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Zwetschge
Nicht, dass es eine Rolle spielt, aber der Zwetschge ist tot. Das kam so: Gestern saß ich in der Kneipe, wie eigentlich jeden Tag, und natürlich kam dann irgendwann auch der Zwetschge vorbei. Ich musste gar nicht aufsehen, um das Naserümpfen zu erahnen, das da in der Luft lag, lange ist's ja noch nicht her mit den Gerüchten, von wegen, dass da was mit der Kleinen von den Müllers war, dass der Zwetschge sich an ihr vergangen haben soll. Ich hab da nie so wirklich viel drauf gegeben, weil ich ja fand, dass der Zwetschge selbst noch ein halbes Kind war, zuzutrauen wär's ihm aber schon, der Kerl hatte ja 'n Haufen Unsinn im Kopf, wenn der Tag lang war. Ein Mal kam er zum Beispiel hier in die Kneipe, stellte sich, ohne ein Wort zu sagen, mitten auf den Tresen, und pisste los.
Ja, so einer war das, und außerdem war er 'n Zwerg, auch schädelmäßig. Da war nämlich nicht viel los bei dem.
Also, zu viel taugte der nicht. Aber weil seine bucklige Mutter was zu futtern brauchte und der Zwetschge ja dem Alter nach schon erwachsen war, musste er das Geld für die beiden ranschaffen. Die Bucklige jagte ihn morgens aus dem Haus und dann ging er Blumen pflücken, und heimkommen durfte er erst wieder, wenn er die Blumen losgeworden war und stattdessen ein paar Münzen in der Tasche hatte.
Zuerst fanden die Leute das auch noch lustig und steckten ihm gerne mal was zu, aber nach 'ner Weile war's eigentlich nur noch langweilig und nervig. Und als dann auch noch die Gerüchte rumgingen, da nagten der Zwetschge und seine arme Mutter so richtig am Hungertuch.
Gestern hatte der Wirt jedenfalls Namenstag, und natürlich wurde da schon vormittags so heftig gebechert, dass die Ersten bereits unter'm Tisch lagen, als der Zwetschge mit seinen Blumen vorbeikam. Ich war ja kurz davor, ihm den Strauß abzukaufen, das waren nämlich ganz besondere Blumen, sag ich dir, keine Ahnung, wo er die herhatte, knallegelb waren die und so'n bisschen haben die mich an die Trompeten von den Wandermusikanten erinnert, die hier im Sommer immer durch die Stadt ziehen. Aber bevor's so weit kam, standen schon zwei von den Saufbrüdern vor'm Zwetschge und ich konnte noch hören, wie einer von denen den armen Kerl zulallte.
»Hömma, Zwetschge«, hat der gesagt, »wenn'de deine ollen Blumen da wegfutterst, dann kriegste von uns doppelt so viel Knete als wie'de sonst dafür bekommen würdest.«
Man konnte richtig dabei zusehen, wie's zu rattern anfing in dem Zwergenschädel, die Zunge hat er rausgestreckt und sich fast die Finger verrenkt, als er rausfinden wollte, wie viel doppelt so viel eigentlich ist. Irgendso'n Kerl, den ich gar nicht kenn, meinte noch, seinen Senf dazugeben zu müssen, »Lass das mal besser bleiben, Junge« hat der gesagt, aber da war's beim Zwetschge schon wieder vorbei mit Denken, der hatte schon angefangen, den Strauß ratzeputz wegzufuttern.
Das war vielleicht 'n Anblick, wie der die riesigen Blüten auffrisst, kann man sich gar nicht vorstellen, was da in der Kneipe für 'ne Stimmung herrschte! Und irgendwie dachte dann auch keiner mehr an die Sache mit der Kleinen von den Müllers, der Zwetschge wurde an den Tresen gepflanzt und man goss ihm was zum Saufen ein und feierte ihn, als ob in Wahrheit er derjenige wär, der Namenstag hat.
Alles schön und gut bis hier, aber nach 'ner Weile wurde der Zwetschge laut und beschwerte sich über seinen trockenen Mund. Da hat man ihm halt noch mehr zu saufen gegeben, aber der Mund wollte nicht mehr feucht werden, und komisch fand ich ja auch, dass der Zwetschge plötzlich so merkwürdige Augen hatte. Da war gar nix Weißes mehr zu sehen, nur noch schwarz.
Ja, und dann ging's so richtig los, auf einmal stand der Zwetschge wieder auf dem Tresen und zerriss sich das Hemd, »Da bummts, da bummts!« brüllte er, wie am Spieß, und deutete dabei da hin, wo das Herz sitzt. Die ganzen Saufbrüder haben sich gekringelt vor Lachen, aber dem Zwetschge war gar nicht mehr zum Lachen zumute, der kreischte wie ein Wahnsinniger mit seinen Kuhaugen und kratzte sich die Brust blutig, als wollte er sich das Herz rausreißen. Da wurd's mir zu bunt und ich dachte, den muss mal einer an die frische Luft bringen, der hat zu viel gesoffen, der kleine Mann, aber als ich auf ihn zuging, da zerschlug er seinen Bierkrug und starrte mich an, als ob ich ihm ans Leder wollte, und dann, ich stand direkt vor ihm, dann rammte er sich den zackigen Bierkrug in den Hals und das Blut schoss aus ihm raus und dann war's ganz still, als der Zwetschge vom Tresen krachte und tot auf'm Boden lag.
Nee, das war kein schöner Anblick, und noch schlimmer war's, als wir's seiner Mutter verklickerten, dass es den Zwetschge jetzt nicht mehr gibt, da sackte die zahnlose Alte nämlich auf der Türschwelle in sich zusammen und war in ihren Lumpen verschwunden, nur der Buckel ragte noch in die Höhe.
Na ja, aber so ist das Leben, und wirklich gut hat der Zwetschge es ja eh nicht gehabt, hier, bei uns.