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Zu viel lesen ist nicht gut....
Ich sitze im Wohnzimmer auf der Couch und lese. Unglaublich eigentlich. Eine Frechheit. Da spielt mein armes, noch nicht mal zweijähriges Kind ganz alleine auf dem Fußboden, und die Rabenmutter liest!
Aber ich kann mich von meiner Lektüre gerade nicht loseisen.
Eine Kurzgeschichte über einen alleinerziehenden Vater, der etwas perplex ist, als ihm innerhalb einer halben Stunde zwei (seine) Welt-bewegende Tatsachen vor den Latz geknallt werden.
Erste wäre, daß seine Tochter heute zum ersten Mal ihre Periode bekommt. Wär nicht so tragisch – überraschend aber nicht tragisch, in Verbindung mit Tatsache Zwei, ihrem Freund der sie statt Väterchen zur Schule bringen soll (mit dem Auto), kommt das dem armen Mann doch ein wenig viel auf einmal vor.
Nachdem ich die Lektüre beendet habe, schweifen meine Gedanken ab.
Ich denke an langhaarige, schwarzgewandete Gestalten, die mich mitternächtens nach Hause brachten. In einem Polizeiwagen.
Ich denke an durchzechte Silvesternächte, deren Folgen mich in monatelange Melancholie-Phasen stürzten.
Ich denke an Sommertage in Freibädern, an denen von der Sonne nichts zu sehen war aber seltsame Schwächeanfälle meine Knie, Gedärme und Hirnwindungen peinigten. Die Schmerzen waren nicht weiter schlimm, was mir nur jetzt Sorgen macht, ist, daß die Medizin mit Vornamen Bernhard hieß.
Langsam hebe ich meinen Blick und sehe meine kleine Tochter Vanja an.
Rote Locken, riesengroße schwarze Augen, süße kleine Stupsnase. Sie sieht aus wie ich in ihrem Alter.
Bin ich eine schlechte Mutter, wenn ich ihr eine Warze an die Nase wünsche? Nicht jetzt, nein, nein.
Dann, wenn der erste Junge sich für sie zu interessieren beginnt.
Meine Gedanken schweifen weiter.
Zu kurzhaarigen, bunt gewandeten Gestalten, die um 9 Uhr Vormittags – unter der Woche – in Stadtparks sitzen und aus unerfindlichen Gründen vor sich hin kichern.
Zu Wortgefechten die mit ‚weil ich das sage!‘ mehr oder weniger beendet werden.
Zu dem Fenster meines ehemaligen Kinderzimmers, das Tag und Nacht offen stand – wir wohnten im Parterre.
Ich begutachte Vanja aufs Neue.
Und mir wird ganz mulmig.
Langsam formulieren sich in meinen Gedanken merkwürdige Fragen und noch merkwürdigere Feststellungen.
...‚Schlimmer geht’s doch gar nicht’...‘Es kann nichts geben, was du nicht schon selbst ausgefressen hättest‘...‚Was kann ihr schon großartig neues einfallen?‘...
Mein Magen wird unrund.
Auf jede These folgen eine Unsumme von Antworten, die ich so bewußt gar nicht wahrnehmen möchte..
Meine Tochter sieht mich mit großen Augen an und meint „Papa, Papa!“ Sie hat wohl auch den Schlüssel in der Tür gehört. Während sie auf kindliche Weise umständlich aufsteht, kreischt sie aufgeregt „Papapapapapapapapapa!“, und saust wie ein kleiner Wirbelwind in den Vorraum.
In meinem Hirn suchen sich gerade irgendwelche Wortfetzen den Weg ans Bewußtsein, sowas wie „jetzt schon... Wirkung auf Männer...“. Ich kann sie erfolgreich abschütteln.
Als mein Mann hereinkommt, sieht er mich an und meint: „Hi, Schatz, du guckst so komisch, ist was nicht in Ordnung?“
Ich küsse ihn zur Begrüßung und antworte:„Nee, nee, alles bestens, ich wollt nur fragen, was du von einem Umzug aufs Land halten würdest?“
„Grundsätzlich schon, weißt du doch. Wieso hast du ein gutes Angebot? Wann wäre das? Und Wohin?“
„Wenn Vanja geschlechtsreif ist. Auf eine abgelegene Alm.“