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»Die Bürgschaft«
»Und, Gnarf? Wie isset?«
»Astrein! Spitzen Stoff! Klarsoweit?« Gnarf besah sich den Einband genauer, ein Auge schlüpfte aus seiner Höhle, glitt über den Buchrücken. Er runzelte die Stirn. Es war nicht einfach für Kopteraner, eine Stirn in Falten zu legen, welche die Natur in der Entwicklung eigentlich nicht vorgesehen hatte. Die kopteranische Evolution folgte anderen Prämissen. Besaugnäpfte Gliedmaßen und Schleim etwa.
»Ja, die Äschtetik ist bezeichnend. Klarsoweit? Obwohl …« Gnarf warf den Einband in seinen Schlund und wartete die zersetzende Wirkung seines Speichels ab. Der Augapfel flutschte zurück in die Höhle.
»Nun, ich bin gewillt zu behaupten«, fuhr er mit erhobenem Tentakel fort, »dass ich auf Schejggspier kein Stück mehr abgeh’. Klarsoweit?«
»’türlich. Abgehn, voll logisch.«
»Brog ...«
»Gnarf ...«
»Was kostet mich ein Fass von …?« Er warf einen schnellen Blick auf das Prospekt und versuchte die irdische Schrift zu entziffern. Einer beispiellosen Technik folgend, formte eine seiner Zungen die Worte: »Schillah.« Schlabberiger Auswurf besprenkelte den Katalog.
»Fünfhundertfünfundneunzig Hubbarts und achtzig Brongdens«, meinte Brog und präsentierte neun Schneidezähne, die in Verbindung mit diversen Asseln, die aus verwarzten Poren krabbelten, ein Lächeln bildeten.
Auf Kopteran gab es zwei Religionen, die ihre eigenen Währungen besaßen. Im Finanzwesen spielte das jedoch keine Rolle, da beide Valuten gleichberechtigt waren. Obwohl die Brongdens hübschere Münzen prägten.
»Sagen wir, ich gebe dir fünfhundertfünfzig Hubbarts und du legst noch ein paar Blätter drauf von ...«, überlegte Gnarf und wischte die Liste sauber. »Sagen wir Haine und Brächd?«
Brog kratzte sich an einem seiner Kinns.
»Okay, aber nur weil du’s bist.«
»Wunderbar!«
»Wunderbar!« Brog kritzelte etwas in sein elektronisches Notizblock und rotzte Gnarf ins Gesicht. Verträge, Bestellungen oder Lebensversicherungen auf Kopteran wurden nie unterschrieben.
»Und Sie meinen, dass das jemand liest? Das ist doch alles von gestern. Überholt.«
Dr. Rettig erhob sich von seinem Bürostuhl und schlenderte zu einem Aktenschrank, auf dem eine hübsch designte Gießkanne stand. Er nahm die Kanne, ging in die Kochnische und füllte den Behälter mit Wasser. Auf dem Weg zu Karsten, seiner Yuccapalme, hielt er kurz inne.
»Sehen Sie, also, hören Sie …« Er führte die Tülle präzise über Karsten und tränkte ihn.
Klausenacker saß noch immer erwartungsvoll auf dem Stuhl und hielt noch viel erwartungsvoller seine Aktentasche auf dem Schoß. Er kramte in den verstaubten Regalen seiner Erinnerung und da er nichts fand, außer viel geistiger Spinnweben und morschen Stufen, die auf ungenutzte Bewusstseinsebenen führten, kam er zu dem Schluss, noch nie jemanden gesehen zu haben, der eine Yuccapalme, mit einer solch hübschen Kanne goss.
»Herr Klösenhacker …«, fuhr Rettig fort.
»Klausenacker«, intervenierte Klausenacker.
Rettig nickte verständnisvoll. Er stellte die Kanne aufs Fensterbrett … An dieser Stelle sei erwähnt, dass wir uns einige hundert Jahre in einer fiktiven, wenn nicht sogar utopischen Zukunft befinden. Fenster waren schon lange aus der Mode. Der Fenstersims in Rettigs Büro zeugte von alten, sehr, sehr alten Grundmauern und natürlich von vielen Dezennien architektonischem Ungeschicks. Ab dem fünften Jahrhundert des dritten Jahrtausends etwa, erfreuten sich Häuser ausgesprochen innovativer Technik und besaßen oftmals mehr Intelligenz als ihre Bewohner.
Aber Fensterbrett war nun einmal Fensterbrett. Und auf ein solches gehört eben eine Zimmerpflanze. Basta!
»Wie die alle heißen«, fuhr Rettig angewidert fort. »Shakespeare, Lessing, Goethe, Karl Marx. Also bitte … Karl! Hört sich an wie eine neuartige Musikrichtung. Also, ich denke nicht, dass Sie diesen literarischen Müll zu Geld machen können.« Eine kleine elektrische Entladung huschte warnend in Rettigs Gehirn umher und traf das Cashflowzentrum mit empfindlicher Härte. Rettigs Haltung erstarrte und er sah Klausenacker durchdringend an. »Sie wollen doch damit Geld machen, oder?«
Als ob es sein Stichwort gewesen wäre, öffnete Klausenacker die Aktentasche und breitete einige Hochglanzbusinesspläne auf Rettigs Tisch aus. Begriffe wie Konsolidierung, Know-How-Transfer, Prozessoptimierung und Produktpipeline standen in den Startlöchern, um die Luft im Büro zu veredeln.
»Also, mein Plan sieht folgendermaßen aus …«
Der Planet Kopteran befand sich irgendwo zwischen Orionnebel und Beteigeuze. Drei Hauptkontinente, Salzsäuremeere, Stickstoffatmosphäre, einen Mond namens GnyPFrksT und keinen Unterschied zwischen dem Pflanzen- und Tierreich – der Flona.
Gnarf hatte sein Wochenende wieder völlig zugedröhnt an sich vorbeiziehen lassen, wie etwa zwei Drittel der Bevölkerung Kopterans. Die neuartige ›Importkost‹ von der Erde half der vernunftbegabten Spezies der bebeutelten Greifflügler, sich durch osmoseähnliche Stoffwechselprozesse in einen emotionalen Erregungszustand zu versetzen, der durch diese sogenannten Ideale als rein katalytische Funktion, zu mentalen Orgasmen führte. So erklärten es sich jedenfalls die Wissenschaftler Kopterans, die am Import der Ideale mitverdienten. Ein ganzer Planet war sozusagen auf Droge.
Brog hatte inzwischen expandiert und kooperierte nun direkt mit der ›Welt-All Import/Export S.E.‹, die ihren Sitz merkwürdigerweise in Spanien hatte. Er saß direkt an der Quelle. Und es gab ein neues Produkt.
»Läsching.«
»Wow!«
Brog faltete das Prospekt auf dem Tresen aus. In großen Lettern wurden die Werke ›Der Handschuh‹, ›Die Kraniche des Ibykuss‹, ›Die Bürgschaft‹ und ›Ritter Togenburg‹ als Wunderwaffe der multiplen Bewusstseinsorgasmen angepriesen. Auf dem ganzen Plakat wimmelte es von Ausrufezeichen.
»Alter, das ist das Schärfste, was die von der Erde zu bieten haben. Absoluter Spitzenstoff.« Brog ließ wieder einige Schneidezähne aufblitzen.
»In Echt jetzt?«
»Klar, Mann! Ich bürge dafür. Vergiss Goethe. Hau mir ab mit Schiller! Läsching! Ich sag’s dir, DAS ist es.«
»Wie viel kann ich bekommen?«
»Wie viel kannst du berappen?«
»Wunderbar! Wunderbar!« Dr. Rettig rieb sich die Hände. »Und wir können diesen geistigen Dünnpfiff nachdrucken, so oft wir wollen. Diesen äh, Bibliotheken sei Dank!«
»Sag ich ja, die werden uns die Dinger förmlich aus den Händen reißen.« Klausenacker lachte.
»Und Sie sind sich auch ganz sicher, dass das ungefährlich ist, für diese Kopteraner?«
Die plötzliche Ernsthaftigkeit Rettigs formte eine Blase der Stille, die sich wie Sirup im ganzen Büro ausbreitete.
»Klar! Völlig sicher, das Ganze. Machen Sie sich da mal keine Sorgen. Ich bürge dafür.« Klausenacker hüstelte und schob ihm einen Zettel zu, auf dem in krakeliger Schrift ›Gewinnbeteiligung‹ zu lesen war.
»Na dann ist ja alles klar. Ich werde gleich die entsprechenden Formulare ausfüllen und der Bürokratie mal ordentlich in den Arsch treten. Die Ausfuhrgenehmigung haben Sie spätestens morgen in Händen.«
Drei Jahre später ...
... an einem Strand auf einer karibischen Insel, irgendwo in der ... Karibik ...
»Schade eigentlich.«
»Was meinst du?«
»Dass die das nicht ausgehalten haben.«
»Tja, war halt schwere Kost.«
»Ja.« Rettig lachte und rückte sein Cocktailschirmchen zurecht. »Wer hätte gedacht, dass die bei Schillers Balladen aufgehen wie ein Hefekuchen ...«
»... und explodieren.« Klausenacker winkte den Strandboy heran, der ihm ein feuchtes Handtuch reichte.
»Wir haben Glück gehabt, dass die nicht unter interstellarem Artenschutz standen.«
»Ja. Reichst du mir mal bitte Jerry Cotton?«