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Zu smart
Ich gehe stolz mit der Papiertüte mit meinen Schätzen in der einen Hand, in der anderen den Becher mit Brause zur Ampelkreuzung an der Frankfurter und überquere die Straße. Zuvor habe ich eine Weile vor Mcdoof am Ringcenter gestanden, da die beiden Cheeseburger eine Weile dauerten. Ich hatte keine Lust mich vor das Ringcenter hinzusetzen, da dort ein Betrieb ist wie auf einem Durchgangsbahnhof.
Mir steht eher der Sinn danach, mein Smart-Menü in Ruhe zu verspeisen. Ich weiß auch schon wo. „Vielleicht habe ich ja heute Glück, und sie lassen mich in Ruhe?“, denke ich.
Auf der anderen Seite der Ampelkreuzung befindet sich ein kleiner Park. Dorthin zieht es mich. Leider werden meine Befürchtungen bestätigt. Jedes Mal wenn ich versuchte, mich dort hinzusetzen, kam sofort einer oder mehrere der Männer, deren Wohnzimmer das dort war, an und bequatschte mich und rückte mir auf die Pelle. „Ich riskiere es einfach mal“, denke ich und platze mich auf eine leere Bank. Ich greife hungrig nach der ersten Pommes von meinem Smart-Menü.
Da habe ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Sofort nähern sich zwei der Männer, die sich dort immer aufhalten. Mit ihnen ein struppiger Hund, der sich das Maul leckt. Er hat wohl was gerochen. „Die Pommes gehören mir“, denke ich. Sie gehören wohl zur Berber-Szene. Ich will bloß in Ruhe essen, und mir wird klar, dass das hier einfach nicht geht.
Irgendwie mache ich mir aber auch Vorwürfe, dass es mit meinem sozialen Gewissen nicht zum Besten steht. Ich würde sie am liebsten zum Mond schießen. „Die Leute haben bestimmt auch ihre Probleme. Deswegen können sie mich aber trotzdem in Ruhe essen lassen“, denke ich. Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich nicht so viel Verständnis habe, wie ich gerne haben will. Statt, dass ich tolerant bin, gehen sie mir auf den Nerv.
Der Park wird an der einen Seite von der S-Bahn-Trasse begrenzt. Dort führt eine Metalltreppe hoch, wahrscheinlich zu Wartungszwecken, die mit einer Tür verschlossen ist. Ich beobachte zwei der Männer, die sich immer auf dem Platz aufhalten, dabei, wie sie über die Tür rüberklettern und die Treppen zu den Schienen hochlaufen. „Was sie da oben wohl wollen?“, frage ich mich.
Missmutig stehe ich auf, mitsamt meiner Tüte, aus der es angenehm nach Pommes riecht und meinem Pappbecher. Ich muss im Gehen essen. Bis ich zu Haus bin, ist alles pappig. Also wieder auf die Straße und ab und zu mal abgebissen von den Cheeseburgern. Trinken ist komplizierter. Die Fanta schwappt beim Laufen immer über, aber eiskalte Brause an diesem heißen Tag ist genau das, was ich jetzt brauche.
Unter der S-Bahnunterführung durch und an einer Eckkneipe vorbei. Bloß nicht verschlucken.
Übrigens, dieselbe Eckkneipe in der in der Dreißigern kurz vor der Machtübernahme mal ein Mord passiert ist. Ich weiß jetzt nicht mehr so genau, war das eine Nazikneipe oder im Gegenteil eine von Kommunisten. Ich würd jetzt nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, auf welcher Seite der stand, den es erwischt hat. Jedenfalls wurde dort jemand erstochen.
Noch eine Ampel und dann muss ich nur noch ein gutes Stück die Gürtelstraße hochgehen. Heißhungrig stopfe ich mir Pommes rein, nicht ohne sie in Majo zu tauchen und mich noch ordentlich damit zu beschmieren. „Warum konnten die mich auf meiner Bank nicht in Ruhe essen lassen?“, denke ich und bleibe kurz mal vor einer der hässlichen Werbeflächen stehen, um in Ruhe einen Schluck kalte Fanta zu mir zu nehmen.
Diese Flächen an der Gürtelstraße sind das hässlichste unter der Sonne. Und das Fantasieloseste. Man will mich diesmal unbedingt dazu überreden, einen Flamencoabend in der Philharmonie zu besuchen. „Flamenco ist genial, aber nicht in der Philharmonie“, denke ich. Erstens sauteuer, und dann ist das doch eigentlich so´ne Arme-Leute Musik. In Spanien machen die die Gitanos, wie dort das fahrende Volk bezeichnet wird.
Ein Autor, der in meiner Straße gewohnt hat und darüber ein Buch verfasste, schrieb sinngemäß: „Die neue Bahnhofstraße“ – ist die Verlängerung der Gürtelstraße, auf der ich gerade mitsamt meiner Pommestüte wandle - „ist die hässlichste Straße der ganzen Stadt.“ Das mit der hässlichsten halte ich für übertrieben, aber die schönste ist sie ja nun weiß Gott nicht.
Eigentlich müsste ich ja in den kleinen Fleischer nebenan reingehen. Er ist der Einzige, der sich hier in der Umgebung noch gehalten hat. Aber die Verkäuferin ist mir einfach zu schnippisch. Aber eigentlich müsste ich dem trotzen und den Einzelhandel unterstützen.
Ich weiß auch nicht, woran das liegt, aber Fleischverkäuferinnen mögen mich nicht. Das ging mir schon bei meiner ersten Wohnung in der Käthe-Niederkirchner-Straße so und in allen anderen dieser Läden auch. Dort, in der Käthe, war im selben Haus ein Fleischerladen, wo ich mindestens drei Mal die Woche drin war. Dort mochten mich die Verkäuferinnen schon genauso wenig. Wahrscheinlich wirkte ich nicht wie eine seriöse Hausfrau. Sie, mit dem Instinkt des Berliner Kleinbürgertums, ahnten in mir die Querulantin, obwohl ich eine sehr gute Kundin war. Nach der Wende ging der Laden auch perdu.
Als ich zu Hause ankomme, ist fast alles kalt und die durchgeschüttelte Brause warm. Hunger treibt´s rein.