen, aus allen Dimensionen mit unbarmherziger Einsamkeit umpeitschte.
ENDE