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Abschwung
Ich höre Körber schon sagen, dies sei der Lauf der Dinge, am Anfang begegne man sich noch auf Klassentreffen, dann zu Hochzeiten, schließlich auf Beerdigungen. Aber Körber war schon immer ein Arsch.
Er steht neben mir in der ersten Reihe. Eine zweite gibt es nicht.
Der Pfarrer hat ein schwarzes Mützchen auf und liest aus dem Markus-Evangelium. Kati schluchzt, durchaus melodisch. Frank hat nur noch einen Arm, nicht mal den legt er ihr um die Hüften.
Ich starre auf die Schaufel neben dem Grab, auf das Häufchen Erde. Da liegt er: Silvio Peruzzi-Müller, Keyboarder und letztes aktives Mitglied der Gruppe Aufschwung. Das letzte Mal hab ich ihn auf der Rubin-Hochzeit meiner Tante gesehen, auf goldene konnte man kaum hoffen. Der Mann Altersdiabetes, man kennt das ja.
Silvio hat da den Alleinunterhalter gegeben: Ein Stern, der deinen Namen trägt, Sierra Madre del Sol und einiges über Blumen. Silvio hat mich die ganze Zeit angeschaut, während er das Fis gesucht hat oder das Cis oder einen Vorwand, mich auf die Bühne zu zerren; ich bin gegangen, bevor er Feierabend hatte.
Körber macht wenig Federlesen. Schaufel in die Erde, zwei mal. Zack, stehen geblieben, damit es so aussieht, als hätte er noch was zu sagen, dann geht er.
Kati schlurft. Früher, als ich mit ihr aus war, Jägerschnitzel, Salat dazu, Pommes, noch einen gigantischen Eisbecher und mir aufs Steak gestarrt, zwischen zwei Bissen. Ein Vorbau wie ein Sonnendach. Heute zittert ihr Ärmchen schwer unter der Last der cremefarbenen Handtasche. Frank eilt schnellen Schrittes zu ihr, als sie zusammenzubrechen droht. Drückt seine Schulter an ihre und geht in die Hocke, um einarmig Erde zu schaufeln. Er bleibt dann lange stehen, Kati neben ihm, bis der Pfarrer sich schon fast räuspern muss und auch Kati wird ganz heiser im Hals. Das viele Schluchzen.
Körber, so sehe ich nach einem Blick über die Schulter, schaut sich andere Grabsteine an, das Kriegerdenkmal aus dem ersten Weltkrieg, da noch Heldentod gestorben, beim zweiten nur den fürs Vaterland.
Ich gehe nach vorne, falte die Hände und hab nichts zu sagen. Gar nichts.
Auf dem Weg zu den Wagen muss Körber schon fast weg.
Kati sagt: „Ein anderes Mal gerne, aber jetzt möchte ich doch lieber alleine sein“, doch Frank lässt das nicht zu.
„Ich hab es ihm versprochen“, sagt er hart.
Termine, behauptet Körber, das habe ohnehin schon seinen Zeitplan durcheinander gebracht. Respekt erweisen, gut und schön, aber ein Leichenschmaus, das habe, aber nun wirklich, der gute Silvio sicher nicht gewollt.
Körber zieht die Autoschlüssel aus seiner Tasche, Frank schlägt sie ihm aus der Hand. Kati schluchzt. Ihre Handtasche zittert.
Körber stellt fest, er habe dies nun wirklich nicht nötig und bückt sich nach den Schlüsseln.
Ich stelle meinen Fuß darauf.
Wir fahren mit meinem Wagen zu Frank. Körber und Kati hintendrin, Frank neben mir, der gute Arm lehnt am Fenster. Er schaut mich an und ich denke: „Ich bin kein Verbündeter, mir geht nur Körber auf den Sack. Mit mir brauchst du nicht rechnen.“
Körber sagt, das grenze nun wirklich fast an Kidnapping.
Kati flüstert: „Sei doch mal ruhig.“
Kati starrt die Snackmischung auf der Mitte des Tischs an. Frank kramt mit einem Arm seine Plattensammlung durch. Ich bewache Körber. Körber isst ein paar Salzstangen.
Naja, sagt Körber. Vielleicht habe er doch ein paar Minuten. Es sei vielleicht an der Zeit, zur Ruhe zu kommen. Von Kidnapping könne nun wirklich keine Rede sein, da habe er wohl übertrieben.
Kati zündet sich eine West light an, nimmt gierig drei Züge. Ihre Haut ist wie aus Leder, die Haare glatt. Wenig übrig von der Voodo-Priesterin von damals. Brauner ist sie jetzt, fast schwarz. Für eine Mulattin könnte man sie halten, im Dunkeln und wenn es regnet. Hat sich die Magie abgehungert, erzählt jetzt, wie schön es damals doch war und wie sehr sie das vermisst habe. „Wisst ihr noch, wie wir mal fast erstickt sind in der Skihütte. Frank wollte Feuer machen und hat Zweige geholt.“
„Total feucht“, sage ich.
„Und dann war da so viel Rauch und du hast geschrien:“
Wir ersticken, brüllt Körber, wir ersticken. Er wirft die Hände dazu in die Luft und wedelt tuntig mit ihnen herum.
Kati lacht und zieht an der West light. „Und Silvio war an der Holztür und hat an ihr gezerrt und gerüttelt.“
„Dabei ging sie nach außen auf“, murmelt Frank und das Gestern ist vorbei.
In der Nacht in der Skihütte bin ich an Katis linker Brust eingeschlafen, ich glaub, Körber lag auf der anderen Seite. Nur gekuschelt. Wegen der Kälte, hat Kati gemeint.
Wenn ich ein langes Solo hatte damals, hat Kati getanzt. Ich hab nicht nur das Solo gespielt, sondern auch sie. Ihr Arsch ging auf und ab, ihre Brüste bebten, die Haare – in alle Richtungen. Körber den Bass dazu, Frank das Schlagzeug, Silvio den ganzen Rest: Keyboard, Mundharmonika und gesungen hat er auch noch.
Bei Voodo Kakooro dachte ich jedes Mal, sie kommt gleich. Aber nie. Nie mit uns. Kati hat sich verschenkt an richtige Männer, keine Jungs.
Körber starrt sie genau so an wie ich, mit dem Handrücken schiebt er ihr die Snackmischung näher. Schaut auf die Handtasche. Bestimmt Fotos darin von einem Mann, der ihm ähnlicher ist als mir.
„Hach ja“, sagt Kati und zieht an der West light. Man kann ihre Wangenknochen sehen, die Haut ist so gestrafft. Sie kriegt bald Risse.
„Ich find sie nicht“, ruft Frank. „Ich dachte, ich hätte sie noch, aber dann muss es auch ohne gehen.“
Frank setzt sich zu uns. „Ihr wisst, was wir uns versprochen haben“, sagt er, sein Arm ruht auf der Tischplatte wie der Hammer eines Richters.
Nichts habe er versprochen, sagt Körber. Keinem.
„Ich kann mich auch an kein Versprechen erinnern“, behaupte ich.
Kati legt eine Hand auf Franks Arm. „Lass gut sein“, sagt sie. „Das bringt jetzt nichts.“
„Ein Auftritt nur“, sagt Frank. „Mehr hätte Silvio doch gar nicht gewollt.“
Ach, sagt Körber, und winkt mit einer Hand ab.
„Ich kann doch gar nicht mehr singen“, sagt Kati.
„Dann musst du vielleicht wieder mal anfangen, was zu essen“, sagt Frank und Kati zieht ihre Hand schnell zurück.
Also er habe es nun wirklich rein gar nicht mehr nötig, sich lächerlich zu machen, meckert Körber. Gerade Bass, das sei anspruchsvoll.
„Kannste haken“, sag ich.
Und einarmige Schlagzeuger, führt Körber aus, könnten nun mal auch so selten den Rhythmus halten. Im Übrigen müsse er nun wirklich weg. Die Welt warte auf niemanden, und auf uns, so fügt er hinzu, schon lange nicht.
Frank greift hinter sich und hat zwei Drumsticks in der Hand. Hält sie wie Ess-Stäbchen. Trommelwirbel auf den Tisch, die Snackmischung wackelt. Voodoo Kakooro.
Körber schaut mich an, das Grinsen im Gesicht. Ich summe meine Gitarre dazu. Körbers Augen werden größer. Die Gitarre summt über meine Lippen, der Klang breitet sich im Mundraum aus, die Zunge schlägt gegen die Zähne, meine Wangen beben.
Dann Kati, leise nur, den Refrain, sie sucht nach den Worten, drückt die West light endlich im Aschenbecher aus und greift sich ins Haar, ans Ohr, so als hätte sie Kopfhörer auf.
Die erste Zeile: Frank trommelt, ich summe, Kati singt. Und Körber, endlich Körber, er hält sich die Faust vor den Mund und bläst dumpf hinein. Ba-dabb, Ba-dabb, Ba-dabb.
Katis Stimme zittert bei den hohen Tönen und bei den Tiefen muss sie husten, mehr als einen Trommelwirbel bekommt Frank nicht hin und meine Zähne tun schon nach der zweiten Strophe weh.
Als das Solo kommt, schließe ich die Augen und denke an Katis Arsch und an Silvio, aber wenn ich an Silvio denke, sehe ich ihn nur Sierra Madre del Sol orgeln, und als ich die Augen öffne, hat sich Kati eine West light angesteckt und Körber ist schon im Mantel, nur Frank trommelt noch.
Ich stehe auf und gehe. Draußen warte ich noch auf Kati und Körber. Frank weint. Man kann ihn hören.
Kati fass ich auf dem Weg zum Auto an den Hintern. Sie tut so, als wär da nichts.
Körber sagt, es sei wirklich schön gewesen, mal wieder zur Ruhe zu kommen.