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Abschied
Eine Socke fehlt. Wo ist bloß diese verdammte Socke?!
Ich suche Dennis Zimmer ab, schaue unter dem Bett nach, zwischen seiner Wäsche, finde sie aber nicht.
„Was suchst du?“, fragt Dennis.
„Meine Socke.“
Er geht zum Bett, greift dahinter und bringt ein kleines, blaues Stück Stoff zum Vorschein. „Die hier?!“ Um seine Lippen zuckt es neckisch.
„Oh.“ Ich nehme sie entgegen und stecke sie in die Reisetasche.
Als ich vor über einem Jahr zum ersten Mal aus dem Zug am Celler Bahnhof ausstieg pochte mir das Herz bis zum Hals. Ich blickte mich unsicher um, suchte das Gleis nach jemanden ab, sah keinen. In meinen Muskeln kribbelte es. War ich den ganzen weiten Weg umsonst gefahren? Mir wurde es ganz flau in der Magengegend.
Leicht zitternd gehe ich Richtung Treppe. Vielleicht steht er ja dort.
Ich hatte meinen Blick gerade ausgerichtet und stand schon auf der ersten Stufe als mir jemand auf die Schulter tippte.
„Du siehst einen aber auch nicht, was?“, fragte mich eine mir bekannte Stimme.
Ich drehte mich um. Ein etwas kräftiger Kerl stand vor mir. Er überragte mich mindestens einen halben Kopf.
Ich spürte wie sich meine Lippen bewegten als ich dieses freundliche Gesicht sah. „Dennis.“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
Dennis nahm mich in die Arme und drückte mich feste. Das erste Mal dass er mich so in den Arm nahm und nicht das letzte Mal. Dann packte er meine Tasche und trug sie für mich auf dem Weg zum Auto.
„Ich freue mich, dass du gekommen bist.“ Er grinste bis zu beiden Ohren. „Du siehst genau wie auf dem Bild aus, das du mir geschickt hast.“
Ich mochte etwas sagen, doch zu mehr als einem Nicken und zittrigem Lächeln war ich nicht imstande.
„He, nicht so schüchtern.“ Dennis zog mich noch mal in seine Arme und küsste mich auf die Stirn.
Später, wenn ich ihm mit Leib und Seele verfallen war, würde ich auch nicht mehr schüchtern sein …
„Hast du alles?“
Ich blicke auf. Direkt in das Gesicht meines Freundes. „Jopp.“
Er nimmt die Tasche und trägt sie bis zum Auto. Wie beim ersten Mal.
Im Auto legt er für mich eine Onkelz-CD ein, obwohl er die Band gar nicht mag. Ich muss daran denken, dass er so viel für mich tut und immer versucht hat, mir alles zu geben.
Auf der Fahrt zum Bahnhof sind wir beide sehr still.
„Ich hätte gern nen Bild von uns Beiden gemeinsam.“
Wir lagen gemeinsam im Bett und umschlangen uns ganz fest. Es war schön seine Wärme zu spüren und sein Herzschlag hören zu können.
„Können wir machen“, antwortete ich und kuschelte mich noch enger an ihn. Ich hatte ein wohliges Gefühl in mir. Für diesen Moment waren nur er und ich wichtig.
„Warte mal kurz.“ Dennis stand auf und ließ mich alleine im Bett und Zimmer zurück. Ich hörte, wie er im Bad etwas suchte.
„Was hast du vor?“, rief ich.
„Zieh dich obenrum aus. Ich werde dich massieren.“ Dennis erscheint in der Tür, in der Hand hielt er eine Flasche Babyöl.
Wir stehen am Bahnhof. Tränen laufen mir an den Wangen runter. Er hält mich ganz fest. Ich wünschte, er würde mich nie loslassen, würde sagen, dass ich bleiben soll, würde mich davon abhalten in den nächsten Zug zu steigen.
Es ist wie das erste Mal als wir uns voneinander verabschieden mussten. Kein bisschen einfacher. Nicht nach diesem Jahr.
Ich löse mich von Dennis und blicke in sein Gesicht. Es schmerzt. Dieser Abschied ist mir zuwider. Ich sehe in seine braunen Augen und das Herz wird mir schwer.
„Nicht so traurig. Wir sehen uns doch wieder“, versuchte Dennis zu trösten. Dabei war er selbst kurz vorm weinen. „Es hat doch erst mit uns angefangen.“ Er strich mit Tränen aus den Augen.
Es war das Ende des erstens Treffen. Eine ganze Woche war ich bei ihm gewesen. Aber er hatte recht. Wir würden uns wiedersehen. Trotzdem konnte ich die Tränen einfach nicht halten. Es tat einfach weh. Ich wusste, dass ich ihn schrecklich vermissen würde.
„Und wir telefonieren auch jeden Tag.“ Er nahm mich in seine Arme und hielt mich einfach nur fest. Das war es, was ich brauchte. Seine Wärme, seine Liebe. Wie sollte ich bloß die nächsten zwei Monate überstehen?
„Aber das ist kein Ersatz“, schluchzte ich und hörte ihn nun auch weinen.
„Es tut mir leid“, flüstere ich. Ein neuer Schub Tränen kommt. Auf dem Gleiß wird angesagt, dass der Zug einfährt.
„Es ist doch ok. Ich verstehe es.“ Auch Dennis hat Tränen in den Augen. Das sehe ich jetzt. Und das macht es mir nicht einfacher.
Als der Zug eingefahren ist und gehalten hat, berühren seine Lippen noch mal die meinen. Dann steige ich in den Zug ein. Erhält mich nicht zurück. Ich blicke noch einmal zu ihm.
Da steht er, mit nassem Gesicht und feuchten Augen. Ich wende mich ab, weil ich das nicht ertragen kann. Schmerz scheint mich innerlich zu zerreisen. Schreien will ich. Das wissen, ihn nie wieder zu sehen, schmerzt. 500 km sind doch zu weit. Und ohne dass jemand in vorhersehbarer Zeit zum anderen ziehen kann, wird mich diese Entfernung innerlich zerreißen. Arbeit. Schule.
Es tut mir leid, denke ich, aber ich kann nicht mehr. Der Zug fährt los und keiner hat mich rausgeholt …