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Überglücklicher Wahlverlierer
„Das Stimmvolk, Herr Kehr, hat gewählt. Sie und ihre Partei gehören zu den Verlierern.“
„Bevor ich darauf antworte, möchte ich „Verlierer“ kurz definieren.“
„Da gibt’s nichts zu definieren, Herr Kehr. Ihre Partei hat einen Verlust von zwanzig Prozent eingefahren und ist mit neu 0,6 Prozent Wähleranteil noch nicht mal mit einem Bein im Parlament vertreten.“
„Wir haben einen klaren Wählerauftrag und den gilt es ohne Kompromisse umzusetzen.“
„Von wem? Sie reden von den 0,6 Prozent?“
„Richtig.“
„Der Wählerauftrag lautet ja wohl: Weg mit Ihrer Partei, weg mit Ihnen!“
„Auf solch polarisierende Bemerkungen möchte ich nicht eingehen. Wir haben Probleme zu lösen.“
„Was meinen Sie, sind die Gründe für dieses Desaster?“
„Erstmal möchte ich „Desaster“ definieren …“
„… Herr Kehr!“
„Wir danken unseren treuen Wählern für ihre Stimme und versprechen ihnen, alles daran zu setzen, das in uns gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen.“
„Herr Kehr, Sie haben keine Wähler mehr.“
„Wie bitte? 0,6 Prozent! Ist das nichts?“
„Das ist nichts.“
„Ich bin bereit, im Rahmen von parteiinternen Gesprächen, durchaus auch selbstkritisch, unseren diesjährigen Wahlkampf zu analysieren.“
„Wäre es nicht angebracht Ihre Partei aufzulösen?“
„Auflösen? Und was ist mit den Millionen …“
„… Hunderten…“
„…Hunderten von Wählern, die wir enttäuschen würden?“
„Wohl verkraftbar.“
„Ich verwehre mich gegen Ihre Art der Interviewführung.“
„Tut mir leid.“
„Ich sehe durchaus, dass wir leichte Verluste erlitten haben. Das macht mich aber auch glücklich.“
„Soso …“
„Wir haben die einmalige Chance uns neu zu definieren, unsere Kräfte frisch und unverbraucht zu mobilisieren. Welche Partei hat schon 99,4 Prozent Potenzial nach oben?“
„Keine.“
„Sehen sie, da sind wir uns ja wohl einig.“
„Abschliessend, Herr Kehr, noch eine persönliche Frage: Sie werden nun wohl etwas mehr Freizeit haben. Was werden Sie tun?“
„Ich bin überglücklich, mich endlich intensiver um meine Familie kümmern zu können. Ich werde Morgen wieder einmal ausschlafen, ausgiebig das Frühstück mit meinen Liebsten geniessen, die Zeitung lesen und mich im Keller meines Hauses aufhängen.“
„Herzlichen Dank für dieses Gespräch.“