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Abergläubischer Geizkragen
Abergläubischer Geizkragen
»Puh, sind die aber verliebt!«, sage ich zu Lisa.
Wir liegen beide im Gras, unter einen Busch versteckt und sehen einem küssenden Paar zu.
»Der klaut ihr das Kaugummi«, sagt meine Schwester.
»Nee, die knutschen.«
»Igitt.«
»Nix igitt. Du verstehst das nur noch nicht.«
»Was soll ich da nicht verstehen. Der steckt ihr seine Zunge in den Mund. Das ist doch eklig.« Lisa schüttelt angewidert den Kopf. »Das werd' ich nie machen.«
»Wirst du«, sage ich und komme mir unheimlich erwachsen vor.
»Nee, werd' ich nicht...«
»Schhhhht«, zische ich, »die stehen auf.«
Der Junge streckt dem Mädchen seine Hand entgegen. Sie schaut geniert zur Seite, ergreift seine Hand, lässt sich hochziehen, er legt seinen Arm um ihre Schulter. Gemeinsam gehen sie den Park hinunter. Es ist Frühling.
»Los! Hinterher!«
Auch ich nehme die Hand meiner Schwester und ziehe sie – nicht ganz so zart – zu mir hoch.
»Hör auf so zu ziehen«, beschwert sie sich, »so verliebt wie die sind, hauen die uns schon nicht ab.«
»Doch. Los. Beeil dich. Die gehen bestimmt zum Wunschbrunnen. Da gehen alle verliebten Paare hin. Und wenn wir sie noch weiter beobachten wollen, müssen wir sie Überholen und uns ein sicheres Versteck suchen. Also mach schon.«
»Das ist doch blöd. Ich will nach Hause.«
»Das ist überhaupt nicht blöd. Was meinst du, wo ich neulich den Euro her hatte!«
»Hä?«
»Klar. Die Leute sind doch so abergläubisch. Die werfen Geld in den Brunnen und wünschen sich was. Und je mehr es ihnen Wert ist, umso mehr Geld werfen sie rein. Und ich bin nicht der einzige, der den Geheimgang in den Brunnen kennt.«
Ich zwinkere meiner Schwester zu, und auf einmal kann sie ein wenig schneller rennen.
»Siehst du, ich hab' recht gehabt. Wir haben gar nicht so rennen brauchen.«
»Schon gut. Woher soll ich ahnen, dass die so trödeln.«
Wieder liegen wir im Gras unter einem Busch versteckt. Das Paar nähert sich nur langsam.
»Was ist 'n abergäubisch?«, fragt Lisa.
»Aber ... was?«, frage ich.
»Du hast vorhin irgendwas gesagt, warum die Leute Geld in den Brunnen werfen.«
»Ach so, abergläubisch.«
»Meinetwegen. Was ist 'n das?«
»Puh, wie soll ich dir das erklären? ... na, die glauben was, was nicht ist.«
»Wie meinst 'n das?«
»Leute glauben zu Beispiel, dass Sterne ihr Leben bestimmen. Die nennen das Horoskop.«
»Geht das?«
» 'türlich nicht. Die Sterne sind viel zu weit weg.«
»Wie weit denn?«
»Weit!«
»Weiter als nach Amerika?«
»Viel weiter.«
»Weiter als der Mond?«
»Noch viel, viel weiter.«
» ... die sind aber dumm.«
»Klar.«
»Warum sagt 's ihnen denn keiner.«
»Ganz einfach: weil die, die die Horoskope machen, damit viel Geld verdienen. Die wären doch blöd, wenn sie sagen, dass sie sich alles nur ausdenken.«
»Ach so.«
»Psssst. Die Verliebten kommen.«
Wie vorausgesagt, wirft der Junge eine Münze in den Brunnen.
Er ergreift die Hände seiner Freundin und sagt: »Du musst dir jetzt etwas wünschen.«
Auch sie schließt ihre Augen und etwa 10 cm über dem Erdboden schwebend, befinden sie sich in einem anderen Universum. Lange – für meine Begriffe zu lange – stehen sie mit geschlossenen Augen, sich etwas wünschend, unbeweglich da.
»Los, schwebt weiter«, flüstere ich ungeduldig.
Das Paar geht.
»Uff endlich!«, sagt Lisa, »mir Kribbeln schon die Beine.«
»Komm, lass uns nachsehen, wie viel er rein geworfen hat«, sage ich zu Lisa, springe auf und zwänge mich durch den engen Gang zum Grund des Brunnens. Er ist ausgetrocknet. Einige ein-Cent Münzen sind zu sehen.
»Nichts!«, rufe ich enttäuscht. »Hast du was gefunden?«
»Auch nichts großes. Nur 'n paar ein-Cent Münzen.«
»Dieser Geizkragen!«
»Er ist eben nicht abergläubisch«, sagt Lisa altklug.
»Doch ist er.«
»Warum? Er hat doch nur ein Cent rein geworfen.«
»Es kommt nicht darauf an, wie viel er rein wirft, sondern das er was rein wirft«, sage ich belehrend.
»Hä?«
»Ach Lisa. Das ist doch ganz einfach. Er ist abergläubisch, weil er etwas rein geworfen hat.«
»Egal wie viel?«
»Egal wie viel!«
»Und wenn er ganz, ganz viel rein wirft, ist er dann mehr abergläubisch?«
»Du stellst Fragen«, sage ich ohne mich von der Suche nach etwas Wertvollem ablenken zu lassen. »Ich hab' was gefunden«, rufe ich triumphierend aus.
»Zeig mal.«
Ich säubere die Münze. Es ist ein 10-Cent-Stück.
»Nicht gerade berauschend, aber wenigstens etwas«, sage ich frustriert.
»Kaufst du mir 'n Eis«, fragt Lisa.
»Nee, dafür reicht's nicht.«
»Ein Kaugummi?«
»Ok.«
Enttäuscht über die geringe Ausbeute, gehen wir in die Stadt – ein Kaugummi kaufen. Bald holen wir das verliebte Paar ein.
In einem Anflug von – so jetzt zeig ich's dir – gebe ich dem überraschten Jungen den Groschen zurück: »Hier den hast du verloren.«
»Alter Geizkragen!«, sagt Lisa frei heraus.
»Wie bitte?«, fragt der Junge erstaunt. »Was hast du gesagt?«, fügt er streng hinzu.
Meine kleine Schwester versteckt sich hinter meinen Rücken und ruft: »Du hast nur 'n Groschen in den Brunnen geworfen, du Geizkragen.«
»Was fällt die eigentlich ein, du kleiner Fratz?«
»Stimmt das, was die Kleine sagt?«, mischt sich das Mädchen in die Unterhaltung. »Mehr bin ich dir wohl nicht wert?«
Der Junge dreht sich verwirrt um. »Aber, das war mein Glücksgroschen. Mein erstes selbst verdientes Geld!«
Seine Freundin schüttelt nur den Kopf: »Werd' erwachsen! Ich glaub' du liest zu viele Comics. Du kannst dich ja wieder bei mir melden, wenn du deine erste Millionen zusammen hast. Ade.« Schwungvoll dreht sie sich um und geht schnellen Schrittes weg. Er folgt ihr und redet ununterbrochen auf sie ein.
»Oh, oh. Ist die aber beleidigt. Da hast du aber was angestellt. Kannst du nicht deine Klappe halten.«
»Er ist halt 'n Geizkragen. Hast du doch selber gesagt.«
»Ja, schon gut.«
»Und abergläubisch noch dazu. Und 'n Kaugummi krieg' ich auch nicht.«
Heute klappt aber auch gar nichts...