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Abschied

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27.05.2005
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Abschied

[edit: die ueberarbeitete Version der Geschichte findet sich hier]

Der Sprecher hatte schon begonnen, die Weiterfahrt des Morgenzugs für fünf Minuten später anzusetzen, als der Bus am Bahnhofstor noch Thomas, Martha und zwölf andere gnadenlos gehetzt und spät, heraus, hinein in diese Halle spuckte.

Weißt Du noch, welches Gleis?
Das erste, denke ich, aber besser, wir sehen noch mal nach, spricht sie.
Sekunde - die sagen es gerade durch: Abfahrt in fünf Minuten, Gleis eins.
Gut, dann haben wir noch etwas Zeit.
Schweigend wie schon im dichtgedrängten Bus zuvor geleitet Martha Thomas hin zum Gleis.

Thomas ist aufrecht. Seine Augen hüpfen von Gesichtern zu Dingen, tänzeln um die ersten Sonnenstrahlen und verirren sich mit ihnen in die Ferne, noch Abschied nehmend, schon aufbrechend, sehr gut gelaunt, von Sorgen frei.
Marthas Last trägt keine Tasche. Ihr Blick folgt seinem Schatten durch das letzte Licht der Leuchtstofflampen, versunken in Gedanken, in Worten, die noch sprechen müssen, ihr Notgepäck für triste Trennungsstunden.

Beider Schatten durchdringen einander, links von roter Sonne eingefasst am Rande der Geleise.

Thomas stellt die Tasche ab und wendet sich ihr zu.
Du wirst lange weg sein, sagt Martha.
Es sind doch nur vier Wochen, die gehn vorüber wie im Flug, sagt er, wobei schon spielerisch sein Blick bis hin zum Ende dieses Bahnsteigs läuft, zur Richtung, aus der der Zug bald kommen sollte. Doch Trübsal schweigt von dort zurück: Männer und zwei Frauen formen Traurigkeit am Totensarg. Sein Blick springt weiter in die Ferne, dem Zug entgegen, getrieben und gespornt, Gedanken an die Zukunft. Er wendet sich der Ankunft zu. Schultern schreiben T in diese Morgenkühle.

Martha senkt den Blick zu Boden, um näher dann neu aufzustehn:
Schreibst Du auch?
Sein Blick träumt schnell zu Ihr zurück.
Aber sicher doch, das habe ich noch jedes Mal getan, sagt er.

Sie weiß, dass eine Karte kommen wird, eine Karte voll mit Bildern, vorderseitig, wenig Worte nur dahinter, am ersten Tage abgeschickt, gewissenhaft, als Bote seines Trennungsschweigens das beide dann verstrickt, verknüpft, verwebt mit ihren Lebensfäden, die ganze Zeit, bis zum Moment an dem er wiederkommt.

Ich werde mir die Tage frei nehmen, wenn Du zurückkehrst, sagt sie.
Die Traurigkeit füllt ihr einen Becher Ahnung die Augen, Erinnerung an das Glück der ersten Jahre, als er nicht reisen musste - es fehlte nur an Geld.
Thomas Augen kneifen sich am Horizont den Punkt heraus, an dem der Kopf der Eisenschlange als Regenwurm bereits aus dem Boden hochgekrochen ist.
Schatz, das muss nicht sein - ich bleibe das nächste Mal länger zu Hause, sicher, sagt er beruhigend, obwohl er weiß, dass das nicht geht. Dunkle Melancholie mischt Grau aus rosa Morgenwolken, weil schattenhaft die Wärme der Erinnerung den kalten Glanz des Gelds zerschmilzt.

Ein Luftzug kühlt vorbei, spielt ihre Haare, als sie spricht: In zwei Wochen beginnt für unsere Kleine die Schule.
Durch ihr Gesicht schimmert Mutterstolz vom Lächeln ihrer Tochter in das Licht der Sonne, da sie nun vor ihm steht, doch Thomas studiert nur seine Spielzeugbahn am Horizont.
Ich weiß, aber das ist doch schon geregelt, sagt er, wobei sein Blick für den Moment bei seiner Frau verweilt.

Lisa würde sich aber sehr freuen, wenn Du ihr etwas schickst, sagt sie. Ich habe mich auch immer sehr gefreut, etwas von meinem Vater zu bekommen, damals als ich noch klein war.
Traurige Gedanken erwachen im Grab ihres Vaters, kriechen empor und suchen nach Liebe.

Ich habe schon daran gedacht, lügt Thomas, reflexhaft ohne Bindung, bei seinen Gedanken in der Ferne. Der nächste Moment schon weiß nicht mehr, was Martha eben wollte. Überrascht bemerkt er dann, dass ihre warmen Hände fest nach seinen Fingern greifen.
Kannst Du das machen, bitte, ihr zu liebe?

Ihre Hände greifen durch die Finger, graben grau nach diesen Bildern, die längst vergilbt nun farbig werden und ihr den Abend malen, an dem sie noch sehr klein gewesen, doch fast schon fünf, den einen Abend, an dem ihr Vater reiste, das letzte Mal verreiste, und sie mit Mutter hier am Bahnsteig stand, das allererste letzte Mal.

Aus den Stimmen, dem Gewirr, zerlösen sich die Worte, die Worte ihrer Mutter waren und fassen nach der Hand des Vaters: 'Pass auf Dich auf, Georg, ich liebe dich - '. Sie wusste nur, dass Papi fliegen musste, weit übers Meer bis hoch zum Himmel. Doch Mutter weinte nicht, nur Martha, weil Meer und Himmel sie erschreckten, so kalt und tief, so weit und fern.
Wann kommt Papi wieder, wollte sie nur wissen. In zwei Wochen, sagte die Mutter. Wie lange sind zwei Wochen, fragte sie. Eine Ewigkeit, sagte die Trauer.

Thomas sieht sie an, sieht in ihre Augen wie lange nicht, er sieht die Trauer tief darinnen, den Schmerz und ahnt, wie sehr sie ihn vermissen würde, dass Lisa nach ihm fragen würde, jeden Tag, an dem er nicht zu Hause ist. Der Druck der Hände bohrt die Fragen in ihn ein, das Quengeln kleiner Kindermünder, Kindersorgen, Kinderfragen, unschuldig oft am Tag gestellt. Er spürt die Last auf seine Seele drücken, er spürt die Bitte wesentlich und ernst, und weiß nicht mehr, was sie gesprochen, was sie zu ihm zuvor gesagt. Er fürchtet ihren Schmerz und spricht dann nur von seinen nächsten Wochen: Ja - ja, ich mach' das schon.

Leises Donnern seines Zuges mischt sich schon durch ihre Worte als sie sagt: Ist gut, sie vermisst Dich doch so sehr, und spricht dabei für sich, und weiß, es ist zu früh für Lisa, zu früh um fünf am Morgen, in dem Moment, in dem sie spürt, dass nur noch sie die Hände hält, seine kühlen Hände hält, die langsam ihr von selbst entgleiten.

Ihre Augen blinzeln vorbei an tiefer Morgensonne und beneiden noch den Schatten über Hals und Kinn, der mit ihm reist, sie küssen seinen Mund, auch seine Nase und die Augen, die erwartungsvoll an ihr vorbei die Ferne suchen, sie begrübeln noch die Stirn, in Fältchen quer durch seine Haare streichelnd, um zu den Augen heimzukehren. Wie sehr er meinem Vater gleicht, dem lieben Vater, der so alt wie Thomas war, so groß und kräftig, voller Leben.

Inmitten von Gedanken hört sie seinen Mund noch sagen, ich liebe Dich, ich lieb' Euch beide, den Mund, den sie noch küssen würde, den sie dann vermissen würde, vermissen nur die ganze Zeit.
Gib Lisa einen Kuss von mir, kommt es aus Nebeln, über denen eine Sonne sitzt, auf seiner Schulter, ein gelber Vogel mit einer Last so schwer wie Blei.
Seine Augen, sie sind ihr doch zugekehrt, als sie verspricht, ich liebe Dich.

Es ist der Luftzug, der sie sanft von hinten fasst, geschoben von dem Zug, der Luftzug, der sie leise an ihn drückt, in dem Moment, als er sich nach den Taschen bückt. Sie berühren sich noch sanft, noch einmal, sie blicken sich doch an, umarmend, und bleiben beide schon getrennt, da er die Taschen in den Händen hält.

Ich muss jetzt los, spricht er, die Schultern sind gedreht zur Tür, zum Einstieg, zur Gelegenheit des nächsten Wagens. Hastig bückt er sich zu ihr und küsst sie feucht auf ihren Mund, ohne Rückhalt, ohne Hände, die sie doch umfassen sollen.

Wie losgerissen steht sie da und und blickt ihm nach.

Thomas steigt dann in den Wagen und setzt sich hin, den Rücken schräg zu ihr gekehrt, wie Papa damals, denkt sie noch und sieht den Vater sich erheben, das Fenster öffnen, sieht, wie er die Hände ihrer Mutter nimmt, auch ihre Hände zärtlich streichelnd, und hört die Mutter dabei sagen: Pass auf Dich auf, Georg, pass auf Dich auf, ich liebe Dich so sehr, sie spürt den frischen Tränenzweig aus ihren Mutteraugen wachsen und rückwärts durch die Zeit auf ihres Vaters Händen blühen als Echo seiner Stimme aus dem Fenster, wo Thomas seine Zeitung liest, nichts ahnend seine Zeitung liest, im Zug, der eben losgefahren, weggefahren, weg von ihr, zu dem sie nur noch flüsternd spricht: Komm doch zurück, komm nur zurück, zurück zu mir - doch nur der Wind des Zugs spielt zärtlich noch mit ihren Haaren.

Martha muss nun heim zu Lisa, die noch schläft, der sie auch noch sagen muss, dass Thomas nicht gegangen ist, sie nie verlassen wird, und dass er wieder käme, bald schon wieder käme, zurück zu ihnen, immer.

 

Hallo sarpenta,

du hast eine Dramatik in deinem Text, die mir zu dick aufgetragen ist und benützt auch Bilder, die für mich nicht stimmig sind

Ich suche dir mal ein paar Textbeispiele heraus:

Der Sprecher hatte schon begonnen, die Weiterfahrt des Morgenzugs in fünf Minuten anzusetzen, als der Bus am Bahnhofstor noch Thomas, Martha und zwölf andre gnadenlos gehetzt und spät, heraus, hinein in diese Halle kotzte.

Mal davon abgesehen, dass der erste Satz grammatikalisch nicht stimmt (so hat man den Eindruck, der Sprecher braucht fünf Minuten, um mit dem Beginn des Sprechens anzusetzen...) finde ich das kotzen zum Rest des Textes unpassend. Ich habe auch noch nie einen Bus kotzen sehen, da quillt höchstens was raus.


Thomas ist aufrecht.

Was willst du damit sagen?
Hat er einen aufrechten Gang?

Marthas Last trägt keine Tasche. Ihr Blick folgt seinem Schatten, vorbei, durchs letzte Licht der Leuchtstofflampen, versunken in Gedanken an die Worte, ihr Notgepäck für triste Trennungsstunden.

ich versteh den Satz mit der Last nicht, sorry.


Doch nur Trübsal schweigt von dort zurück: Männer und zwei Frauen formen Traurigkeit am Totensarg.

Das hört sich sehr gewichtig an: Aber wie formt man Traurigkeit?


Martha senkt den Blick zu Boden um näher dann neu aufzustehn:

aufzusehn ?

Sein Blick träumt fern zu Ihr zurück.

ihr ...hört sich auch schwülstig für mich an


Traurigkeit trinkt Ahnung tränenfeucht aus ihren Augen

Wie soll ich sagen...so überladen...da muss ich leider fast schon lachen, sorry

Dunkle Melancholie mischt Grau aus rosa Morgenwolken, da schattenhaft die Wärme in Erinnerung die Sicherheit des neuen Jobs zerschmilzt. Doch angestützt vom Stolz, vom Geld, schmilzt dann nur die Vergangenheit zum Schatten heller Zukunft ein.

Diese Sätze sind so minnensängerhaft in ihrer Wortwahl, damit kann ich nichts anfangen.

In ihrem Gesicht schimmert Mutterstolz vom Lächeln ihrer Tochter in das Licht der Sonne, weil sie vor ihn hin getreten.

Thomas studiert Spielzeugbahnen noch am Horizont.

Diese Spielerei mit der Sprache wirkt auf mich etwas deplaziert.

Der nächste Moment schon weiß nicht mehr, was Martha eben wollte.

da fehlt ein er- und: Im nächsten Moment

vermissen würde, dass Lisa täglich fragen würde, nach ihm fragen würde, an jedem Tag, an dem er nicht zu Hause ist.


sie vermisst Dich doch so sehr, und spricht dabei für sich, und weiß, es ist zu früh für Lisa, zu früh um fünf am Morgen, in dem Moment, in dem sie spürt, dass nur sie die Hände, seine kühlen Hände hält, die langsam ihr von selbst entgleiten.

Inmitten von Gedanken hört sie seinen Mund ihr sagen, ich liebe Dich, ich lieb Euch beide, den Mund, den sie nun küssen würde, den sie dann vermissen würde, vermissen nur die ganze Zeit.

Seine Augen sind Ihr zugekehrt, sind ihr doch zugekehrt, als sie verspricht, ich liebe Dich.

Es ist der Luftzug, der sie sanft von hinten fasst, geschoben von dem Zug, der Luftzug, d

hört seine Stimme aus dem Fenster, wo Thomas seine Zeitung liest, nichts ahnend seine Zeitung liest

diese ganzen Wiederholungen haben mich beim Lesen gestört; es war, als hinge ein LP.


Ich kann mit diesem Schreibstil leider nicht viel anfangen. Er hat mich auch daran gehindert, mich um die Geschichte zu kümmern, über sie nachzudenken, weil deine Worte, die du wählst, so anstrengend sind, dass der Inhalt zu sehr in den Hintergrund tritt und die Prots für mich nicht richtig greifbar sind.

Lieber Gruß
ber

 

hey sarpenta! =)

also erstmal muss ich sagen, dass ich das ganz anders sehe als ber! ich finde deine geschichte echt klasse! er hat schon recht, dass man sich sehr konzentrieren muss beim lesen und für mich haben einige sätze auch keine sinn ergeben, aber ich finde es echt toll, wie du dinge beschreiben kannst.

sarpenta schrieb:
Thomas ist aufrecht. Seine Augen hüpfen von Gesichtern zu Dingen, tänzeln um die ersten Sonnenstrahlen und verirren sich mit ihnen in die Ferne, noch Abschied nehmend, schon aufbrechend, sehr gut gelaunt, von Sorgen frei.

Marthas Last trägt keine Tasche. Ihr Blick folgt seinem Schatten, vorbei, durchs letzte Licht der Leuchtstofflampen, versunken in Gedanken an die Worte, ihr Notgepäck für triste Trennungsstunden.


gerade diese stelle, die bernadette so komisch fand, finde ich ganz besonders schön.

allerdings muss ich auch sagen, dass deine besondere art zu schrieben an manchen stellen zu gewollt wirkt und dann auch keinen sinn mehr ergibt. zumindest für mich nicht...

trotzdem ein schöner text =)

danke,
Mary-Lou.

 

Liebe bernadette,

dieser Text ist für mich auch ein Experiment, weil ich bewusst versucht habe, sehr viele verschiedene Dinge indirekt auf unterschiedliche Weise in den Text einfließen zu lassen. Aber nun zu Deinen Anregungen. Übrigens, vielen Dank für Deine Mühe!

bernadette schrieb:
du hast eine Dramatik in deinem Text, die mir zu dick aufgetragen ist

Ja, sie ist dick aufgetragen, vieleicht zu dick (an zwei Stellen denke ich das fast selbst), aber nachdem ich diese Geschichte heute morgen erst in die vorliegende Form umschrieb, kann ich das noch nicht genau entscheiden, dazu muss ich noch ein paar mal "drüber schlafen". Eine leichter verdauliche erste Version findest Du auf meiner Hompepage in der Rubrik Szenen und Skizzen.
Wegen der beabsichtigten Dramatik habe ich sogar versucht, alles Lebendige in der Geschichte auf einzelne Punkte zu konzentrieren, die nicht den Kern von Marthas Anliegen berühren, ihn eher kontrastieren. z.B: sieht Thomas sieht alles Traurige hinweg, die Sonne sitzt ihm auf der Schulter, blendet Martha ... , auch habe ich bewusst die Anführungszeichen der wörtlichen Rede weggelassen, um einen trostloseren Eindruck entstehen zu lassen.
Außerdem bricht der Stil der Erzählung in dem Moment, in dem aus ihr die Erinnerung hervorbricht, ungeordnet im Fluss, wie die Worte, die sich wiederholen, langsam erst zum nächsten Gedanken kommen, den sie selbst in diesem Moment noch nicht kennen kann.

bernadette schrieb:
... und benützt auch Bilder, die für mich nicht stimmig sind

Mal davon abgesehen, dass der erste Satz grammatikalisch nicht stimmt (so hat man den Eindruck, der Sprecher braucht fünf Minuten, um mit dem Beginn des Sprechens anzusetzen...) finde ich das kotzen zum Rest des Textes unpassend. Ich habe auch noch nie einen Bus kotzen sehen, da quillt höchstens was raus.


Quellen ist langsam, schleichend, zu unplötzlich für die Hast am Morgen.
(mein Eindruck)
Hinsichtlich der Grammatik bin ich mir nicht so sicher, aber Du hast recht, es kann misverstanden werden.

Für die nächste Stelle nochmal das Original:

Thomas ist aufrecht. Seine Augen hüpfen von Gesichtern zu Dingen, tänzeln um die ersten Sonnenstrahlen und verirren sich mit ihnen in die Ferne, noch Abschied nehmend, schon aufbrechend, sehr gut gelaunt, von Sorgen frei.

Marthas Last trägt keine Tasche. Ihr Blick folgt seinem Schatten, vorbei, durchs letzte Licht der Leuchtstofflampen, versunken in Gedanken an die Worte, ihr Notgepäck für triste Trennungsstunden.

bernadette schrieb:
Was willst du damit sagen?
Hat er einen aufrechten Gang?
ich versteh den Satz mit der Last nicht, sorry.

Gut, in diese Stelle hab' ich wohl etwas viel hineingepackt. Die Parallelität der beiden Sätze und die unterschiedlichen Beobachtung sollten sich zu einem Gesamtbild ergänzen, unter anderem auch durch die Dinge, die ich dort jeweils verschweige. Ein Beispiel:
Thomas ist aufrecht. <-> Marthas Last trägt keine Tasche.
Thomas ist aufrecht (innerlich wie äußerlich), geht aufrecht, ist zufrieden mit sich und seinem Umfeld, und das (seiner Ansicht nach) aufrichtig. Martha dagegen ist geknickt. Matha trägt eine Last in sich (Thomas nicht), Thomas trägt eine Tasche, die ihn nicht bedrückt, Martha trägt keine Tasche, ist aber bedrückt. Das wollte ich mit diesen wenigen Worten zum Ausdruck bringen, hervorgehoben durch die Satzstruktur.

bernadette schrieb:
Das hört sich sehr gewichtig an: Aber wie formt man Traurigkeit?

Mit Körperhaltung, der gedrückten Stimmung, wie Martha zum Beispiel. Dieses Bild bleibt offen, der Erinnerung des Lesers überlassen, einer Erinnerung an seine eigenen traurigen Erlebnisse, die ich nicht kenne.

bernadette schrieb:
aufzusehn ?
Das aufzustehn war bewusst gewählt, als Wortspiel und Sinnbild dafür, dass sie einen neuen Ansatz wählen muss, sich neu zu dem Gespräch aufrappeln muss, weil Thomas überhaupt nicht bei der Sache ist.

Und nun zu der Stelle, die morgen vielleicht schon anders lautet, weil sie mir noch nicht gefällt:
Traurigkeit trinkt Ahnung tränenfeucht aus ihren Augen, die Erinnerung an das verlorne Glück der ersten Jahre, das beide dort gespürt, als er nicht reisen musste. Sie lebten schlechbezahlt doch reich beschenkt.
und dann
Dunkle Melancholie mischt Grau aus rosa Morgenwolken, da schattenhaft die Wärme in Erinnerung die Sicherheit des neuen Jobs zerschmilzt. Doch angestützt vom Stolz, vom Geld, schmilzt dann nur die Vergangenheit zum Schatten heller Zukunft ein.
Kontrastiert durch eine nüchterne Spiezeugeisenbahn dazwischen und den fast schon banalen Worten von Thomas. Beide stellen sind zu dick aufgetragen, da wollte ich scheinbar was besonderes, was ich nicht schaffen konnte. Aber wie gesagt, über diese Stelle werde ich nochmal schlafen und versuchen, den Sinn besser mit den Worten zu "verschmelzen" ;)
Insofern hast Du recht:

bernadette schrieb:
Wie soll ich sagen...so überladen...da muss ich leider fast schon lachen, sorry
Diese Sätze sind so minnensängerhaft in ihrer Wortwahl, damit kann ich nichts anfangen.

Der folgende Satz ist richtig und beabsichtig, so wie er geschrieben ist:
Der nächste Moment schon weiß nicht mehr, was Martha eben wollte.

bernadette schrieb:
Diese Spielerei mit der Sprache wirkt auf mich etwas deplaziert.
Ich wollte damit kontrastieren. Wenn mir das nicht gelungen ist, dann muss ich damit etwas leiser treten. Nur zu meiner unwürdigen Verteidigung: Ich lese gerade Ulysses. Da wird man manchmal ganz wirr im Kopf :confused:

Und nun zu den Wiederholungen im Text: Wie schon oben erwähnt wollte ich damit den Gedankenfluss beschreiben, der aus Martha (und teilweise auch aus Thomas) hervorbricht. Ich werde das noch mehrmals lesen müssen, um die Kanten abzuschleifen. Die Kanten die sich bei diesen Gedanken für andere Menschen ergeben sind mir leider nicht zugänglich, daher danke ich Dir sehr für Deine Kritik!:

bernadette schrieb:
diese ganzen Wiederholungen haben mich beim Lesen gestört; es war, als hinge ein LP.

Über das Folgende:
bernadette schrieb:
Ich kann mit diesem Schreibstil leider nicht viel anfangen. Er hat mich auch daran gehindert, mich um die Geschichte zu kümmern, über sie nachzudenken, weil deine Worte, die du wählst, so anstrengend sind, dass der Inhalt zu sehr in den Hintergrund tritt und die Prots für mich nicht richtig greifbar sind.
´
werde ich noch länger grübeln müssen, weil ich das in gewisser Weise wollte, aber auch nicht wollte. Martha und Thomas sollen kein Gesicht haben, "Jeder" sollte Martha oder Thomas sein können. Ich vermeide daher auch eine genaue Beschreibung des Gesichts von Thomas, es fehlt jedes Adjektiv an dieser Stelle, jedes Detail, obwohl das ganze Gesicht in seinen Einzelheiten angesprochen wird, wie eine Maske. Ich sehe, ich habe noch viel zu tun.

Vielen Dank und einen lieben Gruß zurück,

sarpenta

P.S. schade dass noch keiner über die Symbolik so manchere Dinge nachgedacht hat ... die Namen zum Beispiel: Martha klingt gesprochen wie Marter und Thomas ist ungläubig, beides sind auch alte, biblische Namen, Lisa dagegen ist ein "unbelasteter" oder neutraler junger Nahme. ... und noch viele Kleinigkeiten, aber egal. Auch hatte ich versucht viele Assoziationsmöglichkeiten einzubauen, zum Beispiel das T der Schultern, das unmitttelbar zuvor nur in den Wörtern Tod oder Trauer verwendet wird und immer noch nachklingt, da sonst kein Bezug bleibt, außer den Blickrichtungen der Personen: Martha blickt zu Thomas, Thomas in die Zukunft, die in der gleichen Richtung wie die Trauer liegt, über die er (ungläubig?) drüber hinweg sieht. Zusammen bilden Martha und Thomas also ein T ...

 

Liebe Mary-Lou,

Vielen Dank für Deine Kritik!
Ich habe aber eine Bitte an Dich: Es würde mir sehr helfen, wenn Du die Stellen markieren könntest, an denen es für Dich schwierig ist, diesem Text zu folgen. Nur so kann ich ihn vereinfachen leichter zugänglich machen. Das wäre echt super!!!!

sarpenta

 

hallo sarpenter,

gewaltige geschichte die mit deinem besonderen erzählstil glänzt. die art und weise wie die bilder des abschieds gezeichnet werden mit den vielen kleinen verspielten sätzen hat mir sehr gut gefallen.
vom inhalt her sehe ich es ähnlich wie bernadette. die dramatik in deiner geschichte wird nicht ausreichend erklärt, so dass ich nicht nachvollziehen kann, woher diese panik rührt. weil die frau sich an den letzten abschied von ihrem vater dramatisch erinnert, bin auch von einem krieg ausgegangen. Aber das wurde im text nicht bestätigt. So also weiss ich nicht, woher diese dramatik kommt.

übrigens, diese stelle hier:

„Marthas Last trägt keine Tasche.“, wenn der leser sich in den erzählstil eingelesen hat, ist er glasklar. Es heisst nichts anderes, als dass martha ein last mit sich herumträgt (und es ist nicht die tasche).

mit der symbolik empfehle ich dir nicht zu viele erwartungen zu setzen. die leser sind in erster linie konsumenten, wenn die geschichte nicht auf die bilder verweist, wird kaum ein leser bereit sein über assoziationen nachzudenken. Wenn du darauf abzielst, dann solltest du mit offensichtlichen symbolen anfange, so dass der leser sich darauf vorbereiten kann, sich bereit machen kann, in seine allgemeinbildung zurückzublicken, um für den rest der geschichte passende symbole zu finde. das andere schwierige bei den symbolen ist die vielfache bedeutung derer. je nach aufwachsumfeld des lesers, hat er für alles ganz andere symbole, und die wenigsten haben gerade ihre bibel im hinterkopf.

fazit: eine geschichte die mit einem sehr ungewöhnlichen aber wirklich lesenswerten erzählstil trumpft. der inhalt hat noch erklärungsbedarf.

schöne geschichte!
den stil in etwa habe ich einmal in einer anderen geschichte gelesen, die mir ausgesprochen gut gefallen hat. vielleicht möchtest du diese mal lesen, du würdest dich zum teil etwa in ihr wieder finden: http://www.kurzgeschichten.de/vb/showthread.php?s=&threadid=10700

bis dann

barde


„als der Bus am Bahnhofstor noch Thomas, Martha und zwölf andre gnadenlos gehetzt“

„andre“ >> „andere“, bei umgangssprache >> „and’re“, aber umgangssprache ist nicht teil der in der restlichen geschichte verwendete sprache.

„ich bleibe das nächste mal länger zu Hause“

„mal“ gross

„das letzte mal verreiste, und sie mit Mutter hier am Bahnsteig stand, das allererste letzte mal.“

hier auch „mal“ gross beide Male

„Leises Donnern seines Zuges mischt sich durch ihre Worte als sie spricht, Ist gut, sie vermisst Dich doch so sehr,“

vor „als“ ein komma
„Ist“ klein oder neuen satz

„Seine Augen sind Ihr zugekehrt“

„Ihr“ klein

Lieblingsabsatz: „Es ist der Luftzug, der sie sanft von hinten fasst, geschoben von dem Zug, der Luftzug, der sie an ihn drückt, in dem Moment, als er sich nach den Taschen bückt. Sie berühren sich noch sanft, noch einmal, sie blicken sich doch an, umarmend, und bleiben beide schon getrennt, da er die Taschen in den Händen hält.“

 
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Hallo Barde!

Vielen Dank für Deine Hilfe, Dein Lob und Deinen Kommentar. Die Kleinigkeiten habe ich gleich schon ausgebessert. Nun aber zu den wesentlichen Dingen (auch in Verbindung mit dem Beitrag von bernadette)

Um es kurz auf die wesentlichen Punkte zusammenzufassen:

a) Die Dramatik in Deiner Geschichte wird nicht ausreichend erklärt (Krieg?), ist zu stark.
b) Der Inhalt hat noch Erklärungsbedarf.

Diese beiden Punkte sind eng miteinander verknüpft und sagen mir, dass der eigentliche Konflikt offensichtlich beim Leser nicht klar genug zum Vorschein kommt, dass davon vielleicht sogar durch die vielen Bilder und Nebensächlichkeiten abgelenkt wird.

Ich versuche daher hier etwas, was man nie machen sollte: Ich versuche meine Geschichte zu erklären, muss aber dabei sagen, dass diese Erklärung nur meine eigene Erzählabsicht wiedergibt und mein persönliches Empfinden beim Lesen meiner eigenen Worte. Wichtiger wäre es aber, dass dieser Eindruck bei Euch entsteht, wenn ihr diese Geschichte lest (was scheinbar weniger gut gelungen ist ... )

Nun zur Geschichte (in kompakter Form):
Martha begleitet Thomas zum Bahnhof, der sich auf eine längere Dienstreise begibt, welche ein wesentlicher Bestandteil seines neuen Jobs sind. Die vielen langen Trennungen haben beide entfremded. Für Thomas steht der Beruf, die Aufstiegsmöglichkeiten im Mittelpunkt, die Trennungen sind für ihn eher eine Nebensache, während für Martha, die alleine mit ihrer Tochter zu Hause bleibt, diese Trennungen weitaus bedeutungsvoller sind. Der wesentliche Grund dafür ist nicht die unterschiedliche Art, wie diese Trennung empfunden wird (Fragen von Lisa ... was Thomas nachvollziehen kann) sondern die Lebensgeschichte von Martha: Ihr Vater starb plötzlich auf einer längeren Reise (ihre Mutter weint nicht beim Abschied, sondern sie, die kleine Tochter, weil sie die Trennung nicht begreift und sehr an ihrem Vater hängt.). Ihr fehlt eine Vaterfigur, ein großer starker Mann zum anlehnen. Dass dies immer noch so ist, spiegelt sich in der Tatsache, dass sie sich einen Mann ausgesucht hat, der ihrem Vater sehr ähnlich ist (leider nur körperlich). Durch die zufälligen Parallelen in der Abschiedszene wird ihr plötzlich bewusst, dass sie nun auf eine andere Art die Rolle mit ihrer Mutter getauscht hat: Auch sie hat nun ihren Mann verloren auf einer Reise (weil Thomas der Arbeit, den Dienstreisen den Vorrang gibt) und weint deswegen die Tränen, bei diesem Abschied, die ihre Mutter zuvor nicht weinen konnte (Tränen ihrer Mutteraugen in die Hand des Vaters gleiten ... diese Szene ist der Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart). Im Unterbewusstsein hatte sie diese persönliche Katastrophe (sie verliert ihren Vater ein zweites mal, auch ihren Mann, den Traum von ihrer Familie) aber schon länger geahnt (sie nimmt die Tochter nicht mit ... , die Tränen trinken Ahnung ... ) sie bemerkt es, will es nicht wahrhaben und scheitert schließlich völlig: Sie verdrängt es, wehrt sich nicht dagegen: Thomas kommt zu ihr zurück, immer.

Diese Dinge wollte ich alle zum Ausdruck bringen. Ich hoffe, dass die Katastrophe der Lebenslüge von Martha die Dramatik der Erzählung rechtfertigt. Hinsichtlich des Inhalts bin ich mir mittlerweile bewusst, dass ich noch einige Worte, Erklärungen und Details mit einfließen lassen muss, die das Spannungsfeld der Protagonisten und deren Hintergründe besser beschreiben. Geplant hatte ich allerdings, bei diesen Dingen eine gewisse Freiheit für den Leser übrig zu lassen ... diese Freiheit war scheinbar zu groß.

Mir würde es nun helfen, wenn ich von weiteren Lesern dieser Geschichte die Dinge erzählt bekomme, die -unter Kenntnis obiger Erklärung - in der Kurzgeschichte nicht deutlich genug herausgearbeitet sind. Vielen Dank schon mal im Vorraus!

Auch Dir einen dicken Dank, Barde

sarpenta

 

hallo sarpenta,

nun, du sagst es nicht richtig. man soll nicht eine geschichte nicht nachträglich erklären, sondern der autor muss sich fragen, ob seine geschichte, so wie er/sie sie geschrieben hat, den leser erreicht. wenn viele leser erklärungswunsch haben, dann ist das ein zeichen dafür, dass der guten geschichte aber etwas dringendes fehlt. und so ist es auch, nachdem ich deine erklärung gelesen habe. da hast du etwas viel vom leser erwartet, denn diese gedanken, so wie du sie jetzt geschrieben hast, kann ich in deiner geschichte nicht wiederfinden. ich bin auch ziemlich überzeugt davon, dass weitere leser über das selbe problem stolpern werden.

du solltest deine gedanken versuchen, in die geschichte einzubauen.

bis dann

barde

 

Hallo Barde,

... da werde ich noch einiges an dieser Geschichte zu (be)schreiben haben. Es wird aber schwierig, weil ich bislang nur an der Intensität und Dramatik der Szene gefeilt habe - zusätzliche (lange) Erklärungen könnten da stören - ich muss das also in kleinen Häppchen einfließen lassen.
Über's Wochenende habe ich etwas Zeit, da werde ich die Geschichte noch einmal gründlich überarbeiten und nochmals neu durchdenken, einfacher und klarer beschreiben.
Ich weiß, ich bin noch sehr "grün": Das hier ist de facto erst der dritte Versuch eine Kurzgeschichte zu Papier zu bringen; Da muss ich noch verdammt viel lernen und üben ...

Gruß,

sarpenta

 

Ich weiß, ich bin noch sehr "grün": Das hier ist de facto erst der dritte Versuch eine Kurzgeschichte zu Papier zu bringen; Da muss ich noch verdammt viel lernen und üben ...

aber du bringst doch schon viel potential mit. allerdings hast du eine produktive einstellung. ich sehe in diesem forum auch den platz für mich, meine schwachstellen im schreiben zu erkennen. üben werde ich wohl mein leben lang *smile*!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallöchen!

Jetzt sollten alle Fehler und alle Unstimmigkeiten bereinigt sein, auch habe ich die Geschichte inhaltlich minimal ergänzt und etwas gekürzt. Die Ängste der Martha sollten nun besser verständlich werden. Außerdem bin ich noch etwas von meinen Experimenten abgerückt: Die Wiederholungen im zweiten Teil sind nun deutlich reduziert. Zuvor waren außerdem arhythmische Prosastücke (die wörtlichen Reden der Personen) im Wechsel mit Prosa in teilweise exaktem Versrhythmus gesetzt (deswegen klang es so sehr nach Minnesang) um die gesprochenen Worte (von Thomas) kälter wirken zu lassen, das ist nun nicht mehr so streng der Fall: die Rhythmik unterscheidet sich aber immer noch.

Ich hoffe, die Geschichte passt nun besser zusammen ... wenn irgendetwas immer noch nicht klar ist, tja dann muss ich wohl noch mal dran basteln ...

Vielen Dank allen, die mich bisher auf neue Gedanken brachten!

sarpenta

 

ja, ich denke, die klärungen in der geschichte bezüglich des vaters waren notwendig. das liest sich jetzt wesentlich schlüssiger. und beim 2. mal lesen ist es immer noch eine schöne geschichte *smile*!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallöchen alle!

Gerade habe ich noch (ich hoffe nun) ein letztes Mal ;) an dieser Geschichte gefeilt und mir zuvor nochmals nach der Zeit alle Kritik durchgelesen (war ja damals meine erste Geschichte hier - und (fast) alle Reklamationen durchaus berechtigt).

Mittlerweile weicht die Geschichte so sehr von ihrer ursprünglichen Fassung ab, dass man die ersten Kritikpunkte (von bernadette & barde) und die zitierten Textstellen teilweise völlig vergebens sucht. Ich denke, obige Fassung ist nun als endgültig zu betrachten (Die Geschichte gefällt nun endlich auch mir selbst).

Nochmals vielen Dank an alle Leser!

sarpenta

 

hallo sarpenta,

es ist schwierig vorbehltslos an deine 2. fassung zu gehen. ich kenne ja den hintergrund schon und weiss nicht, wie die geschichte auf mich wirken würde, wenn ich weder diese noch deine erklärungen kennen würde.

ich kann aber wiederholen, dass es eine gewaltige geschichte ist, deren ungewöhnlicher erzählstil mir sehr gefällt.

dir ist es aber klar, dass thomas ganz schön schlecht abschneidet. ich denke, dass es ungewollt ist. dennoch, er wirkt unsensibel und von martha indirekt verurteilt.

ich habe noch ein paar kleinigkeiten:

Der Sprecher hatte schon begonnen, die Weiterfahrt des Morgenzugs für fünf Minuten später anzusetzen, als der Bus am Bahnhofstor noch Thomas, Martha und zwölf andere gnadenlos gehetzt und spät, heraus, hinein in diese Halle kotzte.

vielleicht ist es nur meine persönliche vorliebe, aber "kotzte" ist so fürchterlich stark. "spuckte" ist auch schon krass, aber wesentlich dezenter.

Das erste, denke ich, aber besser, wir sehen noch mal nach, sagt sie.
Sekunde - die sagen es gerade durch:

"sag" ist doppelt. das 1. "sagt" könnte ein "erwidert" sein

links von roter Sonne eingefasst am Rande der Geleise.
"Geleise" >> "Gleise"

Er wendet er sich der Ankunft zu. Schultern schreiben T in diese Morgenkühle.

ein "er" zu viel

Martha senkt den Blick zu Boden um näher dann neu aufzustehn:

genau den selben satzteil habe ich in einer meiner geschichten auch falsch geschrieben *smile*
"zu" >> "zum"
vor "um" auch noch ein komma

Sie weiß, dass eine Karte kommen wird, eine Karte voll mit Bildern, vorderseitig, wenig Worte nur dahinter, am ersten Tage abgeschickt, gewissenhaft, als Bote seines Trennungsschweigens das beide dann verstrickt, verknüpft, verwebt mit ihren Lebensfäden, die ganze Zeit, bis hin zum Tag, an dem er wiederkommt.

Ich werde mir die Tage frei nehmen, wenn Du zurückkehrst, sagt sie.


"Tage" ist doppelt. doppelungen kommen oft in deiner geschichte vor. die, die ich aufführe, sind mindestens etwas störend m.e.! das 2. "Tage" könntest du mit "Zeit" oder "Wochen" ersetzen

Lisa würde sich aber sehr freuen, wenn Du ihr etwas schickst, sagt sie. Ich habe mich auch immer sehr gefreut, etwas von meinem Vater zu bekommen, damals als ich noch klein war.

ich weiss, dass es dein stil hier ist, aber dass es keine anführungsstriche gibt, macht es schwer, diesen satz auf anhieb richtig zu verstehen.
"Du" klein

ich weiss nicht, ob das dir geholfen hat, denn ich konnte dir die fragen bezüglich der gewichteten kritikpunkte nicht beantworten. dazu bedarf es neue leser.

bis dann

barde

 

Lieber Barde,

noch einmal vielen Dank fuer Deine Muehe. Eigentlich alles habe ich uebernommen, was Du vorgeschlagen hattest (wenn auch ein bischen viel Wasser die Donau runter geflossen ist), bis auf die Geleise, weil es so besser in den Rhythmus der Sprache passt.
Dass ich mit der Ausbesserung etwas lange gewartet habe, lang unter anderem daran, das ich zu dem Zeitpunkt Deiner Antwort noch ueberlegte, ob ich diese Geschichte nicht noch einmal neu schreiben sollte. Ich hab' sie nun nach einem halben Jahr wieder gelesen und ich denke es ist gut, dass ich das nicht getan habe.

Vielen Dank nochmal & Gruss mit Hut

sarpenta

 

Hi serpenta,

hier meine Meinung zu Deiner Geschichte:

Gezeigt wird der Abschied eines Paares, in den sich, zumindest aus der Sicht der Frau, Erinnerungen an (einen) Abschied(e) von ihrem Vater einweben.

Die Figurenkonstellation ist ungewöhnlich:
Sie: traurig, liebend, klammernd, sich in den Schmerz steigernd, sorgenvoll
Er: gut gelaunt, abwesend, unkonzentriert, gleichgültig, unehrlich

Die beiden Figuren sind so entgegengesetzt gezeichnet, dass man sich unwillkürlich fragt, was die beiden überhaupt zu einem Paar macht. Die Tochter? Die finanzielle Abhängigkeit der Frau?
Man erfährt von einer scheinbar schönen Vergangenheit, als er noch nicht reisen musste, nun das ist ziemlich wenig.

Man erfährt auch nicht, wohin der Mann aufbricht und damit fehlt ein wichtiger Grund. Ist es eine Reise, wo sich auch andere Frauen Sorgen machen würden oder ist es eine normale Reise, wo eigentlich kein Grund zur Besorgnis vorhanden sein sollt. D.h. man weiß als Leser eigentlich nicht, woran man sich festhalten sollte. An der übertriebenen Sorge der Frau, weil der Mann in die Stadt seiner Exgeliebten fährt oder an der Routine des Mannes, weil er einfach irgendwohin fährt.
Man erfährt, dass er bereits mehrere Reisen gemacht hat, man erfährt aber nicht, was da vorgefallen sein könnte, die eine gewisse Gelassenheit erzeugen könnte.
Man erfährt, dass es 4 Wochen sind und man erfährt, dass es sonst auch schon so lange gedauert hat.
Viele Indizien, die mich als Leser eher in die Arme des Mannes treiben. Scheinbar ist sein Verhalten das normalere von beiden, wobei seine Anteilnahme seiner Frau zuliebe ruhig größer sein könnte. Wenn er sich nur ein wenig in sie reinversetzen wöllte, um ihren Schmerz zu lindern, dann würde er sich mehr Mühe geben.
Es sei denn, es nervt ihn richtig. Es sei denn, er will gar nicht, dass sie so viel Tamtam macht. Dann müsste es aber auch hinweise von bestimmter Unzufriedenheit, Genervtheit geben, die natürlich auch ein Motiv brauchen. Aber so sehe ich nur Teilnahmslosigkeit und das wirkt unnatürlich.

Nunja die Frau scheint eine Last zu tragen, die scheinbar niemand sieht. Aber gerade diese Last, die wohl das Motiv dieser Geschichte ist, kommt nicht deutlich zum Ausdruck. Man erfährt von einem Abschied vom Vater, der nun tot ist. Aber die Verbindung zwischen den Abschieden bleibt verborgen.
Welche Angst lauert in dieser erwachsenen Frau? Wie kann ich mich da reinversetzen, ohne dass es nur eine diffuse Sorge ist?
Ist es ein Transportmittel (Flugzeug), das damals den Vater in den Tod riss? Ist es nur die Angst vor der Ferne, die sie noch immer nicht begreifen gelernt hat, weil sie nie aus ihrer Stadt heraus kam.
Ist es die Angst vor einer weiteren Frau?

Und damit kommen wir zur Zeit, in der diese Geschichte spielt. Vielleicht ist es eine Zeit, in der eine Reise tatsächlich noch gefährlich war. Ist dies ein Bahnhof der zwanziger Jahre? Oder befinden wir uns im Heute, wo sehr viele Männer als Pendler arbeiten oder das Verreisen zur Routine eines Angestellten gehört?
Fazit:
Ich spüre, dass da mehr ist, als man auf den ersten Blick sieht, aber ich kann nicht fühlen, was es ist. Es bleibt verborgen und ich sehe, wie zwei fast fremde Menschen Abschied nehmen. Ich verstehe nicht die Gleichgültigkeit des Mannes und die klammernde Sorge der Frau.

Nun zu Deinen Erklärungen, die Du unten schon gebracht hast.
Die Namen:
Mir ging einen kurzen Augenblick durch den Kopf, dass Martha und Thomas nicht so richtig zusammenpassen. Sie könnten Mutter und Sohn sein, aber als Paar scheint mir Thomas moderner als Martha, aber es gibt natürlich Zufälle und darum habe ich mir da auch nicht ewig den Kopf zerbrochen, es war nur mein erster Impuls, als die Namen auftauchten.

Martha begleitet Thomas zum Bahnhof, der sich auf eine längere Dienstreise begibt, welche ein wesentlicher Bestandteil seines neuen Jobs sind. Die vielen langen Trennungen haben beide entfremded. Für Thomas steht der Beruf, die Aufstiegsmöglichkeiten im Mittelpunkt, die Trennungen sind für ihn eher eine Nebensache, während für Martha, die alleine mit ihrer Tochter zu Hause bleibt, diese Trennungen weitaus bedeutungsvoller sind.
Gerade dieses Setting kommt nicht raus. Wenn er häufig verreist, dann frage ich mich, warum Du uns gerade diese Abreise vorstellst. Was unterscheidet diesen Abschied von anderen? Was läuft hier anders? Was ist das Besondere?
Findet er es langsam unnatürlich, ihre Fürsorge und das frühe Aufstehen und den Urlaub, wenn er heimkommt?
Wird ihm das langsam bewusst, dass es nicht normal ist? Haben sie am Vorabend darüber geredet und sie hat bestanden, mitzukommen?
Wie oben geschrieben ist dieses Verhalten ungewöhnlich, wenn er häufig verreist. Irgendwann gewöhnen sich auch engere Liebespaare an temporäre Trennungen.
Wenn es ihm unbegreiflich ist, wenn er es langsam auch übertrieben findet, dann muß ich hier eine Reaktion sehen. Stattdessen ist er eher wie ein kleines Kind, dass die Zärtlichkeiten einer Mutter beim Abschied über sich ergehen lässt und die Sorge nicht begreift und eher schon in Gedanken woanders ist.
Von Argumenten, wie den Aufstiegsmöglichkeiten, die möglicherweise an anderer Stelle diskutiert wurden, kann ich als Leser nicht viel sehen.
Im Unterbewusstsein hatte sie diese persönliche Katastrophe (sie verliert ihren Vater ein zweites mal, auch ihren Mann, den Traum von ihrer Familie) aber schon länger geahnt (sie nimmt die Tochter nicht mit ... , die Tränen trinken Ahnung ... ) sie bemerkt es, will es nicht wahrhaben und scheitert schließlich völlig: Sie verdrängt es, wehrt sich nicht dagegen: Thomas kommt zu ihr zurück, immer.
Selbst Deine Erklärung verstehe ich noch nicht recht. Ist es nun eine Ahnung, dass sie ihren Mann verlieren wird und sie macht sich das Leben einfach einfacher, indem sie sich vorstellt, dass er wiederkehren wird.
Oder ist das Unglück beschlossen und es ist tatsächlich der letzte Abschied, den eigentlich nur der allwissende Erzähler wissen kann?
Ich sehe keine tatsächliche Lügen, sondern eigentlich nur positives Denken und kann die Dramatik zwar spüren, aber nicht nachvollziehen.

Anders wäre es, wenn die Frau ein tatsächliches Trauma hat, das auch sehr klar dargestellt wird. Von dieser Basis kann man den Schritt zur Verlustangst und zum sensiblen Erkennen von Parallelen aus Sicht der Frau nachvollziehen.
Aber dann würde ich es anders machen. Dann würde ich die Erinnerung an den letzten Abschied als gemeinsamen Block voranschicken oder als Bild einschieben, damit es haften bleibt.
Derzeit wird es in die schon üppige Bildbeschreibung des Abschiedes eingewoben, zerfasert dadurch und bleibt beim Leser wohl nicht hängen.

Außerdem solltest Du dann auch sehr klare, nachvollziehbare Parallelen darstellen.
- gleiche Wagennummer
- gleicher Fensterplatz
- gleiche Worte etc.

Durch die zufälligen Parallelen in der Abschiedszene wird ihr plötzlich bewusst, dass sie nun auf eine andere Art die Rolle mit ihrer Mutter getauscht hat: Auch sie hat nun ihren Mann verloren auf einer Reise (weil Thomas der Arbeit, den Dienstreisen den Vorrang gibt) und weint deswegen die Tränen, bei diesem Abschied, die ihre Mutter zuvor nicht weinen konnte (Tränen ihrer Mutteraugen in die Hand des Vaters gleiten ... diese Szene ist der Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart).
Jetzt meine ich zu verstehen. Sie verliert ihren Vater durch ein Unglück, wobei dieser sein Leben verliert. Ihren Mann verliert sie, obwohl dieser unversehrt bleibt, geistig auf Bindungsebene, weil er sich für „ein anderes Leben“ entschieden hat.
Mmh, ich glaube, diese Parallelität ist schwer zu vermitteln. Denn ein Reiseunglück, eine Krankheit konnte die Mutter damals nicht verhindern, es ist einfach ein Unglück, das nicht voraussehbar war.
Den Verlust des Mannes kann sie beeinflussen:
- indem sie sich mit weniger Geld zufrieden gibt
- indem sie mit ihm redet
- indem sie selber arbeitet etc.

Diese beiden „Unglücke“ zu vergleichen und zu hoffen, dass der Leser da mitgeht und eigentlich von sich aus auf die Parallelität kommt, halte ich für nahezu unmöglich.
Das eine kommt plötzlich und unverhofft und das andere passiert schleichend.
Man könnte es probieren, aber dann sollte ganz klar dargestellt werden, dass dies der entscheidende Trennungstag ist. Allerdings weiß ich derzeit nicht, wie man das relativ klar darstellen sollte, da es eben ein schleichender Prozess ist. Klare, möglichst dezente Hinweise.
Ich würde mir das derzeit nicht zutrauen.
Aus theoretischer Sicht würde ich die beiden dann wieder mehr vereinen und an vereinzelten, nach hinten gesteigerten Aktionen zeigen, dass es klare Indizien für einen Verlust gibt.
Evtl. ist da eine Arbeitskollegin, die später hinzukommt und die genau der Grund ist, für den Umschwung und der Leser merkt, dass er sich mehr mit ihr als seiner Frau auseinandersetzt. Außerdem muß klar werden, dass die Frau das Unglück nicht fühlt, sondern klar erkennt. Bei ihr muß es einen Erkenntnismoment vor der „Lüge“ geben, den der Leser ebenso erkennt.
Wie gesagt, ein gewagtes Unterfangen, dass ich mir nicht zutrauen würde, was aber recht spannend sein kann.

Allerdings würde ich versuchen, diese Melodramatik rauszunehmen. Eine nüchterne Betrachtung a la Carver würde dieser Sache besser stehen, als dieses Geschwulst an verdrehter Grammatik. Denn es kommt ganz auf die Aufmerksamkeit des Lesers an, die wahre Geschichte zu durchschauen. Durch die überbordenden Bilder schlägt sich der Leser mit der Entschlüsselung herum und Du verlierst einen großen Teil.
Nicht das ich manchen Bildern nichts abgewinnen könnte, aber es würde dann wohl eher nicht passen.
Solch einen Stil könnte ich mir vorstellen, wenn der Konflikt tatsächlich nicht real, sondern aus der Phantasie der Frau entspringt, die bei jeder Reise einen Abschied für immer vermutet, was er nicht teilen kann, wo er aber aufgegeben hat, dagegen anzukämpfen. Dann wäre der Stil ein Mittel, den Charakter und das Denken der Frau besser und nachvollziehbarer darzustellen.
Denn er ist dann genauso künstlich, wie die Angst der Frau.

Ist aber meine persönliche Meinung vor dem Hintergrund, dass ich selber eher versuche nüchtern zu schreiben.
In diesem Sinne würde ich Dir z.B. raten, den ersten Teil auf dem Bahnsteig zu straffen, dieses unbeteiligte Schauen nach dem Zug ist stark genug, dass muß nicht so oft betont werden.
Des weiteren ist mir auch nicht ganz klar, warum Du den Ansager reinbringst, durch diesen Einstieg hatte ich das Gefühl, die Zugabfahrt verzögert sich wegen der späteren Busankunft. Wenn es nur für die Info der 5 Minuten ist, würde ich den Ansager später reinbringen.
Statt dessen könnte man hier schon zeigen, was später klar wird. Er ist routiniert, weiß dass er den Zug bekommt, wie immer. Sie unsicher, schaut lieber noch mal. Jede Abreise ist wie das erste Mal.

Naja, auch wenn Du Dich möglicherweise nicht zu einschneidenden Änderungen entschließen kannst, so ist es doch ein interessantes Experiment und ich habe mal wieder gesehen, wie viel nicht sichtbares noch in einem Text stecken kann.

Grüße
mac

 

Hi macsoja,

Wow!!

Du hast soviele konstruktive Gedanken zur Geschichte gebracht, dass ich Dir jetzt gleichmal vorneweg ein RIESENGROSSES DANKESCHOEN schicken muss. Ich weiss noch nicht, ob ich die Geschichte neu schreibe oder ueberarbeite, allerdings werde ich mir fuer beides ordentlich Zeit nehmen muessen.
(bloederweise sieht's die naechsten zwei, drei Wochen nicht nach Freizeit bei mir aus :-( ... es wird vermutlich etwas laenger dauern). Ich geb' Dir dann Bescheid. Und nochmals:
Danke!

sarpenta

P.S: sarpenta, sonst waere ich eine verweiblichte Schlange oder gleich fuenf Schlangen ... aehem.

 

Hi Jan,

ich habe die Geschichte noch einmal ueberarbeitet. Mittlerweile hat sie fast nichts mehr mit dem Original gemeinsam, ueber das vor einem Jahr mit Recht die Meinungen sehr weit auseinander gingen. Mit ein Grund dafür war sicherlich, dass diese Geschichte erst mein dritter Versuch überhaupt war, etwas zu Papier zu bringen und als sprachliches Experiment von mir vollgepropft mit den unglaublichsten und enthustiastischsten Sprachspielereien worden war, die nicht unbedingt beim Leser so ankamen, wie ich das wollte :D.
Seitdem bin ich zwar kein Profi geworden, aber ein bisschen etwas sollte ich doch gelernt haben. Unter Anderem dein Kommentar hat mich nun dazu veranlasst, die zehn Geschichten, die ich bisher hier eingestellt habe, all der Reihe noch einmal durchzugehen. Mit dieser hier mache ich den Anfang.

Nun aber zu deinem Kommentar und zu den Änderungen in der Geschichte:

Die beiden Figuren sind so entgegengesetzt gezeichnet, dass man sich unwillkürlich fragt, was die beiden überhaupt zu einem Paar macht. Die Tochter? Die finanzielle Abhängigkeit der Frau?
Man erfährt von einer scheinbar schönen Vergangenheit, als er noch nicht reisen musste, nun das ist ziemlich wenig.

Ich kenne viele Paare, bei denen ich mich frage, wie es passieren konnte, dass sie zueinander fanden, und warum sie sich noch immer nicht getrennt haben. Ist es Faulheit oder Gewohnheit, ist es Liebe, sind es die Kinder oder ist es das Geld oder ...
Was ist der Grund, dass zwei Menschen ihre Wohnung teilen, aber nicht ihr Leben? Was ist der Grund, dass manche Beziehungen Einbahnstrassen sind, weil derjenige, der mehr liebt, auch mehr in Kauf nimmt?

Auf diese Fragen gibt es tausend Antworten, die doch nur wieder zu neuen Fragen führen. Ich glaube nicht, dass ich das in einer KG ausdiskutieren kann. Aber Du hast Recht, was ich geschrieben hatte (und das auch nur erwaehnt) war zu wenig. Ich habe das jetzt weiter ausgebaut.

Du schreibst:

Man erfährt auch nicht, wohin der Mann aufbricht und damit fehlt ein wichtiger Grund.

Nicht die Reise ist der Grund für Marthas Sorgen, sondern die Tatsache, dass sie - wie meistens diejenigen, die zu Hause bleiben - mehr unter den Trennungen leidet. Sie fühlt sich zunehmend allein und im Stich gelassen und bemerkt, dass sich Thomas immer mehr von ihr entfremdet. Sie beginnt zu fürchten, dass sie ihn einmal verlieren könnte, aufgrund des abwesenden und vielleicht auch lieblosen Verhaltens, das Thomas an den Tag legt. Dazu bedarf es keiner speziellen Reise. Um die Allgemeingueltigkeit der Situation herauszustreichen, habe ich den Eingang weiter ergaenzt.

Deinem nächsten Kommentar

Viele Indizien, die mich als Leser eher in die Arme des Mannes treiben. Scheinbar ist sein Verhalten das normalere von beiden, wobei seine Anteilnahme seiner Frau zuliebe ruhig größer sein könnte.
muss ich eine Bemerkung des Barden gegenüberstellen:
dir ist es aber klar, dass thomas ganz schön schlecht abschneidet. ich denke, dass es ungewollt ist. dennoch, er wirkt unsensibel und von martha indirekt verurteilt.
Ich habe bewusst beide Personen sehr extrem gezeichnet, polarisiert, um dem Leser klar zu machen, was bei Beiden schief läuft. Dass beide Extreme aus der Sicht eines der Protagonisten registiert werden, sagt mir, dass die Personen einigermassen klar gezeichnet sind. Weil aber nur jeweils eine Sicht je Leser registiert wird, ... nun ... dass diese Geschichte mehrfach gelesen werden kann. Ich hab' versucht, mit meinen Änderungen etwas darauf einzugehen und es ausgewogener zu gestalten. Einfach war's nicht.

Es sei denn, es nervt ihn richtig. Es sei denn, er will gar nicht, dass sie so viel Tamtam macht. Dann müsste es aber auch hinweise von bestimmter Unzufriedenheit, Genervtheit geben, die natürlich auch ein Motiv brauchen. Aber so sehe ich nur Teilnahmslosigkeit und das wirkt unnatürlich.

Wäre Thomas genervt, dann wäre die Geschichte eine andere. Dann würde ihm irgendwann einmal der Kragen platzen und alles wäre aus. Ich wollte Martha und Thomas aber als ein Paar beschreiben, die beide eigentlich nicht geeignet sind, ein gute Beziehung zu führen. Thomas ist nicht beziehungsfähig, fast schon kühl, etwas karrierebezogen oder teilnahmslos, er lebt ausserhalb der Familie, während Marthas Gedanken sich nur um Familie, Zusammenleben und Beziehung drehen, sonst hat sie nichts. In dem Moment, in dem sie bemerkt, dass sie das auch nicht wirklich besitzt (als sie sich an den letzten Abschied von ihrem Vater erinert), wird ihr Leben sinnlos und sie geht zurück zu ihrer Tochter, die die einzige ist, die ihr bleibt, bis auch sie irgendwann einmal erwachsen ist und sie verlässt. Diese Figurenkonstellation ist stabil, dieser Abschied wird sich immer wieder neu widerholen, weil es für Thomas keinen Grund gibt, etwas zu ändern, und weil Martha das nicht kann, weil sie sich sonst eingestehen müsste, dass sie nichts mehr hat. Die Szene ist damit ein Sinnbild für den Zustand in manchen Beziehungen: Zwei Fremde leben nebeneinander.
Da das nicht vollständig so erkannt wurde, habe ich noch weiter versucht, diese Dinge in den Dialog der Beiden einfliessen zu lassen. Auch habe ich den Dialog etwas umgestaltet. Martha fragt etwas oefters und nach der nuechternen Antwort von Thomas folgt in der Regel eine Leerzeile, wie eine Pause im Gespraech. Mal sehen, wie das auf die Leser wirkt.

Aber die Verbindung zwischen den Abschieden bleibt verborgen.
Oh - da sind und waren aber einige Parallelen: Der gleiche Ort, die gleiche Personenkonstellation: Vater Mutter und fuenfjaehrige Tochter, ausserdem Thomas sieht ihrem Vater sehr aehnlich, ist der Mann, denn sie haben wollte; Schliesslich: Thomas setzt sich genauso hin, wie ihr Vater beim letzten Abschied, die Szene wiederholt sich. Das ist dann endlich der Grund dafuer, dass ihr plötzlich klar wird, was der Unterschied zwischen Damals und Heute ist, und welche Konsequenzen das für sie traegt. (geahnt hatte sie das zuvor schon - ab diesem Zeitpunkt weiss sie es: Egal wann und wie Thomas zurückkommt, ihr Mann ist schon längst abgereist, es gibt nur noch diesen Fremden in ihrem Leben.)
Wie kann ich mich da reinversetzen, ohne dass es nur eine diffuse Sorge ist?
... indem ich, der Autor, da noch ein bisschen rumwerkle ;)

Gut auf den Punkt gebracht hast Du diese Dinge mit:

Ich spüre, dass da mehr ist, als man auf den ersten Blick sieht, aber ich kann nicht fühlen, was es ist. Es bleibt verborgen und ich sehe, wie zwei fast fremde Menschen Abschied nehmen. Ich verstehe nicht die Gleichgültigkeit des Mannes und die klammernde Sorge der Frau.
Wie die Personen Abschied nehmen ist bei Dir angekommen. Der Focus dieser Geschichte liegt nicht darauf, das Leben der Beiden und die Gruende aufzuklaeren, wieso es soweit kam. Dazu muesste ich einen Roman schreiben. Ich wollte nur die Szene beschreiben, ihr Erkennen, ihre Anbindung in die Schwaechen der Akteuere.

Was unterscheidet diesen Abschied von anderen? Was läuft hier anders? Was ist das Besondere?
... dass sich Martha erinnert und begreift. Die anderen Fragen die Du an dieser Stelle bringst kann ich sehr gut verstehen, aber ich will im Text nicht zu sehr darauf eingehen, weil man sonst als Leser dazu geneigt ist, das als Vorwand anzunehmen und nicht den eigentlichen Sinn der Geschichte erkennen könnte. Ich hoffe, Du kannst mit der neueren Version besser leben.

Von Argumenten, wie den Aufstiegsmöglichkeiten, die möglicherweise an anderer Stelle diskutiert wurden, kann ich als Leser nicht viel sehen.
Waren vorher nur zwei Worte, jetzt sind es zwei Saetze - aehem.

Ist es nun eine Ahnung, dass sie ihren Mann verlieren wird und sie macht sich das Leben einfach einfacher, indem sie sich vorstellt, dass er wiederkehren wird.
Sie bemerkt, dass sie ihn eigentlich schon verloren hat. Ich habe versucht, fuer die Szene am Ende, bei der sie sich an ihren Vater erinnert, etwas mehr Bruecken zu bauen. Ich hoffe, das ist jetzt besser so.

Anders wäre es, wenn die Frau ein tatsächliches Trauma hat, das auch sehr klar dargestellt wird.
Wenn Du als Kind ein Elternteil verliertst, dann bist Du geprägt. Du musst kein Trauma haben, um anders zu "ticken". Auch wirst Du automatisch Deine Familie anders gewichten. Bei Martha geht das soweit, dass sie sich einen Mann gesucht hat, der ihrem Vater ähnlich sieht, ihm aber - was sie zu spät bemerkt - nicht ähnlich ist. Auch hat sie ihre Tochter nicht geweckt, damit sich diese von Thomas verabschieden kann, und sie klammert sich an ihn. Ich wollte nicht noch mehr schreiben.

Aber dann würde ich es anders machen. Dann würde ich die Erinnerung an den letzten Abschied als gemeinsamen Block voranschicken oder als Bild einschieben, damit es haften bleibt.
Daran hatte ich auch bereits gedacht, habe es aber verworfen, weil sonst die Parallele zum letzten Abschied ihres Vaters nicht deutlich wird. Dass sie aber selbst dann noch immer nicht erkannt werden muss, hat mir Dein Kommentar gezeigt und mich zu einer weiteren Hervorhebung der Parallelen veranlasst.

Etwas spaeter schreibst Du:

Jetzt meine ich zu verstehen. Sie verliert ihren Vater durch ein Unglück, wobei dieser sein Leben verliert. Ihren Mann verliert sie, obwohl dieser unversehrt bleibt, geistig auf Bindungsebene, weil er sich für "ein anderes Leben" entschieden hat.
Das hast Du anhand der Kommentare bemerkt, nicht anhand der Geschichte. :(
Die Geschichte war also noch nicht klar genug geschrieben. Ich hoffe, ich konnte das jetzt soweit verändern, dass das jetzt klappt und Du folgendes nicht mehr für unmöglich hältst:
Diese beiden "Unglücke" zu vergleichen und zu hoffen, dass der Leser da mitgeht und eigentlich von sich aus auf die Parallelität kommt, halte ich für nahezu unmöglich.
Das eine kommt plötzlich und unverhofft und das andere passiert schleichend.
Man könnte es probieren, aber dann sollte ganz klar dargestellt werden, dass dies der entscheidende Trennungstag ist. Allerdings weiß ich derzeit nicht, wie man das relativ klar darstellen sollte, da es eben ein schleichender Prozess ist. Klare, möglichst dezente Hinweise.
Tja, das hatte ich versucht. Ich hab's nochmal versucht ... :D

Nicht das ich manchen Bildern nichts abgewinnen könnte, aber es würde dann wohl eher nicht passen.
Solch einen Stil könnte ich mir vorstellen, wenn der Konflikt tatsächlich nicht real, sondern aus der Phantasie der Frau entspringt, die bei jeder Reise einen Abschied für immer vermutet, was er nicht teilen kann, wo er aber aufgegeben hat, dagegen anzukämpfen. Dann wäre der Stil ein Mittel, den Charakter und das Denken der Frau besser und nachvollziehbarer darzustellen.
Denn er ist dann genauso künstlich, wie die Angst der Frau.
Der Konflikt ist zwar vorhanden, wird aber nicht ausgetragen, streng genommen betrifft er nur die Frau. Insofern hast Du mit diesem Kommentar nicht ganz Unrecht. Auch aendert sich der Stil der Geschichte ganz bewusst an mehreren Stellen. Ich hoffe, Einleitung wie die Stellen, an denen sich fuer Martha Realitaet und Vergangenheit zu vermischen beginnen, lassen sich auch anhand der Sprache erkennen.

Schließlich noch:

In diesem Sinne würde ich Dir z.B. raten, den ersten Teil auf dem Bahnsteig zu straffen, dieses unbeteiligte Schauen nach dem Zug ist stark genug, dass muß nicht so oft betont werden.
Des weiteren ist mir auch nicht ganz klar, warum Du den Ansager reinbringst, durch diesen Einstieg hatte ich das Gefühl, die Zugabfahrt verzögert sich wegen der späteren Busankunft. Wenn es nur für die Info der 5 Minuten ist, würde ich den Ansager später reinbringen.
Gute Anregungen:
Hinsichtlich des Eingangssatzes mit dem Ansager wollte ich nur Ort, Zeitrahmen, und Situation der Personen deutlich machen, zudem etwas von der morgendlich gehetzten Stimmung auf dem Weg in die Arbeit verbreiten. Das ist jetzt geaendert, auch wird das schauen auf dem Bahnsteig nicht mehr widerholt und die Spielerei Trauer und Totensarg etc. sind weg.

Ich hoffe, sie ist jetzt etwas besser gelungen.

Waere mir lieb, wenn Du evtl. diese Geschichte noch einmal lesen könntest,

lieben Gruss,

sarpenta

 
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Abschied


Abends wie Morgens:
Zweibeinige Ameisen drängen in Busse und bahnen sich Wege durch fahlgesichtige Gestalten schlafsüchtigem Esprits. Somnambule Tagträumer mit Dösaugen liegen unter Jacken begraben wie Flunder im Sand: Fesche Apettithappen verdrehen ihren Stielaugen das Eigenbild zum Adonis, aber kühle Schultern rücken aufkeimende Hitze und Blicke beiläufig zurecht. Ihre Augen sind Fassadenkletterer und hängen Haken wie Öse an Schlösser aus Luft: Wer abstürzt, fällt aus den Wolken, weil Träume keinen Boden umfassen.
Zwischen all diesem Treiben tritt Schweigen sich dumm auf die Füße: Der Monolog peinlicher Gedanken ist der Smalltalk Unbekannter auf engstem Raum. Wenn sie noch Köpfe hätten, Sardinen würden sie schütteln im Öl und ausbüchsen aus Orten, an denen Großstadtmenschen ausgesuchte Einsamkeit in Hüftkontakt feiern.

Auch Martha und Thomas spähen Schulter an Schulter in den Wald grauer Gesichter und lesen kurzsichtig Kaffeesätze aus Augenringen, Dreitagebärtchen und Schmollmündern wie hingemalt. Sie sitzen ihre Zeit ab im Transport gefangener Interessen, die alle zum Zug kommen möchten.
Endstation Bahnhof. Schnittstelle und Trennungspunkt. Willkommensgruß und Abschiedsträne. Das A und O der Reise.
Eng aneinander gepresst schweigen sie beide wie alle.


Aber: Liebende stehen sich näher und flüstern.

Erst als der Strom der Menschen sie aus dem Bus in die Halle spült, beginnt im Lärm ihr Gespräch:

Weißt Du noch, welcher Bahnsteig?
Den ersten, denke ich, aber besser, wir sehen noch mal nach, sagt sie.
Sekunde - die sagen es gerade durch: Ankunft in fünf Minuten, Gleis eins.
Gut, dann haben wir noch etwas Zeit.
Schweigend wie im dichtgedrängten Bus zuvor geleitet Martha ihren Thomas zur Plattform.

Thomas ist aufrecht. Seine Blicke hüpfen von Gesichtern zu Jacken, huschen über Anzeigen und Taschen, tänzeln um die ersten Sonnenstrahlen und verlieren sich mit ihnen in der Ferne, aufbrechend, zuversichtlich, von Sorgen frei.

Marthas Last trägt keine Tasche. Sie folgt seinem Schatten im letzten Licht der Leuchtstofflampen, versunken in Gedanken, in Worten, die noch sprechen müssen, die noch suchen: das Notgepäck für triste Trennungsstunden.

Beider Schatten durchdringen einander, links von roter Sonne eingefasst am Rande der Geleise.

Thomas setzt seine Taschen ab und wendet sich ihr zu.
Du wirst lange weg sein, sagt Martha.
Es sind doch nur vier Wochen, die gehn vorüber wie im Flug, spricht er.

Rufst Du uns an?
Du weißt doch: Wenn ich dort spät nach Hause komme, ist es hier mitten in der Nacht. Ich müsste Euch wecken, jedes Mal. Und wenn ich aufstehe, dann arbeitest Du schon wieder, entschuldigt sich Thomas in logischer Empathie.

Marthas Hunger beißt sich auf die Lippen, um näher noch neu aufzublicken:
Schreibst Du uns?
Aber sicher doch, das habe ich noch jedes Mal getan, sagt er satt und wendet sich der Ankunft zu: Schultern schreiben T in diese Morgenkühle.

Martha weiß, dass eine Karte kommen wird, voller Bilder, vordergündig, wenig Worte nur dahinter. Am ersten Tage abgeschickt, gewissenhaft und pflichtbewusst, verlässlich, wie immer, der gelassene Bote seines Trennungsschweigens, das beide fest verstrickt, verknüpft, verwebt mit ihren Lebensfäden, die ganze Zeit, bis zu dem Moment, an dem er wiederkommt - aber ihre Erinnerung sehnt sich zurück zum dem Kuss, schüchtern, in der dunklen Ecke der Gasse, dem improvisierten Urlaub im Zelt, am Rande der Stadt. Das Wasser vom Bach war Wein aus seinen Händen und ihr Lächeln das Brot seiner Worte, geteilt auf dem Altar erster Liebe: Opferfeier und Wandlung zugleich.
Aber nun schließt sie die Augen.
Das Gedächtnis ist der gewissenhafteste Grabräuber alter Gefühle: Wer sich erinnert, wird nur der Öde des Alltags gewahr. Aber - das Leben ist der Traum, den man mit offenen Augen träumt.

Ich werde mir die Tage frei nehmen, wenn Du wieder da bist, sagt sie.
Thomas Augen kneifen sich am Horizont den Punkt heraus, an dem der Kopf der Eisenschlange wie ein Wurm im Regen aus dem Boden hervorgekrochen ist.
Schatz, das muss nicht sein - ich bleibe das nächste Mal länger zu Hause, sicher, sagt er, beruhigend, und nimmt sie in den Arm, obwohl er weiß, dass das nicht geht. Er ist der Frosch auf der heiteren Leiter seines Erfolgs: Springt er ab, folgt das Gewitter. Aber, wer den Bodensatz fürchtet, vergisst den Storch über den Köpfen, den Geier aller wechselwarmen Gestalten.

Ein Luftzug kühlt vorbei, spielt ihre Haare, als sie vor ihn tritt: In zwei Wochen beginnt für unsere Kleine die Schule.
Ich weiß, aber das ist doch schon alles geregelt, entgegnet er, wobei sein Blick für den Moment bei seiner Frau verweilt.
Lisa würde sich aber sehr freuen, wenn Du ihr etwas schickst. Ich habe mich auch immer sehr gefreut, etwas von meinem Vater zu bekommen, damals, als ich noch klein war, erklärt sie.

Traurige Gedanken erwachen im Sarg ihres Vaters, kriechen empor und suchen nach Liebe; doch Thomas studiert ahnungslose Spielzeugbahnen am Horizont.

Dieses Lächeln - erkennt sie es wieder?

Ja, ich habe schon daran gedacht, weiß Thomas, reflexhaft, ohne wahre Bindung. Eingeübt in langen Jahren: Alltagsautomat.
Überrascht bemerkt er, wie ihre warmen Hände fest nach seinen Fingern greifen.
Kannst Du das machen, bitte, ihr zu liebe?

Ihre Hände greifen tiefer, graben weiter, durch die Finger, wühlen auf ergraute Bilder, die vergilbt nun farbig werden: Ein Abend, der Abend, an dem ihr Vater reiste, das letzte Mal verreiste, und sie, fast schon fünf, mit Mutter hier am Bahnsteig stand, das allererste letzte Mal.
Aus den Stimmen, dem Gewirr, zerlösen sich nun Worte, die Worte ihrer Mutter waren und fassen nach der Hand des Vaters: 'Pass auf Dich auf, Georg, ich liebe dich - '. Sie wusste nur, dass Papi fliegen musste, weit übers Meer und hoch zum Himmel, fast bis hin zum lieben Gott.
Sie wusste das, nur Mutter nicht - so blieb sie dort alleine, als sie schon weinte.

Wann kommt Papi wieder, wollte sie wissen.
In zwei Wochen, antwortete die Mutter.
Wie lange sind zwei Wochen, fragte sie weiter.
Eine Ewigkeit, sagte die Trauer.

Wie sehr er meinem Vater gleicht, denkt sie - und will nicht wissen mehr warum - als er so alt wie Thomas war, so groß und kräftig, so ruhig und dennoch voller Leben.

Ihre Blicke blinzeln feucht vorbei an tiefer Morgensonne und beneiden Schatten über Hals und Kinn, die mit ihm reisen; sie küssen zärtlich diesen Kratzer an der Lippe, die kleine Delle rechts neben seiner Nase und die dunklen Augen, die erwartungsvoll an ihr vorbei die Ferne suchen.

Thomas sieht sie an wie lange nicht: Er spürt, dass etwas anders ist. Er weiß, sie vermisst ihn sehr, und ahnt, dass Lisa nach ihm fragen wird, jeden Tag, an dem er nicht zu Hause ist. Der Druck der Hände bohrt die Fragen in ihn ein, das Quengeln kleiner Kindermünder, Kindersorgen, Kinderfragen, unschuldig oft am Tag gestellt.
Er denkt dann an die Tochter, als er spricht, ja - ja, ich mach' das schon.

Leises Donnern des Zuges mischt sich schon in ihre Worte als sie sagt: Ist gut, sie vermisst Dich doch so sehr.
Sie spricht dabei für sich, und weiß, es ist zu früh für Lisa, zu früh um fünf am Morgen, in dem Moment, in dem sie bemerkt, dass nur sie die kühlen Hände hält, die langsam ihr von selbst entgleiten.

Wie vor langer Zeit hört sie seinen Mund noch sagen, ich liebe Dich, ich lieb' Euch beide, den Mund, den sie noch küssen würde, den sie dann vermissen würde, die ganze Zeit.
Gib Lisa einen Kuss von mir, kommt es wie aus Nebeln, über denen eine Sonne sitzt, so frech auf seiner Schulter, ein goldener Vogel, eine Last, schwerer noch wie Blei.

Seine Augen, sie sind ihr doch zugekehrt, als sie verspricht: Ich liebe Dich.

Es ist der Luftzug, der sie sanft von hinten fasst, geschoben von dem Zug, der Lufthauch, der sie leise an ihn drückt, in dem Moment, als er sich nach den Taschen bückt. Sie berühren sich noch sanft, noch einmal, sie blicken sich noch an, umarmend, und bleiben beide schon getrennt, da er die Taschen in den Händen hält.

Ich muss jetzt los, spricht er, die Schultern sind gedreht zur Tür, zum Einstieg, zur Gelegenheit des nächsten Wagens. Hastig bückt er sich hin zu ihr und küsst sie auf den Mund, ohne Rückhalt, ohne Hände, die sie doch umfassen sollten.

Wie losgerissen steht sie da und und blickt ihm nach.

Thomas steigt in den Wagen und setzt sich hin, den Rücken schräg zu ihr gekehrt, wie Papi damals, denkt sie noch und sieht den Vater sich erheben, das Fenster öffnen, spürt, wie er die Hände ihrer Mutter nimmt, auch ihre Hände zärtlich streichelnd, und hört die Mutter dabei sagen: Pass auf Dich auf, Georg, ich liebe Dich so sehr, sie fühlt den frischen Tränenzweig aus ihren Mutteraugen wachsen und rückwärts durch die Zeit auf des Vaters Händen blühen als Echo seiner Stimme aus dem Fenster, wo Thomas seine Zeitung liest, nichts ahnend seine Zeitung liest, im Zug, der eben losgefahren, weggefahren, weg von ihr, zu dem sie nur noch flüsternd spricht: Komm doch zurück, komm nur zurück, zurück zu mir.

Doch nur der Wind spielt zärtlich noch mit ihren Haaren.

Martha muss nun heim zu Lisa, die noch schläft, der sie noch sagen muss, dass Thomas nicht gegangen ist, sie nie verlassen wird, und dass er wieder käme, bald schon wieder käme, zurück zu ihnen, immer.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi sarpenta,

ich habe deine neue Version gelesen. Im ersten kursiven Abschnitt sind mir die Metaphern einfach zuviel, es ist wie ein zu üppiges Mahl für mich.
Stichwortartig:

schlafsüchtigem Esprits
da fällt mir kein Bild dazu ein. Esprit hat für mich etwas lebendiges, nach vorne Strebendes; das beißt sich in meinem Sprachverständnis

Somnambule
musste ich nachschlagen; wieviel müssen es auch noch? Es spricht ja nichts dagegen, Fremdwörter zu benutzen, aber es muss im Kontext stimmig sein. Dieses Fachwort finde ich hier etwas übertrieben eingesetzt oder bin ich zu unbelesen :hmm: ?


Tagträumer mit Dösaugen liegen unter Jacken begraben wie Flunder im Sand: Fesche Apettithappen verdrehen ihren Stielaugen das Eigenbild zum Adonis, aber kühle Schultern rücken aufkeimende Hitze und Blicke beiläufig zurecht.
Da muss ich mich aber anstrengen, um das von dir entworfene Bild einer morgendlichen Busgesellschaft vor meinen Augen lebendig werden zu lassen.
Ich möchte damit aber nicht sagen, dass ich diese Bilder nicht gut finde; gerade der Absatz mit den kühlen Schultern hat was. Was mich stört ist die Menge, die auf mich einprasselt.


Ihre Augen sind Fassadenkletterer und hängen Haken wie Öse an Schlösser aus Luft: Wer abstürzt, fällt aus den Wolken, weil Träume keinen Boden umfassen.
Das finde ich gut.
Wenn sie noch Köpfe hätten, Sardinen würden sie schütteln im Öl und ausbüchsen aus Orten, an denen Großstadtmenschen ausgesuchte Einsamkeit in Hüftkontakt feiern.
Mit dem Bild wiederum habe ich meine Schwierigkeiten. Sardinen liegen in ihrer Büchse eng beieinander, aber was hat das mit den Menschen zu tun, deren Hüften sich beim Busfahren berühren? Was du damit sagen willst, kann ich nur vermuten.

Auch Martha und Thomas spähen Schulter an Schulter in den Wald grauer Gesichter und lesen kurzsichtig Kaffeesätze aus Augenringen, Dreitagebärtchen und Schmollmündern wie hingemalt.
Was meinst du damit? Kaffeesatzlesen kenne ich mit verbrauchtem Kaffeemehl - aber wie soll ich das mit Augenringen in Verbindung bringen, auch noch in Verbindung mit dem kurzsichtig?


Sie sitzen ihre Zeit ab im Tansport gefangener Interessen, die alle zum Zug kommen möchten.
Transport

Die Grundstimmung des Ehepaares ist düster. Sie hat alte Ängste, die in dieser Situation hochkommen. Der frühe Verlust ihres Vaters, der sie nun auf die aktuelle Situation projeziert. Was ist, wenn er nicht zurückkommt?
Sie scheint in ihm einen Vaterersatz gesucht zu haben (er sieht ihm so ähnlich) und das reicht nicht als Basis einer funktionierenden Ehe.

Er ist so unbeteiligt, dass ich vermuten könnte, seine Frau hat nicht nur Angst, es könnte ihm etwas passieren, sondern dass er sie verläßt, so lieblos, wie das Miteinander der Beiden geschildert wird. Er ist vier Wochen weg und schreibt einmal, ansonsten kümmert er sich scheinbar nicht um das Wohl seiner Familie. Ob er sich an anderer Stelle anders kümmert?

Da frage ich mich noch, wieso sie ihn denn überhaupt zum Zug begleitet, wenn es doch kein lieber Abschied gibt und die Tochter dazu noch alleine zu Hause läßt (wobei sie ja alt genug ist). Die Ehefrau macht auf mich einen sehr abhängigen Eindruck. Ob er das ausnützt, läßt sich aus dem Text nicht erschließen. Es gab keinen optimistischen Schimmer in der Geschichte, das macht es auch nicht leichter, sie zu mögen.

Diese Geschichte ist sperrig, hat aber ihren Reiz. Für deine künftigen Überarbeitungen würde ich dir aber raten, einfach auf einige Metaphern zu verzichten. Die Fülle kann auch etwas kaputtmachen, jedenfalls bei mir als Leserin.

Liebe Grüße
bernadette

edit: Jetzt erst sehe ich an den vorherigen Kommentaren, dass du deine Intention schon weit erklärt hast. Das hatte ich bei meinen Gedanken nun nicht im Hinterkopf, was aber eigentlich für dich noch besser ist, da ich ohne Vorbelastung in die neue Version bin.

 

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