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200 Kilometer

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14.12.2004
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200 Kilometer

Wer genau hinsieht, wird auch nichts weiter als diesen leeren Sitz erkennen. Eigentlich ist es ja eine Art Bank. Jedenfalls finden zwei Personen darauf Platz, wenn sich zwei finden sollten.

Ich starre nun schon seit genau 16 Minuten auf diesen Sitz und sehe trotzdem nur den Sitz. Gleich müssten wir wieder anhalten. Ich hab das Zählen aufgegeben, davon wird man ja verrückt. Wer weit weg will, braucht auch nicht zu zählen. Nur manchmal ist es ein wenig zu einsam und ich muss mich irgendwie beschäftigen. Nur auf den Sitz starren macht auch keinen Spaß. Komisches Wort. Sitz.

Zwei Leute steigen ein. Nach meinen 16 Minuten, die ich nun schon unterwegs bin, sind das wohl Nummer 7 und 8, die hier einsteigen. Sie werden auch wieder aussteigen. Dann ist auch der Sitz wieder frei und ich kann ihn weiter anstarren. Aber ich muss mich bis dahin beschäftigen. Ich starre einfach so.

Eine Frau, sagen wir ein Mädchen. Würde sie höchstens 17 schätzen. Neben ihr dieser Kerl. Vielleicht ein bisschen älter. Jetzt fasst er sie an. Nimmt ihre Hand und ihr scheint es zu gefallen. Sie legt ihren Kopf an seine Schulter. Hier ist es ganz schön kalt. Es zieht. Denen ist nicht kalt, die haben ja sich. Ich guck lieber weg, sonst drehen sie sich noch um und fragen, warum ich so gucke.

Mir ist nur was ins Auge gekommen. Durch den Zug hier drinnen. Hier liegt ja auch soviel Müll herum, soviel Staub. Ich reibe die Träne einfach weg. Dreht euch ja nicht um! Wir halten wieder. Insgeheim hab ich doch mitgezählt. Station 26. Wahrscheinlich um die 200 Kilometer. Die blöde Kuh steigt aus, ihr Kerl auch. Endlich!

Endlich kann ich wieder meinen leeren Sitz anstarren. Vielleicht zeigt mir ja jemand, was ich sehen muss, wenn ich genau hinsehe..?

 

So, meine erste Kurzgeschichte hier. Ich hab eigentlich nur etwas herumexperimentiert, weil mich das Thema sehr beschäftigt hat.

Ich hoffe, ihr findet Gefallen daran und gebt mir konstruktive Kritik mit auf meinen weiteren Weg ;).

 

Hallo Blowned,

herzlich Willkommen auf KG.de!

Ich bin mir nicht sicher, ob ich alles richtig verstanden habe.
Zuerst einmal handelt es sich hier wohl um einen einsamen Menschen. Er starrt Sitze an, er zählt die Stationen, es rührt ihn zu Tränen, wenn er ein glückliches Paar sieht etc.

Worauf du aber meiner Meinung nach hinaus willst - es ist oft mehr hinter den Dingen, als wir auf den ersten Blick sehen. Die einen sehen nur einen stinknormalen Sitz und die anderen sehen dahinter eine "Geschichte" - sie fragen sich vielleicht, wer schon alles auf diesem Sitz gesessen hat und welche Gespräche statt gefunden haben. Er sieht sich möglicherweise auch zu zweit auf diesem Sitz, ähnlich diesem Päärchen, dass der Prot. beobachtet hat.

Ich fand die Idee nicht schlecht. Wirklich!
Ich kann jedoch nicht behaupten, dass ich auf so kurze Geschichten stehe. Mir fehlt hier so einiges, während du manches, zum Beispiel "Sitz ist ein komisches Wort", zu viel betonst - was mich gerade stört, weil es eine so kurze Geschichte ist. Allerdings sagt gerade dieser Satz auch einiges über deinen Prot. aus...

LG
Bella

 

Hallo Blowned,

von mir auch ein herzliches Willkommen!

Mir geht es ein bisschen wie Bella: Die Geschichte ist interessant, mir aber auch zu kurz, zu wenig fassbar. Eine echte Kurzgeschichte ist es nicht.

Spielt Symbolik eine Rolle? Der Prot sitzt in einem Zug, der in 16 Minuten an die 200 Kilometer und 25 Stationen fährt ... was eigentlich nicht sein kann. Ist der Schauplatz irreal? Er ist einsam und traurig, das kam auch für mich so rüber, und er will vielleicht vor irgendwas fliehen. Spielen Müll und Staub auf eine miese Vergangenheit an? Und was heißt der Schluss? Dass der Prot die Chancen, die er vielleicht hätte, allein nicht erkennen kann? Oder bin ich total auf dem Holzweg? :confused:
Jedenfalls kriege ich die Puzzleteile nicht zusammen. Etwas mehr Handlung, die die Aussage der Geschichte erhellt, wäre darum vielleicht nicht schlecht.

Sprachlich gefällt mir die Geschichte gut, einfach und schlicht formuliert, die Wiederholungen, die wohl absichtlich drin sind, passen hier. Der Text zieht den Leser schon in seinen Bann.
Also, vielleicht baust du die Geschichte noch ein bisschen aus?

Viele Grüße
Pischa

 

Also, erstmal vielen Dank für eure Beiträge.

Um mal meine Geschichte etwas zu deuten: Der Protagonist flieht wahrscheinlich vor seinem bisherigen (eher alltäglichen, ohne Liebe erfüllten) Leben und sitzt im Zug. Das Zeitproblem, das du siehst, lässt sich erklären: Als die beiden einsteigen, sind 16 Minuten vergangen, doch als sie aussteigen, sind sie weitaus länger schon unterwegs (eben die besagten 26 Stationen). In der Zeit beobachtet der Protagonist das Pärchen.

Im Prinzip geht es um Trauer (aufgrund des Alleinseins) und um Eifersucht. Der Protagonist (offensichtlich männlich) sehnt sich nach einer Partnerin und beneidet das Pärchen um seine Liebe. Müll und Staub sollen nur heißen, dass er seine Umwelt als schmutzig wahrnimmt oder ungerecht.

Das Ende deutet eher auf seine Unbeholfenheit hin: Er ist zur Liebe nicht fähig, oder besser gesagt, er will lieben, weiß aber nicht recht wie. Er braucht Hilfe, vielleicht ein Mädchen, das einfach auf ihn zugeht? Ich denke, wenn man sich die Sache durch den Kopf gehen lässt, kommt man dahinter.

Ich würde deshalb nicht sagen, dass es keine Kurzgeschichte ist. Es wird alles gesagt, was gesagt werden muss, um meiner Intention Ausdruck zu verleihen ;). Und wie ich heraushöre, regte sie euch zum Nachdenken an - und reicht mir ja auch schon.

 

Hallo Blowned,

wie Du mir so ich Dir, wie man so schön sagt: Weil Du meine Geschichte gelesen hast, will ich mich revanchieren.

Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen, ich mag auch solche ultrakurzen Miniaturen gerne. Deine Story ist ein echter Sprengstoff, ich denke, dass der Prot einen Zusammenhang zwischen Liebe und dem Doppelsitz sucht, quasi nicht der doppelte Sessel als Ausdruck sondern als Ursache der Liebe! Solche Verwechslungen von Ursache und Wirkung finde ich grandios.

Sprachlich ist das Ganze auf hohem Niveau, sehr modern und schnörkellos. Einziger Kritikpunkt: Der letzte Satz endet mit eine Ellipse und einem Fragezeichen. Das ist Schülerzeitungs-Stil, außerdem fehlt ein Punkt. Besser eine der folgenden Alternativen:

wenn ich genau hinsehe...
wenn ich genau hinsehe?

 

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