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Zivilcourage

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08.06.2004
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Zivilcourage

Wie eine Pyramide aus buntem Plastik stapeln sich die Müllbeutel auf dem Bahnhofsvorplatz. Der Abfallcontainer in ihrer Mitte war nach wenigen Tagen überfüllt, mittlerweile sind seine Umrisse nur noch zu erahnen. Am Fuße des künstlichen Bergs sucht eine Möwe nach Essensresten.
Der Wind wird stärker und treibt kleine Wirbelstürme aus Papier und Zigarettenstummeln vor sich her. Ein Getränkebecher rollt surrend über den Gehweg auf die Straße, wo ihn das rechte Vorderrad des 173er Busses erfasst.
"Eine Sauerei ist das", murmelt Harald und klemmt sich die Tageszeitung unter den Arm.
"Ja, schön ist das nicht mehr", stimmt Martha, die Kioskbesitzerin, ihm zu. "Ich hab schon beim Gesundheitsamt angerufen, ob die nicht was machen können. Wegen der Hygiene und der Ratten und so. Keine Chance."
"Eine ganz große Sauerei ist das", sagt Harald wieder, als er das Wechselgeld einsteckt.
Es ist Montagmorgen. Die Sonne scheint und obwohl es kalt ist, liegt ein Hauch von Frühling in der Luft.
Seit dreizehn Tagen streiken Hamburgs Müllmänner und Harald beschließt, dass es an der Zeit ist, etwas zu unternehmen.

Die verschließbaren Müllsäcke gibt es im Baumarkt, genauso wie die Handschuhe und die Müllzange. Und nachdem Harald seine Stoffhose und den hellen Anorak gegen eine alte Jeans und ein gefüttertes Flanellhemd getauscht hat, steht er wieder auf dem kleinen Bahnhofsvorplatz.
Vor dem Karstadteingang beginnt er zu sammeln, schnell arbeitet er sich zu den Bushaltestellen vor. Er fühlt sich gut, nur sein rechtes Knie schmerzt. Liegt wohl an der Kälte, denkt er und bückt sich, um eine Bierdose aufzuheben, die er mit der Zange einfach nicht zu fassen bekommt.
Im Fünf-Minuten-Takt strömen die Menschenmassen aus dem Bahnhof, umspülen Harald wie einen Brückenpfeiler. Dann ist der Vorplatz wieder leer und Harald sammelt weiter. Zwei prall gefüllte Müllsäcke später erreicht er den Dönerladen und noch einen Müllsack später hat er seine Runde beendet.
Es ist fast Mittag, die ersten Schulkinder haben Unterrichtsschluss und obwohl schon neuer Abfall auf dem Gehweg landet, verspürt Harald so etwas wie Stolz. Martha nickt ihm anerkennend zu und der Mann vom Gemüseladen sagt: "Gut gemacht."
Auf dem Weg nach Hause hat Harald das Gefühl, als würde eine glühende Nadel zwischen Kniescheibe und Schienbein stecken, doch er ignoriert den Schmerz so gut es geht. Kurz vor seiner Haustür macht er eine kleine Verschnaufpause.
Ja, denkt Harald, jetzt riecht es wirklich nach Frühling.

"Vielleicht waren das die Ratten, wegen der Essensreste. Oder Jugendliche haben sich einen Spaß erlaubt und mit den Beuteln Fußball gespielt."
"Einen Spaß?", fragt Harald.
Martha zuckt mit den Schultern.
"Kann ich überhaupt nicht witzig finden", sagt Harald. "Überhaupt nicht."
Letzte Nacht hat es geschneit. Ein Dutzend kleiner, weißer Hügel liegen auf dem Vorplatz. Der Neuschnee schmilzt bereits und die zerrissenen Beutel werden sichtbar.
Auch der Gehweg bei den Bushaltestellen ist wieder von Abfall übersät. Zeitungen, Zigarettenstummel und etwas, dass wie der Rest eines Döners aussieht.
"Und was ist damit?"
"Na Harald, du weißt doch, wie die Leute sind. Die lassen ihren Müll einfach fallen. Und hier kommen schließlich jeden Tag Tausende vorbei."
Harald schüttelt den Kopf. "Nee, nee, das geht doch so nicht."
"Komm, Harald, lass gut sein. Hat doch keinen Zweck."
Aber Harald will es nicht gut sein lassen.
"Wo der Staat seine Pflichten nicht erfüllt, muss der Bürger halt selbst aktiv werden", sagt er und geht.
Die Müllsäcke sind im Zehnerpack preiswerter und beim Copyshop um die Ecke kostet ein DIN-A4 Ausdruck nur fünf Cent.
Gegen Mittag ist der Vorplatz sauber und an den Bushaltestellen kleben Zettel mit der Aufschrift:
Haltet den Bahnhof sauber! Werft keinen Müll auf den Boden!
"Hättest du das nicht ein bisschen netter ausdrücken können? Hört sich ja an wie 'ne Militärparole."
"Die verstehen das sonst nicht. Denen muss man klipp und klar Grenzen aufzeigen, sonst wird das nichts."
"Wenn du meinst, Harald. Aber schön sauber ist es ja wieder geworden."
Harald nickt zufrieden und klemmt sich die Tageszeitung unter den Arm.
Zu Hause angekommen, stellt er den Wecker und legt sich angezogen aufs Bett. Haralds Brust schmerzt, er atmet stoßweise und einen schrecklichen Augenblick lang hat er das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen. Schwerfällig dreht er sich auf die Seite und das Gefühl verschwindet. Langsam kommt sein Körper zur Ruhe und auch der pochende Schmerz in seinem Knie kann ihn nicht mehr vom Schlafen abhalten. Man wird halt nicht jünger, denkt Harald, als er die Augen schließt.

Kurz nach Mitternacht ertönt das schrille Piepen des Weckers. Verwirrt starrt Harald in die Finsternis. Er will aufstehen, hat aber Angst hinzufallen. Er ruft den Namen seiner verstorbenen Frau in die Dunkelheit, dann finden seine Hände den Schalter der Nachtischlampe und der Traum verblasst.
Eine Zeit lang bleibt Harald noch im Bett liegen, wartet bis sein Herz sich wieder beruhigt hat.

Die meisten Buslinien fahren nicht mehr um diese Uhrzeit und auch die Bahnen haben bereits Betriebsschluss. Das Rollgitter des Bahnhofs fährt knatternd nach unten, die Haltestellen davor liegen verlassen im Neonlicht.
Eine Stadt wie Hamburg schläft vielleicht nie, aber manchmal schließt sie zumindest für kurze Zeit ihre Augen, denkt Harald und geht mit kleinen Schritten zum Müllberg hinüber. Es hat angefangen zu regnen, der Boden ist rutschig vom aufgeweichten Schnee.
Verstohlen sieht Harald sich um, während er den Berg umrundet und die blauen Kügelchen zwischen die Müllsäcke fallen lässt. Er trägt seine dicken Lederhandschuhe - mit Thallium ist nicht zu spaßen. Irgendwann ist die Packung leer und Harald wischt die Handschuhe im Schnee ab.
Rattengift gibt es auch im Baumarkt, aber das gute, das gibt es nur auf dem Flohmarkt.
Sechs der zehn Zettel an den Bushaltestellen hängen noch. Von einem hat sich der Klebestreifen gelöst. Die Rolle Tapeband hat Harald noch in der Jackentasche und ohne sein Taschenmesser geht er nicht aus dem Haus.
"Haben Sie diese Zettel hier angebracht?", hört er, als er die lose Ecke wieder angeklebt hat.
"Ja, wieso?" Harald dreht sich um.
"Das Plakatieren ist hier verboten", sagt der kahlgeschorene Kerl in der blauen Uniform, während sein Kollege beginnt, die Zettel abzureißen.
"Hey, was machen sie da? Lassen Sie die Zettel dran!"
"Haben Sie mir zugehört?", fragt der Kahlgeschorene.
"Sagen Sie Ihrem Kollegen, dass er die Zettel dran lassen soll!"
"Das Plakatieren ist hier verboten. Beim nächsten Mal gibt 's 'ne Anzeige."
"Aber das sind doch gar keine Plakate, das ..."
"Das ist mir ziemlich scheißegal. Beim nächsten Mal gibt 's 'ne Anzeige, verstanden?"
Der Kollege des Kahlgeschorenen kommt zurück.
"Macht der Alte Ärger?"
"Ich weiß nicht", sagt der Kahlgeschorene und sieht Harald an, "macht der Alte Ärger?"
Harald erwidert den Blick, sieht das herausfordernde Funkeln. Seine Hände beginnen zu zittern und er wünscht sich, dreißig Jahre jünger zu sein. Abrupt dreht er sich um und geht, humpelt so schnell, wie sein Knie es zulässt, während ihm Tränen über die Wangen laufen. Er hört das Gelächter und seine Hand umkrallt das Messer in seiner Tasche und er hofft, dass ihm die beiden hinterherkommen. Betet, dass sich die Hand des Kahlgeschorenen auf seine Schulter legt.
Doch es passiert nicht.

"Mein Gott, Harald. Was ist denn mit dir passiert? Hast du die Nacht durchgemacht?"
"Schlecht geschlafen", sagt Harald und gähnt. "Was 'n da los?"
"Vom Bezirksamt", sagt Martha und starrt an ihm vorbei.
Die Frau vom Bezirksamt trägt Handschuhe und eine Atemschutzmaske. In der Rechten hält sie einen schwarzen Plastiksack.
"Und was machen die hier?", fragt Harald und gähnt erneut.
"Harald, siehst du das nicht? Die ganzen toten Tiere?"
Jetzt sieht Harald sie auch: die tote Katze zwischen den Müllsäcken. Und etwas weiter rechts eine zweite und eine dritte. Ein weiß gefleckter Kater hat es bis zu den Telefonzellen geschafft.
"Schrecklich, oder?", fragt Martha, als die Frau vom Bezirksamt eine Katze hochhebt und vorsichtig in den Plastiksack steckt.
"Dann waren das gar nicht die Ratten."
"Ratten liegen auch dazwischen", sagt Martha, deren Augen noch jünger sind.
"Na ja, wenigstens ist alles sauber geblieben."
"Wie kannst du nur? Die armen Katzen." Martha sieht ihn an. "Du hast doch nicht etwa?"
Harald grinst. Er fühlt sich wieder gut. Der Bahnhofsvorplatz ist sauber geblieben. Das ist das Einzige, was zählt.
"Waren doch nur ein paar streunende Katzen ..."
"Nein, Harald, sag nichts. Ich will es gar nicht hören."
Harald blättert in seiner Tageszeitung und beobachtet ab und an die Frau vom Bezirksamt. Fünf Katzen sind es insgesamt und knapp ein Dutzend Ratten. Keine schlechte Ausbeute, denkt Harald und blättert weiter.
"Hast du's schon gelesen?", fragt Martha irgendwann und zeigt auf eine Überschrift. "Anscheinend ist der Streik bald vorbei. Wird auch langsam Zeit."
Harald nickt und überlegt, ob er sich darüber freuen soll.

Am Donnerstag nimmt die Gewerkschaftsversammlung den Kompromissvorschlag der Stadt Hamburg an. Der Streik wird nach sechzehn Tagen für beendet erklärt und die Müllabfuhr nimmt ihre Arbeit wieder auf.
Überall an den Straßen stehen überquellende Abfalltonnen und Berge von Müllbeuteln, die darauf warten, abgeholt zu werden.

Es ist schon fast Mittag, als Harald durch den hohen Neuschnee stapft. Er hat schlecht geschlafen, sich die ganze Nacht von einer Seite auf die andere gewälzt.
Schon von weitem sieht er Martha hinter der Kiosktheke. Und das faustgroße Loch in der Scheibe davor.
Martha winkt ihm zu. Sie sieht genauso aus, wie Harald sich fühlt. Müde und niedergeschlagen.
"Wie ist denn das passiert?", fragt Harald.
"Hör bloß auf."
"Was ist denn passiert?", fragt Harald erneut und zeigt auf das Loch.
"Harald, was wird wohl passiert sein? Die haben mir die Scheibe eingeworfen."
"Wer?"
"Sag mal, du kannst aber auch echt dumme Fragen stellen. Woher soll ich denn wissen, wer das war? Hat leider niemand seinen Namen auf den Stein geschrieben." Martha schüttelt den Kopf. "Das hat mir echt gerade noch gefehlt. Der Laden läuft sowieso nicht und jetzt darf ich auch noch 'ne neue Scheibe bezahlen."
"Was ist denn mit der Versicherung?"
"Die zahlen nicht bei Vandalismus."
Harald nickt und betrachtet die kaputte Scheibe.
"Das ist natürlich scheiße."
"Das kannst du laut sagen. Und ich kann mir auch ziemlich gut vorstellen, wer das gewesen sein könnte."
Harald sieht sie fragend an.
"Ich denk, du weißt nicht ..."
"Na ja, beweisen kann ich 's natürlich nicht, aber ..." Martha macht eine kurze Pause. "Das war bestimmt einer von den Alkis. Die haben hier schon öfter Ärger gemacht, weil ich keine Pfandflaschen annehme. Am liebsten würde ich zu den Bullen gehen."
Harald schüttelt den Kopf.
"Bringt doch nichts. Oder glaubst du, die eröffnen hier so 'n Ermittlungsverfahren wegen deiner kaputten Scheibe? Nee, das ist vergeudete Zeit."
"Oder ich frage bei der Hochbahn nach, ob die nicht mal für Ordnung sorgen können. Das gehört hier schließlich alles noch zum Bahnhofsgelände."
"Das kannst du erst recht vergessen. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus."
"Und was soll ich deiner Meinung nach tun? Wer sagt mir denn, dass die mir heute Nacht nicht noch die andere Scheibe einschmeißen?"
"Ich lass mir was einfallen. Keine Sorge, ich kümmere mich schon um dieses Gesocks."
"Harald, bitte. Du kannst da doch auch nichts machen."
Harald lächelt, als er die fünfzig Cent für die Zeitung auf die Theke legt.
"Wart ab", sagt er.

Harald stellt die Gewürzmühle in die Spüle und bindet sich das nasse Geschirrhandtuch vor den Mund. Kurz überlegt er, wie viel Milligramm man für einen Menschen braucht. Er überschlägt die tödliche Dosis für eine fünfundsiebzig Kilogramm schwere Ratte und verdoppelt den benötigten Wert, um sicher zu gehen. Schließlich bekommt er Zweifel an seiner Rechnung und kippt die ganze Packung Rattengift in den Trichter der Gewürzmühle.
Anfangs lässt sich die Kurbel kaum bewegen, erst nachdem die Stahlwalze die ersten Kügelchen zermalmt hat, geht es leichter und immer mehr blauer Staub rieselt in die Auffangschale.

In dieser Nacht kommt der Bahnhof nicht zur Ruhe. Es ist Donnerstag, das Wochenende nicht mehr weit und die Haltestellen voller junger Leute. In kleinen Gruppen stehen sie beisammen und warten auf den Nachtbus. Der Alkohol macht ihre Stimmen laut und schrill.
Wahrscheinlich wollen sie in Richtung Innenstadt oder Reeperbahn, denkt Harald und lauscht weiter den Gesprächsfetzen, die der Wind herüberträgt.
Ein Klappern reißt ihn aus seinen Gedanken und kurz darauf biegt ein völlig überladener Einkaufswagen um die Ecke.
Der Mann in dem fleckigen Mantel ist groß – mindestens einsneunzig, denkt Harald -, trotzdem verschwindet er fast hinter dem Berg aus Kleidungsstücken, Pappkartons und Altglas. Er hält an, um einige Bierflaschen aufzulesen, das Klappern verstummt und Harald löst sich aus dem Schatten des Kaufhauseinganges.
"Was die Leute alles liegen lassen. Haben einfach zu viel Geld", sagt Harald und betrachtet das aufgequollene Gesicht.
"Finde ich sehr lobenswert, dass Sie den Bahnhof sauber halten", fährt er fort. "Während des Streiks habe ich hier auch Müll gesammelt. Irgendjemand muss ja für Ordnung sorgen, oder?"
"Was willst du?", nuschelt der Mann, ohne aufzusehen, und seine Alkoholfahne schwängert die klare Nachtluft.
"Nichts, nichts", sagt Harald. "Ich wollte Ihnen nur dafür danken, dass Sie mich so tatkräftig unterstützen."
Er holt die Whiskeyflasche aus seiner Innentasche.
"Was willst du?", fragt der Mann wieder und dieses Mal bleibt sein glasiger Blick an der Whiskeyflasche kleben.
"Nur ein bisschen reden und einen Schluck von diesem guten Tropfen genießen. Allein trinken bringt schließlich Unglück."
"Bist so 'n Perverser, ne? Aber ich mach so was nicht."
"Was?" Harald versteht die Frage nicht sofort. "Was glaubst du eigentlich ...?" Er schüttelt den Kopf, schluckt mühsam seine Wut hinunter. "Nein, nein, so was will ich nicht", murmelt er und versucht wieder zu lächeln. "Komm, mein Freund, wir trinken einen zusammen."
Langsam geht Harald zu der Seitenstraße. Kurz bleibt er stehen, wartet und schwenkt die Whiskeyflasche.
Der Penner schaut ihm nach, unschlüssig, dann siegt die Sucht über das Misstrauen.
"Ja, lass den Einkaufswagen ruhig stehen. Den klaut schon keiner", ruft Harald und der Penner trottet ihm hinterher, die blutunterlaufenen Augen starr auf die Flasche gerichtet.
"Komm, da vorne bei der Einfahrt. Da kann man gut sitzen."
Einige unsichere Schritte später stehen die beiden in dem Schatten der Kaufhauseinfahrt.
"Hier mein Freund. Jetzt trink erst einmal einen ordentlichen Schluck. Hast es dir verdient", sagt Harald und sein Blick verfolgt den auf und ab hüpfenden Kehlkopf des Penners. "Ja, trink ruhig. Ist ja genug da."
Harald setzt sich auf einen Treppenabsatz und eine halbe Flasche Whiskey später hockt sich der Penner neben ihn. Apathisch glotzt der Obdachlose in die Dunkelheit. Ab und an nimmt er einen langen Schluck, dazwischen stammelt er Zusammenhangloses.
Die Zeit vergeht und gerade als Harald den Entschluss fasst, zu gehen, zersplittert die Whiskeyflasche auf den Pflastersteinen. Erschrocken schaut er zur Seite. Der Penner krümmt sich, schaukelt grunzend hin und her. Plötzlich fällt er vornüber, rollt durch die Scherben, zappelt mit Armen und Beinen wie ein Marienkäfer, der auf dem Rücken liegt, windet sich in der Whiskeylache, bis irgendwann die Krämpfe wieder aufhören. Und der Körper ganz ruhig wird.
Auf dem Rückweg fragt Harald sich, ob in diesem Winter wohl schon viele Obdachlose erfroren sind.
Zu Hause sitzt er noch lange am Küchentisch und liest die Zeitung vom Vortag. Er ist zu aufgeregt, um schlafen zu gehen.

"Was hast du getan?" Marthas Stimme zittert.
"Was?"
"Ich habe gesehen, wie die Polizei den Mann gefunden hat. Heute Morgen, als ich die Zeitungen reingeholt habe. Erst dachten sie, er sei nur betrunken, aber dann ..." Martha stockt. "Harald, was hast du getan?"
"Aber das war doch nur so 'n Penner", sagt Harald und die gute Laune, mit der er aufgewacht ist, verschwindet in Marthas leerem Blick.
"Du hast einen Menschen umgebracht, Harald. Einen Menschen!"
"Ja, aber ..."
"Du musst zur Polizei gehen."
"Zur Polizei?"
"Du musst dich stellen. Du brauchst Hilfe. Bitte geh jetzt, Harald."
"Martha, ich wollte dir doch nur helfen. Ich dachte ..."
"Du bist krank", sagt Martha, während ihre Tränen auf den Tresen fallen.

Die ersten Tage wartet Harald noch auf die Polizei. Stundenlang sitzt er am Fenster und starrt auf die Straße. Aber die Polizei kommt nicht und am Morgen des fünften Tags gibt Harald die Hoffung auf. Er steht auf, duscht und zieht sich an.
Es ist noch früh, die Straßen noch leer. Ziellos schleicht Harald durch den Stadtteil, biegt mal links, mal rechts ab. Gelegentlich glaubt er, verfolgt zu werden, und bleibt stehen. Doch niemand packt ihn und das Gefühl verschwindet.
Immer wieder führen seine Füße ihn am Bahnhofskiosk vorbei. Anfangs wagt Harald nur einen flüchtigen Blick.
Martha steht hinter der Theke wie jeden Tag. Sie sieht müde aus, ihre Wangen sind blass und eingefallen.
Bei der vierten oder fünften Runde nimmt Harald seinen ganzen Mut zusammen und betritt den Laden.
"Wie geht 's dir?", fragt er, weil er nicht weiß, wie er anfangen soll. "Ich habe die letzten Tage viel nachgedacht und ... Vielleicht hast du Recht. Das war wirklich nicht so eine gute Idee mit dem Penner. Tut mir leid, okay? Martha, hörst du mir zu?"
Marthas Schultern verkrampfen sich, sie schluchzt. Ihr Blick irrt umher wie ein gehetztes Tier.
"Martha, was hast du denn?"
"Bitte geh ..." Fast lautlos formen ihre Lippen die Worte.
"Aber ...", beginnt Harald, doch dann sieht Martha ihn an und er erkennt die Angst in ihren Augen. Die Angst vor ihm.
"Entschuldige", murmelt Harald und geht.

Das Blut rauscht in seinen Ohren, als Harald mit der Rolltreppe nach oben fährt.
In der Ferne kommt gerade die S-Bahn aus der Kurve. Langsam wird das rote Rechteck der Lok größer.
Harald stellt sich an die Bahnsteigkante. Stück für Stück schieben sich seine Füße über den Rand. Die Schienen fangen an zu vibrieren. Harald schließt die Augen. Für einen kurzen Augenblick denkt er daran, dass seinetwegen bestimmt viele Menschen zu spät zur Arbeit kommen werden. Er erstarrt, nur für eine Sekunde, dann spürt er die S-Bahn an ihm vorbeirauschen und der Fahrtwind wirft ihn zurück.
Die Türen öffnen sich, Menschen steigen ein und aus. Harald spürt ihre Blicke, hört, wie ihn jemand als verrückten Idioten bezeichnet. Als der Bahnsteig leerer wird, hilft ein junges Mädchen ihm aufzustehen.

"Sie haben was?", fragt der junge Polizist und sieht Harald fassungslos an.
Harald stützt sich auf den Tresen und versucht, wieder zu Luft zu kommen. Er ist den ganzen Weg zum Polizeirevier gelaufen.
"Ich habe drei Menschen umgebracht", wiederholt er nach einer kurzen Pause. "1970 einen jungen Studenten auf einer Protestkundgebung, einen polnischen Schwarzarbeiter mit dem Vornamen Pawel im Jahr zweiundachtzig und vor sechs Tagen einen Obdachlosen vorne beim Bahnhof."
"Soll das ein Witz sein?", fragt der Polizist.
Harald schüttelt den Kopf.
"Dann kommen Sie mal bitte mit."

Harald erzählt seine Geschichte ein zweites und ein drittes Mal. Die Polizisten hören zu und stellen Fragen. Dumme Fragen, aber Harald antwortet, berichtet so detailliert, wie es ihm möglich ist, doch an manches erinnert er sich einfach nicht mehr. Erst nachdem einer der Polizisten mehrere Telefonate geführt hat, glauben sie Harald.
"Die Kollegen von der Kripo kommen gleich. Denen können Sie dann noch mal alles ganz genau erzählen", sagt der eine.
Harald lächelt und nickt. Es tut gut, darüber zu reden.
Eine Zeit lang ist es ruhig in dem kleinen, fensterlosen Raum.
"Warum haben Sie diese Menschen eigentlich umgebracht?", fragt ein anderer schließlich in die Stille.
"Warum?" Harald ist erstaunt. "Das liegt doch auf der Hand: Diese Leute waren schädlich für die Gesellschaft. Sie schadeten dem Allgemeinwohl. Ich denke, dass jeder anständige Bürger die Pflicht hat, gegen solche Leute vorzugehen. Vor allem, wenn dem Staat die Hände gebunden sind."

 

Ich weiß ehrlich gesagt noch nicht genau, was ich von dieser Geschichte halten soll. Manche Passagen gefallen mir ziemlich gut, an anderer Stelle bin ich mir nicht sicher, ob der Plot wirklich so funktioniert.
Die Geschichte lag auch schon ein paar Tage bei mir rum, die Zweifel sind jedoch geblieben.
Was tut man also in einer solchen Situation?
Richtig, einfach posten.

Also, viel Spaß beim Lesen und beim Auseinandernehmen.

J

 

Hallo Don Jorgo!

Einen etwas verspäteten Glückwunsch zum Geburtstag! :)

Da Du die Geschichte gerade gepostet hast, als ich auf der Suche nach einer Geschichte für eine Geburtstagskritik war, nehme ich gleich diese. ;)

Stilistisch liest sie sich recht gut und großteils ist sie auch spannend. Inhaltlich gefällt sie mir ab da nicht mehr, wo der Protagonist dem Obdachlosen den Elektroschocker an den Hals hält – das finde ich eher unglaubwürdig, paßt meiner Meinung nach nicht zu dem Charakter, den man bis dahin kennengelernt hat. Auch der Selbstmord am Schluß, der ja Folge des Mordes ist, ist mir zu weit hergeholt – oder Du müßtest ihn eben plausibler machen, Haralds Gedanken, die ihn dazu bringen, zeigen, denn so einfach wirft man sein Leben nicht weg, schon gar nicht, wenn man vorher überzeugt war, Gutes zu tun. Aber wie gesagt, bereits, daß er den gleich umbringt wegen der eingeschlagenen Scheibe, obwohl er gar nicht weiß, ob der es überhaupt war, halte ich für übertrieben.

»Zivilcourage« trifft in meinen Augen höchstens auf den ersten Teil zu, also auf das Müllsammeln. Aber der Rest fällt wohl eher unter Selbstjustiz, hm? :shy:

Ein paar Kleinigkeiten noch:

»Die Sonne scheint und obwohl es kalt ist, liegt ein Hauch von Frühling in der Luft.«
»Es ist fast Mittag, die ersten Schulkinder haben Unterrichtsschluss und obwohl schon neuer Abfall auf dem Gehweg landet, verspürt Harald so etwas wie Stolz.«
– die beiden »obwohl« finde ich störend

»Er will aufstehen, doch hat Angst hinzufallen.«
– statt »doch hat« fände ich »hat aber« runder

»Das Rollgitter des Bahnhofs fährt knatternd nach unten, die Haltstelle davor liegen verlassen im Neonlicht.«
– entweder Einzahl: »die Haltestelle davor liegt« oder Mehrzahl: »die Haltestellen davor liegen«

»An einem hat sich der Klebestreifen gelöst.«
– lösen kann sich etwas nur von etwas, nicht »An«

»"Aber das sind doch gar keine Plakate, dass ..."«
– das

»Er hört das Gelächter und seine Hand umkrallt das Messer in seiner Tasche und er hofft,«
– statt dem zweiten »und« würde ich einen Punkt machen
– statt »in seiner Tasche« würde ich »in der Tasche« schreiben, da Du »seine« im nächsten Satz noch einmal wiederholst.

»Das ist das einzige, was zählt.«
– das Einzige

»und die Müllabfuhr nimmt wieder ihre Arbeit auf.«
– ich finde, »nimmt ihre Arbeit wieder auf« würde sich besser lesen

»Überall an den Straßen stehen überquellende Abfalltonnen und Berge von Müllbeutel,«
– Müllbeuteln

»als Harald durch den hohen Neuschnee stampft.«
– ohne m: stapft

»"Wie ist denn das passiert?", fragt Harald.
"Hör bloß auf."
"Was ist denn passiert?", fragt Harald erneut und zeigt auf das Loch.«
– fände es hier passender, wenn er beim zweiten Mal sowas wie z.B. »Komm, sag schon, was passiert ist.« sagen würde.

»Hat leider niemanden seinen Namen auf den Stein geschrieben.«
– ohne -en: niemand

»"Ich lass' mir was einfallen."«
– ohne Apostroph

»Alle paar Minuten hält die Bahn und erbricht Menschenmassen auf andere gleiche Bahnhöfe, um danach mit anderen gleichen Gesichtern gefüllt zu werden.«
– das Erbrechen der Bahn ist meiner Meinung nach schon ziemlich abgegriffen
– Wiederholung »andere/n«

»Aber ich mach' so was nicht."«
– ohne Apostroph

»"Ja, lass den Einkaufswagen ruhig stehen. Den klaut schon keiner."«
– hier ist nicht klar, ob das Harald ruft (er ist ja schon weiter weg), oder ob der Obdachlose mit sich selbst spricht.

»die blutunterlaufenden Augen starr auf die Flasche gerichtet.«
– ohne d: blutunterlaufenen

»Dann geht in die Knie«
– da fehlt ein »er« oder so

»Er ist zu aufgeregt, um Schlafen zu gehen.«
schlafen

»die gute Laune, mit der er aufgewacht ist, verschwindet in Marthas leeren Blick.«
– in Marthas leerem Blick

»Gelegentlich glaubt er, verfolgt zu werden und bleibt stehen.«
– glaubt er, verfolgt zu werden, und

»Meine Füße müssen mich von sich aus hergetragen haben, ein Hund findet schließlich auch immer allein nach Hause, denkt Harald«
– das Gedachte würde ich kursiv schreiben

»Hallo, wie geht's?«
– »gehts« braucht auch kein Apostroph

»Vielleicht hast du recht."«
Recht

»"Tut mir Leid, ok?«
– entweder mit Punkten: »o.k.«, oder (viel schöner) ausgeschrieben: »okay«


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Ahoi Don!

Ha, da haben wir nun aber ein bisschen übertrieben ;)

Ein nette Geschichte, gut geschrieben. Eigentlich unterhaltsam.
Nur muss ich Häferl zustimmen, dass die Mord<->Selbstmord Sache dann doch etwas weit hergeholt ist. Es passt irgendwie nicht zusammen, wie du deinen Prot zuerst darstellst und ihn nachher handeln lässt.

Grüße,
One

 

Hallo ihr beiden!

Ehrlich gesagt habe ich schon befürchtet, dass die Geschichte nicht so ganz schlüssig ist. Trotzdem muss ich immer erst mit der Nase darauf gestoßen werden, um es wirklich einzusehen. Vielleicht ist die Entwicklung in der jetzigen Form auch einfach zu extrem. Aber irgendwie lande ich im Endeffekt immer bei Mord und Totschlag. Ist wohl der Fluch der Genreherkunft.

Häferl schrieb:
»Zivilcourage« trifft in meinen Augen höchstens auf den ersten Teil zu, also auf das Müllsammeln. Aber der Rest fällt wohl eher unter Selbstjustiz, hm?
Ja und Nein. Es ist halt Haralds Interpretation von Zivilcourage. Er sieht die streunenden Katzen genauso wie den Penner als Feinde der Gesellschaft gegen die, seiner Meinung nach, nichts oder zu wenig unternommen wird. Haralds Meinung nach, ist es demnach vollkommen legitim, gegen solche Feinde aktiv zu werden. Ich denke, dass ist wohl einer der entscheidenden Punkte, die ich ausarbeiten muss.

Es freut mich natürlich zu hören, dass euch beiden zumindest der erste Teil der Geschichte gefallen hat. Ich werde die Geschichte in absehbarer Zeit gründlich überarbeiten, auch weil ich selbst noch nicht so ganz mit ihr zufrieden bin.
Die ersten Korrekturen, Häferl, habe ich bereits gestern Nacht übernommen, die stilistischen Anmerkungen schaue ich mir in den nächsten Tagen an (bin momentan ein wenig im Klausurstress). Danke auf jeden Fall für die gründliche Textarbeit. Waren ja doch noch einige Fehler drin, was irgendwie zu dem Gesamtbild passt.

Häferl, One, ich danke euch beiden fürs Lesen und Kritisieren. Die Richtung für die Überarbeitung ist jetzt ziemlich klar vorgegeben.

J

 

Hallo Don Jorgo,

deine Geschichte hat mir gefallen, sie war unterhaltsam und besonders die Dialoge fand ich sehr gelungen.
Wobei die Anderen natürlich recht haben: Der Mord und der anschliessende Selbstmord sind für mich nicht schlüssig. Anfangs hat Harald für mich einfach den Eindruck eines sehr pflichtbewussten Bürgers gemacht, später wirkt er einfach nur noch verrückt und diese Entwicklung war für mich nicht nachvollziehbar.

LG
Bella

 

Moin Bella!

Danke erst einmal fürs Lesen.
Da sich alle Kritiker bislang so einig waren und ich heute etwas Zeit hatte, habe ich mich dran gemacht, die Geschichte zu überarbeiten.
Der Mord ist jetzt etwas entschärft, der Selbstmord findet gar nicht statt. Dafür habe ich ein neues Ende geschrieben, welches Harald noch einmal zu Wort kommen lässt und das Gesamtbild hoffentlich etwas schlüssiger macht.
Mir persönlich gefällt die Geschichte jetzt wesentlich besser, auch wenn das natürlich nicht viel zu sagen hat. Ob das neue Ende schlüssiger oder unschlüssiger ist, ist für mich als Autor immer schwer zu entscheiden, denn die Geschichte, die ich im Kopf habe, muss nicht zwangsläufig auch die Geschichte sein, die ich geschrieben habe.

Vielen Dank auf jeden Fall euch dreien dafür, dass ihr mich so geschlossen auf die Schwachstellen hingewiesen habt.

Bella, es freut mich auch, dass dir die Dialogen gefallen, vor allem da, meiner Meinung nach, der Grad zwischen umgangssprachlich und albern ziemlich schmal ist.

J

 

Hi Don Jorgo,

irgendwie haben wir eine Affinität zu gleichen Titeln ;) Jedenfalls habe ich schon zwei Geschichten diesen Titels hier gepostet, sind aber beide nicht mehr zu lesen, in sofern ist es auch keine Werbung. ;)
Das neue Ende finde ich in der Form überzeugend, so passt es zu deinem Prot. Ich finde auch grundsätzlich die Morde ihm und seinem Denken angemessen. Es ist halt ein verkappter kleiner Nazi, der sich weit davon wähnt, einer zu sein. Und fast ist er einem in dieser hilflosen Haltung mit seinen Schmerzen sympathisch, was ich besonders erschreckend finde.
Die Mordmethode finde ich nicht so passend für ihn, da wäre es für die Geschichte viel passender gewesen, wenn er den Whiskey mit dem Rest des guten Rattengifts versetzt hätte, schon, weil er in dem Opfer ja auch nichts anderes als eine Ratte sieht.
Auch etwas fraglich, warum die Kioskbesitzerin ihn nicht anzeigt, wenn er ihr schon von dem Mord erzählt. Sie dürfte allenfalls etwas ahnen, nicht aber etwas wissen.
Das wäre aber schon alles, was ich an der Geschichte auszusetzen habe.
Bis auf:

die Haltstellen davor liegen verlassen im Neonlicht.
Haltestelle

Den Titel finde ich übrigens passend, denn für Harald ist es genau das, was er sich unter seinem Handeln vorstellt. Dass es Selbstjustiz sein könnte, kommt ihm ja gar nicht in den Sinn.

Lieben Gruß, sim

 

Moin Sim!

Entschuldige, meine Antwort kommt etwas verspätet.

Den Titel finde ich übrigens passend, denn für Harald ist es genau das, was er sich unter seinem Handeln vorstellt. Dass es Selbstjustiz sein könnte, kommt ihm ja gar nicht in den Sinn.
Genau darum geht es.
"Zivilcourage" war auch schon der Arbeitstitel der Geschichte, denn obwohl er ziemlich einfach und trivial ist, beschreibt er doch genau, worum es in der Geschichte geht: um Bürgerrechte und -pflichten und was der Einzelne darunter versteht.

Es freut mich sehr, dass du das neue Ende passender findest.

Und fast ist er einem in dieser hilflosen Haltung mit seinen Schmerzen sympathisch, was ich besonders erschreckend finde.
Das ist ein Punkt, der mir wichtig ist.
Harald ist wirklich der Meinung, mit seinen Taten der Gesellschaft einen Dienst zu erweisen. Auch ist er in erster Linie ein einsamer, alter Mann, dessen kleine Welt vor allem von seiner Vorstellung von Recht und Ordnung zusammengehalten wird.

Die Mordmethode finde ich nicht so passend für ihn, da wäre es für die Geschichte viel passender gewesen, wenn er den Whiskey mit dem Rest des guten Rattengifts versetzt hätte, schon, weil er in dem Opfer ja auch nichts anderes als eine Ratte sieht.
Stimmt.
Ich werde noch einmal darüber nachdenken, denn letztendlich hast du Recht, den Obdachlosen zu vergiften, würde besser zu Harald passen.

Die "Haltestellen" sollen eigentlich im Plural stehen, wirkt aber auf ersten Blick wie ein Fehler. Ich gehe in den nächsten Tagen noch einmal über die Geschichte rüber. Mal schauen, was ich noch alles ändere.

Sim, danke fürs Lesen, Gutfinden und für die Anmerkungen.

J

 

Hi Donnie


Ich hoffe du verzeihst, dass es so lange dauerte mit der Kritik.


Krimskrams:

"Eine Sauerei ist das", murmelt Harald und klemmt sich die Tageszeitung unter den Arm.
"Ja, schön ist das nicht mehr", stimmt Martha, die Kioskbesitzerin, ihm zu. "Ich hab sogar schon beim Gesundheitsamt angerufen, ob die nicht was machen können. Wegen der Hygiene und der Ratten und so. Keine Chance."
"Eine ganz große Sauerei ist das", sagt Harald wieder, als er das Wechselgeld einsteckt.
Ein knapper Dialog, der wirklich gut funktioniert. So soll das sein!

Die Müllsäcke sind im Zehnerpack preiswerter und beim Copyshop um die Ecke kostet ein DIN-A4 Ausdruck nur fünf Cent.
Diesen Satz find ich einfach cool. Keine Ahnung wieso, aber er liest sich großartig

"Mein Gott, Harald. Was ist denn mit dir passiert? Hast du durchgemacht?"
Hast du die ganze Nacht durchgemacht?
Wär irgendwie informativer. So liest es so lapidar

"Ratten liegen da auch zwischen", sagt Martha, deren Augen noch jünger sind.
Das gefällt mir, meines Erachtens kommt es jedoch viel zu spät im Text. Es gehöre gleich zu Anfang

In dieser Nacht kommt der Bahnhof nicht zur Ruhe. Es ist Donnerstag, das Wochenende nicht mehr weit, die Haltstellen voller junger Leute.
Haltestellen

Die Wechselspannung knistert, die Flasche zerplatzt auf den Pflastersteinen und es riecht nach verbranntem Fleisch, noch bevor der bewusstlose Körper dumpf aufschlägt.
es riecht nach verbranntem Fleisch und Hochprozentigem. ;)

"Du bist krank ..." Marthas Stimme zittert.
"Was?"
"Ich habe gesehen, wie die Polizei den Mann gefunden hat. Heute Morgen, als ich die Zeitungen reingeholt habe. Erst dachten sie, er sei nur betrunken, aber ..." Martha stockt. "Harald, du brauchst Hilfe."
Wie kommt Martha auf die Idee, dass Harald ihn umgebracht hat? Offensichtlich sind die beiden ja eigentlich Freunde. Ich würde einem Freund/einer Freundin so etwas nicht zutrauen.

Die Geschichte ist jetzt um einiges runder. Es gefällt mir, dass Harald sich letztendlich nicht umbringt, und der Grund dafür, passt wirklich gut zu seinem Charakter.
Auch das Ende gefällt mir, nur solltest du den letzten Satz ein bisschen weniger erklärend gestalten, denn der passt wiederum überhaupt nicht zum Prot. Er ist zu ... geschwollen? ausgedrückt.

Warum?", fragt Harald erstaunt. "Diese Individuen waren schädlich für die Gesellschaft. Sie schadeten dem Allgemeinwohl. Ich denke, dass jeder anständige Bürger die Pflicht hat, gegen solche Individuen vorzugehen. Vor allem, wenn den staatlichen Organen die Hände gebunden sind.
Individuen gehört weg. Und statt staatlichen Organen würde es Staat alleine besser machen.


Ansonsten gut geschrieben, wenn auch irgendwie nicht typisch für dich. Weniger Bilder (vor allem Landschaften und Umgebung beschreibst du ansonsten gerne, hat man das Gefühl), die Atmosphäre baut sich allein durch Handlung und Charaktere auf. Funktioniert aber!


Gefällt mir gut, aber ich hätte sie in Spannung gepostet. Sie könnte da ruhig stehen.

Liebe Grüße und entschuldige die Verspätung!
Tamira

 

Ahoi Don!

Auch von mir, da ich ja die erste Version gelesen habe, ein kurzes Statement:

Wirkt runder, ist runder = gut.

Jetzt ist das Ganze glaubhafter und man kann es leichter nachvollziehen. Deine Sprache an sich hat ja auch so schon gepasst. Nun liest sich die Geschichter sehr nett. Die Überarbeitung hat ihr gut getan.

Grüße,
One

 

Moin Tam!

Freut mich sehr, dass dir die Geschichte gefallen hat.

Ansonsten gut geschrieben, wenn auch irgendwie nicht typisch für dich. Weniger Bilder (vor allem Landschaften und Umgebung beschreibst du ansonsten gerne, hat man das Gefühl), die Atmosphäre baut sich allein durch Handlung und Charaktere auf. Funktioniert aber!
Stimmt, teilweise war es wirklich ungewohnt "so" zu schreiben. Eigentlich sind die Unterschiede nicht sonderlich groß, aber die Bilder haben mir beispielsweise gefehlt. Die Beschreibung des Müllberges am Anfang war ein Versuch, das zu kompensieren. Aber irgendwie ist das nicht dasselbe.
Vielleicht liegt es auch an diesem etwas "untypischen" Stil, dass ich so lange gebraucht habe, um mit der Geschichte warm zu werden.
Wie kommt Martha auf die Idee, dass Harald ihn umgebracht hat?
Ich denke, da kommen mehrere Faktoren zusammen. Zum einen ist Harald ein sehr konsequenter Mensch, wie man bereits bei der Rattengiftaktion beobachten kann, und Martha kennt ihn schon länger. Zum anderen hat Harald ja gerade am Vortag angekündigt, dass er sich "um dieses Gesocks kümmern" würde. Der entscheidende Grund aber ist wahrscheinlich, dass Harald zu der Sorte Mensch gehört, bei denen im Nachhinein gerne gesagt wird "man habe es ja immer schon gewusst". Bei denen so viele Anzeichen beobachtbar sind, das es schwer fällt, die Augen vor dem grausamen Gesamtbild zu verschließen.

Danke auch für die Textanmerkungen. Den "Haltstellen"-Fehler hatte Sim schon angemerkt. Ich habe ihn trotzdem einfach überlesen, sorry. Nun sind auf jeden Fall beide Stellen ausgebessert.
Auch den letzten Absatz habe ich verändert. Du hast recht, das las sich ein bisschen zu juristisch für Harald.

Vielen Dank natürlich auch für das Lob. Gerade aufgrund dieses "ungewohnten" Stils freue ich mich besonders darüber. Und es macht natürlich überhaupt nichts, dass die Kritik "erst jetzt" kommt.

In Spannung möchte ich die Geschichte eigentlich nicht verschieben, denn obwohl es mich natürlich freut, dass sie spannend ist, so würde die neue Rubrik unter Umständen das Augenmerk des Lesers zu stark von dem eigentlichen Inhalt wegführen. Ich liebäugle ja immer noch mit Gesellschaft ...

Moin One!

Danke für die Rückmeldung. Ja, die erste Version war ziemlich unrund.
Es freut mich wirklich, dass dir die Geschichte jetzt besser gefällt, vor allem da du ja den direkten Vergleich ziehen kannst.
So bringt das Überarbeiten richtig Spaß: Wenn man selber das Gefühl hat, die Geschichte hat dazu gewonnen und auch der Leser diese Meinung teilt.


J

 

Hi Don,

mich hat deine Geschichte gefesselt.

Du erzählst von einem einsamen alten Mann, der nach dem Tod seiner Frau, keinen Halt mehr hat. Freunde scheint es auch nicht zu geben.
Sein Rechtsempfinden, hat sich irgendwann nicht weiter entwickelt.
Recht ist das, was er denkt. In diesem Sinne, ist er bereit seine Umwelt zu "retten", vor dem "Unrat" dieser Welt.
Er möchte sich kümmern, wichtig sein. Für einen, für ihn, wertvollen Menschen, oder Sache, beseitigt er das "Böse", das dem "Guten" schaden könnte. Das macht ihn stark.(armer Kerl):sad:

Als er die Angst der Kioskfrau bemerkt, wird sein Weltbild erschüttert.
Er ahnt, dass es nicht gut war, was er als gut empfand. Das sein Einsatz (Zivilcourage) nicht geschätzt wird.
Er will sich vor den Zug werfen. Wozu ist er noch Nutze?
Doch dann würden wieder Menschen durch ihn zu Schaden kommen.
Man könnte meinen, er hätte wirklich begriffen.
Doch dann gesteht er seine Morde bei der Polizei. Er versteht nicht, dass sie seine Tat nicht nachvollziehen können.
Ein armer alter Geist, den keiner versteht. Der zu bedauern ist, aber auch eine Gefahr für seine Umwelt ist.

Ich glaube, es gibt viele alte Menschen, die alleine und verbittert in unserer Welt leben, die sie nicht mehr verstehen können.

Das Einzige, was ich auch ändern würde: Lass ihn den Penner vergiften:shy:

Ansonsten:thumbsup:

lieben Gruß, coleratio

 

Moin Coleratio!

Ja, du hast recht (und du natürlich auch, Sim), die Vergiftung des Obdachlosen ist konsequenter. Dadurch fällt auch die "Bahnfahrszene" raus, die eh nicht so wirklich ins Gesamtbild gepasst hat.
Die Beschreibung der Vergiftung an sich und des Wirkstoffs basiert allerdings auf etwas schludrig recherchierten Halbwissen. Wenn also jemand etwas mehr Ahnung von Toxikologie hat - ich habe immer ein offenes Ohr.

Coleratio, es freut mich sehr, dass dir meine Geschichte so gut gefallen hat. Es hat mir auch wirklich Spaß gemacht, deine Interpretation zu lesen, die (wie immer eigentlich) sehr genau ist und sich mit meiner Intention deckt.

Ein armer alter Geist, den keiner versteht. Der zu bedauern ist, aber auch eine Gefahr für seine Umwelt ist.
Danke dafür. Es ist schön zu wissen, dass das, was man durch die Geschichte vermitteln will auch tatsächlich beim Leser ankommt.

J

 

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