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Zurück im Zimmer
Zurück im Zimmer. Tisch, Lampe, alter langsamer PC, Stuhl. Lange Zeit hatte er hier verbacht. Mathe, Deutsch, BWL, Latein. Dann kurz raus; Volleyball. Gleich wieder zurück; Mathe, Deutsch BWL, Latein.
Eigentlich wollte er gut sein, dann war es ihm aber doch nicht so wichtig gewesen. Dennoch hatte er immer weitergemacht. Einfach so. Hatte vielleicht die Zeit gefehlt, Wünsche reifen zulassen? Vielleicht war es aber auch Verantwortungsgefühl gewesen. Oder war er einfach zu bequem gewesen, sich selbst zu hinterfragen? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass er weiter gemacht hatte. Immer weiter.
Eigentlich wäre es doch auch ein schönes Gefühl, gut abzuschließen. So hatte er immer gedacht. Diese Täuschung war es, die ihm nun immer bewusster wurde. In kleinen akkurat gedruckten Zeilen war das Ergebnis zementiert worden. Wie ein Denkmal aufgestellt vor aller Augen, konnte er es in der Zeitung lesen. Sachlich wurden alle Fakten präsentiert; seine Ziffer war es, die aus der tabellarischen Reihenfolge hervorstach.
„Eins“, stand hinter dort geschrieben; „Eins Komma Null“. Ein Durchschnitt, wie er den meisten unmöglich schien. Ein Durchschnitt, von dem sie alle nur träumen konnten! Er hatte ihn erreicht, dennoch konnte es ihn nicht erfreuen. Was sagte es schon über ihn aus? Ein Streber, das war er für seine Klassenkammeraden. Selbst die Lehrer, Verwandten und Freunde, die ihm alle gratulierten, bestätigtem ihm dies. Was sei er doch für ein außergewöhnlicher junger Mann und wie stolz wären alle auf ihn. Alle hatten sie es ja schon immer gewusst: er würde etwas Besonderes werden! Besonders, das war er jetzt vielleicht, aber nicht so wie er wollte. Was hatten sie ihm alle gegeben? Respekt, aber nichts mehr! Nun war ein Zitat, eine Anekdote, ein gutes Beispiel sogar. Der Junge, an den die Mütter in der Nachbarschaft dachten, wenn sie ihre Kinder mehr lernen sollten. Das Vorführobjekt, das war er jetzt, doch kein Mensch!
Die Zeitung, er hasste sie. Sie hatte ihn dazu gemacht. Die Fakten, die kannte sie alle. Aber nicht mehr! Wer er wirklich war, konnte sie keinem erzählen. Dies wollte sicher auch keiner wissen. Sein Bild hatte schließlich schon jeder. Leicht reden, dass konnten sie alle. In ihren Zimmern stand ein Flachbild-Fernseher, ein neues Ikea-Sofa, das Dolby Surround System und der Highend PC mit DSL-Anschluss. Er hatte nichts davon gehabt, nicht einmal genügend Platz für sich. Doch hatte er immer den Willen gehabt, den Willen dort raus zu kommen. Nichts von all dem Luxus hatte sein Zimmer belegt. Nichts hatte ihn belegt! Er hatte nur den Tisch, die Lampe, den alten langsamen PC, den Stuhl und sich. Das hatte genügt. Das hatte ihn zu dem gemacht, was er heute war.
Nun folgte die Leere. Das Ziel war erreicht, doch war mit der Aufgabe auch jeglicher Sinn weggefallen. Respekt hatte er erreicht, doch wollte er ihn? Wollte er ihn von den Menschen, die alles hatten und doch nichts waren? Andererseits, konnte er nicht vielleicht auch sein wie sie? Einfach abschalten, Spaß haben, die schöne Zeit genießen. Ernst war er immer gewesen, gelacht hatte er viel zu wenig. Raus gehen und Feiern, das sollte er machen!
Plötzlich klingelte das Telefon. Einer der Klassenkammeraden war am Apparat. Einer, von der er es am wenigsten erwartet hatte. Heute Abend sollte er mitkommen, zum Feiern. Ein gute Gelegenheit, dacht er sich. Abschalten, einfach nur Spaß haben. Beinahe unglaublich, dass sein Bekannter genau in diesem Moment mit dieser Frage kam. Vielleicht waren die anderen ja gar nicht so falsch, wie er gedacht hatte. Kurz überlegte er noch, dann wollte antworten. Er öffnete den Mund, als der Andere etwas einwarf. Was dieser genau sagen wollte, hatte er nicht verstanden, doch war es die Richtung gewesen. Irgendetwas mit Gratulationen, Respekt, Anerkennung und all dem musste er hören. Die Zeitung, sie hatte es allen erzählt. Sie hatte ihn zur Respektsperson gemacht. Eine menschliche Statue, die sich nun jeder in sein Zimmer stellen wollte. Das war er nicht! Er wusste wieder was er wollte!
„Vielleicht ein anderes Mal“, hatte er gesagt. Abgelehnt hatte er, mit diesen banalen Worten, die in ihrer Betonung ein anderes Mal schon jetzt ausschlossen. Überrascht hatte der Andere nicht geklungen. Sicher hatte er so eine Antwort schon erwartet. Der Piepston schallte noch nach, als er den Hörer einige Sekunden an seinem Ohr gepresst ließ. Dann war es wieder still. Zurück im Zimmer!