Was ist neu

Zeitenwechsel

Seniors
Beitritt
06.08.2005
Beiträge
1.663
Zuletzt bearbeitet:

Zeitenwechsel

(überarbeitete Version)

Vielleicht war es ja doch eine gute Idee, sich telefonisch zu einem späten Frühstück zu verabreden. Der Tisch ist schon gedeckt; die Zeitschriften und Briefe, die ihn sonst bevölkern, zu ordentlichen Stapeln an den Rand gehäuft. Honig, Quark, Tassen, Teller und sogar Eierbecher stehen bereit. Auch ich gebe mir Mühe, habe die Haare frisch gewaschen und den Norweger-Pullover an, den Friedhelm mir geschenkt hat. Kleine Zeichen guten Willens, Friedenszeichen.

Der Geruch von frisch gemahlenem und gekochtem Kaffee macht mich immer zuversichtlich. Ein Blick über den Tisch, ob ich noch was helfen soll. Alles da, sogar das Salz. Ich setze mich und schenke mir eine halbe Tasse ein. Friedhelm hat meine Brötchen in einen Korb gefüllt und schneidet sich eins auf. Als ich mir auch eins nehmen will, fällt mein Blick auf die Wand hinter ihm.

Der Fleck entpuppt sich als ein längliches Insekt mit aufgestellten Flügeln. Mit Unbehagen fällt mir der letzte Sommer ein, Friedhelms rabiate Vorgehensweise, erschlagene Fliegen und eine zerdrückte Wespe. Ich springe auf, Glas aus dem Schrank, den obersten Briefumschlag gefasst, Motte, Rettung naht, ich komme.

Beinahe stoße ich mit Friedhelm zusammen, der gerade die Eier abschrecken will.
„Du hast da eine Motte“, sage ich und will an ihm vorbei.
„Mensch, mach doch nicht so eine Hektik“, erwidert er unwillig, nimmt mir das Glas aus der Hand und schiebt mich zu meinem Stuhl zurück. „Außerdem ist das ein Schmetterling.“

Krawumm, da ist er wieder, der Streit der letzten Tage. Wir wollten neu anfangen, ihn ignorieren, aussitzen, aber er hängt wie eine schwere Wolke zwischen uns. Dicke Luft. Friedhelm wirft mir ein paar Worte zu, „Motte“, „Schmetterling“ ...Sein Dozieren prallt an meinem versteinerten Gesicht ab, seine Worthülsen sind nur Stellvertreter, und das Wesentliche kommt nicht zur Sprache. Es geht doch nicht um Falter!
Ein Bissen vom Brötchen würde mir jetzt im Halse stecken bleiben, mein Atem stockt. Ich stehe wortlos auf und gehe nach draußen.

Unter dem Baum im Schatten des Hauses hat sich der Reif auf einem klar abgesetzten Rechteck erhalten. Der gefrorene Boden knarrt unter meinen Schritten, und ein dicker, weißer Pelz hat sich um die Halme gelegt. Ich sauge die Winterluft ein und fröstele, trotz des dicken Pullovers.

Zwei Meter weiter ist plötzlich Frühling. Saftiges Grün, die Sonne hat alles freigeleckt und wärmt mir jetzt den Rücken. Da , ein Zirpen im Garten der Nachbarn. Drei, nein vier Meisen fliegen über die Hecke herüber und umflattern den alten Mirabellenbaum. In der Ferne sehe ich, wie Elstern sich umkreisen. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und bestaune das wolkenlose Blau über mir. So lang vermisst! Endlich wieder, nach all dem trüben Niesel! Ganz bewusst erlebe ich das neue Jahr, das noch ganz am Anfang ist, hoffe auf seine Möglichkeiten. Noch ein paar Atemzüge, dann gehe ich wieder ins Haus.

Friedhelm schaut von seinem „Spiegel“ auf, als ich wieder in die Küche komme.
„Was nun?“, fragt er.
Scheue Blicke zwischen uns, Angst auf beiden Seiten.
„Frühstück?“ Mehr ein Vorschlag, als eine Frage. Ich kippe meinen kalten Kaffee in die Spüle und schütte mir frischen ein, heiß und duftend.
„Heidi, wir müssen noch mal reden“, setzt Friedhelm vorsichtig an. Sein Blick ist ernst, doch nicht unfreundlich. Ich seufze erleichtert, schürze meine Lippen und sende ich ihm einen Kuss zu durch die Luft.
In dem Moment bewegt sich der Falter an der Wand. Ganz langsam stellt er seine bunten Flügel auf.

 

Hallo Nils,
danke für Lesen und Kommentieren. Allerdings scheinst du nur so drübergehuscht zu sein, sonst kann ich mir deine Verständnisschwierigkeiten nur mit einer "speziellen Erwartungshaltung gegenüber naiver Literatur" erklären.

Motte oder Schmetterling; und sofort einen Streit vom Zaun brechen!??
Natürlich kann auch das mal passieren, aber hier geht es ausdrücklich um etwas anderes. Dazu ein Zitat aus dem Text:
Krawumm, da ist er wieder, der Streit der letzten Tage. Wir wollten neu anfangen, ihn ignorieren, aussitzen, aber er hängt wie eine schwere Wolke zwischen uns. Dicke Luft. Friedhelm wirft mir ein paar Worte zu, „Motte“, „Schmetterling“ ...Sein Dozieren prallt an meinem versteinerten Gesicht ab, seine Worthülsen sind nur Stellvertreter, und das Wesentliche kommt nicht zur Sprache. Es geht doch nicht um Falter!

Der zweite Bruch, Winter-Frühling, soll ja, wenn ich das richtig verstehe, plötzlich erfolgen
Nein, tust du nicht. Es ist beides gleichzeitig, nur räumlich getrennt. Obwohl die Unterschiede in der Umgebung real sind, ist "Winter - Frühling" natürlich eine Metapher.
Unter dem Baum im Schatten des Hauses hat sich der Reif auf einem klar abgesetzten Rechteck erhalten. ... Ich sauge die Winterluft ein und fröstele, trotz des dicken Norwegerpullovers.

Zwei Meter weiter ist plötzlich Frühling. Saftiges Grün, die Sonne hat alles freigeleckt und wärmt mir jetzt den Rücken.


Wenn es dich interessiert, möchte ich dir den Kommentar von Gerthans, Beitrag 19, ans Herz legen. Der hat nämlich ziemlich genau dargelegt, was ich erzählt habe.

Gruß, Elisha

 

@Nils

Dann noch ein Wortschnitzer, "Norwegerpullover" zerstört ein bisschen die Stimmung.
Das habe ich mir durch den Kopf gehen lassen und jetzt umgestellt:
Auch ich gebe mir Mühe, habe die Haare frisch gewaschen und den Norweger-Pullover an, den Friedhelm mir geschenkt hat. - Ich sauge die Winterluft ein und fröstele, trotz des dicken Pullovers.
Besser?

Gruß, Elisha

 

Hallo Elisha,

ich versuche einmal die Geschichte so nachzuvollziehen, dass ich den Kenntnisstand des Lesers verfolge:

Da treffen sich zwei Leute, offensichtlich gab es Streit („Friedenszeichen“)

Dann eine eigentlich belanglose Situation, ein Falter in der Küche. Doch für die Protagonistin sieht die Sache anders aus, die Szene erinnert sie an sein verhalten, welches sie missbilligt
Sein Verhalten, ihre Rettungsaktion als Hektik abzutun, empfindet sie als Affront. Worin besteht sein Fehlverhalten? Einmal darin, nicht zu merken, dass es nicht um das Tier an sich geht („Es geht doch nicht um Falter!“), sondern sein (von ihr abgelehntes) Verhalten welches Klärungsbedarf hat. Zum Anderen lehnt sie seine belehrende Art ab.

Dann folgt ein Intermezzo, sie sammelt sich, lässt die Frühlingsnatur auf sich einwirken, entspannt.

Nun folgt, es schließt sich der Kreis zum Anfang, ein erneutes Friedensangebot (obwohl sein zwischenzeitliches Spiegel lesen nicht sofort vermuten lässt, das er etwas gemerkt hat). So wie der Frühling einen Aufbruch darstellt, stellt auch „„Heidi, wir müssen noch mal reden““ einen Aufbruch dar, dieses Bild setzt sich (etwas romantisch) im Aufstellen der Flügel des Schmetterlings fort.

Die Andeutung, was hinter dem Konflikt steht (den der Mann zumindest nicht gleich stark genug bewertet, bzw. er drückt sich), ist eigentlich nur „Friedhelms rabiate Vorgehensweise, erschlagene Fliegen und eine zerdrückte Wespe“ ist zu wenig. Viele Leute erschlagen Fliegen (auch objektiv sind sie lästig, Wespen können gefährlich sein). Die besondere Empfindlichkeit der Frau müsste stärker betont werden oder das Ungewöhnliche seines Vorgehens.

Ansonsten eine atmosphärische Geschichte (gerade die Kaffeeduftszene und die Frühlingsscghilderung), passend konstruiert. (Vielleicht noch etwas Personenbeschreibung).


„Friedhelm hat meine Brötchen in einen Korb gefüllt“

- Warum „meine“? Er nimmt sich doch auch davon.


„Du hast da eine Motte“,

- Klingt für mich so, als ob das Tier auf ihm sitzt.

„Schmetterling“ ...Sein Dozieren

- „Schmetterling“ … Sein


„Da , ein Zirpen im“

- Da, ein


L G,


Tschüß Woltochinon

 

Hallo Wolto,
schön, dass du diese Geschichte ausgegraben hast; ist meine Lieblingsgeschichte. :)

Die Andeutung, was hinter dem Konflikt steht ..., ist eigentlich nur „Friedhelms rabiate Vorgehensweise, erschlagene Fliegen und eine zerdrückte Wespe“ ist zu wenig.
Ich wollte den vorhergegangenen Konflikt eigentlich offen lassen, weil er thematisch nichts mit der Situation zu tun hat. Ich überleg mir aber nochmal, ob ich eine Andeutung reinpacke.

Der Schmetterling ist nur der Auslöser, um zu zeigen, wie etwas so Belangloses "wie die Fliege an der Wand" aufdecken kann, in welch unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Kommunikationssystemen sie leben. Und wie schwer Verständigung ist! Jeder hat in seinem System Recht, doch ein Austausch ist notwendig, um sich zu verstehen.

"meine Brötchen" sollte zeigen, dass sie durch das Mitbringen auch zum (symbolischenNeuanfang ) Frühstück beigetragen hat. Vllt mach ich :"die von mir mitgebrachten" daraus; es klingt nur etwas umständlicher.

Gruß, Elisha

 

hallo elisha,

mir hat die geschichte gut gefallen!
es ist zwar auf den ersten blick nur eine momentaufnahme, aber sie lässt bilder enstehen die vorangegangenes erahnen lassen und das ist für meinen geschmack genau richtig.

einzig gestört hat mich der name friedhelm, klingt irgendwie nach einem sketch aus den siebzigern.

so long
krilliam Bolderson

 

Hallo elisha,

freut mich, wenn ich die `richtige´ Geschichte erwischt habe.

"Ich wollte den vorhergegangenen Konflikt eigentlich offen lassen, weil er thematisch nichts mit der Situation zu tun hat"

- Ein interessanter Ansatz, aber eine Andeutung wäre gut, weil der Leser (zumindest war es so bei mir) die Bestimmung des Konflikts im Text sucht.

"Jeder hat in seinem System Recht, doch ein Austausch ist notwendig, um sich zu verstehen"

- Ja, aufgrund dieser Tatsache sind schon Kriege entstanden. Scheint ein universelles Phänomen zu sein.

L G,

tschüß Woltochinon

 

@krilliam

es ist zwar auf den ersten blick nur eine momentaufnahme, aber sie lässt bilder enstehen die vorangegangenes erahnen lassen und das ist für meinen geschmack genau richtig.
Wenn Bilder entstehen, ist es genau richtig. :)

einzig gestört hat mich der name friedhelm, klingt irgendwie nach einem sketch aus den siebzigern.
Mit zehn Jahren war ich mal in einem Friedhelm verknallt, der aber schon groß war und mit meiner Schwester konfirmiert wurde; deshalb ist auch nie was draus geworden. ;)
Auf der Suche nach einem Namen aus der Generation fiel mir der Name wieder ein.


@Wolto

freut mich, wenn ich die `richtige´ Geschichte erwischt habe.
Bei der Systematik, die du an den Tag legst, war das wohl nur eine Frage der Zeit. :kuss:

Gruß, Elisha

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom