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Zerbrochen

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12.02.2020
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Zerbrochen

Ich stehe vor Karlas Tür und lausche, höre John stöhnen, von ihr höre ich nichts. Dann kommt er. Vermutlich in ihr. Ich schleiche zurück in mein Zimmer und spüre meine wunde Muschi. John und ich haben gefickt letzte Nacht, die ganze Nacht. Karlas Name ist Hase, sie hatte Nachtschicht und weiß von nichts. Ich setze mich an den Schreibtisch, versuche die Hausarbeit zu schreiben, die ich am Montag abgeben muss. Wenn es nur nicht so regnen würde.

Ich höre Karla über den Flur trampeln, dann das Schleifen der Badezimmertür. Karla duscht. Nackt. Wasser, das über ihren Körper läuft. Ich starre auf den dunklen Bildschirm, strecke meinen Mittelfinger aus und bewege die Maus. Weiß leuchtet es mir entgegen: Nichtsnutzin, elende. Stilleübungen in der Motopädagogik tippe ich, mehr nicht, sitze regungslos vor meinem Laptop auf der Lauer, auf der Mauer, warte auf Worte. Doch da ist: Nichts. Überall ist nur: Nichts. Ich habe mich von John ficken lassen letzte Nacht und das Weiß meines Bildschirms ist kaum zu ertragen.

Es klopft. Frisch geduscht betritt Karla mein Zimmer, das Handtuch um ihren Körper geschlungen, die Haare nass. Karla, das fleißige Bienchen. Frühschicht, Spätschicht, Nachtschicht, dazwischen ihr Studium. Tag für Tag, Woche für Woche. Ich verstehe nicht, wie ein Mensch sowas von bienenfleißig sein kann, auch nicht wozu. Ihre einzigen sinnvollen Aktivitäten sind essen und ficken. Das reicht aber nicht, Karla!

„Hier stinkt’s“, sagt Bienchen Karla und ich wende mich wieder dem Bildschirm zu.
„Du hast die Miete für diesen Monat noch nicht überwiesen!“, fügt sie hinzu. Ich drehe mich nicht um, sitze still. Sie wartet. Ich atme. Sie wartet.
„Karla! Verschwinde!“ Ich springe auf mit fliegenden Armen, schlage dabei die Glastür des Schranks ein, der neben meinem Schreibtisch steht. Schlechterdings besitze ich weder einen Schreibtisch noch einen Schrank und Karla flucht: "Die wirst du ersetzen!" Ich sehe die Scherben, spüre den Schnitt und weiß: Das Glas ist zerbrochen.
„Natürlich werde ich sie dir ersetzen“, sage ich, weil ich weiß, dass ich kein Geld habe.
„Hast du Verbandszeug?“, frage ich und sie führt mich in die Küche. Ich sehe sie an, sehe ihr zu, wie sie das Blut von meinem Arm wischt, die Wunde verbindet. Wassertropfen fallen aus ihren nassen Haaren auf die weißen Küchenfliesen. Ich denke an John, der in Karlas Zimmer wartet und dessen Sperma heute morgen in einem Rinnsal meine Schenkel herunterlief.

„So“, sagt Karla, „Fertig!“
Ich sage nicht: Danke!
Ich sage: „Ich habe John letzte Nacht gefickt!“, und sehe sie an dabei; nehme meine Jacke und gehe.
„Ich weiß!“, höre ich sie rufen, als ich die Wohnungstür erreiche. Ich halte inne, die Klinke der offenen Tür in der Hand, das Treppenhaus dunkel hinter dem weißen Türrahmen. Ich schaue sie an: Sie steht vor der Küche am anderen Ende des Flurs, das Handtuch um ihren Körper geschlungen.
“Er ist nichts!”, sage ich.
“Genau wie du!”, erwidert sie.
Krachend lasse ich die Wohnungstür ins Schloss fallen; stolpere die Treppe herunter und versuche immer drei Stufen auf einmal zu nehmen, bis ich endlich an der Haustür, endlich draußen im Regen bin.

 
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Hallo @rainsen,
tut mir leid, deine Antwort ist mir irgendwie durchgerutscht. Aber vielleicht gilt ja: Besser spät als nie.

Kommt mir so vor, als wären sie eigentlich Freundinnen, aber sie sind in einer Streitphase. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass es da eine gewisse sexuelle Spannung geben könnte, bzw eine romantische, aber das muss auch nicht sein.
Ja, genau. Sexuelle/romantische Spannung ... auf jeden Fall!

Am Ende bleibt es natürlich nur ein Eindruck, bei dem die Stimmung rüberkommt, bei dem aber nicht ganz klar wird, warum es der Prota nun so geht, wie es ihr geht.
Auch hier: Yep! Ganz ohne Vorgeschichte. Es gibt gestern Nacht und heute. Ich wollte eben nicht erklären, wie und woher und warum. Ich wollte in media res gehen und da auch bleiben. Ich selbst mag das in media res gerne.

Während ich das mit dem Trampeln ganz gut finde, hast du hier die Stelle verändert, die vorher sehr witzig war. "Sie duscht. Nackt." Der Witz war ja, dass man natürlich nackt duscht und sie durch den Zusatz "Nackt." ihr (negativ besetztes) Gefühl darüber zeigt. Die Überarbeitung nimmt den Witz hier leider, das fand ich vorher besser.
Die Stellen mit dem Trampeln bzw. ihrem Gehen über den Flur und dem Duschen, die sind für mich noch nicht rund, aber bisher ist mir da noch nichts besseres eingefallen. Hab mir das jetzt noch mal durchgelesen und mag die Überarbeitung nicht und hab wieder "Sie duscht. Nackt.", weil mir das auch besser gefällt. Aber jetzt stört mich das doppelte Dusche/duscht. Hmmm ... Mal gucken.

Hier musste ich schmunzeln, das mit den fliegenden Armen ist irgendwie witzig. Weiß ich nicht, ob du da eine witzige Stimmung rüberbringen willst, in der Szene. Jetzt grade finde ich es aber nicht störend...j
Auch die fliegenden Arme sind für mich nicht rund. Witzig ist ok, aber so richtig passt es für mich nicht. Aber offenbar müssen die Arme irgendwie rein, damit klar ist, wie sie die Scheibe kaputtmacht.

Es gibt also keine Entwicklung, der Text ist ein kurzer und kleiner Einblick in die Beziehung zwischen der Prota und Karla. Heißt also, der neue Schluss trägt natürlich nicht dazu bei, die Situation deutlicher zu machen.
Hehe, ja, das stimmt.

Was ich noch vergessen hatte - das zweite Sprichwort hast du ja auch gekillt....die Lauer ist noch drin, die Mauer nicht.
Das ist wieder drin ...
Danke fürs noch mal vorbeischauen und
viele Grüße :-)
Katta


Hallo @bernadette,
vielen lieben Dank für deinen Kommentar.

Der erste Satz, der für mich doch etwas mehr Gewicht hat wie einer mitten im Text ist für mich durch die zwei ich nicht gerade geschmeidig, auch durch die Konstruktion mit dem Doppelpunkt.
Ein Vorschlag,
Absolut. Ich habe deinen Vorschlag jetzt so übernommen, wobei ich den Doppelpunkt behalten habe ;-) Aber die vielen Ichs haben mich auch gestört.

Sie sitzt doch am Schreibtisch. Dann sind die Füße doch unter dem Tisch und es wäre eigentlich sehr unbequem, wenn sie sich so verbiegen muss, dass sie vor die Füße kommt. Ich würde sie direkt auf die Tastatur kotzen lassen.
Ja, stimmt, ist auch eher so übertragend gemeint. Ich schlafe noch mal über die Tastatur.

Hmm, das hört sich nach Kindergartenkind an.
Karla geht mit lauten/vehementen/durchdringlichen Schritten über ...
Ja, eine Stelle, die immer noch ruckelt. Jimmy hatte geschrieben, das eher sensorisch anzugehen, was ich grundsätzlich genauso sehe. Aber ich habe da noch keine Lösung gefunden, für mich waren stapfen und trampeln die akustischsten Verben, die ich nutzen konnte. Letztlich würde ich sagen ist "trampeln = mit lauten Schritten", aber ich weiß, was du mit der Konnotation von Kindergartenkind meinst. Finde mit "lauten Schritten gehen" tatsächlich auch keine schöne Konstruktion. Ich bräuchte ein anderes starkes Verb. Derzeit habe ich das noch nicht ...

Als Flash Fiction gefällt mir der Text sehr gut.
Das freut mich und auch dein Kommentar hat mich gefreut, darum noch mal vielen Dank dafür.

Viele Grüße
Katta

 

Hallo @Katta,

eine typische Kurzgeschichte, die den Leser unvermittelt in ein Geschehen hineinversetzt. Mancher mag dies als unbefriedigend empfinden, besteht doch oft der Wunsch Hintergründe zu erfahren. Da mag auch die Erfahrung der Beziehung zwischen Ursache und Wirkung eine Rolle spielen, doch leider ist es im Leben oft so, dass man sich mit einer Wirkung auseinandersetzen muss, ohne die zugrunde liegenden Kräfte zu kennen.

Dein Text konfrontiert den Leser mit einer Frau, die sich in der jetzigen Situation zurückgesetzt, verletzt fühlt ("ich schleiche zurück ...").
Sie führt einen inneren emotionalen Kampf und einen persönlichen mit Karla.

Welche Rolle spielt John? Letztlich ermöglicht er Karla ihr Verhalten. Was ist mit der Protagonistin los? Sie wirkt nicht so, als sei sie völlig ohne Selbstachtung. Warum wird nicht auch er verurteilt? An dieser Stelle wirkt der Plot etwas unglaubwürdig auf mich.

Wenn es nur nicht so regnen würde.
Hier belügt sich die Protagonistin - was würde kein Regen ändern? Diese innerliche Not, gut ausgedrückt, es wird verzweifelt nach etwas gesucht, was als erleichternd verbucht werden kann.

Außerdem - eine Konkurrentin, die gewissermaßen vor 'ihren Ohren' verkündigt, wer hier Anrechte hat, wer zurücktreten muss (die 'Helferszene', nur ein kurzes, trügerisches Intermezzo).
Dieses Motiv der Konkurrenz zieht sich durch den ganzen Text, gipfelt in dem Zerbrechen der Glasscheibe - es bleibt offen, wie viel unbewusste Selbstverletzung in dieser Szene codiert ist.

Ich höre Karla über den Flur trampeln, dann das Schleifen der Badezimmertür. Karla duscht. Nackt.
Dieses "trampeln", ein Hinweis darauf, wie die Prota Karla herabwürdigen will - ein Trampel eben. Im Gegensatz zu ihr? Den Unterschied könnte man hervorheben.
(Duscht man normalerweise nicht nackt?)

Stilleübungen in der Motopädagogik tippe ich, mehr nicht, sitze regungslos vor meinem Laptop auf der Lauer, auf der Mauer
Guter Gegensatz - dieses hochtrabende Fachkauderwelsch, dann das Kinderliedchenzitat.

Ich habe mich von John ficken lassen letzte Nacht und das Weiß meines Bildschirms ist kaum zu ertragen.

Traurig, diese Leere, die schon an Abhängigkeit erinnert.


Zum Schluss der Versuch der 'Flucht nach vorne':

Ich sage: „Ich habe John letzte Nacht gefickt!“, und sehe sie an dabei; nehme meine Jacke und gehe.
Da diese 'Flucht' wirkungslos verpufft, die räumliche 'Flucht':
bis ich endlich an der Haustür, endlich draußen im Regen bin.
Der anfangs noch beklagte Regen als Zuflucht.


“Er ist nichts!”, sage ich.

Die Lüge des Jahrhunderts - glaubt sie eine der Frauen?

Dies mal als kurze Zusammenfassung, warum mich der Text angesprochen hat, trotz seiner inhaltlichen 'Sparsamkeit'.


Beste Grüße,

Woltochinon

 

Hallo @Woltochinon,

oh, du hast was ausgegraben ...

Mancher mag dies als unbefriedigend empfinden, besteht doch oft der Wunsch Hintergründe zu erfahren. Da mag auch die Erfahrung der Beziehung zwischen Ursache und Wirkung eine Rolle spielen, doch leider ist es im Leben oft so, dass man sich mit einer Wirkung auseinandersetzen muss, ohne die zugrunde liegenden Kräfte zu kennen.
Ja, mittlerweile nervt mich dieser Rückbezug auf Ursachen oft sogar. Manchmal wird mit alten Erfahrungen allzu viel gerechtfertigt, erklärt und mit vermeintlichem Sinn versehen. Als wäre es genug, jemandem ein Trauma "anzuhängen", um Verhalten im Hier und Jetzt versteh- oder erklärbar zu machen. Manchmal gaukelt so ein Rückbezug auf Altes Tiefe vor, die der Text eigentlich nicht hergibt.

Was ist mit der Protagonistin los? Sie wirkt nicht so, als sei sie völlig ohne Selbstachtung. Warum wird nicht auch er verurteilt? An dieser Stelle wirkt der Plot etwas unglaubwürdig auf mich.
Ja, wenn John Bedeutung hätte, dann würde was fehlen ... dann wäre seine Rolle zu klein.

Außerdem - eine Konkurrentin, die gewissermaßen vor 'ihren Ohren' verkündigt, wer hier Anrechte hat, wer zurücktreten muss (die 'Helferszene', nur ein kurzes, trügerisches Intermezzo).
Dieses Motiv der Konkurrenz zieht sich durch den ganzen Text, gipfelt in dem Zerbrechen der Glasscheibe - es bleibt offen, wie viel unbewusste Selbstverletzung in dieser Szene codiert ist.
Ich würde es eher Neid nennen als Konkurrenz, aber ganz sicher hängt das auch von der Lesart ab, ob nun John Bedeutung hat oder nicht

Dieses "trampeln", ein Hinweis darauf, wie die Prota Karla herabwürdigen will - ein Trampel eben. Im Gegensatz zu ihr? Den Unterschied könnte man hervorheben.
(Duscht man normalerweise nicht nackt?)
Ja, genau. Eine Form der Herabwürdigung, für mich aber ohne gleichzeitige Heraufwürdigung der eigenen Person. Das "Nackt" ist sicher, wie der ganze Text, sehr verschlüsselt. Es hat eher etwas mit der Beziehung zwischen dem Ich und Karla zu tun.

Die Lüge des Jahrhunderts - glaubt sie eine der Frauen? Dies mal als kurze Zusammenfassung, warum mich der Text angesprochen hat, trotz seiner inhaltlichen 'Sparsamkeit'.
Ist sicher eine Lesart. Beim Schreiben gings mir eher um die Beziehung der beiden Frauen. Tatsächlich ist John für mich nicht wichtig. Es hätte auch Ben oder Thomas oder Wolfgang sein können. John ist Mittel zum Zweck. Du kannst den Text ja noch mal unter dieser Prämisse lesen, wenn du magst. Aber ja, viele Informationen dazu, wer jetzt zu wem wie steht und warum werden nicht gegeben.

Danke dir fürs Lesen und deinen Kommentar.
Viele Grüße, Katta

 

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