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Zwetochek
„Verdammt Tyson, bist du wahnsinnig?“
Der Rottweiler legt die schwarze regungslose Katze vor Peters Füße und platziert sich vor seiner Beute. Sein schwarzer Rücken glänzt in der Sonne. Das Maul weit offen, hechelt er nach Luft. Schnappt kurz zu. Die riesige Zunge huscht einmal von rechts nach links. Er hechelt weiter.
„Was hast du gemacht?“ Peter krallt beide Hände in sein dunkles Haar. „Susan, kommst du mal?“ Sie hört nicht. „SUSAN!“, schreit er. Seine Frau erscheint mit einem Rätselheft in der Hand in der Haustür. „Sieh dir an, was dein Hund wieder gemacht hat.“
„Jetzt ist er wieder mein Hund, was?“, antwortet sie, zieht den linken Mundwinkel etwas hoch, schüttelt den Kopf und geht auf Tyson zu. „Zeig doch mal Tyson. Was hast du denn da?“ Sie sieht auf den Boden. Mit halboffenem Mund sucht ihr Blick erst Tysons dunkle Augen, dann Peters. „Ist das-?“ Weiter will sie weder sprechen, noch denken.
„Ja.“
„Bist sicher? Man kann den weißen Fleck gar nicht sehen.“
„Doch, er ist da“, entgegnet Peter. „Weiß und in Form einer Blume. Nur ein bisschen dreckig.“ Das dunkle Fell der Katze ist von der anheftenden Erde ganz matt. „Was hast du mit ihr gemacht?“, fragt Peter und schaut Tyson an, wissend, dass er doch keine Antwort bekommen wird. „Dieser ganze Dreck. Hast du mit ihr im Schlamm gespielt?“
Tyson neigt den Kopf zur Seite und schaut Peter an.
Susan fährt sich mit der rechten Hand durch das Haar - kratzt sich am Hinterkopf. „Was wird bloß Aljona dazu sagen, wenn sie aus dem Urlaub kommt?“
„Sie muss nicht wissen, was mit Zwetochek passiert ist. Wir lassen sie einfach verschwinden.“
„Nein, das kannst du nicht.“
„Wieso nicht? Wir werfen sie einfach in den Müll und das Problem ist erledigt.“
Susan schüttelt den Kopf. „Du weißt genau wie Aljona ist. Sie wird keine Ruhe geben. Sie wird die komplette Nachbarschaft wegen Zwetochek terrorisieren. Sie wird niemals damit aufhören, bis sie den Leichnam ihrer Katze selbst gesehen hat und das weißt du.“
„Was willst du tun?“, fragt Peter, „sie so wie sie ist vor Aljonas Haustür legen? Das ging schon einmal schief.“
„Nein, wir müssen sie vorher sauber machen.“
„Was?“
„Das ist die beste Lösung. Und sieh mal. Tyson hat ihr eigentlich keine äußeren Verletzung zugefügt. Wahrscheinlich hat er ihr das Genick-“
„Ja, guter Hund. Tötet, ohne Spuren zu hinterlassen ... außer dem Dreck da.“ Er blickt zu Susan und sagt: „Aber nein, ohne mich.“ Peter verschränkt die Arme und geht in Richtung Garten. Bleibt stehen. Jetzt mit dem Rücken zu Susan.
„Sie kommt schon morgen zurück. Peter, es ist wirklich besser so. Kannst du dich noch an Igor, ihren Wellensittich, erinnern?“ Er nickt. Seine rechte Hand wandert in seinen Nacken, fährt einmal darüber hinweg wechselt nach vorn, um das Kinn zu stützen. „Dann mach ich's allein“, sagt Susan und wendet sich zum Gehen ab.
„Aber ich fass' dieses Vieh nicht an!“ Susan bleibt stehen, wendet sich zu Peter und nickt. „Du holst Fön und Handschuhe“, befielt Peter, „ich mach das Wasser fertig. Wir treffen uns in der Garage.“
„Hast du noch ein paar saubere Putzlappen?“
„Ja, bring aber noch was von diesem Haarzeugs mit. Die sieht ja aus, wie schon mal begraben.“
„Shampoo, Spülung, Conditioner? Was für Haar-?“, bricht Susan ihre Frage ab. Peter ist bereits um die Ecke und somit außerhalb der Hörweite.
...
Aljona betritt das Grundstück von Susan und Peter. Ihre Schultern hängen herunter, die weite Blässe um ihre leeren Augen ist auf die Zentimeter vor ihren Füßen geheftet.
„Na, wie war's auf der Krim?“ Susan erhält keine Antwort.
Tyson läuft schnell auf Aljona zu und umkreist sie mit wedelndem Schwanz. „Idi sjuda, moj malenkij“, sagt sie leise, kniet sich auf den Boden und umklammert Tysons Hals. Er leckt ihr Ohr. Sie schließt die Augen und beugt ihren Kopf zurück. Jetzt schnellt seine Zunge über ihr ganzes Gesicht. „Nenado, perestan. Mojo lizo uge wsjo mokroje.“ Sie steht auf und streichelt Tyson noch einmal über den Kopf.
Susan und Peter sind ihr entgegen gekommen. „Was ist los? Du siehst ein wenig geknickt aus“, sagt Susan. Sie nimmt Aljona am Arm und beugt den Oberkörper ein wenig, um Aljona in die Augen sehen zu können, die noch auf den neben ihr sitzenden Tyson gerichtet sind.
„Ona legit pered mojej dwerju. Moja lubimaja.“ Aljona sieht auf. „Sie liegt einfach vor mein Chaustür. Meine kleine Liebling.“ Susan zieht sie vorsichtig an sich heran und schließt ihre Arme um Aljona. „Ach, meine kleine Zwetochek“, sagt Aljona mit zerknautschter Stimme.
„Was ist mit ihr?“, fragt Peter. Susan dreht sich vorsichtig mit Aljona im Arm zu ihm und sieht Peter mit weit aufgerissenen Augen an. Er antwortet mit dem Hochziehen seiner Schultern.
„Sie ist dod.“ Eine Träne rinnt Aljona aus dem Auge, läuft ihr über die Nase bis zur Spitze. Die Träne verharrt dort einen Moment und tropft dann auf Susans Schulter.
Ohne den Blickkontakt zu Susan zu verlieren, tritt Peter näher heran. Er legt seine Hand auf Aljonas Schulter. „Tut mir Leid.“
„Ona legit pered mojej dwerju. Moja lubimaja.“
„Das tut mir Leid“, wiederholt Peter.
Susan streicht Aljona mit der Hand über das Haar. „Wie ist das passiert?“
Aljona wischt sich das Auge trocken. „Das Wind chat das Garagentür zugemacht.“ Aljona schluchzt. „Zwetochek chate es niecht gemerkt.“ Die Tränen stürzen aus ihren Augen wie kleine Rinnsale, die sich den Weg bei Tauwetter ins Tal suchen. „Ihr Genick ist kaputt.“
Susan und Peter sehen sich mit weit aufgerissenen Augen an. Susan schlägt sich die Hand auf den halbgeöffneten Mund, lässt die Hand langsam wieder sinken. „Oh, mein Gott. Was für ein furchtbarer Unfall“, sagt sie.
Tyson gräbt sich durch eines von Susans Blumenbeeten. Weder Susan noch Peter hindern ihn in diesem Augenblick daran.
„Wann ist das passiert?“, fragt Peter leise.
„Als ich gefahren bin zu Krim. Ich chate gechofft, das ich im Urlaub ales vergessen kan.“ Mit jedem Schluchzen fährt ein Zucken durch ihren Körper. So, als wenn jeder tiefe nach Luft schnappende Atemzug mit einem heftigen Schlag begleiten werden würde.
Tyson unterbricht das Graben. Sieht auf. Duckt sich in seine eben gebuddelte Grube. Eine schwarz-weiß-braun gefleckte Katze spaziert mit aufgestelltem Schwanz durch das offene Tor. Sie sieht die drei Menschen auf dem Weg stehen und schnellt geduckt in die Blumenbeete. Vorsichtig schleicht sie in Richtung Garage.
Aljona atmet wieder ruhiger. Sie wischt sich das salzige Wasser aus dem Gesicht. „Im Garten, ich chate eine chübsche Grab für meine Zwetochek gemacht. Mit eine Blume.“ Tyson jagt quer durch die Blumenbeete zum Garagentor.
Zwetochek = Blümchen
Idi sjuda, moj malenkij. = Komm her, mein Kleiner.
Nenado, perestan. Mojo lizo uge wsjo mokroje. = Nein, hör auf. Mein Gesicht ist schon ganz nass.
Ona legit pered mojej dwerju. Moja lubimaja. = Sie liegt einfach vor meiner Haustür. Mein kleiner Liebling.