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Überglücklicher Wahlverlierer

Beitritt
09.08.2004
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Überglücklicher Wahlverlierer

„Das Stimmvolk, Herr Kehr, hat gewählt. Sie und ihre Partei gehören zu den Verlierern.“
„Bevor ich darauf antworte, möchte ich „Verlierer“ kurz definieren.“
„Da gibt’s nichts zu definieren, Herr Kehr. Ihre Partei hat einen Verlust von zwanzig Prozent eingefahren und ist mit neu 0,6 Prozent Wähleranteil noch nicht mal mit einem Bein im Parlament vertreten.“
„Wir haben einen klaren Wählerauftrag und den gilt es ohne Kompromisse umzusetzen.“
„Von wem? Sie reden von den 0,6 Prozent?“
„Richtig.“
„Der Wählerauftrag lautet ja wohl: Weg mit Ihrer Partei, weg mit Ihnen!“
„Auf solch polarisierende Bemerkungen möchte ich nicht eingehen. Wir haben Probleme zu lösen.“
„Was meinen Sie, sind die Gründe für dieses Desaster?“
„Erstmal möchte ich „Desaster“ definieren …“
„… Herr Kehr!“
„Wir danken unseren treuen Wählern für ihre Stimme und versprechen ihnen, alles daran zu setzen, das in uns gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen.“
„Herr Kehr, Sie haben keine Wähler mehr.“
„Wie bitte? 0,6 Prozent! Ist das nichts?“
„Das ist nichts.“
„Ich bin bereit, im Rahmen von parteiinternen Gesprächen, durchaus auch selbstkritisch, unseren diesjährigen Wahlkampf zu analysieren.“
„Wäre es nicht angebracht Ihre Partei aufzulösen?“
„Auflösen? Und was ist mit den Millionen …“
„… Hunderten…“
„…Hunderten von Wählern, die wir enttäuschen würden?“
„Wohl verkraftbar.“
„Ich verwehre mich gegen Ihre Art der Interviewführung.“
„Tut mir leid.“
„Ich sehe durchaus, dass wir leichte Verluste erlitten haben. Das macht mich aber auch glücklich.“
„Soso …“
„Wir haben die einmalige Chance uns neu zu definieren, unsere Kräfte frisch und unverbraucht zu mobilisieren. Welche Partei hat schon 99,4 Prozent Potenzial nach oben?“
„Keine.“
„Sehen sie, da sind wir uns ja wohl einig.“
„Abschliessend, Herr Kehr, noch eine persönliche Frage: Sie werden nun wohl etwas mehr Freizeit haben. Was werden Sie tun?“
„Ich bin überglücklich, mich endlich intensiver um meine Familie kümmern zu können. Ich werde Morgen wieder einmal ausschlafen, ausgiebig das Frühstück mit meinen Liebsten geniessen, die Zeitung lesen und mich im Keller meines Hauses aufhängen.“

„Herzlichen Dank für dieses Gespräch.“

 
Zuletzt bearbeitet:

irgendwie ist mir der Herr Kehr unheimlich sympathisch mit seiner optimistischen Art. Am Besten find ich ja

Welche Partei hat schon 99,4 Prozent Potenzial nach oben
:D

Schade, dass er am Ende doch nicht so optimistisch ist, wie er einen zunächst glauben lässt.
Edit: Dass du das nicht falsch verstehst. Es ist gerade der Grund warum sein letzter Satz so komisch ist. Also schon in Ordnung denk ich.

 

Hallo Rolfschoenberger,

die Geschichte ist ziemlich dünn, also das "Schönreden" gibt nicht so viel her, da ist fast jede Zeile schon zu viel über das Thema.
Aber deine Geschichte ist nett geschrieben und hat mich unterhalten, ich würde sie nur vielleicht um vier, fünf Zeilen kürzen oder sie in andere Themen reinschneiden lassen und sie dann aber auch schärfer werden lassen.

Gruß
Quinn

 

Hallo Ralf,

schon die Kürze des Textes hat einer Langeweile von vorne herein keine Chance gegeben. Abgesehen davon fand ich es recht unterhaltsam.

Der Schluss ist m.E. eher mau geraten. Den letzten Satz mit dem Dank und die vier Worte "im Keller meines Hauses" würde ich weglassen, dann wird eine Pointe draus.
Mit einer eleganten Formulierung könnte das Sichaufhängen als klarer Wählerauftrag rüberkommen. Nur so ne Idee.

Grüße nic

 

Salü rolfschoenenberger,

:lol:
wer gestern im TV SF1 'Die Rundschau' gesehen hat, kann heute wirklich herzlich lachen über Deinen Text. Dass Du so viel endloses und qualvolles Geschwafel in dieser Kürze präsentierst, verdient Lob und Anerkennung. (Versuchs doch mal im 'Tagi' in Form eines Leserbriefes.)

Für andere Leser: Dies ist ein Kommentar von einer Schweizerin für einen Schweizer, vier Tage nach einer Wahl ...

Herzlich, Gisanne

 

Hallo!

Flott geschrieben und das Wesentliche schön dargestellt! Mir hats gemundet!

„Da gibt’s nichts zu definieren, Herr Kehr. Ihre Partei hat einen Verlust von zwanzig Prozent eingefahren und ist mit neu 0,6 Prozent Wähleranteil noch nicht mal mit einem Bein im Parlament vertreten.“

Das ist wohl eher ein kleiner Zeh als ein Bein ;-)

Beim Schlusssatz würde ich nur auf das "anschließend" verzichten. Es schwächt den Satz eher ... überflüssiges Füllwort.

LG,
Flic

 

Hallo!

Erstmal vielen Dank für's Lesen und eure Reaktionen!

@little alien

irgendwie ist mir der Herr Kehr unheimlich sympathisch mit seiner optimistischen Art
Ehrlichgesagt nerven mich solche Kehrs mittlerweile. Auch wenn ich ihm dieses Ende natürlich nicht gönne.

@Quinn

die Geschichte ist ziemlich dünn, also das "Schönreden" gibt nicht so viel her, da ist fast jede Zeile schon zu viel über das Thema
Wobei es mir hier fast nur ums Thema "schönreden" ging ... darum so kurz. (Wobei ... ähm ... alle meine Geschichten sind so kurz)
vier, fünf Zeilen kürzen
Dann bliebe gerade noch der Titel ;)

@nicita

schon die Kürze des Textes hat einer Langeweile von vorne herein keine Chance gegeben.
Na ja, etwas zweifelhaftes Kompliment ...

Abgesehen davon fand ich es recht unterhaltsam.
Schon besser! :)

Bei der Pointe war ich mir unschlüssig. In der von dir vorgeschlagenen Art hatte ich es auch im Kopf, aber das Ende war mir dann etwas gar zu zügig. Andrerseits, wenn's nur in der kürzeren Version als Pointe wirkt, überleg ich's mir nochmal.

@Gisanne
Dein Lob freut mich sehr!
Dir als Schweizerin werden "Kehr" (SP) und "0,6 Prozent" (SD) bestimmt etwas mehr sagen. Sollte ich deinem Vorschlag folgen, wirst du mich dank meines fantasievollen, ausserordentlich aussagekräftigen Nicknamens hier auf kg.de bestimmt auch als Lesebriefschreiber wiedererkennen.

@Flic Flac

Flott geschrieben und das Wesentliche schön dargestellt! Mir hats gemundet!
Danke!

Beim Schlusssatz würde ich nur auf das "anschließend" verzichten.
Ist schon weg.


Vielen Dank für eure Mühe!

Gruss Rolf

 
Zuletzt bearbeitet:

Tach rolfschoenenberger!

Ja, einfach nur köstlich! Sehr gelungen. Die Pointe ist auch genial, da hab ich erst drüber weg gelesen, weil das so unerwartet kam, dass ich dachte: Moment mal... :D Also für meine Begriffe zumindest unerwartet, vielleicht war es für andere vorhersehbar aber ich denke beim Lesen nicht großartig von daher ist für mich alles überraschend. ;)

„Bevor ich darauf antworte, möchte ich „Verlierer“ kurz definieren.“
:p
„Erstmal möchte ich „Desaster“ definieren …“
:D
Welche Partei hat schon 99,4 Prozent Potenzial nach oben?
:lol:

Nur hier könntest du mMn verbessern:

mit neu 0,6 Prozent Wähleranteil noch nicht mal mit einem Bein im Parlament vertreten.“
Nach meinem Geschmack könnte das ruhig noch extremer sein, z.B. mit einem Finger im Parlament vertreten oder so.

Aber sonst klasse, mit der richtigen Prise Sarkasmus, gefällt mir!
Liebe Grüße,
apfelstrudel

 

Hallo Rolf,

ich finde die Geschichte durchaus unterhaltsam und das eine oder andere Mal musste ich auch lächeln.

„Wir haben die einmalige Chance uns neu zu definieren, unsere Kräfte frisch und unverbraucht zu mobilisieren. Welche Partei hat schon 99,4 Prozent Potenzial nach oben?“
Den fand ich am besten! :D

Die großen Schenkelklopfer sind nicht drin, aber der Dialog läßt sich schön flüssig lesen und wirkt wie aus einem Guss. Sehr schön. Für meinen Geschmack hat die Geschichte auch die richtige Länge, kurz und knackig halt und viel mehr ließ sich da wohl auch nicht rausholen ohne dass es denn langweilig geworden wäre.
Sehr gerne gelesen, hat mir gut gefallen.

Gruß
Lemmi

 

Guten Morgen!

@apfelstrudel
So eine positive Kritik freut mich ungemein! Vielen Dank!
Prima, dass dich die Pointe überrascht hat, das war schliesslich auch mein Ziel.

Nach meinem Geschmack könnte das ruhig noch extremer sein, z.B. mit einem Finger im Parlament vertreten oder so.
Nachdem Flic Flac das schon angemerkt hat, sehe ich, dass hier ein Missverständnis vorliegt. Mit "keinem Bein" meinte ich eigentlich "keine Sau", resp. "keine einzige Person". Vermutlich ist das eher schweizerisch, oder gar rein familiär, oder vielleicht sagt das auch nur meine Frau :D Jedenfalls scheint es unklar.
Danke nochmals für das tolle Lob!

@Lemmi

aber der Dialog läßt sich schön flüssig lesen und wirkt wie aus einem Guss. Sehr schön.
Dieses Lob hat mich besonders gefreut, zeigt es mir doch, dass meine Dialoge lesbar sind. Das ist mir mindestens so wichtig wie allfällige Schmunzler.

Schenkelklopfer sind nicht so mein Ding, d.h. sie wärens schon, wenn ich's draufhätte. Aber wenn's du gerne gelesen hast, habe ich auf jeden Fall das mir gesetzte Ziel erreicht.

Danke nochmals für eure Mühe!

Gruss Rolf

 

Hallo nochmal,

das war natürlich kein "zweifelhaftes Kompliment", sondern weder noch. Das "unterhaltsam" unterstreiche ich gerne nochmal.

Grüße, nic

 

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