2 Glühwürmchen
2 Glühwürmchen
Es war eine warme, dunkle und windstille Nacht im August. Einsam saß das Glühwurm-Mädel auf der Spitze eines Astes, und bemühte sich, recht hell zu leuchten, damit eines der vorbeifliegenden Glühwurm-Männchen auf es aufmerksam werden möge. Fast hatte es schon aufgegeben, da flog mit tatendurstigem Brummen ein kräftiges Glühwurm-Männchen auf sie zu und ließ sich an der Seite des Weibchens nieder. Das helle Leuchten des Weibchens verstärkte sich für einen kurzen Moment und sie richtete ihre großen Facettenaugen erwartungsvoll auf das Männchen. Dieses war wie geblendet von ihrer Schönheit, noch nie hatte er so ein wunderbares Leuchten gesehen, ihre Strahlen durchdrangen seinen Chitinpanzer mühelos und er spürte mit jeder Zelle seines Körpers den Wunsch nach Vereinigung mit ihr. Schüchtern wagte er es, mit einem seiner Fühler das Weibchen zu berühren, und bemerkte glücklich, wie sich das Leuchten des Weibchens bei diesem Kontakt verstärkte. Ihre Fühler begannen sich zärtlich zu betasten, erst langsam und vorsichtig, schließlich intensiver, und auf einmal verflog jede Überlegung und jede Zögerlichkeit, und was folgte war wie ein Rausch, es war, als wären sie nur geboren worden für diesen einen Augenblick.
Als sie erschöpft und eng aneinander geklammert auf ihrem Zweig saßen, sahen sie zwei Menschen unter sich, einen Mann und eine Frau, die verliebt ihre Hände haltend langsam einen Pfad entlang gingen.
„Weißt Du“ sagte das Männchen nachdenklich zum Weibchen „ich glaube, so verschieden sind wir gar nicht, wir und die Menschen“.
„Oh doch“ lachte das Weibchen, „ich glaube schon, obwohl es manches gibt was gleich ist. Aber alles ist relativ, und wir können viel voneinander lernen“.
„Was könnten wir von ihnen lernen, und was können sie von uns lernen?“ fragte das Männchen.
„Sieh“ sagte das Weibchen, „du weißt, unser Leben als Glühwürmchen ist kurz und wir müssen bald Abschied von einander nehmen“,
Das Männchen nickte bedrückt.
„Sei nicht traurig, Du hast mir alles gegeben, was ich im Leben wollte, und ich hoffe auch, Dich glücklich gemacht zu haben.
„Das hast Du“ sagte das Männchen, „ich wünschte nur, wir hätten noch viel mehr Zeit miteinander“.
„Nimm die Menschen, sie haben tausend Mal mehr Zeit als wir, aber oft genug machen sie nichts rechtes aus ihrem Leben, und wenn sie vielleicht irgendwann einmal melancholisch zurückschauen, stellen sie fest, dass die Zeit vergangen ist, so schnell wie der Schlag eines Lides.“
„Du meinst, sie hatten vergessen, was wirklich wesentlich ist?“, fragte das Männchen.
„So ist es“, erwiderte das Weibchen, „das ist, was sie von uns lernen können, wie kostbar die Zeit ist, und worauf es wirklich ankommt. Dass es besser ist, aneinander fest zu halten, und behutsam auf dem aufzubauen, was man hat.“
„Vielleicht sollten die Menschen mal als Glühwürmchen auf die Welt kommen, und wir als Menschen, mit dem Wissen, das wir jetzt haben“ sagte das Männchen grübelnd.
„Ja“ leuchtete das Weibchen, „aber noch leben wir ja, und wir sollten jeden Augenblick davon zusammen genießen, und uns freuen, einander gefunden zu haben“.
Und sie lebten glücklich und treu bis an ihr Lebensende.