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Zerplatzende Seifenblasen

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10.10.2006
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Zerplatzende Seifenblasen

Na, dann wollen wir mal eine Geschichte erzählen. Also, ich habe schon versucht die Geschichte zu erzählen. Aber man weiß nie, wo man eine Geschichte erzählen muss, bis man sie zum ersten Mal am richtigen Ort erzählt hat. Gut, bei manchen Geschichten ist es schnell klar. Lustige Geschichten gehören in Kneipen, da reicht man Bier und Chips dazu. Niemand käme auf die Idee eine lustige Geschichte in einer Kirche zu erzählen. Diese Geschichten da „Und dann hat der Olaf gefragt: Und was ist nun mit der Ente?“ – die eignen sich nicht für Kirchen, wobei in Kirchen ja immer dieselben Geschichten erzählt werden, alte Geschichten. Tragische Geschichten werden allerdings auch in Kneipen erzählt, aber nicht laut. Sie werden geflüstert, deshalb dreht man dort manchmal die Musik so auf. Damit man schreien kann und es ist noch Flüstern. Wenn das irgendwer versteht.
Es sieht jetzt natürlich so aus, als könne man in Kneipen zu Bier und Chips jede Geschichte erzählen, die traurigen und auch die lustigen, aber die meisten Geschichten sind ja nichts vom beidem. Was aber nicht heißen muss, dass man sie nicht trotzdem erzählen kann. Ja, wahrscheinlich muss man gerade diese erzählen.
Obwohl die meisten Leute ja gar keine Geschichten erzählen können. Da fangen sie mit was an und dann gehen sie ganz sicher, dass sie jeder versteht. Mütter zum Beispiel, ich glaube, die verlieren ihr Talent Geschichten zu erzählen, sobald sie werfen. Und dann fangen sie an und sagen: „Hier, ich hab heut die Gudrun getroffen, das ist ja die, die mit dem Sohn von dem Schreiner zusammen ist, den seine Frau verlassen hat …“ Ja, okay. Muss ja eine tolle Geschichte sein, denkt man dann schon. Denn Geschichten, die schwer zu verstehen sind, und bei denen so ausgeholt wird, die müssen ja was haben, sonst würde sich keiner die Mühe machen, sie zu erzählen. Also quält man sich durch Gudruns Leben und auch durch das Leben des Schreiners und immer weiter und irgendwann kommt man zum Schluss und dann heißt es: „Die hab ich heute auch getroffen.“
So eine Art Ringschluss.
Solche Geschichten werden oft am Mittagstisch erzählt, aber ob das nun der richtige Platz für sie ist – wer will das schon sagen?
Es gibt ja auch viele Geschichten, die man gar nicht erzählen kann. Nicht, weil man nicht wollte, denn jeder will Geschichten erzählen, sondern weil man einfach nicht kann. Da erzählt man eine Geschichte und ist fertig und dann lacht keiner oder es weint keiner oder was am schlimmsten ist, die Leute drehen sich um und erzählen ihre eigenen Geschichte, und dann stehst du da und sagst: „Na ja, wahrscheinlich muss man dabei gewesen sein.“ Und eigentlich heißt das ja nur: „Ich kann die Geschichte nicht erzählen. Ich hab’s vermasselt. Tut mir leid.“
So sind viele Geschichten, gerade die wichtigen. Wobei man sagen muss, dass die wichtigen Geschichten oft ganz unwichtigen Menschen zustoßen. Und die dann nie erzählt werden, weil niemand zuhört. Ist auch schwer zuzuhören. Wer kann das schon? Lernt man ja nirgends.
Die meisten Leute erzählen ihre Geschichten, damit sie sich daran erinnern. Wenn etwas ausgesprochen wird, ist es gleich viel realer als ein Gedanke. Es heißt immer, wenn die Leute anfangen, Selbstgespräche zu führen, dann sind sie verrückt. Ich glaube, es ist gerade umgekehrt. Wenn sie aufhören, Selbstgespräche zu führen, wenn nichts Reales mehr aus ihnen kommt, wenn sich alles in den Gummiwänden ihres Hirns abspielt, wenn jeder Gedanke gedacht wird, flüchtig wie ein Hase, dem ein Fuchs auf den Fersen ist, ich glaube, dann werden die Leute verrückt.
Geschichten sind gar nicht so romantisch, wie wir immer denken. Diese Vorstellung, dass es irgendwo einen Swimming-Pool von Geschichten und Schicksalen gibt, die wild in der Gegend rumschwimmen, dann irgendwann wie Seifenblasen aufsteigen, durch die Gegend schweben, mal hier, mal dorthin getrieben werden, um dann auf irgendeinen armen Tropf zu fallen und ihm zuzustoßen. Das ist doch Unsinn. Jede Geschichte kann jedem passieren! Soviel muss klar sein, wenn man nicht anfangen will, verrückt zu werden. Wenn man nicht hergehen will und sagt: Mein Leben ist nicht erzählenswert, was auch immer heißt: Mein Leben ist nicht lebenswert. Wir müssen daran glauben, dass jedem alles passieren kann. Wir müssen Aktenzeichen XY Ungelöst schauen und unsere Haustüren abschließen und die Verandafenster vergittern aus Angst vor einem polnischen Vergewaltiger. Wir müssen Wasser kaufen und Erbsen in Dosen und Trockenfleisch, weil wir das in New Orleans gesehen haben oder die Hochwasser-Nummer und weil wir von der Vogelgrippe gehört haben und dass der Iran die Atombombe hat. Wir müssen auch an die Liebe glauben, die einen trifft wie ein Güterzug, der zu viel geladen hat und schlingert. An Unfälle müssen wir glauben: Eben noch der Kapitän des Fußball-Teams und mit einer jungen Friseurin verheiratet und dann betrunken Auto gefahren und querschnittsgelähmt und im Rollstuhl. Und die Frau ist auch weg. Aber wenigstens passiert was. Obwohl das eine Geschichte ist, die kaum einem passiert. Man sieht schon daran, wie sie gestrickt ist, dass mit ihr was nicht stimmt. Das ist keine Geschichte, keine richtige, keine die mal eine Seifenblase war. Das ist so eine gemachte. So eine „Fahrt nicht betrunken Auto“- Geschichte, eine Geschichte, die man Kindern erzählt: „Wenn du nicht zu Hause bist, wenn die Sonne untergeht, dann holt dich der schwarze Mann.“ Eine Knecht-Ruprecht-Geschichte.
Echte Geschichten ergeben keinen Sinn. In einer echten Geschichte wäre der Kapitän des Fußball-Teams nüchtern gewesen und es wäre einfach passiert. Ohne Grund, da muss ihm keine Friseuse einen blasen, da muss kein Betrunkener in ihn reinfahren, es passiert einfach. Es wäre eine Geschichte gewesen, die er viel zu oft erzählt hätte. In Kneipen zu Bier und Chips, ob die Musik nun laut war oder nicht. Und die Leute hätten sich von ihm abgewandt und ihre eigenen Geschichten erzählt.
Und so dürfen Geschichten nicht sein. Nichts passiert einfach so, in Geschichten. Man braucht ein Reh, dem ausgewichen werden muss, eine Verfehlung, Ironie, etwas Poesie, einen Anfang und ein Ende.
Wir sind satt. Vollgefressen mit Geschichten. Wahrscheinlich liegt das am Fernsehen, woran auch sonst? Jede Woche zehn, zwölf Mordfälle. Mittwochs gleich vier an einem Abend. Wer soll das alles verdauen? Man käme zu nichts anderem mehr. Nur noch verschlingen, verdauen und ausscheiden. Und das sind nur die Morde. Tragödien gibt es wie Pixel auf einem Bildschirm. Alles gute Geschichten, von Leuten erzählt, die Geld dafür kriegen. Und noch illustriert mit klangvollen Gesichtern. Dort: Michael Douglas und Sharon Stone, die erzählen eine Geschichte. Keine sehr gute, aber man sieht ihren Pelz. Und hier: Ermittler in einem Labor, frotzeln sich gegenseitig, so wie Kollegen, die man gern hätte. Lebensersatz, natürlich. Denen widerfahren Geschichten, und was für welche und wie viele, einmal die Woche eine, so groß und schön und sinnerfüllt, wer kann da mithalten?
Also. Ich nicht.


Er schloss seinen Laptop und fuhr ins Schlafzimmer.

 

Hallo Quinn,

Mir gefällt diese Geschichte. Du erzählst sie mit einer angenehmen Stimme und findest so schön normale, trotzdem aber genau passende Worte.

Wir müssen daran glauben, dass jedem alles passieren kann. Wir müssen Aktenzeichen XY Ungelöst schauen und unsere Haustüren abschließen und die Verandafenster vergittern aus Angst vor einem polnischen Vergewaltiger. Wir müssen Wasser kaufen und Erbsen in Dosen und Trockenfleisch, weil wir das in New Orleans gesehen haben oder die Hochwasser-Nummer und weil wir von der Vogelgrippe gehört haben und dass der Iran die Atombombe hat. Wir müssen auch an die Liebe glauben, die einen trifft wie ein Güterzug, der zu viel geladen hat und schlingert. An Unfälle müssen wir glauben:
diese Stelle hat mich ein wenig irritiert. Sie scheint mir so außerhalb des Kontext und ist nach meiner Auffassung lediglich das notwendige Beiwerk, das den darauf folgenden Satz stilistisch erst ermöglicht. Ich weiß nicht, ob ich mich damit richtig Ausdrücke; der Satz ist nötig, damit der nächste passt. Es wirkt wie eine Pause. Vielleicht würde es nicht mehr so als Fremdkörper wirken, wenn du darin noch einmal den Zusammenhang zu Geschichten an sich herstelltest.

klangvollen Gesichtern.
Das passt nicht so recht.


der letzte Satz gibt der Geschichte wirklich Größe. Ist vielleicht übertrieben ausgedrückt, aber als ich den Satz las, war ich wirklich beeindruckt. In der Mitte der Ausführungen wird fast beiläufig von einer Meldung irgendeines Revolverblattes berichtet. Sie wird zu einem dramatischen Schauspiel degradiert, schön ausgeschmückt und für wichtiger verkauft, als sie in Wirklichkeit ist. Etwas weiter unten dann die Beschreibung, was auch passiert sein könnte. Und am Ende ist einem klar, welche der beiden Varianten der Wahrheit entspricht. Das alles hast du angenehm ruhig entstehen lassen.

Also ich bin begeistert!

Georg

 

Ui, Begeisterungsstürme hab ich für das kleine Ding gar nicht erwartet. Na ja, "Sturm" ist vielleicht auch ein wenig hochgegriffen. ;)

Hallo Schreibär, Hallo Herr Bernhard,

freut mich, dass euch das kleine Ding gefallen hat. Ich glaube schon:

Du hast mit dem letzten Satz die Geschichte gerettet.
Der letzte Satz macht daraus ja erst eine Geschichte. Und nur durch ihn kann man die theoretischen Überlegungen auf den konkreten Fall beziehen. Und diesen Effekt meint Schreibär wahrscheinlich auch mit:

der letzte Satz gibt der Geschichte wirklich Größe.

Freut mich sehr, dass euch die Geschichte so gut gefallen hat.
Danke für eure Zeit und eure Kritik
Quinn

P.S.: Klangvolle Gesichter habe ich mir einfach mal rausgenommen zu schreiben - wenn da noch viel mehr Gegenstimmen kommen, beuge ich mich natürlich dem Diktat der Mehrheit, bis dahin bleiben sie. ;)
Bei der von dir, Schreibär, zitierten Stelle, lass ich mir noch was einfallen.

 
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Hallo Schussel! :D

du bedienst dich bei der Geschichte eines Kniffs, um die Pointe richtig zünden lassen zu können, eines Kniffs, der eigentlich ein Fehler ist. Zuerst klingt es ja so, als ob da das Erzähler-Ich zu jemandem SPRICHT, am Ende aber hat er doch nur geschrieben.

Natürlich ist das Plappernde raffiniert gebaut, um die Pointe umso überraschender kommen zu lassen. Die eigentliche Geschichte, um die es geht, scheint ja in diesem ganzen Wust an Gedanken unterzugehen. Um den Sinn des eigenen Schicksals zu verstehen, setzt das Ich ganz oben, ganz im allgemeinen Bereich an. Es kreist mit seinen Gedanken sehr weit, aber das Zentrum dieser Gedanken, ist der Sinn des eigenen tragischen Schicksals.

Um schließlich zum (unausgesprochenen) Schluss zu gelangen, dass sein eigenes Schicksal (er selbst ist ja der Kapitän des Fußball-Teams) keinen Sinn hat. Mit spielt hier ja der Gedanke, dass, sobald eine Geschichte erzählt wird, sie bereits einen Sinn mitliefert

Das Strukturieren des zu Erzählenden richtet sich nach dem Sinn, dem wir ihm insgeheim fast automatisch geben. Und wir gieren ja nach einem Sinn, denn sonst wäre das Leben für uns unerträglich. Vielleicht ist ja die Sinnsuche einer der Hauptgründe für das Erzählen, für uns ja nicht ganz unwichtig.

Fazit: Eine Pointengeschichte mit interessanten Gedanken

Gruß Andrea

 

Na, da hab ich ja nicht umsonst, fünf Tage am Stück gejammert. ;)

Hallo Andrea!,

Du bedienst dich bei der Geschichte eines Kniffs, um die Pointe richtig zünden lassen zu können, eines Kniffs, der eigentlich ein Fehler ist. Zuerst klingt es ja so, als ob da das Erzähler-Ich zu jemandem SPRICHT, am Ende aber hat er doch nur geschrieben. Würde man wirklich in diesem plapperndem Ton etwas niederschreiben?
Ich würde so etwas niederschreiben, ja. ;) Aber natürlich ist das der Punkt, der letztendlich nicht aufgeht.
Denn natürlich schreibt ein ehemaliger Kapitän eines Fußball-Teams nicht so druckreif wie ich! ;)
Ernsthaft: Das ist das "homo-faber"-Problem. Warum schreibt ein Ingenieur, der in seinem Leben nur Berichte verfasst hat, auf einmal so gut wie Max Frisch? Damit es den Leser unterhält.

Natürlich ist das Plappernde raffiniert gebaut, um die Pointe umso überraschender kommen zu lassen. Die eigentliche Geschichte, um die es geht, scheint ja in diesem ganzen Wust an Gedanken unterzugehen. Um den Sinn des eigenen Schicksals zu verstehen, setzt das Ich ganz oben, ganz im allgemeinen Bereich an. Es kreist mit seinen Gedanken sehr weit, aber das Zentrum dieser Gedanken, ist der Sinn des eigenen tragischen Schicksals.
Ja, ist doch spannend, oder? ;) Ich mag die Idee sehr gerne.

Um schließlich zum (unausgesprochenen) Schluss zu gelangen, dass sein eigenes Schicksal (er selbst ist ja der Kapitän des Fußball-Teams) keinen Sinn hat. Mit spielt hier ja der Gedanke, dass, sobald eine Geschichte erzählt wird, sie bereits einen Sinn mitliefert.
Der Aspekt, der ihm am meisten zu schaffen macht, ist, glaube ich, dass sein persönliches, erlebtes Schicksal lange nicht so "unterhaltsam" ist wie konstruierte.

Das Strukturieren des zu Erzählenden richtet sich nach dem Sinn, dem wir ihm insgeheim fast automatisch geben. Und wir gieren ja nach einem Sinn, denn sonst wäre das Leben für uns unerträglich. Vielleicht ist ja die Sinnsuche einer der Hauptgründe für das Erzählen, für uns ja nicht ganz unwichtig.
Vielleicht, das weiß ich nicht. Sinnsuche - ich glaube es geht um die Ordnung. In einer Geschichte resultiert alles irgendwoher, nichts sollte unmotiviert geschehen, der Zufall nur selten als Helfer benötigt werden (meist nur als auslösendes Element). Ein Krimi, in dem der Kommissar den Mörder am Ende in der U-Bahn trifft und durch einen Geistesblitz auf die Idee kommt "Der war es" wäre ziemlich dämlich.

Fazit: Eine Pointengeschichte mit interessanten Gedanken
Autsch. ;) Aber na ja, wenigstens das "interessant" gönnst du der Geschichte. ;)

Vielen Dank für die Fehlersuche, das leuchtet mir soweit alles ein und natürlich auch Danke für deinen Kommentar und dass du mit einer schönen Regelmäßigkeit meine Geschichten kommentierst (ehrlich jetzt ;) )

Gruß
Dein (!) Quinn

 

Hi Quinn,

wurde ja schon einiges angemerkt, und ja: der Schlussatz 'rettet' die Geschichte. Ich hab' nur fertig gelesen, nachdem ich die Kommentare überflogen hatte und wusste, daß es von Dir ist. Ansonsten hätte ich die ersten 20-30 Zeilen keineswegs überlebt. War mir ehrlich gesagt zu viel Geschwafel.

Kannst Du den Anfang straffen und auf ein paar wenige Punkte des "wo-wie-wann-warum"-Geschichtenerzählens konzentrieren (vier, fünf Zeilen würden da völlig reichen) oder evtl. bereits mit der zu erzählenden Geschichte verbinden? Im Gegenzug würde ich die beiden Alternativen etwas vertiefen und intensiver darstellen, damit der Hammer am Ende besser auf den Punkt trifft. Vielleicht etwas mehr Detail, wie sich das Leben durch den Schicksalsschlag verändert oder etwas persönlicher (auch wenn diese Person gerade nicht persönlich erzählen will, da die fehlende Distanz - die Geschichte ist vom Erzähler noch nicht vollständig akzeptiert - zu den Ereignissen noch das Sprechen 'unmöglich' macht). Meiner Erfahrung nach umschreiben Menschen in dieser Lage ihre Situation, suchen nach Euphemismen, wirken künstlich selbstbewußt trotzig, um sich selber mut zu machen - oder sie zerbrechen völlig daran, resignieren und graben sich ein.

Ich glaube nicht, dass eine Person in dieser Situation sich darüber den Kopf zerbrechen wird, dass seine Geschichte weniger erzählenswert ist wie andere.

Dein Erzähler scheint mir eher jemand zu sein, der noch auf der Suche nach seiner neuen Welt und seinem Platz darinnen ist (so weit ich das herauslesen darf ...). Wie es ihm wirklich dabei geht kann ich aus dieser Geschichte allerdings nicht ablesen. Dafür ist es zu sehr auf das Erzählen und zu wenig auf den Erzähler fokussiert.

Gruß,

sarpenta

P.S: Manchmal erzählt man nur zum reinen Selbstzweck: Um jemanden zu haben, der einem zuhört; um sich seine Sorgen von der Seele zu reden oder zu schreiben ...

P.P.S: In gewissem Sinne widersprichst Du Dir selbst: Das Ereignis Unfall + Folgen ist erzählenswert und wie von Dir erwähnt nur das typische zufällige Ereignis zu Beginn einer Geschichte. Insofern ist Dein Beispiel mit dem Krimi fehl am Platz, da Du die eigentliche Geschichte danach einfach nicht erzählst. Solltest Du vielleicht aber ... ;-)

 

Hallo Quinn!
Auch ich fand deine Geschichte sehr gelungen, ich musste zwar am Ende nochmal die zweite Hälfte der Geschichte lesen, um deinen hochgelobten Schlusssatz zu kapieren, fands aber trotzdem klasse.
An dieser Stelle nämlich:

Wir müssen daran glauben, dass jedem alles passieren kann. Wir müssen Aktenzeichen XY Ungelöst schauen und unsere Haustüren abschließen und die Verandafenster vergittern aus Angst vor einem polnischen Vergewaltiger. Wir müssen Wasser kaufen und Erbsen in Dosen und Trockenfleisch, weil wir das in New Orleans gesehen haben oder die Hochwasser-Nummer und weil wir von der Vogelgrippe gehört haben und dass der Iran die Atombombe hat. Wir müssen auch an die Liebe glauben, die einen trifft wie ein Güterzug, der zu viel geladen hat und schlingert.
Zu Beginn konnte ich dir ganz gut folgen, aber hier bin ich so durcheinander gekommen, weil es auf einmal so einen Bruch gab, dass ich das mit dem Fußballkapitän gar nicht mitbekommen und so die Pointe nicht auf Anhieb geschnallt hab, was schade aber möglicherweise auch meine Schuld ist. ;) An sich finde ich diesen Teil gelungen, aber hm... vielleicht müsste sich das Ganze besser einfügen. Sonst entgeht einem ja das Beste. ;)
Liebe Grüße,
Apfelstrudel

 
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Hallo Quinn,

ich bin dir auch wie alle anderen Leser hier voll auf den Leim gegangen. Ich fand deine Gedanken durchweg interessant uund lesenswert, da sie angenehm locker dahingeschrieben wurden, doch fragte auch ich mich bald, wohin dieser Brainstorm wohl führen mag.
Tja, und der letzte SAtz haut dann voll rein. Wahrhaftig ein Pradebeispiel für die möglich Kraft des letzten Satzes. Dabei ist es ja eigentlich nur ein Wort. Hättest du anstatt fuhr ging verwendet, wäre das ganze Nüscht gewesen, so aber hast du hier ein in meinen Augen glänzendes Stück abgeliefert.

Was mir allerdings nicht so gefallen hat, ist die teilweise unentschiedenheit deiner Sprache. Mal klingt sie stärker verbittert, mal weniger.

Mütter zum Beispiel, ich glaube, die verlieren ihr Talent Geschichten zu erzählen, sobald sie werfen.
Hier verwendest du ein ziemlich derbes Wort, was sich nicht durch den Gesamtton deiner Kg rechtfertigen lässt. Dafür bleibst du einfach im Rest deiner Wortwahl zu brav.
Wer soll das alles verdauen? Man käme zu nichts anderem mehr. Nur noch verschlingen, verdauen und ausscheiden
hier sprichst du schließlich auch nicht von ausscheißen

EIgentlich bin ich keiner von diesen Lesern, die jede Wortwiederholung freudig erregt ankringeln, um herausposaunen zu können, dass ihnen was unstimmiges aufgefallen ist. Dieses Übersynonymieren ist beinahe schon eine Art Krankheit der Deutschen, von der es sich in meinen Augen durchaus lohnen würde, ein bisschen mehr Abstand zu nehmen.
Aber sei´s drum, hier war es mir dann doch etwas zu deftig.
Ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass du bewusst keine so abgehobene Sprache verwendet hast, vielleicht weil es sich hierbei um den Kapitän eines Fußballteams handelt, vielleicht weil der Text einfach schnell und verbittert runtergeschrieben wirken sollte.
Aber besonders am Anfang sind mir doch die Wdh. von erzählen arg ins Auge gesprungen.

Na, dann wollen wir mal eine Geschichte erzählen. Also, ich habe schon versucht die Geschichte zu erzählen. Aber man weiß nie, wo man eine Geschichte erzählen muss, bis man sie zum ersten Mal am richtigen Ort erzählt hat. Gut, bei manchen Geschichten ist es schnell klar. Lustige Geschichten gehören in Kneipen, da reicht man Bier und Chips dazu. Niemand käme auf die Idee eine lustige Geschichte in einer Kirche zu erzählen. Diese Geschichten da „Und dann hat der Olaf gefragt: Und was ist nun mit der Ente?“ – die eignen sich nicht für Kirchen, wobei in Kirchen ja immer dieselben Geschichten erzählt werden, alte Geschichten. Tragische Geschichten werden allerdings auch in Kneipen erzählt, aber nicht laut. Sie werden geflüstert, deshalb dreht man dort manchmal die Musik so auf. Damit man schreien kann und es ist noch Flüstern. Wenn das irgendwer versteht.
Es sieht jetzt natürlich so aus, als könne man in Kneipen zu Bier und Chips jede Geschichte erzählen, die traurigen und auch die lustigen, aber die meisten Geschichten sind ja nichts vom beidem. Was aber nicht heißen muss, dass man sie nicht trotzdem erzählen kann. Ja, wahrscheinlich muss man gerade diese erzählen.
Vorschläge:
- zum Besten geben
- aus sich heraus lassen
- preisgeben
- verkünden
- schildern
und etliche Varianten mehr. Vom Ton her würden wenigstens die ersten drei auch passen, ohne zu abgestochen zu wirken, finde ich.

Soviel von mir,
allen in allem - gerne gelesen

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo sarpenta,

Kannst Du den Anfang straffen und auf ein paar wenige Punkte des "wo-wie-wann-warum"-Geschichtenerzählens konzentrieren (vier, fünf Zeilen würden da völlig reichen) oder evtl. bereits mit der zu erzählenden Geschichte verbinden? Im Gegenzug würde ich die beiden Alternativen etwas vertiefen und intensiver darstellen, damit der Hammer am Ende besser auf den Punkt trifft.
Dann wäre es ja eine ganz andere Geschichte, also mich als Autor hat natürlich das Thema des "Geschichten erzählens" viel mehr interessiert als das tragische Schicksal des Erzählers. Was mich wiederum wieder sehr interessiert hat, war das Spiel mit der Erzählsprache und wie dahinter das "Schicksal" dann durchschimmert.
Wenn man das anders gewichten würde, wäre das weg und man hätte so eine "Mann sitzt im Rollstuhl und ist verbittert"-Geschichte. Die könnte ich nicht schreiben.

Ansonsten hätte ich die ersten 20-30 Zeilen keineswegs überlebt. War mir ehrlich gesagt zu viel Geschwafel.
Ja, ich kann das nachvollziehen. Es ist natürlich ein Kreisen um den heißen Brei, ein Plappern über ein bestimmtes Thema. Und wenn man damit nichts anfangen kann, dann würde ich die Geschichte auch nach 4,5 Zeilen weglegen.

Danke dir fürs Lesen und Kritisieren, auch wenn dir die allgemeine Richtung der Geschichte nicht so zugesagt hat
Quinn

Hallo Apfelstrudel,

Zu Beginn konnte ich dir ganz gut folgen, aber hier bin ich so durcheinander gekommen, weil es auf einmal so einen Bruch gab, dass ich das mit dem Fußballkapitän gar nicht mitbekommen und so die Pointe nicht auf Anhieb geschnallt hab, was schade aber möglicherweise auch meine Schuld ist.
Das ist immer so ne Sache, wenn ich die Pointe jetzt mit Pauken und Trompeten ankündige, dann gähnen hinterher alle und murmeln "Ich hab's kommen sehen!", er wird ja zweimal erwähnt, der Rollstuhlfahrer - das muss reichen. ;)
Es ist bestimmt nicht immer leicht dem Text zu folgen, er springt ja auch ziemlich zwischen den einzelnen Aspekten des Erzählens. So richtig "smooth" ist das alles nicht.

Aber schön, dass dir die Geschichte gefallen hat und Danke für deine Rückmeldung
Quinn

Hey weltenläufer,


ich bin dir auch wie alle anderen Leser hier voll auf den Leim gegangen. Ich fand deine Gedanken durchweg interessant uund lesenswert, da sie angenehm locker dahingeschrieben wurden, doch fragte auch ich mich bald, wohin dieser Brainstorm wohl führen mag.
Das ist so das best-case-szenario. So hatte ich mir das vorgestellt. Die Gedanken werden als interessant empfunden, man lässt sich von dem Plauderton ein bisschen einlullen und bevor man sich so richtig genervt fragt, wohin das führen soll, ist die Geschichte schon zu Ende.

Tja, und der letzte SAtz haut dann voll rein. Wahrhaftig ein Pradebeispiel für die möglich Kraft des letzten Satzes. Dabei ist es ja eigentlich nur ein Wort. Hättest du anstatt fuhr ging verwendet, wäre das ganze Nüscht gewesen, so aber hast du hier ein in meinen Augen glänzendes Stück abgeliefert.
Danke.

Hier verwendest du ein ziemlich derbes Wort, was sich nicht durch den Gesamtton deiner Kg rechtfertigen lässt. Dafür bleibst du einfach im Rest deiner Wortwahl zu brav.
Ich finde "werfen" gar nicht so hart, ich habe das als umgangssprachlich, eher augenzwinkernd im Kopf, aber nicht als so hart. Wenn mir noch was einfällt, änder ich das.

Und zu der "Erzählen"-´Wiederholung: Urks. ;) Ich wusste schon, dass es häufig ist, aber nicht so häufig. Ich neige stark dazu, bestimmte Worte zu wiederholen, zum Glück sind es dann meistens die Kernworte eines Textes. Also davon, dort mit Synonymen zu arbeiten, halte ich nichts. Denn es ist ja das "Erzählen", um das es geht. Das sprechen, um zu unterhalten auch.
Die einzige Möglichkeit sähe ich also darin, das allgemein zu kürzen oder umzugestalten. Ich schau's mir nochmal an.

Danke auch dir für deine Kritik, freut mich, dass dir die Geschichte so gut gefallen hat
Quinn

 

Ich finde "werfen" gar nicht so hart, ich habe das als umgangssprachlich, eher augenzwinkernd im Kopf, aber nicht als so hart. Wenn mir noch was einfällt, änder ich das.
Nun, befrag mal ein paar Mütter dazu ;)

 

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