Zeugenstandgespräch
Der Mann im schwarzen Anzug wird anscheinend langsam ungeduldig. Ob er es eilig hat? Es geht ihn nichts an, wie lange das hier dauert. Mich geht es was an und vielleicht noch den Richter. Oder Susanne. Ja, Susanne geht es was an.
„Würden Sie mir bitte meine Frage beantworten, Frau Jogsch?“, fragt er gereizt.
„Welche Frage, bitte?“
„Wie lange sind Sie jetzt verheiratet? Mit der Angeklagten?“
„Zwei Jahre“, sage ich.
„Und in den zwei Jahren, hat sie da manchmal aufbrausend auf Sie gewirkt?“
„Aufbrausend?“, frage ich erstaunt. „Aufbrausend? Nein, nie. Ich meine, jeder Mensch wird einmal wütend, nicht wahr? Aber aufbrausend nicht.“
„Wie würden Sie es denn bezeichnen?“
„Was?“
„Den Streit.“
Ich runzele die Stirn und versuche, mich an das zu erinnern, was er erwähnt. Fühle mich wie in Watte eingepackt, als würde das Geschehen um mich herum mich gar nicht erreichen. Es erreicht mich natürlich, sonst könnte ich nicht darüber nachdenken. Streit? Habe ich mich jemals mit Susan gestritten? Okay, das eine Mal, als sie ihren Job bei New Yorker geschmissen hat, ohne jeglichen Grund.
„Frau Jogsch? Hören Sie mir zu?“
„Ich ... ja, natürlich höre ich Ihnen zu. Ich habe nachgedacht. Welchen Streit meinen Sie?“
„Sie wissen genau, welchen Streit ich meine.“
Ich sehe ihn fragend an, wie er da auf seinem Stuhl sitzt, in der rechten Bankreihe von mir aus gesehen. Geradeaus sitzt der Richter und links sitzt Susan mit ihrem Anwalt.
„Ich rede von Donnerstagabend. Und von Freitag letzte Woche. Und dem Dienstag die Woche davor. Soll ich Ihnen auch noch die Daten sagen?“
„Nein, nicht nötig. Das meinen Sie. Also, aufbrausend würde ich nicht sagen. Aufbrausend ist man ohne Grund, oder nicht? Wenn man keinen triftigen Grund hat.“
„Und den hatte sie also?“
„Das will man meinen. Wäre es für Sie kein Grund, wenn man Sie zu einer Abtreibung zwingen würde? Mal abgesehen davon, dass Sie ein Mann sind und dementsprechend nicht abtreiben können.“
„Das war also der Grund für den Streit? Es ging um eine Abtreibung?“
„Ja.“
„Bitte verzeihen Sie, falls das unhöflich klingen sollte, aber wie ist die Situation dahin gekommen, dass eine Abtreibung stattfinden konnte?“
„Sie sollte ja nicht stattfinden. Darum ging es ja.“
„Jede Woche?“
„Sie haben sich ja nur einmal die Woche gesehen.“
„Ihre Frau und...“
„Matthias. Matthias Schöffner.“
„Das ist also der Mann im Leben Ihrer Frau?“
„So würde ich das nicht direkt sagen.“
Jetzt hat er mich da, wo er mich haben will, jedenfalls vermute ich das an seinem triumphierenden Gesichtsausdruck. „Wie wollen Sie es denn sagen?“
„Es ging nicht um ihn. Es ging nie um ihn. Aber er wollte das nicht einsehen.“
„Könnten Sie das vielleicht genauer erklären?“
Ich hole tief Luft. Mit jedem Satz, den ich sage, reite ich uns tiefer hinein. Uns oder sie, es kommt aufs Gleiche hinaus. Wenn sie betroffen ist, bin ich es auch.
„Wir wollten ein Kind“, sage ich. „Und bevor Sie fragen, ja, wir waren uns sehr wohl bewusst, dass wir kein Kind miteinander zeugen können, als wir geheiratet haben. Aber darum ging es ja auch gar nicht. Ich kannte Matthias von früher, er war immer jemand gewesen, verzeihen Sie den Ausdruck, der mit jeder Frau ... Sie wissen schon ... ins Bett gegangen ist.“ Ich kann Matthias’ Blick im Nacken spüren und das ist mir unangenehm.
„Und da dachten Sie, er sei der richtige Kandidat?“
„Nein, nein. Es war eigentlich bloß ein Zufall, dass ich ihn wieder getroffen habe. Es war vor ... mein Gott ... vielleicht vier Monaten? Oder etwas länger? Ich erinnere mich nicht. Es war mir nicht wichtig, unwichtige Dinge behalte ich nie.“
„Sie haben ihn also getroffen?“
„Genau.“
„Und weiter?“
„Na ja, wir haben uns halt unterhalten. Über früher, die Schule, was wir so machen. Smalltalk. Beruflich, Partnerschaft und so weiter.“
„Und da haben Sie ihm dann erzählt, dass sie verheiratet sind?“
„Ja.“
„Mit einer Frau verheiratet sind?“
„Ja.“
„Und wie hat er darauf reagiert?“
„Wie soll man darauf schon reagieren? Ich meine, er war vielleicht ein wenig erstaunt. So etwas passiert ja nicht alle Tage. Aber er hat nicht besonders schockiert reagiert. Oder interessiert. Aber auch nicht gleichgültig. Er fragte mit wem und ich sagte es ihm.“
„Und wie reagierte er da?“
„Auch nicht viel anders. Vielleicht etwas ... ich weiß es nicht.“
„Versuchen Sie, es zu beschreiben.“
„Was soll das bringen?“
„Beschreiben Sie es.“
„Aufgebrachter als vorher. Ja.“
„Und können Sie sich den Grund dafür denken?“
„Das wissen Sie doch.“
„Beantworten Sie meine Frage.“
„Damals wusste ich es natürlich nicht. Aber jetzt weiß ich es. Und Sie wissen es. Was spielt es für eine Rolle? Was ändert es an den Tatsachen? Warum darauf herumreiten?“
„Ihre Frau...“, beginnt der Anwalt.
„Sie war mit ihm zusammen. Früher. Es war ein unglücklicher Zufall. Das Schicksal spielt einem manchmal Streiche, das wissen Sie doch bestimmt.“
„Ihre Frau war also einmal mit dem Opfer liiert?“
„Opfer...“, wiederhole ich. „Das ist übertrieben. Er ist kein...“
„Ich möchte, dass Sie meine Fragen beantworten und keine Romane erzählen. Das Beurteilen überlassen Sie bitte dem Richter.“
„Ja, sie war einmal mit ihm zusammen. Zu unserer Schulzeit. Aber das wusste ich nicht. Sonst hätte ich ihm natürlich nicht vorgeschlagen, mit nach Hause zu kommen.“
„Sie fragten ihn, ob er mit nach Hause kommen wolle?“
„Genau.“
„In der Absicht, dass eine von Ihnen ein Kind bekommen sollte?“
„Nein, um Himmels Willen. Daran habe ich keinen Augenblick gedacht. Und Susanne auch nicht. Ich meine, man hat ihr angesehen, dass sie nicht grade erfreut war, als ich mit ihm in unserer Wohnung auftauchte.“
„Aber sie hat mit ihm geschlafen.“
Nervös spiele ich mit dem Ehering an meinem Finger. Das Blut in meiner Schläfe pocht und ich würde sie gerne massieren, damit sich kein Kopfschmerz einsetzt. Ich lasse es.
„Das hat sie“, bringe ich hervor.
„Warum?“
„Warum? Fragen Sie ernsthaft, warum? Ich weiß es nicht. Woher soll ich das wissen? Woher soll ich es wissen? Sie ist meine Frau, aber ich kann keine Gedanken lesen. Vielleicht war sie noch ein bisschen verliebt in ihn. Vielleicht war ich im Bett nicht gut genug. Was wollen Sie denn hören? Jedenfalls ist sie nicht mit ihm ins Bett gegangen, um schwanger zu werden. Da verdrehen Sie die Tatsachen.“
„Was ist denn Tatsache?“
„Dass er sie verführt hat, weil es ihm Spaß bereitet, immer schon bereitet hat, andere Paare auseinander zu bringen. Und jetzt behauptet er, wir hätten ... er ist ein Lügner!“
„Frau Jogsch, bleiben Sie bitte bei den Fakten und lassen Sie Ihre Anschuldigungen.“
„Aber er tut es doch auch. Deswegen sitze ich doch hier, oder nicht? Weil er uns anschuldigt.“
Der Kopfschmerz fängt an. Ich habe es kommen sehen, oder besser kommen fühlen.
„Könnte ich eine Kopfschmerztablette haben?“
Der Anwalt ignoriert meine Frage einfach.
„Ihre Frau hat also mit dem Herrn Schöffner geschlafen?“
„Offensichtlich. Sonst wäre sie wohl nicht schwanger. Von mir ist sie’s jedenfalls nicht.“
„Und Sie wissen nicht, wieso?“
„Ich habe Ihnen darauf schon geantwortet. Warum schläft eine Frau mit einem Mann? Weil sie Lust hat. Auf Sex. Fertig. Wenn da eine tiefere Absicht hinter gesteckt hätte, hätte ich es gewusst.“
„Sie hätte Ihnen gesagt, dass sie sie betrügt?“
„Wie ich bereits sagte, wir hatten besprochen, dass wir ein Kind wollen. Wir hatten uns noch nicht darauf geeinigt wie und wer. Aber sie hätte es nicht alleine in die Hand genommen. Sie hätte mich gefragt.“
„Sind Sie wütend auf Ihre Frau?“
„Was soll diese Frage? Sie gehört nicht hierher. Sie hat keine Bedeutung und es geht Sie nichts an. Und ihn schon gar nicht.“
„Warum nicht?“
„Das wollte er ja erreichen.“
„Was?“
„Das hier. Das.“
„Von zwei Lesben als Samenspender missbraucht zu werden?“
„Wir haben ihn nicht missbraucht. Susan hat ihn nicht missbraucht. Er hat sie missbraucht, wenn überhaupt irgendjemand jemanden missbraucht hat. Er kann es nicht ertragen, dass er uns nicht entzweien konnte. Er war vielleicht eifersüchtig oder fühlte sich in seinem Stolz verletzt, weil eine ehemalige Partnerin jetzt mit einer Frau verheiratet ist. Als Susanne ihm erzählt hat, dass sie schwanger ist, war er sogar froh. Er dachte, das wär’s. Er dachte, sie würde sich von mir trennen, aber so war’s nicht.“
„Weil Sie das die ganze zeit gewollt hatten.“
„Nein. Weil ich sie liebe. Weil ich es ihr verziehen habe.“
„Und dann?“
„Dann hat er verlangt, dass sie abtreibt. Wenn du schon mit ihr zusammen bleiben willst, dann sollst du kein recht auf mein Kind haben, hat er geschrieen.“
„Aber Ihre Frau wollte nicht abtreiben?“
„Nein, natürlich nicht.“
„Und hätte er seine väterlichen Rechte bekommen?“
„Welche väterlichen Recht? Er hat das Kind gezeugt, weil er scharf auf sie war. Denken Sie, er hätte im Traum daran gedacht, sie könne schwanger werden? Es war eine Affäre und keine Liebesbeziehung. Sie hatten sich erst zwei Wochen vorher seit Jahren wieder getroffen.“
„Und kann es nicht sein, dass die Gefühle von damals nie verblasst waren?“
„Mit Verlaub, aber Matthias ... Herr Schöffner ist kein Beziehungsmensch. Kein Ehemensch. Ich bin mir nicht einmal sicher ob er fähig ist, zu lieben.“
„Sie fangen schon wieder mit Beschuldigungen an.“
„Wissen Sie, mit wie vielen Mädchen aus meiner Stufe er im bett gewesen ist? Er hat damit geprahlt Ein Dutzend sollen’s zum Schluss gewesen sein.“
„Gerüchte.“
„Selbst wenn. Er hat damit angegeben, jede Frau haben zu können, wo auch immer.“
„Ist Ihre Frau eine sprunghafte Person?“
„Nein, eigentlich nicht, wieso?“
„Wie kommt es, dass sie einfach so mit ihm ins Bett gegangen ist? Denn einen Grund muss es doch geben.“
„Das ist das dritte Mal, dass Sie mich fragen. Ich glaube nicht, dass ich Ihnen diesmal etwas anderes erzählen kann.“
„Wenn Sie denn reden würden.“
„Ich weiß den Grund nicht. Den weiß höchstens meine Frau. Oder er vielleicht. Hören Sie, um all dies geht es doch gar nicht. Es geht darum, dass er uns beschuldigt, ihn ausgenutzt zu haben. Das haben wir nicht. Er hätte das Kind selbstverständlich besuchen können, immer.“
„Und hat er kein Recht, das Kind selbst großzuziehen?“
„Das will er ja gar nicht. Das will er doch nicht. Er wollte, dass sie es abtreiben lässt. Er gönnt es ihr nicht. Sie ist ihm so egal ... das Kind ist ihm egal ... sehen Sie das denn nicht?“
„Nun, mir hat er gesagt, er wolle die Abtreibung, um sich nicht ausnutzen zu lassen.“
„Nach dem Motto: Wenn ich das Kind nicht haben kann, soll es keiner haben?“
„Würden Sie sich gerne zum Kinderproduzenten herabstufen lassen?“
„Das wurde er nicht.“
„Tatsache ist doch, dass Ihre Frau mit ihm schlief, ohne eine Beziehung zu ihm zu wollen, dass Sie beide ein Kind wollten und es durch ihn erreicht haben. Wollen Sie das leugnen?“
„Nein, aber das war ja nicht beabsichtigt.“
„Es war nicht beabsichtigt?“
„Nein. Welche Frau denkt denn daran, sie könne schwanger werden, wenn sie einmal in zig Jahren mit einem Mann ins Bett geht?“
„Vielleicht eine, die es gerne möchte. Schwanger werden.“
„Ich sagte Ihnen schon, sie hätte es vorher mit mir abgesprochen.“
„Sie bleiben also dabei? Dass Sie Herrn Schöffner nicht vorsätzlich ausgenutzt haben?“
„Wir haben ihn nicht ausgenutzt“, bestätige ich.
Der Anwalt seufzt. „Danke, das wäre alles. Sie können den Zeugenstand verlassen.“
Bedächtig stehe ich auf. Susannes Worte hallen mir im Kopf nach. „Er ist perfekt“, hatte sie zu mir gesagt und ihre Augen leuchteten. „Er will eine kurze Bettgeschichte, mehr nicht. Ich müsste meinen Eisprung grade hinter mir haben, lass es mich versuchen.“ Ich ließ es sie versuchen.
„Ich rufe Matthias Schöffner in den Zeugenstand.“
Ich verlasse den Gerichtsaal und ein Lächeln umspielt meine Lippen. Er wird den Prozess nicht gewinnen. Wie auch?