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14. Februar
Mit einem Windstoß und einem Schauer von Regentropfen betrete ich das Restaurant. Mein Blick gleitet hastig über die Tische. Dort vorne, in der dunkelsten Ecke, sitzt mein Vater. Will er sich verstecken? Er ist so in die Speisekarte vertieft, dass er mich noch nicht bemerkt hat.
Ich werfe meinen Mantel über einen Garderobenhaken und bahne mir meinen Weg zwischen den eng beieinander stehenden Tischen hindurch. Ich stoße gegen Stühle, weiche gestikulierenden Händen aus, stolpere schließlich über eine Handtasche.
„Passen Sie auf wo Sie hintreten!“, faucht mich die Besitzerin an.
„Und passen Sie auf wo Sie ihren Beutel hinstellen“ Ich versetze der kunstledernen Handtasche noch einen Tritt. Beinahe spüre ich die feindseligen Blicke, die mich von allen Seiten durchbohren.
Er hat mir sogar Blumen gekauft - einen kleinen Strauß Sonnenblumen. Erst als ich meine Tüten auf den einen Stuhl fallenlasse und mich selbst auf den anderen werfe, sieht er auf.
„Hallo Julia!“, sagt er leise. „Als ich das Gezeter gehört habe, dachte ich mir schon, dass es nur du sein kannst“ Er lächelt mich zaghaft an.
„Hi Papa! Freut mich, dass du mich ausgerechnet an so was erkennst.“ Mit einem gezwungenen Lachen schiebt er mir die Blumen hinüber.
„Danke!“, sage ich - mein Lächeln genauso falsch wie sein Lachen. Ich nehme mir die Karte, überfliege hastig die Getränke und stehe auch schon wieder auf.
„Ich gehe noch mal kurz auf die Toilette. Mal sehen, was ich mit meinen Haaren machen kann. Kannst du mir, wenn der Ober kommt, einen Jasmintee bestellen?“, sage ich. Er nickt abwesend. Ich ergreife meinen Rucksack.
„Was sollst du mir bestellen?“
„Einen Jasmintee“, murmelt er, so vertieft in die Speisekarte wie in eine Vokabelliste.
In der Damentoilette schaue ich meinem Spiegelbild fest in die Augen: „Er braucht dich, du kannst ihn nicht im Stich lassen“, sage ich zu meinem blassen Ebenbild. „Es wird ein netter Abend werden und du wirst keinen Nervenzusammenbruch erleiden, wirst das Restaurant nicht frühzeitig verlassen.“ Meine eigenen grauen Augen, sehen mich anklagend und herausfordernd an.
Auf der Suche nach der Schminke fällt mir mein Mobiltelefon in die Hände. Ich muss es ausschalten, falls Mama anruft. Und wenn Jan anruft und denkt ich hätte es ausgeschaltet, weil ich nicht mit ihm reden will? „Er wird dich nicht anrufen“, mir erwidert mein Spiegelbild mit eine anklagenden Blick.
„Du hast aber lang gebraucht“, bemerkt mein Vater vorwurfsvoll. Während ich einen Schluck Tee trinke, überfliege ich die Speisekarte.
„Habe Sie gewählt?“ Der Ober ist so lautlos hinter mich getreten, dass ich zusammenzucke.
„Ja, ich hätte als Vorspeise gern die T12 und dann die S14.“
„Also einmal die Frühlingsrolle mit den Krabben und einmal die scharfe Hühnchen.“
„Genau.“
Ich beobachte meinen Vater, während er bestellt. Nummern und Namen der Gerichte hat er vergessen. Panisch blätterte er durch die Speisekarte – stößt dabei sein Besteck vom Tisch. Unschlüssig schaut er von der Speisekarte zum Besteck am Boden. Er ist überfordert: er weiß nicht worum er sich zuerst kümmern soll. „Komm jetzt bestell“, ordne ich an und tauche selbst unter den Tisch. „Wir kriegen dann bitte noch ein Besteck“, rufe ich dem Ober nach. „Julia lass. Ich nehme das schon“, murmelt mein Vater beschämt. „Nein, das tust du sicher nicht!“ Ich knalle das Besteck außerhalb von seiner Reichweite auf die weiße Tischdecke.
Wir schweigen. Mein Blick wandert unruhig durch den Raum. An dem Paar am Tisch neben uns bleibt er hängen: Sie aus Rehbraunen Augen aufblickend, er ihre Hand haltend. Um ihren Mund spielt ein zögerliches Lächeln. Ihr erstes Date?
„Wie steht es eigentlich mit dir und Jan?“
„Wie steht es mit dir und Mama?“, gebe ich in einem Anflug von Grausamkeit zurück. Super, genau dieses Thema wollte ich vermeiden! Tränen steigen in seine Augen. Mein Magen krampft sich schmerzhaft zusammen und ich will irgendetwas nach ihm werfen, ihn irgendwie verletzen. Ihn dafür bestrafen, dass er so schwach ist, dass er mich solche Sachen fragt, dass er nicht selbst auf sich aufpasse n kann. Er ist mein Vater, er muss für mich da sein und darf keine eigenen Probleme haben. Die Serviette umklammernd bekämpfe ich die Woge irrationalen Hass. „Es tut mir so leid“, sage ich und versuche meiner Stimme einen mitfühlenden Anstrich zu geben. In diesem Moment verabscheue ich ihn und mich selbst dafür.
„Ich weiß gar nicht, was ich tun soll.“ Er gibt sich gar keine Mühe, die Tränen zurückzuhalten. Sie rinnen, in der schwachen Beleuchtung schimmernd, über sein Gesicht, bis sie in seinem mausgrauen Schnurrbart versickern.
„Wenn ich dir irgendwie helfen soll, musst du es mich nur wissen lassen.“ Kaum habe ich die Worte ausgesprochen, weiß ich, dass ich besser „kann“ statt „soll“ gesagt hätte.
„Julia, du hilfst mir doch schon so. Danke, dass du heute gekommen bist. Heute – dieser Tag bedeutet mir so viel. Genau heute vor dreißig Jahren bin ich das erste Mal mit deiner Mutter ausgegangen.“ – mein Blick gleitet wieder zu dem Tisch nebenan – „Ich hatte ihr rote Rosen mitgebracht.“
„Einmal die Frühlingsrolle mit die Krabben, einmal mit dem Gemüse.“ Noch nie war ich einem Ober so dankbar. „Das sieht ja toll aus“, sage ich mit einem aufmunternden Lächeln in die Richtung von meinem Vater.
Während ich mich über meine Vorspeise her mache, starrt mein Vater unglücklich auf seinen Teller. Ich bin mir sicher, er hat sich in der Nummer geirrt. „Wollen wir tauschen?“, biete ich an.
„Nein, ich hab’s ja bestellt“, erwidert er mit diesem unerträglich falschen Lachen und beginnt zu essen. Mit einer Miene, als wäre es eine Pflicht, vielleicht sogar eine Strafe.
Wir sind gerade mit der Vorspeise fertig, als mein Telefon klingelt. Die Melodie reißt meinen Vater jäh aus seinen Gedanken. Er sieht sich verschreckt um.
„Hi. Hier Julia“, melde ich mich nervös. Vielleicht ist es Jan.
„Hallo, Julie.“ Innerlich zucke ich zusammen. Nur eine Person nennt mich „Julie“ und zwar meine Mutter.
„Oh, du. Kann ich dir irgendwie weiter helfen?“, frage ich unsicher mit einem Blick auf meinen Vater „Du, kann ich dich in einer Minute zurückrufen? Hier ist die Verbindung so schlecht. Ja? Bis gleich.“ Ich lege auf und sehe mich unschlüssig um. „Ich geh kurz telefonieren“, murmele ich in die in die Richtung meines Vaters ohne seinem Blick zu begegnen.
Was soll ich tun? Soll ich meine Mutter ignorieren? Das würde ich bei jedem tun – außer bei Mama. Sicher hat sie ihre Gründe! In Wirklichkeit weiß ich sicher: sie hat keinen wirklichen Grund. Sie braucht keinen Grund, sie hat nie Gründe gebraucht. Sie tut, was sie will. Der andere Mann ist sicher aufregender als mein Vater. Ich stehe jetzt vor dem Restaurant und starre auf die Lichtschleppen, die die vorbeifahrenden Autos im Nebel nach sich ziehen. Sie ist meine Mutter, ihre Affären gehen mich nichts an. Sie ist die einzige die mich versteht – die weiß wie ich mich wegen Jan fühle.
Ich zögere nicht länger, sondern wähle die vertraute Nummer. „Hi Julie“, flötet sie. Im Gegensatz zu mir schaut sie auf ihre Caller-ID.
„Hi Mama. Jetzt bin ich aus dem Restaurant. Was wolltest du vorhin?“
„Ich wollte nur fragen, wie es dir geht. Und ob du Lust hast, mit mir übers Wochenende weg zu fahren.“
„Wohin?“
„Eigentlich wohin du willst. Wir sollten mal wieder was zusammen machen, wir sehen uns ja fast nicht mehr.“ In ihrer Stimme klingt ein deutlicher Vorwurf mit.
„Ja.“
„Wie wär’s mit Barcelona, oder Madrid? Ich meine, Spanien wäre mal wieder nett, oder? Wir könnten natürlich auch…“
Ich beobachte ein Paar, dass durch den Nebel auf mich zukommt. Mein Herz bleibt stehen: Ich erkenne ihn. Jan. Mein erster Impuls ist mich umzudrehen. Weglaufen, verstecken irgendetwas! Aber ich kann mich kaum rühren: Ich beobachte, wie die beiden näher kommen. Alles außer den Beiden scheint zu verschwimmen, in den Hintergrund zutreten. Die Stimme meiner Mutter ist so unwichtig und fern geworden, wie das Rauschen des Verkehrs. Er hat einen Arm um die lachende fremde Frau gelegt. Ich sehe, wie er sich versteift und seine Gesichtszüge sich anspannen - Er hat mich erkannt. Unwillkürlich geht er schneller, die Frau zieht er mit sich. Er weicht meinem Blick aus. „Hey Jan“, höre ich mich selber sagen. Er zuckt zusammen, die Fremde richtet ihre überraschten rehbraunen Augen. Was ich ihm sagen will weiß ich nicht, da ist nichts mehr zu sagen. „Ich wollt dir nur sagen…. Ich wollt nur sagen, dass du deine Sachen aus meiner Wohnung abholen kannst.“ Er nickt wortlos und geht weiter – er flieht. „Wer ist sie?“, höre ich die Stimme der Frau. Ja, wer bin ich? Gute Frage. Die Tochter meines Vaters, soviel ist klar.
Jan wird nicht zurückkommen. Genauso wenig wie meine Mutter. Die Worte sinken schmerzhaft ein.
„Julie? Julie? Julie! Bist du noch da?“ Die Stimme meiner Mutter holt mich zurück in die Wirklichkeit.
„Ja, ich bin noch da“; antworte ich mechanisch.
„Hast du grad mit wem anders geredet?“
„Ja, sorry. Ich bin jetzt wieder voll da.“
„Also soll ich die Flüge buchen?“
Wie fühlt es sich wohl an, wenn man von jemandem verlassen wird, mit dem man mehr als ein halbes Jahr und viele Träume geteilt hat?
„T’schuldigung, Mama. Geht leider nicht. Mir ist grad eingefallen, dass ich schon was vorhab. Wär trotzdem nett, wenn wir mal wieder zusammen Kaffeetrinken würden. Sorry, ich muss jetzt echt Schluss machen. Bis dann.“
„Ciao, Julie. Das mit dem Wochenende ist schade. Schönen Abend.“
Ich lege auf. Ein paar Züge feuchte Luft sauge ich noch ein, bevor ich wieder ins Restaurant gehe. Zurück zu meinem Vater.