A human being that was given to fly
Er lag da und träumte.
Er träumte er könne fliegen. Hinaus aus dem Sumpf seines Lebens, hinein in die Freiheit.
Die Dächer glitten an ihm vorbei. Weit unter ihm sah er die Menschen.
Anscheinend glücklich. Er allerdings, konnte in ihre Seelen sehen. Die dunklen Schatten die sich über sie gelegt hatten. Tief unter der makellosen, gepflegten Haut verborgen, nur erkennbar an dem fehlenden Glitzern in ihren stumpfen, trüben Augen.
Dieser kleine, aber dennoch entscheidende Makel fiel ihnen untereinander nicht auf, da sie viel zu sehr mit ihren, nach außen hin wohl getarnten, Problemen beschäftigt waren.
So gingen sie nur aneinander vorbei, ohne den anderen wirklich zu bemerken, ihn zu erkennen, sein wirkliches Befinden zu erfassen. Sicher gab es ab und zu ein freundliches Nicken, oder ein Lächeln, jedoch immer unverbindlich. Sie alle hofften, irgendwann einmal, auf den besonderen Menschen zu treffen, der ihren Schmerz verstand, ihnen im besten Fall sogar half ihn gemeinsam zu überwinden. Jedoch vergebens.
Dies alles erspähte er von seiner erhabenen Position, sein Verstand so klar wie die Nacht durch die er schwebte.
Er fühlte mit der Masse unter sich, fühlte sich jedoch nicht mit ihr verbunden, empfand sich nicht als einer von ihnen. Dabei stellte sich ihm die Frage, ob es vielleicht den anderen auch so ginge und ob das der Grund war, weshalb sie nur aneinander vorbeiglitten, ohne jegliche Berührungspunkte?
Waren das unter ihm vielleicht nur Reflexionen seiner selbst, festgehalten unter einer Glasplatte, in einem goldenen Käfig, der ihnen zwar ein gutes Leben ermöglichte, ihnen zwar einen Blick in den Himmel der Möglichkeiten eröffnete, sie jedoch letzten Endes daran hinderte diesen Himmel zu erreichen?
War er die eine Facette seiner Seele, welche es, wie auch immer, geschafft hatte aus diesem Käfig zu entkommen? Würde er jemals wieder hineinkommen? War er überhaupt schon einmal in ihm gewesen?
Dies alles schwirrte in seinem Kopf als er über sie hinwegschwebte, die kalte, frische Luft um sich herum spürte. Die angenehme Einsamkeit verursachte ein Gefühl der Entspannung in ihm, welches ihn die Sorgen der anderen, seine Sorgen, vergessen ließ. Er ließ das Gefühl durch seinen Körper hindurchströmen. Ließ sich durch die Empfindung treiben. Glitt in ihr hinfort. Die Dächer unter ihm wurden immer kleiner, er schwebte immer höher und weiter aus der Stadt hinaus.
Plötzlich sah er ein kleines, schwaches Funkeln, sehr weit von ihm entfernt. Er lenkte sich, seine Gedanken, in die Richtung des Lichts und flog darauf zu .
Es wurde stärker, immer leuchtender, lächelte ihn scheinbar aufreizend an.
Unter ihm waren nun immer weniger Häuser, oder andere erkennbare Merkmale der Zivilisation, sichtbar. Stattdessen bot sich ihm ein Panorama, wie er es noch nicht gesehen hatte. Wälder wechselten sich mit erhabenen Feldern und Wiesen ab, teilten sich hier und da ein Fleckchen Erde, wurden zu einer verschwommenen Einheit der Natürlichkeit. Hier und da erahnte er ein Tier, doch kaum hatte er es erblickt, entschwand es schon wieder in einen der zahlreichen Schatten, welche ihm durch die Nacht, als Versteck vor ungebetenen Gästen, geschenkt wurde. In diesen Schatten kauerten sie und warteten bis er an ihnen vorbei war, nur um dann doch hinter ihm herzuschauen. Diesem kleinen leuchtenden Punkt am Himmel, bis er am Horizont entschwunden war. Sie bewunderten die Anmut dieses Lichtes, welches ihnen auf seltsame Art neue Hoffnung gab. Ihnen erging es genauso wie den Menschen in der Stadt, welche zu ihm aufsahen als er über sie hinweg flog. Kurz blinzelte in ihren ansonst trüben Augen wieder der Glimmer der Hoffnung auf. Die Sehnsucht nach der Ferne, die Sehnsucht nach Verständnis.
Doch kaum war er hinfort, entschwand sie ihnen.
Der kleine leuchtende Punkt war mittlerweile zu einem Wesen mit einer hell strahlenden Aura geworden. Sie blendete ihn, allerdings auf eine nicht störende, ja, auf eine anziehende Art. Seine Gedanken waren nur noch auf diesen ehemals kleinen Punkt fixiert, welcher nach und nach immer mehr Gestalt annahm. Die Landschaft unter sich nahm er schon nicht mehr wahr. Sie glitt, je näher er seinem Ziel kam, immer weiter aus dem Fokus seines Interesses hinaus. Dennoch versuchte sie sich, durch das Annehmen immer atemberaubenderer, immer schönerer Formen und Farben wieder an den, ihrer Meinung nach, angemessenen Platz in seinem Bewusstsein zu drängen. Er jedoch hatte nur noch Augen für die mittlerweile fast klar ersichtliche Gestalt vor ihm. Sie brannte sich in sein Gedächtnis. Die ebenmäßigen Züge eines menschlichen Gesichts. Der sanfte Körper mit seinen formvollendeten, weichen Zügen, Kurven und Konturen. Er war betäubt von der Schönheit die sich ihm darbot. Die sanft ge*schwungenen Augenlieder, die feine, bleiche Nase, der wunderschön geartete Mund mit seinen schmalen, sinnlichen Lippen. In dem blassen Mondlicht wirkte die Gestalt erhaben, geradezu engelsgleich. Sie war jetzt nur noch wenige Meter entfernt. Er war während der letzten Strecke zunehmend langsamer geworden. Der harrsche Luftzug den er durch das schnelle Fliegen gespürt hatte, war nun nur noch ein laues Lüftchen, welches hin und wieder seine Wange streichelte, ab und an sein Haar sanft aus der Stirn strich.
Er wusste nicht, ob er für die letzten Meter Sekunden, Stunden oder Tage gebraucht hatte.
Jegliches Zeitgefühl war durch die detailgetreue Auf*nahme dieses unerhört edlen Geschöpfes aus seinem Sinn verdrängt worden.
Es war nur noch einen Meter von ihm entfernt, dieses Geschöpf. Er lag nun nicht mehr gleitend in der Luft, sondern schwebte Aufrecht heran. Die Aura des Wesens umstrahlte nun sie beide, sie hielt ihn in sich gefangen, schützte ihn, gab ihm Geborgenheit
Jetzt öffnete es seine Augen, welche bisher geschlossen waren. Sah ihm tief in die Seinigen. Er sah in ihnen einen Schmerz, einen schrecklichen, einen, der ihm auf seltsame Art und Weise bekannt vorkam, einen, der sie beide gleichzeitig zeichnete und auszeichnete. Er erlangte Gewißheit, dass dies die unsichtbare Verbindung zwischen ihm und dem Wesen war. Der unsichtbare Schmerz, der ihn hierher geführt hatte. Der Schmerz, welcher einen nicht verschließbaren Riß in die Seele dieses Wesens geschnitten hatte. Ein Schnitt wie der seine. Dennoch hatten die Augen der Figur nicht ihren Glanz der Hoffnung verloren. Lediglich der Glanz des Glücks war aus ihnen gewichen. Er fragte sich ob seine Augen ähnlich gezeichnet waren. Er hatte sie noch nie so genau betrachtet. Aber als er in die Augen dieses vornehm leidenden Wesens blickte fühlte er sich, als würde er in einen Spiegel blicken. Seine Augen mussten also ähnliches zum Ausdruck bringen.
Im Gegensatz zu den Menschen, die er vor einiger Zeit, für ihn beinahe eine Ewigkeit, unter sich gesehen hatte fühlte er sich mit diesem Wesen verbunden, fühlte mit ihm, fühlte sich ihm zugehörig.
Er sah sich mit ihm auf einer Stufe. Durch den Schmerz genauso entmenschlicht. Lediglich die für einen Menschen im Grunde viel zu schöne Hülle tarnte sie beide. Mehr schlecht als recht. Diese Hülle, welche ein viel zu labiler Schutz war, war das einzige, was ihre empfindsamen Geister vor der harten Aussenwelt schützte, dabei jedoch öfter versagte, als dass sie erfolgreich war.
Und dieses Versagen machte aus ihnen das was sie waren. Gezeichnete. Sollte sich jetzt tatsächlich sein Wunsch nach jemandem, der war wie er selbst, erfüllen? Nach der langen Zeit der Einsamkeit über allen anderen Menschen, entrückt aus ihrer Welt, geradezu isoliert. Sollte sein Durst nach Gesellschaft endlich gestillt werden?
Er sah in den Augen seines Gegenübers, dass es das gleiche dachte. Der gleiche verwunderte Ausdruck über das scheinbare Glück. Jetzt bewegte es seine Hand auf ihn zu. Er tat es ebenso. Zielte auf die Wange. War nur noch ein winziges Stück von der ersten Berührung entfernt. Fühlte schon die abgestrahlte Wärme an seiner Hand. Spürte auch die Wärme der filigranen Hand des Wesens nahe seiner Wange. Sie verweilten so einen Augenblick, ohne wirklichen Kontakt, nur in Vorahnung von ebensolchem.
Sein Atem kondensierte in der kalten Luft um ihn herum, nahm phantastische Formen an.
Die Welt begann sich langsam zu drehen und wurde unter ihnen immmer kleiner. Sie stiegen in ebenmäßigen Bewegungen auf, immer weiter hinfort vom Diesseits, hinauf in ihren eigenen Kosmos, um sie herum die nun doppelt so starke Aura des Lichtes, welche Sie vor der Dunkelheit der Welt unter ihnen schützte. Noch immer waren sie still und starr, die Hand nah an der Wange des jeweils anderen. Jetzt wollte er die Wange berühren. Seine Finger glitten forwärts durch das Licht. Er spürte schon die feinen, weichen Härrchen an seinen Fingerkuppen.
Plötzlich jedoch brach alles auseinander. Das Wesen entschwand, mit ihm das Licht. Alle Schönheit der Welt um ihn herum brach entzwei, spuckte das hässliche, ihm ekelhaft vertraute Gesicht der Wirklichkeit hervor. Er stürzte hinab. Nirgends ein Zeichen des Geschöpfes, nach dem er sich so sehnte. Er versuchte sich gegen den fesselnden Griff der Gravitation zu wehren, welche ihn nun hart und ohne Wiederworte zu dulden, zurück in die Wirklich*keit zog. Die Glasscheibe, welche auf der Welt unter ihm lag und vorher undurchdringbar schien, entpuppte sich als semi-pemeabel und ließ ihn durch sich hindurch.
Er versuchte noch einmal ein Zeichen des anderen Geschöpfes zu erhaschen, versuchte noch einmal gegen die Kraft, die ihn unbarmherzig nach unten zog anzukämpfen. Hinten am Horizont glaubte er ein versiegendes Glimmen, ein Lebenszeichen des Wesens zu erhaschen. Dann prallte er unsanft auf den kalten, feuchten Boden und wachte aus seinem Traum auf.