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Hallo zusammen,
eigentlich arbeite ich an einem großen Projekt und versuche mich mit Hilfe von WK ständig zu verbessern.
Nach der super tollen Geschichte von @zigga, die ich heute morgen gelesen habe, hatte ich die Inspiration für diese kurze Geschichte. Soll mein Einstand sein und mir ein erstes Feedback zu mir und meinem Schreibstil geben. Die Geschichte entstand in 4 Stunden. Ich weiß, dass ich ein Anfänger (Es ist meine aller erste Kurzgeschichte) bin, umso wichtiger ist mir die Kritik, die ich von euch allen erhalten werde. Hoffe, dass ihr trotzdem Gefallen und Interesse an meinem Text findet.Danke euch allen vorab.
Schönen Start in den Tag!
Akku leer
Ich lege auf. Das Telefon fällt mir aus der Hand. Mein Blick fixiert die Noppen auf der Tapete. Im Hals ein Knoten. Der Wind rüttelt an den Rollläden.
“Was mache ich jetzt”, sage ich vor mich hin. Der Fernseher im Wohnzimmer schallt durch die Wand. Mein Vater lacht. In der Küche klimpert Geschirr. Die Wohnung riecht nach frittiertem Gemüse und Fleisch. Ich laufe durch mein Zimmer – hin und her. Ich finde mich im Bett liegen, dann wieder auf dem Laminatboden sitzen, dann laufe ich wieder – auf und ab. Ich halte es nicht aus, ich muss raus, muss an die Luft, muss durchatmen, muss nachdenken.
Der Wind schmiegt die Kleidung an meinen Körper, Bäume biegen sich. Krähen kreischen. Ich setze die Mütze auf, ziehe sie über die Ohren und grabe das Kinn in den Kragen. Ich schlucke, meine Füße tragen mich, immer schneller, wohin? – Ich weiß es nicht. Ich laufe einfach.
Ich kann es nicht ungeschehen machen. Es ist passiert! Ich sagte ihr, sie soll zuhause bleiben, soll nicht dorthin. Ich trete gegen einen Stein, er springt über die Straße. Wer bin ich schon – sie weiß doch gar nicht, was ich für sie empfinde. Meine Füße schlurfen über den Asphalt, mein Körper glüht.
Was kann ich tun?
Ich laufe. Der Fluss zu meiner Rechten rauscht, zu viel hatte es die letzten Tage geregnet, der Boden noch immer dunkler als sonst, immer noch der Geruch frischen Regens in der Luft. Mein Telefon vibriert – auf lautlos wie immer – und reißt mich aus den Gedanken. Ich suche die Taschen meiner schwarzen Jacke ab – zu viele Taschen. Wer braucht so viele?
“Ja”, sage ich, ohne zu schauen, wer dran ist. Der Wind pfeift, Blätter rascheln, die leere Schaukel da drüben quietscht.
“Mein Sohn, wo bist du?” – Mein Vater.
“Komme bald.” Ich lege auf.
Es ist Sonntag, morgen muss ich in die Uni, ich schaue meine Hände an, sie leuchten rot. Mein Atem dampft. Der Mond scheint durch das Geäst. Er ist größer als sonst, er ist näher gerückt, er beobachtet mich. Sie weinte am Telefon. Ob sie immer noch weint? Für sie bin ich ein Freund, ein Jemand, irgendwann niemand.
Ich nehme mein Telefon heraus, die Finger zittern.
Ali, bist du wach?, möchte ich schreiben. Ich vertippe mich, schlage auf das Display. Ich versuche es nochmal, ich schicke es ab. Zwei Pfeile tauchen neben der Nachricht auf. Ich stecke das Telefon weg. Die Bank, auf der ich sitze, friert mich ein, ich spüre es nicht mehr, Wut kocht in mir, sie hält mich warm. Ich möchte nicht aufstehen. Meine Füße brennen in den dicken Stiefeln. Um mich herum raschelt Laub. Ein Auto rauscht an mir vorbei, Musik so laut, dass die ganze Straße mithört - ich fluche.
Das Telefon meldet sich:
Yo was geht?
Ich starre es an, überlege, dann schalte ich das Display wieder ab. Ich möchte ihn nicht reinziehen. Ich möchte nicht, dass er es weiß. Dann klicke ich das Display wieder an, und tippe:
Ist Memo wieder draußen? Der Bildschirm geht aus, ich blicke hoch, Spinnweben überziehen den Laternenkopf, silbern leuchten sie in ihrem gelben Licht. Mücken umschwirren es. Die Mütze drückt auf die Ohren. Ich sehe keine Sterne. Das Telefon leuchtet wieder zwischen meinen Fingern auf.
Ja Bro, wieso?
Ich atme durch, vor meinen Augen bildet sich eine Wolke.
Ach nur so ..., schreibe ich. Die Fingerkuppen taub. Ich beiße mir auf die Unterlippe, spüre mein Bart, keinen Plan wann ich mich zuletzt rasiert habe. – Ach Scheiß drauf!
Gib mal seine Nummer, schreibe ich.
Was los?
Nichts Wichtiges.
Sag doch Alter.
Bro, alles gut, check mir einfach seine Nummer ab.
Er schickt mir einen Kontakt. Zweige knacken. Das Gras leuchtet im Mondschein, der Wind treibt Wellen hindurch.
Memo, was geht? Meine Finger zittern; nicht nur wegen der Kälte. Er ist online.
Wer bist du? Ich gebe mich zu erkennen.
Welcher? Schreibt er. Wir kennen uns nicht besonders gut. Eigentlich halte ich mich fern von ihm.
Von Ali, schreibe ich. Er erkennt mich.
Ich brauche deine Hilfe, schreibe ich dann. Ich bereue es. Halte den Atem an.
Memo schreibt...
Eine Meldung erscheint auf meinem Telefon: Der Akku auf 20%.
Wo bist du?, schreibt mein Bruder
In der Nähe, macht euch keine Sorgen.
Bei was?, schreibt Memo.
Kennst du ein Chris? 18 Jahre, groß, blond, trägt so ne komische, rote Brille. Der soll bei dir im Ort wohnen. Spielt Fußball.
Schweiß rutscht mir über die Stirn. Das Gesicht klamm von der Kälte.
Ein Rasseln, kurze, schnelle Schritte, ein Hund läuft an mir vorbei, ich erschrecke mich. Am anderen Ende der Leine ein Mann, seine Brille beschlagen, die Kapuze eng um den Kopf gezogen. Die Backen rot wie Tomaten. Er beobachtet mich aus dem Augenwinkel. Wie die alte Frau, die in der S-Bahn lieber steht, anstatt sich zu mir zu setzen.
Mein Telefon vibriert. Mein Atem versteckt sich in meiner Lunge. Ich nehme den Anruf entgegen. Sage kein Wort. Der Wind heult.
"Was hat der gemacht?”, fragt Memo. Seine Stimme dünn, anders als in meiner Erinnerung. Vielleicht liegt es am Telefon.
“Etwas Falsches!”, sage ich.
Stille.
“Komm vorbei”, sagt er dann, “ich kenne den Vogel.”
Ich lege auf. Mein Kehlkopf rutscht ab.
Ich sitze im Auto, Papas Auto, ein alter Audi. Meine Gedanken jagen sich. Der Schlüssel steckt, die Brust bebt, ich zittere, Nebelschwaden verlassen meinen Mund. Draußen singt der Wind. Ich drehe den Schlüssel, der Motor startet nach einem langen Anlauf. Ich schalte das Licht an, Staub wirbelt im Lichtkegel. Ich rieche das Benzin. Irgendeine Dichtung ist nicht mehr ganz. Ich fahre los. Die Straßen sind spärlich befahren. Bäume und Felder verschwimmen, Wälder und Häuser schießen an mir vorbei, sie sind in den Schatten eingehüllt und schlafen. Der Wind heult durch die Lüftung. Meine Ohren sind spitz. Die Heizung voll aufgedreht. Ich schwitze. Ein Lichtschein wandert über die hellgraue Decke, ein Auto überholt mich – er fährt nicht, er fliegt. Ich schaue ihm lange hinterher, stelle mir vor, wie es die Kontrolle verliert und in die Leitplanken kracht, ich schüttele mich und hoffe, dass es nicht passiert. Ich fange Augen im Rückspiegel, sie sind glasig. Bin ich das? Bin ich bereit? Kann ich das?
Am Bahnhof treffe ich Memo. Seine Haare an den Seiten abrasiert, neue Tattoos schmücken den Hals. Schatten fallen unter die hohen Wangenknochen.
“Ist dir nicht kalt?”, sage ich und zeige auf die schwarze Lederjacke. Ich komme mir albern vor.
“Scheiß drauf!”, sagt er und grinst. “Was hat er gemacht?”
“Ich fick den!”, sage ich, meine Finger knacken.
“Sag, was hat er gemacht?” Er ist amüsiert.
“Das weiß er”, sage ich.
“Digger, ist es wert?” Seine Augen groß – der Kopf im Nacken, die Brauen angezogen.
“Ist doch scheiß egal.” Ich spüre, wie Schweiß in die Falten zwischen den zusammengezogenen Augenbrauen rutscht.
“Es geht ums Prinzip!”
“Musst du wissen.” Seine Hände in den Hosentaschen.
“Wo ist er?”
Memo nickt zu einer kleinen Hütte hinter dem Fußballfeld.
"Hat vor zehn Minuten was aus der Hütte gepostet, der Depp."
Lichter brennen im Inneren. Dahinter biegen sich Bäume. Musik wird lauter, je näher wir kommen.
“Ich hole ihn da raus, dann gehört er dir”, sagt Memo, er lächelt.
“Was ist witzig?”, frage ich ihn.
Er schaut mich an, er ist ein Kopf größer. Drei Jahre jünger. Ich habe nie verstanden, warum sich die Leute vor ihm fürchten, ihn respektieren – so dünn wie er ist. Er zuckt mit den Schultern.
Vor der Hütte bleiben wir stehen, er nickt mir zu und geht rein, ohne zu zögern, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Adrenalin jagt durch meinen Körper, ich zittere, die Beine beben, mein Atem flach, immer schneller erscheinen Dampfwolken vorm Gesicht.
Ich schaue mich um, niemand. Ich werfe ein Blick auf mein Telefon, 7% Akku, dreizehn Nachrichten, Papa, Mama, Bruder, Ali. Ich wische den Bildschirm auf, ignoriere die Nachrichten, gehe die Kontakte durch, finde sie, klicke auf ihren Namen:
Er wird dafür bezahlen. Heute!
Die Anspannung frisst sich durch meinen Magen. Die Tür schlägt auf. Memo kommt raus, hinter ihm ein Junge: kurzes, blondes Haar, dünne Statur, groß, sieht anständig aus. Hat er Geschwister? Was werden seine Eltern fühlen?
Egal, er hat es verdient.
“Was ist?”, sagt er zu mir. Seine Arme verschränkt. Die Brille fehlt. Der Atem riecht nach Bier.
Ich schaue zu Memo, er nickt. Seine Augen funkeln. Der Typ ist krank!
Ich drücke meine Lippen zusammen, mein Kiefer zittert. Ich schau an ihm vorbei und lecke die Lippen.
“Warum habt ihr mich raus gerufen? Was wollt ihr von mir?” Seine Stimme hoch, ich kann ihn nicht ernst nehmen. Wie kann er zu so etwas in der Lage sein?
“Bist du Chris?”, frage ich. Meine Stimme soll tief klingen.
“Christian, ja. Was wollt ihr von mir?”, sagt er.
“Halt deine blöde Fresse du Hurensohn!”
Er kriegt Angst, seine Augen wachsen, sie wackeln. "Was habe ich getan?" Er schaut zu Memo.
Wer weiß, unter welchem Vorwand er ihn rausgelockt hatte.
Er wirkt glaubwürdig. Ich weiß es besser. Sie hatte mir von ihm erzählt. Er musste es sein. Er ist es. Seine Augen tränen.
Er macht den Mund auf, will was sagen, ich verliere die Kontrolle, meine Hand ballt sich zu einer Faust, ich kann nichts dagegen tun, ich bohre sie in seinen Magen, er klappt zusammen. Ich packe ihn am Kragen und zieh ihn hoch, meine Fäuste landen auf seinem Gesicht, ich spüre seine Knochen, ich spüre meine Knochen, fühle wie bei einem der Schläge etwas knackt. Er schreit auf, fällt schreiend und weinend auf den Boden. Mein Schienbein kracht in seine Seite.
Ich bin noch nicht fertig.
Memo lacht. Kommt zu mir und streckt was in meine Richtung.
Ich blicke auf seine Hand, die Finger knorrig und dreckig, dazwischen kaltes Metall. Er hält mir ein Messer hin.
“Gib ihm ein' Grund zu schreien”, sagt er, wieder dieses grimmige Funkeln in den Augen.
Ich wische mir den Schweiß aus der Stirn, Blut rauscht in meinen Ohren, ich werde ihm eine Lektion erteilen. Ich strecke die Hand nach dem Messer, der Atem strömt aus der Nase, sie zischt.
Mein Vater sitzt bestimmt noch vor dem Fernseher und lacht. Mein Bruder ist sicherlich am Zocken. Mein Kumpel liegt wahrscheinlich in seinem Bett und telefoniert mit seiner Freundin. Meine Mutter bereitet mein Brot für morgen vor. Und ich? Ich sitze im Auto, meine Zukunft liegt auf dem Boden, da drüben, vor der Hütte, klebt an meinen Händen. Ich starte den Motor. Nur er redet mit mir.
Es hat sich gelohnt, ich spüre nicht mehr diese unbändige Wut. Mein Körper fühlt sich leicht an. Ich kann wieder atmen, ich friere wieder. Das Zittern hat sich gelegt.
Er wird im Krankenhaus liegen, sehr lange, seine Eltern werden sich die gleichen Sorgen machen, wie die Eltern meines Mädchens. Das hat er verdient. Ich bin stolz.
Das Telefon vibriert: 2% Akku.
Der Bildschirm erhellt den Innenraum.
Es vibriert nochmal. Sie ruft an, ihr Foto lächelt mich an. Mir wird es warm ums Herz. Ein Grinsen zieht sich durch mein Gesicht. Ich genieße den Augenblick, blicke kurz rüber, er liegt noch dort, Freunde versammeln sich um ihn. Ich atme tief ein, tief aus. Ich bin ihr Held.
Ich schaue mir ihr bezauberndes Lächeln an, mein Finger wandert über das Display, ich drücke auf annehmen. Halte das Telefon ans Ohr.
Noch bevor ich etwas sagen kann: “Bitte, du musst schnell herkommen, Chris ist hier, er will ins Haus, bitte du musst mir helfen.”
Das Telefon schaltet sich ab.
Akku leer.