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Zwergenblut
Als Kufil die lodernde Tür des Kinderzimmers eintrat, erblickte er den Leib seines Sohnes in Flammen. Mehrere Herzschläge lang starrte er auf den Körper, dessen Haut kleine Blasen bildete, aufbrach und sich dann wie trockenes Herbstlaub kräuselte. Keine Schreie, keine Bewegung, kein Leben.
Der Zwerg spürte, wie seine Augen feucht wurden, aber die Hitze trocknete sofort die Tränen. Ein glühender Holzspan streifte seinen Oberarm und riss ihn aus der Lethargie. Es war keine Zeit zu trauern. Wenn er nicht handelte, würde seine Frau auch verbrennen. Er wirbelte herum und rannte in den Flur. Gerade rechtzeitig, bevor ein Teil des Daches herunterbrach und den Weg zum Kinderzimmer verschüttete. Die Treppe, der einzige Ausweg, war von einem Flammenreigen eingeschlossen. Was konnte er tun? Ohne sich vor den wirbelnden Funken zu schützen, eilte er ins Schlafzimmer zurück. Kleine Brandlöcher fraßen sich in seine Haut.
Oglanda war erwacht und stand neben dem Bett, das Fenster in ihrem Rücken. Ihr Gesicht stellte Fragen, für die jetzt keine Zeit war. Sie würde selbst nachsehen wollen, aber das wäre ihr sicherer Tod. Mit einem Gebrüll, das eher seinem Magen als seiner Kehle zu entstammen schien, rannte er auf sie zu, packte sie mit beiden Armen und brach durch das Glas. Während er sich im Sprung drehte, sah er, wie sich das Feuer der Stichflamme gierig nach der frischen Nachtluft reckte.
Er hörte sie schreien, als würde sie damit die Zeit anhalten wollen und tatsächlich schien es Kufil, als würden sie ewig fallen. Dann aber ging ein jäher Schmerz durch seinen Rücken.
Oglanda war auf ihm gelandet und riss sich augenblicklich hoch. Sie rannte zurück auf die Haustür zu, hatte den Leichnam nicht gesehen, war verwirrt, wollte zu ihrem Kind. Vier Nachbarn, die um das brennende Haus herumstanden, eilten dazwischen und rangen sie nieder.
Die Menschen wussten wahrscheinlich nicht, dass Zwergenmütter bei Gefahr Bärenkräfte entwickeln können, sonst hätten sie sich ferngehalten. Dass die vier Oglanda dennoch bändigen konnten, war ein Wunder. Vielleicht spürte sie bereits, dass es zu spät war. Ihre Hiebe, Kratzer und Bisse waren keine ernsthafte Gegenwehr, mehr ein Ausdruck der Verzweiflung.
Kufil wandte seinen Blick ab und sah das brennende Haus. Direkt davor flimmerte eine Silhouette eines Menschen, den er gut kannte. Vor dem Hintergrund der tanzenden Flammen schien der Umriss dem Teufel persönlich zu gehören. „Feromal!“, brüllte Kufil. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.
Kufil stand in der Menge auf dem Marktplatz und wartete. Er wartete auf Gerechtigkeit. Oglanda umklammerte seine Hand und hätte ihm bereits das Blut abgedrückt, wäre er nicht durch die Jahre in der Schmiede gestählt gewesen. Heute war es endlich so weit! Noch wenige Atemzüge, dann der Gildenmeister die Strafe erhalten, die er verdiente. Feromal, der ihm schon seit Jahren jeden erdenklichen Stolperdraht in den Weg gespannt hatte. Feromal, dessen Kunden in Scharen wegliefen, weil nur sein Mundwerk noch ungeschickter war als sein Schmiedehammer. Feromal, der vor einem Mond Kufils Haus angezündet und seinen Sohn verbrannt hatte. Dieser Feromal würde heute zum Tode verurteilt werden. Oder aber er müsste bis an sein Lebensende im Kerker verrotten, was vielleicht noch besser war.
Kufil spießte den Angeklagten mit einem jener Zwergenblicke auf, denen man nachsagte, sie hätten die Höhlen von Marnia einstürzen lassen. Der Gildenmeister stand mit gefesselten Händen auf dem Schafott in der Mitte des Platzes und wirkte in seiner grauen Kluft wie eine Ratte.
Mit einem Mal ging ein Raunen durch die Menge. Zunächst wandten sich einzelne Köpfe nordwärts zur breiten Gasse, dann Zeigefinger und schließlich ganze Körper. Kufil riss seinen Blick von Feromal los und drehte sich ebenfalls um. Von weitem erspähte er den Kopf eines Schimmels. Oben auf dem Ross thronte der Hohepriester, der höchste Richter der Stadt. Das Urteil stand bevor! Voller Anmut trug das Pferd seinen Herrn zur Mitte des Platzes und die Menge teilte sich, ohne dass ein Aufruf notwendig gewesen wäre, als würde ein göttlicher Bote ein Meer aus Menschenleibern teilen.
Oglandas Griff zog sich Fester um die Hand ihres Mannes. In ihren Augen war die Wut einem Anflug von Sorge gewichen. Kufil schaute nervös nach dem Priester und spürte es augenblicklich. Etwas stimmte nicht!
Der geweihte Richter ritt die letzten Schritte bis zum Anklagepodest und hielt sein Pferd davor an. Er reckte sein Kinn Feromal entgegen, der aufrecht zurückblickte. Was passierte hier? Feromal würde bald das Leben oder zumindest die Freiheit verlieren, aber seine Körperhaltung zeigte eine Zuversicht, die nicht dazu passte. Eine innere Stimme schrie in Kufil auf, als gälte es, eine Zwergengarnision vor einem Orküberfall zu warnen.
Der Priester öffnete die Satteltasche, zog eine Schriftrolle heraus und faltete sie auf. Geduldig wartete er, bis das Gemurmel abebbte. „Hiermit verkünde ich das heilige Urteil gegen Feromal den Gildenmeister. Feromal, du bist schuldig, den Brand bei Kufil, dem Schmied gelegt zu haben. Sechs Zeugen haben dich beobachtet, wie du nachts um das Haus herumgeschlichen bist und Fackeln in das obere Stockwerk geworfen hast. Du bist der schändlichen Brandstiftung schuldig.“ Der Priester räusperte sich kurz und warf einen verschlagenen Seitenblick auf Kufil. Sofort schaute er dann wieder auf den Text. „Du kannst von Glück sprechen, dass niemand zu Schaden gekommen ist.“
Wie eine Welle auf offener See glitt ein kurzer Aufschrei durch die Menge, aber der Richter fuhr schnell fort. „In einer göttlichen Eingebung, welche alle drei Schöffen gestern erhalten haben, wurde uns offenbart, dass das Kind Kufils mehrere Glasen bevor es von den Flammen erfasst wurde, an einer Krankheit gestorben war. Es war also zum Zeitpunkt des Feuers schon lange tot.“
Der Zwerg hätte am liebsten aufgeschrieen und den Mann vom Pferd heruntergeprügelt. Der Griff seiner Frau fixierte ihn aber wie in einem Schraubstock und verhinderte, dass er auch nur zuckte. Er erinnerte sich, wie sie dem letzten Streuner, der die göttlichen Eingebungen angezweifelt hatte, die Zunge abgekniffen hatten.
Unbeirrt las der Hohepriester weiter das Urteil vor. „Feromal, du wirst für die Brandstiftung zu einer Kerkerstrafe von vier Wintern verurteilt. Diese Strafe kann unter drei Bedingungen ausgesetzt werden. Erstens: Du musst Kufil das Holz und den Lohn für den Wiederaufbau seiner Schmiede in doppelter Höhe entrichten. Zweitens: Du wirst deine Taten hier vor allen Anwesenden bereuen und dem Bösen abschwören. Drittens: Um deine Reue und deine Treue zur Göttin Ishama zu beweisen, wirst du dem Tempel einen neuen Altar stiften, an dem du um Vergebung beten kannst.“
Kufil hörte nicht mehr zu. In den Ohren dröhnte sein Herzschlag und er kämpfte gegen ein uraltes Verlangen nach Blut und Tod an. Nur mit Mühe konnte er sich beherrschen, anstatt brüllend auf den Priester zuzustürmen und dessen Haupt am Kopfsteinpflaster zu zerschmettern. Seine Lippen bebten und seine Gedanken rasten. Er spürte, wie Oglanda ihn umklammerte und versuchte, ihn mit einer Mauer der Liebe davon abzuhalten, sich selbst umzubringen. Er schloss die Augen und zitterte. Im Geiste sah er wieder die Wiege seines Sohnes in Flammen und den schwarzroten Körper, den er später vorgefunden hatte. Atemzug um Atemzug rang er mit seiner Wut.
Er konnte nicht sagen, wie viel Zeit vergangen war, vielleicht mehrere Glasen, vielleicht ganze Tage. Als er sich von Oglanda löste und sich umsah, war der Marktplatz leer und auf dem gähnenden Podest lagen die durchtrennten Fesseln, die zuvor Feromals Handgelenke gebunden hatten.
Im Gesicht seiner Frau hatten Tränenbäche glänzende Spuren hinterlassen. Kufil starrte sie an. „Ich will Gerechtigkeit.“ Er sprach die Worte bedächtig, als würde er sein Testament formulieren. „Wir müssen zum Angorex. Nur er kann uns noch Gerechtigkeit verschaffen.“
Die Taverne sah aus wie ein zu groß geratener Maulwurfshügel, an dessen Seiten Granitplatten schlampig aneinander gefugt waren. Der Eingang hätte eher zu einer Mine gepasst als zu einem Wirtshaus, aber auf Kufil wirkte der Bau heimischer, als es sein abgebranntes Haus in der Stadtmitte je vermocht hätte. Hier im abgelegenen Stadtviertel Graustein waren fast alle Häuser vom Zwergenvolk gebaut. Man wohnte in Höhlen statt in Zimmern, schlief in Kavernen statt in Räumen und ging durch Tunelle statt durch Flure. Es ging das Gerücht, dass die unterirdischen Gänge in Graustein länger waren als alle Straßen der restlichen Stadt und dass die Zwerge darin mehr Schätze horteten als der Fürst und der Hohepriester zusammen.
Kufil ging in die Taverne hinein. Der Geruch von Schwarzbier vermischte sich mit dem eines kräftigen Eintopfs, der mit Bergkräutern gewürzt war. Obwohl es gerade zu Mittag schlug, waren fast alle Tische bereits von Zwergen besetzt, die ihre roten und schwarzen Bärte tief in die Bierkrüge hängen ließen. Das Rülpsen und Schmatzen der Gäste mischte sich mit einem lauten Schnarchen des Wirtes. Dieser schlief quer über den Tresen und schien sich einen Dreck um die Kundschaft zu kümmern. Wer bediente hier? Konnte sich hier jeder nehmen, was er brauchte? Kufil hatte schon so lange unter Menschen gelebt, dass er sich in seinem Geburtsviertel wie ein Fremder vorkam. An der Theke, in der Nähe des schlafenden Wirtes saß ein Zwerg in einer grünen Kettenrüstung. Er hielt einen angebissenen Hähnchenschlegel direkt vor dem Mund, aber anstatt hinein zu beißen, starrte er Kufil aus aufmerksamen Augen an, wie eine Eule auf Beutefang. Es war, als wäre er bei seinem Eintritt erstarrt. Die große Axt, welche in Griffweite neben ihm lehnte, wies ihn als einen der Wächter dieser Spelunke aus. Kufil war sich sicher, dass er bei einer falschen Bewegung als Filetstück enden könnte. Langsam schritt er auf den Wächter zu, blieb in respektvollen Abstand stehen und beugte seinen Kopf zum Gruß. „Ich suche den Angorex.“
Sein Gegenüber machte keine Anstalten, sich zu bewegen, sondern starrte auf Kufils blankes Kinn. Wie viele Zwerge wunderte er sich wahrscheinlich darüber, dass Kufil nach Menschenart keinen Bart trug. Als nach mehreren Herzschlägen nichts passierte, setzte Kufil nach. „Mir wurde gesagt, ich kann den Angorex hier finden. Er erwartet mich.“
Beim letzten Satz hob der Bärtige eine Augenbraue. Ohne ein Wort sprang er vom Hocker, packte seine Axt und schlurfte hinter die Theke. Dort öffnete er eine Tür und verschwand darin. Bei seiner Bewegung wehte ein Gestank aus Dreck und Schweiß zu Kufil herüber, der ihm fast den Atem raubte. Wahrscheinlich hatte die Haut des Wächters seit Jahren kein Wasser mehr gesehen. Nach einer kurzen Weile öffnete sich die Tür und der Axtträger tauchte aus der Dunkelheit. Mit einem stummen Nicken zeigte er an, dass der Angorex bereit war, seinen Besuch zu empfangen.
Kufil schluckte laut, als hätte er einen Stein verschluckt und schritt in den Gang hinein. Mit einem gewaltigen Krachen schlug die Tür hinter ihm zu und Kufil roch den Gestank des Axtschwingers dicht in seinem Rücken. Ohne jede Lichtquelle konnten seine Zwergenaugen nur einige Schritte weit sehen, aber das reichte aus, um voranzuschreiten. Der Tunnel verlief in mehreren Windungen in die Tiefe und Kufil ahnte, dass er schon längst über die Außenmauern der Taverne hinaus war oder genauer: unter den Mauern hindurch. Sie liefen an verschiedenen verschlossenen Türen vorbei, bis der Grünharnisch ihm mit einem Grunzen beschied, stehen zu bleiben.
Der Schweiß trat Kufil aus allen Poren, aber nicht aufgrund der Hitze hier unten, die war er als Schmied gewohnt. Es war nackte Angst. Er raffte sich zusammen und öffnete die Tür. Die spärliche Beleuchtung im Raum war gegenüber der Finsternis des Tunnels eine Wohltat.
Die Kammer hatte kein Bett, keine Kochnische und war ansonsten auch sehr karg. Einzig ein Schreibtisch aus Eichenholz und mehrere Stühle waren als Möbelstücke im Raum verteilt. An den Wänden hingen Schwerter, Äxte und Kampfhämmer neben Schildern, und Flegeln. Voller Verzierungen und Edelsteine waren sie reiner Wandschmuck, ungeeignet für den Kampf. Kufil ging durch den Kopf, dass man allein für den Gegenwert eines der Schwerter ein Leben lang aussorgen könnte. Würden alle Waffen der Wand zusammen verkauft, könnten mehrere Familien ernährt werden.
„Was willst Du?“ Die Stimme riss Kufils Blick von der Pracht los. Wegen den drapierten Schätzen hatte er den Zwerg hinter dem Schreibtisch übersehen: Den Angorex.
Er sah noch immer so aus, wie Kufil ihn seit Jahren in Erinnerung hatte: Ein Zwerg mit grauen Haaren und unfassbar großen Augen. Nein, es waren nicht nur die Augen. Er trug zwei merkwürdige Eisenringe über der Knollnase, die jeweils ein gewölbtes Glas umfassten. Kufil hatte von diesem Mechanismus gehört, der einem Greis seine Sehkraft wiedergeben konnte – ganz ohne Magie.
Der Angorex starrte ihn ungeduldig an. Er schien auf ein Wort zu warten. Kufil räusperte sich kurz und begann sein Anliegen so vorzutragen, wie er es eingeübt hatte: „Werter Angorex, seit meiner Kindheit träume ich, ein Schmied der Innung zu werden. Die Menschen verstehen diese Kunst kaum und können viel von uns lernen. Ich zog mit meiner Frau zur Stadtmitte und errichtete dort meine Werkstatt.“ Er wölbte die Handflächen nach oben, als würde er dem Angorex eine Miniatur des Hauses vorführen. „Die Menschen haben mich reich gemacht. Ich achte ihre Gesetze und respektiere ihre Lebensweise. Tag und Nacht habe ich geschuftet, um ihnen anständige Werkzeuge zu schaffen. Ich schwitzte am Amboss und keuchte am Blasebalg. Ja, sie haben mich dafür belohnt.“ Kufil wurde bewusst, dass seine Augen glitzern mussten. Er raffte sich zusammen und nahm einen ernsteren Ausdruck an.
„Nur Feromal, dieser Stümper, missgönnte mir den Erfolg. Seine Scheren sind so stumpf wie sein Verstand. Von vier Hufeisen, die er beschlägt, verliert sich immer eines in der ersten Woche. Er versteht nichts vom Atem des Metalls, kennt nicht den Unterschied zwischen dem Schlichten mit und ohne Wasser und er kehlt bei Weißglut anstatt bei Rotglut.“ Für Kufil war dies ein solcher Pfusch, als würde ein Schuster Sohlen aus Brotteig formen. Er unterstrich diese Einschätzung mit einer wegwerfenden Geste.
„Kein Wunder, dass die Kunden ihm den Rücken kehrten und in Scharen zu mir stürmten. Doch obwohl er als Gildenmeister keine Not leiden müsste, fand er sich nicht damit ab.“ Kufil ballte die Fäuste. „Mein Leben lang verhinderte er meine Aufnahme in die Gilde, sprach übel hinter meinem Rücken und schließlich …“ Kufil atmete tief ein. Er hatte sich vorgenommen, seine Anklage hinauszubrüllen, eine Rede voller Mitgefühl zu halten. Beim Gedanken an den Kinderleichnam erfasste ihn eine gewaltige Leere und er konnte die letzten Worte nur noch hauchen: „Schließlich tötete er meinen Sohn.“
Es vergingen mehrere Herzschläge. Da der Angorex nichts erwiderte, setzte Kufil nach: „Ich habe Feromal vor dem Hohen Rat angeklagt, aber er muss bestochen haben. Jetzt läuft er frei herum und prahlt wahrscheinlich vor seinen Freunden, wie er auf mir und meiner Familie herumgetrampelt ist. Das darf nicht sein! Ich will, dass mein Sohn Gerechtigkeit erfährt.“
Der grauhaarige Zwerg hatte die ganze Zeit über ohne eine Regung zugehört und ihn durch das Glas angestarrt. Kufil kam es so vor, als würde er dabei direkt in seine Seele blicken. „Ich verstehe dich. Aber ich fürchte, ich kann nichts mehr für deinen Sohn tun.“
„Aber der Mörder ist ungestraft. Was ist mit dem Gesetz der Väter?“
Mit einem tiefen Seufzer rückte der Angorex das Metallgestell auf seiner Nase zurecht. Die vergrößerten Pupillen wandten sich von Kufil ab. „Vor Jahren hast du dem Volk der Zwerge den Rücken gekehrt, um unter den Menschen zu leben. Du hast dich nicht mehr blicken lassen um auf unseren Festen zu zechen. Wann hast du Goron das letzte Mal geopfert? Dein Bart ist abrasiert und du stinkst nach Badewasser, dass einem übel werden könnte.“ Er wandte sich wieder zu Kufil um und es schien, als würden in den Augen des Alten Funken stoben. „Man könnte meinen, du würdest dich für uns schämen.“
Kufil ballte die Fäuste. „Ich verlange nicht, dass ihr mich wieder aufnehmt. Alles was ich will, ist Gerechtigkeit.“
„Gerechtigkeit?“ Der grauhaarige Zwerg schien über dieses Wort amüsiert zu sein. „Geh zu deinen Menschen und flehe dort um Gerechtigkeit! Sie haben Feromal im gerechten Prozess freigesprochen. Akzeptiere ihre Gesetze und finde dich damit ab!“
Kufil starrte den Boden an, als wäre dort die Antwort auf alle seine Fragen. „Das ist aber nicht meine Gerechtigkeit.“
Der Angorex hob eine Augenbraue. „Und wie sähe diese aus?“
„Feromal soll sterben und dabei soll er so leiden, wie meine Frau und ich in den letzten Wochen gelitten haben. Wie es geschrieben steht: ’Schmerz für Schmerz, Blut für Blut’.“
„Weißt du, was du verlangst? Hier in der Stadt gilt das Recht des Fürsten und der Priester – und des Goldes. Du berufst dich auf ein Gesetz, das Menschen wie du als Verbrechen betrachten.“
„Verhöhne mich nicht! Wenn mich seine Schergen nicht ständig beobachten würden, wäre ich Feromal längst selbst aufgelauert. Aber ich bin Werkzeugschmied, kein Mörder. Ich bin bereit zu zahlen. Ihr könnt alles Gold bekommen, das ich besitze.“
Der Angorex schüttelte den Kopf. Hinter den Gläsern verengten sich die Augen. „Was haben wir dir getan, dass du uns so behandelst?“ Seine Stimme glich einem Erdbeben. „Glaubst du inzwischen selbst daran, dass Zwerge wegen einer Unze gelben Metalls gleich den Verstand verlieren müssen? Seit Jahren hoffe ich, dass du wieder in den Kreis der Sippe zurückkehrst und du beleidigst mich mit einem plumpen Bestechungsversuch.“ Die Worte trafen Kufil wie Axthiebe. „Zwerge helfen Zwergen. Wir beschützen einander, stehen füreinander ein und folgen dem Gesetz der Väter. Aber wir sind keine Auftragsmörder.“
Das Toben des Angorex’ hatte Kufil erbleichen lassen. Die Sätze schmerzten wie Schläge am Pranger. Was war er doch für ein Dummkopf! Wahrscheinlich hatte er zu lange unter Menschen gelebt, Dienste gekauft, Trinkgelder gegeben und Schutzgelder bezahlt. In der Stadtmitte besaß alles einen Preis und obwohl er es besser wissen sollte, war er davon ausgegangen, das Gleiche gälte auch für die Zwerge. Dabei hatte er in seiner Jugend selbst erlebt, wie in den Höhlen den alten Frauen das Wasser getragen wurde, die Alten durchgefüttert und die Jungen gehegt wurden. Hätte er sich auch nur eine Sekunde lang an den Kodex der Zwerge erinnert, hätte ihm klar sein müssen, wie anmaßend seine Forderung klang.
Jetzt war es zu spät. Der Angorex war verstummt und blickte ihn an, als wäre er ein Geschmeiß, das aus seinen Augen verschwinden sollte. Wie ein geschlagener Hund musste er zu Oglanda zurückkehren. Könnte er ihr ins Gesicht sehen? Das alte Leben einfach wieder aufnehmen? In diesem Moment wurde ihm klar, dass er seine Rache selbst vollenden musste. Er ballte seine Fäuste, richtete sich gerade und wandte sich zum Gehen um. Ohne Zweifel war es Selbstmord, dem Gildemeister nachzustellen. Ein kleiner Beweis seiner Zweifel würde der Richterschaft genügen, um ihn für alle Zeiten in den Kerker zu werfen. Aber was blieb ihm noch? Sein Sohn musste gerächt werden. Nichts zählte sonst. Gerade als er den Raum verlassen wollte ergriff der Angorex wieder das Wort.
„Du hast dein Kind sehr geliebt, nicht wahr?“
Kufil nickte stumm, ohne sich umzudrehen. Was sollte diese Frage?
„Das Wunder der Geburt ist uns so selten vergönnt. Ganz anders als bei den Menschen, die immer Dutzende von Kindern werfen, welche dann auf den Straßen verwahrlosen, als wäre nicht genug Liebe für alle vorhanden.“
Was wollte der Alte ihm damit sagen? Kufil wandte sich um und sah den graubärtigen Zwerg mit der Hand am Kinn vor sich hin sinnieren.
„Vielleicht spüren Menschen zu wenig Liebe. Sag mir, ist es wirklich wahr, dass sie nachts um die Häuser ziehen und ihre Frauen alleine lassen? Haben sie keine Achtung vor ihren Weibern?“
Kufil fühlte sich wieder ertappt. Seine Rachepläne waren wie ein Betrug an Oglanda. Sein Leben lang hatte nur sie vermocht, ihn wirklich glücklich zu machen. Alles Gold seiner Schmiede hatte ihm nicht die Freude geben können, die in einer ihrer Umarmungen lag. Wahrhaftig reicher hatte er sich nur einmal gefühlt: bei der Geburt seines Sohnes. So, wie er vor einem Mond auch den ersten wirklichen Verlust gespürt hatte.
Oglanda hatte genauso gelitten. Es war nicht Recht, ihr für eine wahnwitzige Heldentat ein zweites Messer in die Brust zu rammen.
Der Angorex schien Kufil mit seinen gläsernen Augen zu durchbohren. „Du warst lange fort, aber tief in deinem Inneren leben noch immer die alten Werte. Du gehörst mehr zu uns, als du dir selbst eingestehen willst. Gehe zurück zu deiner Frau. Sei ihr ein guter Mann und lasse sie nicht im Stich.“ Es klang wie ein Befehl. Dann wandte er sich zurück zu seinem Schreibtisch.
Ohne aufzublicken, drehte sich Kufil um und schlurfte langsam aus dem Raum.
Nur einen Moment lang ließ sich die Bulldogge ablenken, doch das genügte dem Bären. Wie eine Peitsche schnellte die Pranke vor und schlitzte den Hinterlauf des Hundes auf. Das Tier jaulte qualvoll und versuchte zurückzuhechten, aber sein Bein brach wie ein morscher Zweig. Sofort war der Bär über ihm. Eine Mischung aus Speichel und Blut troff an seinen Lefzen herunter, als sich die Tatze auf den Hundeschädel senkte und ihn zerquetschte. Das Getöse der Menge verkündete den Schluss des Kampfes.
Schon wieder gewonnen! Feromal konnte sein Glück kaum fassen. Er starrte auf den durchweichten Wettschein in seinen Händen. Der Gestank von frischem Hundeblut mischte sich mit dem Schweiß des Mobs. Ungeduldig drängte er sich durch den Pulk zum Zahlmeister vor und hielt ihm grinsend den Zettel entgegen. Der breitschultrige Mann schnaubte etwas, das vermutlich eine Anerkennung sein sollte, nahm Feromal den Schein ab, hielt ihn wie eine Trophäe hoch und verkündete laut den Gewinn. Es bedurfte in der Regel nicht viel, um die Leute dazu zu bewegen, das Gesetz der Priester zu brechen. Die Vorstellung von einem gewaltigen Vermögen konnte aber zusätzlich eine mächtige Motivation werden, um sich nachts in dunkle Spelunken zu wagen und an illegalen Wetten teilzunehmen.
Die Verlierer hatten die Arena bereits verlassen, als der Gildenmeister die Münzen in seinen Beutel stopfte. Er schnürte ihn mehrfach zu und befestigte ihn an seinem Gürtel. Heute war sein Glückstag. Gerne hätte er noch eine weitere Wette platziert, aber für diese Nacht waren die Kämpfe vorbei.
Er trat auf die Straße und wandte sich nach Hause. Was war das für ein Schatten gewesen? Feromal spähte zur Hauswand, in deren Dunkel sich etwas bewegt hatte. Vielleicht ein Tier? Ein Räuber? Hier in der Gegend lebten dubiose Gestalten und er trug genug Zaster mit sich herum, um einer Diebesbande ein Festmahl zu verschaffen. Mit einem Knurren lief er in eine Gasse. Als er sich noch einmal umdrehte, sah er, dass sich der Schatten von der Wand löste und ihm folgte. Im Mondschein zeichneten sich auf dem Kopf der Gestalt Hörner ab, wie bei einem kleinen, dicken Teufel. Feromal beschleunigte seinen Gang. Am Klang der Schritte erkannte er, dass der Gehörnte ihm nachstellte.
Nach einigen Herzschlägen wagte er einen weiteren Blick über die Schulter. Nein, kein widernatürliches Wesen, sondern ein Zwerg mit lächerlichen Hörnern auf dem Helm. Nur ein dreckiger Wadenbeißer! Mit seinen kurzen Beinen würde der Kerl sicher nicht allzu lange mit ihm mithalten können. Dieses Pack kroch mittlerweile durch alle Gassen und führte sich auf, als wäre es den richtigen Menschen gleich.
Das Gestampfe in seinem Rücken hatte ein merkwürdiges Echo bekommen. Feromal wandte sich um und der Anblick ließ seinen Herzschlag stocken. Aus dem einen Zwerg waren jetzt zwei geworden, die scheinbar ohne Erschöpfung, im Gleichschritt hinter ihm her liefen. Wo kam der zweite her? Was wollten sie von ihm?
Ein kalter Schauer erfasste Feromal. Mit aufgerissenen Augen beschleunigte er seinen Schritt. Nach mehreren Biegungen spürte er seine Lunge schwerfällig atmen, als wäre sein Brustkorb verschnürt. Die Beine schmerzten und der Schweiß lief über seine Stirn. In der Nähe der Brücke rutschte er auf dem feuchten Pflaster aus und fiel der Länge nach hin.
Sofort waren die beiden bärtigen Wichte herbeigeeilt und umstellten ihn. In ihren Händen hielten sie Äxte, deren Blätter so groß waren, wie Feromals Kopf. Vor diesen Kleinwüchsigen wirkten die Waffen wie die riesigen Beile eines Scharfrichters.
„Was wollt ihr?“ Sie schienen keine Anstalten zu machen, auf ihn zuzugehen. „Schickt euch Kufil?“ Die beiden Zwerge tauschten einen stummen Blick aus.
Das war es! Der dreckige, kleine Schmied hatte ihm diese Meuchler auf den Hals gehetzt. Pech für ihn, dass Feromal diese Bande gut einschätzen konnte. Es sollte kein Problem sein, aus dieser Lage herauszukommen. Er richtete sich auf und lächelte gewinnend. „Ich weiß, was ihr wollt.“ Dabei klopfte er den Dreck von seiner Robe. „Egal was Kufil euch geboten hat, ich gebe euch das Doppelte.“ Er unterstrich die Worte, indem er seinen Beutel knetete, so dass ein sattes Klingeln zu hören war.
Einer der Zwerge streckte den Arm aus und hielt ihm die Axt entgegen „Nimm!“
Voller Unverständnis langte Feromal nach der Waffe. War das ihre Art, einen Handel zu besiegeln?
Sein Gegenüber ließ die Waffe augenblicklich los und eilte mehrere Schritte zurück. Feromal wurde vom Gewicht überrascht und musste mit der zweiten Hand nachfassen. „Was soll das?“
„Schmerz für Schmerz!“ Das kam direkt hinter ihm. Der Gildemeister wirbelte herum und blickte in die rot glühenden Augen des zweiten Zwerges, der sein Beil scheinbar mühelos in einer Hand trug. Langsam holte er zu einem Schlag aus. Feromal hob die ihm fremde Waffe zu einer verzweifelten Parade. Die Wucht des Aufpralls ging ihm durchs Mark und beinahe hätte er die Axt fallen gelassen.
Der Zwerg beschrieb mit seinem Beil einen Bogen und ließ sie erneut auf Feromal niedergehen. Der zweite Schwinger entwaffnete ihn endgültig. „Blut für Blut!“ Der letzte Axthieb spaltete Feromals Schädel.