Zweisamkeit oder Ehefrau?
Eine junggebliebene Frau stieg aus ihrem dunkelblauen VW Golf. Sie hatte vor dem Rezzies geparkt, einer Bar mit einer großzügigen Glasfront. Es war früher Herbst und später Nachmittag. Heute war ihr Treffen mit Harald, der einzige unregelmäßige Termin in ihrem Wochenplan. Sonst gab es da noch die Frauen am Montag, den Elternbeirat jeden zweiten Mittwoch und den Chor am Freitag abend. Harald war ihr bester Freund, schon seit der Jugendzeiten, und sie trafen sich so ungefähr alle drei Wochen.
Die Treffen waren deshalb unregelmäßig, weil Harald oft ins Ausland musste für seine Firma. Dann war er bisweilen ganze zwei Wochen nicht in Frankfurt. Also trafen sie sich manchmal Dienstags, manchmal Donnerstags, aber nie nach einem festen Plan. Deshalb war auch jedes dieser Treffen für sie etwas Besonderes.
Die Bedienung begrüßte sie, als sie die Bar betrat. Sie lief zu dem Tisch am Fenster, wo er schon wartete.
"Hallo Harald."
"Hallo Brigitte. Na, wie geht es dir?"
Die beiden umarmten sich und nahmen Platz.
"Geht. Du warst wieder in Japan, nicht wahr?"
"Ja. Es war wieder genau so, wie letztes Mal, hab ich dir ja schon erzählt. Sind die Kinder gesund?"
"Hm. Ich wünschte ich könnte mich im Moment so sehr für irgend etwas begeistern, wie die Kleine. Weißt du, wenn sie spielt, dieser Spaß, den sie hat. Ich koche, ich hol die Kinder, ich helf ihnen mit den Aufgaben, ich bügle, mach Ordnung und so weiter. Aber in letzter Zeit habe ich einfach das Gefühl es fehlt mir was. Ich habe seit langem wieder etwas gemalt aber, ob du's glaubst oder nicht, nach einer halben Stunde wurde mir langweilig."
Die Bedienung kam an den Tisch un unterbrach das Gespräch für einen Moment. Brigitte bestellte ein Glas Weißwein.
"Brigitte, das klingt nicht gut, das klingt gar nicht nach dir. Meinst du es liegt an eurer Ehe?"
"Ach ich weiß nicht. Wir sind jetzt 21 Jahre verheiratet, dafür ist alles gut. Ich liebe ihn und ich bin mir sicher, dass er es auch tut. Er hat auch keine andere Frau. Er ist eben nur schon müde von der Arbeit, wenn er heim kommt. Wenn wir mehr Zeit miteinander hätten, dann wäre ich vielleicht glücklich."
Der Wein wurde auf den Tisch gestellt.
"Überschätz das mal nicht. Dazu muss ich dir eine Geschichte erzählen. Aber erst wollte ich dir noch sagen, was ich tu, wenn mir alles gleichgültig scheint. Ich schaue dann zum Beispiel einen tragischen Film und ich versuche, den möglichst ernst zu nehmen. Ich versuche mir wirklich vorzustellen, dass ich das erlebe. Oder wenn ich aufwache und ich hatte einen Traum, und Träume sind ja meistens auch viel dramatischer als das Leben, dann versuche ich diesen Traum festzuhalten. Und wenn ich dann morgens den Toast in meinen Kaffee tunke-"
"Du machst das immer noch? Das ist doch eklig, Krümel im Kaffee!"
"Wenn ich dann meinen Kaffee trinke und der Traum ist noch wie ein Nebel in meinem Kopf, dann kommen mir meine realen Aufgaben für den Tag total klein und leicht vor. Ich bin vergnügt und zufrieden, wenn ich ins Auto steige."
Brigitte nickte zustimmend.
"Und was ist mit dem Zusammensein? Die Geschichte?"
"Ach ja. Also. Es geht um einen ehemaligen Kollegen aus der Firma. Der Schneider, der hat im Controlling gearbeitet. Der hatte schon einen guten Job, hat auch gut verdient. Aber dann haben sie ihm gekündigt, wegen Umstrukturierung. Er hat natürlich gutes Entlassungsgeld bekommen, das war jetzt ziemlich genau vor drei Monaten.
Der Schneider ist so Mitte vierzig und der hat 'ne wirklich hübsche, junge Frau. Die ist gut zehn Jahre jünger, als er. Seit der Kündigung ist er arbeitslos, also seitdem die ganze Zeit daheim und seine Frau auch."
"Tschuldige, wenn ich dich unterbreche. Mir ist da gerade so ein Gedanke gekommen. Meinst du, dass es sein kann, dass wir in unserem Alter die meiste Zeit schon nicht mehr unser eigenes Leben leben, sondern nur noch auf die Kinder hoffen? Dass sie es besser machen? Dass sie ihre Jugend genießen? So kommt mir's manchmal vor."
"Das würd ich nicht sagen. Aber ich erzähl mal weiter. Der Schneider sitzt also zuhause bei seiner Frau. Und der liebt seine Frau wirklich, er verehrt die regelrecht. Am Anfang wars wohl schön, dass sie so lange zusammen sein konnten, aber nach einer Weile ging er ihr wohl auf die Nerven. Kannst du dir das vorstellen? Die war dann irgendwann nur noch weg, obwohl sie, als er noch gearbeitet hat, fast immer daheim war. Und der Schneider sitzt in seinem Wohnzimmer und guckt den Hund an. Naja und nach einer Weile hat sie sogar einen anderen Mann kennengelernt, einen jüngeren. Mit dem ist sie dann auf und davon, vier Wochen Urlaub in der Dominikanischen Republik. Das Geld dafür hat sie vorher von dem gemeinsamen Konto abgehoben."
"Der arme Mann."
"Jo. Aber weißt du was er gemacht hat? Er liebt sie ja und es ist ihm ziemlich ernst. Wenn sie irgendwann die Scheidung will, kriegt sie die Hälfte. Die haben eine ganze Menge gespart und das Entlassungsgeld und alles. Eigentlich sollten die davon das Haus abbezahlen, aber das ist dem Schneider jetzt wohl egal. Er geht dreimal am Tag mit dem Hund. Jeden Tag drei Mal.
Und jedesmal kommt er an der Bank vorbei, er geht immer an den Automaten und überweist ihr drei Mal 50 Euro aufs Handy. Die hat so ein Handy mit Karte, das kann man am Bankautomaten aufladen."
"Ja. Und?"
"Naja, das sind 450 Euro am Tag. Sie ist im Urlaub und sieht, dass der Betrag auf ihrem Handy ist. Das ist ja ihr Geld, zumindest zur Hälfte. Und jetzt kriegt sie sogar das ganze Geld, nur kann sie nichts damit machen, als zu telefonieren. Was glaubst du wie die sich ärgert, jeden Tag. Ich meine aus der Dominikanischen Republik nach Deutschland zu telefonieren ist schon teuer, aber so einen Betrag kriegt man ein Leben lang nicht weg. Und wenn sie zuhause anruft, geht er sogar hin. Sie würde ihm am liebsten die Augen auskratzen durchs Telefon, aber der Schneider macht immer weiter. Der Hund muss ja an die Luft."