Was ist neu

Alarm

Mitglied
Beitritt
14.07.2004
Beiträge
369
Zuletzt bearbeitet:

Alarm

Alarm

Neben mir am moosbewachsenen feuchten Ufer eines kleinen idyllischen Baches, sitzt ein kleiner Bengel von acht Jahren. Er versucht, mit seinen ungeschickten Händen Fische zu fangen. Immer wieder entgleitet ihm das kleine Stückchen Brot aus seinen dicklichen, kurzen Fingern, das er auf den Haken stecken möchte. Schließlich helfe ich ihm doch und die vermeintliche Beute landet sicher im kühlen Wasser.
Der liebenswerte Bursche ist etwas zu kurz geraten für sein Alter und auch ein bisschen zu mollig. - Egal, er lebt. Dass er noch am Leben ist, ruft in mir ein Gefühl von stolzer Freude und freudigem Stolz hervor. Man vergisst derartige Erfahrungen niemals, behält sie wie zarte, nie schwindende Schemen in zweifelhafter, unbegreiflicher Erinnerung. Das genaue Datum entflieht eines Tages in einsame Ferne, dennoch, es bleibt für alle Zeit ein außergewöhnlicher Tag. Der Tag, an dem ich die Möglichkeit hatte, ein Leben zu retten und dies auch vermochte. Wenige Jahre später stelle ich schließlich fest, dass es sich wahrhaftig gelohnt hat. Für jenes damals so zierliche Wesen einen ahnungslosen Augenblick lang die unerwartete und bestimmende Verantwortung zu tragen, um so den Lauf seiner künftigen Vergangenheit und gleichzeitig seiner denkbaren Zukunft tiefgreifend zu verändern …
Für diesen Jungen selbst, für seine an jenem Abend verzweifelten Mutter, war und ist es ein besonderer Tag gewesen. Auch für mich darf er dies sein, dagegen für alle anderen Menschen war es ein ganz gewöhnlicher Wochentag.

Mein Telefon läutet. Wer um Himmels Willen könnte um diese Uhrzeit noch anrufen? Gerade war ich zufrieden am eingeschlafen. Wie immer vor dem Fernsehgerät, weil ich zu müde gewesen war, ins Schlafzimmer zu gehen. Es läuft überhaupt nichts Spannendes mitten in der Woche.
"Lass es läuten, lass es läuten, irgendwann hört es schon wieder auf", denke ich halb schlummernd…
Nein, es hört nicht auf zu klingeln. Lustlos erhebe ich meine kraftlosen Glieder aus dem gemütlichen Sofa und bewege mich in Richtung Telefon.
"Ja, hallo", murmele ich in den Hörer. Cayla ist am anderen Ende der Leitung. Wie üblich.
Sie ist eine sehr gute Freundin, wohnt im selben tristen Mehrfamilienhaus wie ich und meine Familie. Nur zwei Etagen über uns. Wieder mal ist ihr langweilig. Sie lebt allein mit ihren beiden Kindern.
Ein Mädchen von siebzehn Monaten – Sophie - und ihr kleiner Sohn Marco, gerade mal zehn Wochen alt. Noch so winzig ist er, da er viel zu früh zur Welt kam. An einem Monitor hängend, der seine Atmung überwacht und Alarm schlägt, wenn er das Atmen einstellt. Aber das kam schon ein paar Tage nicht mehr vor.
In Ordnung, jetzt bin ich fit. Dafür hat die teure Cayla gesorgt. Also, kann ich auch genau so gut nach oben zu ihr gehen. Vermutlich packt sie ihre vergilbten, abgegriffenen Tarotkarten wieder einmal aus, um auszukundschaften, wann sie ihren Traummann endlich treffen würde.
Vielleicht höre ich Cayla auch erneut zu, wie sie am Telefonapparat an einer für Frauen kostenlosen Datingline hängt, um dort ihrem edlen Prinzen zu begegnen. Hin und wieder verabredet Cayla sich mit einem der möglichen Kandidaten, der mit ihr den Rest ihres Lebens zusammen verbringen soll.
Ich weiß, sie ist eine blinde Traumtänzerin, aber wer hat schon den nötigen Mut, seiner besten Freundin so etwas direkt ins Gesicht zu sagen, selbst dann nicht, wenn man sich beinahe dazu verpflichtet fühlt.
Nun, ich lasse sie in ihren Träumen, behaftet mit der stillen Hoffnung, dass sie allein diese sinnlose Unnötigkeit erkennt. Cayla muss begreifen, dass es so etwas wie die Liebe über seltsame Umwege nur äußerst selten, oder nur in den sentimentalen Romanverfilmungen des Abendprogramms bestimmter dafür prädestinierter Sender des Fernsehens gibt.
Marco, der von seinem Leiden kaum etwas erahnt, und mit herrlich blauen Augen seinen noch verschwommenen Lebensraum wahrnimmt, ist das Ergebnis einer solchen selbstquälerischen Verabredung. Cayla kennt nicht einmal den Nachnamen ihres Prinzen für eine gedankenlose Nacht. Dieser wird wohl auch unmöglich erfahren dürfen, dass er einen neugeborenen Sohn hat. Genauso wenig wie Marco, der nie die geringste Gelegenheit haben wird, und haben darf, zu erfahren, wer sein eigentlicher Vater ist. Nun gut, das geht mich nichts an. Meine Ansicht versteht sie, ignoriert sie aber gekonnt.
Wie eine anmutige Raubkatze durchstreift sie Samstag für Samstag ihr vertrautes Revier, auf der Suche nach Nahrung für ihre verletzte Seele, nur um am nächsten Morgen feststellen zu müssen, dass sie ihren Hunger nach Liebe erneut nicht wirklich stillen konnte. Ich werde Cayla nicht in ihre zahllosen Affären reinreden. Dazu habe ich auch gar kein Anrecht. Jeder ist seines eignen Glückes Schmied. Da ist was Wahres dran. So manches Mal wünsche ich mir jedoch, Cayla wäre ein besserer Schmied.

Zum Tarotkarten legen, und auch zum Telefonieren kommen wir heute nicht, dazu bleibt bei der plötzlich aufkommenden Hektik keine Zeit. Gemeinsam mit ihrem Jungen sitzt meine Freundin auf dem schwarzgrauen Mikrofasersofa mir gegenüber, während ich auf dem Sessel auf der anderen Seite des kleinen Tischchens sitze. Vor mir steht mein Glas Wasser.
Marcos blaue Augen, die heute irgendwie nicht so strahlen wie sonst, sind geöffnet. Gerade hat er sein Fläschchen getrunken, allerdings nur bis zu einem Drittel, was eigentlich ungewöhnlich für ihn ist. So wirklich wach ist das Kerlchen nicht. Eine beklemmende Ahnung beschleicht mich. Ein zarter Hauch von grau bis grünlich umringt seine blassbläulichen Lippen.
"Warum hängt er nicht am Monitor", höre ich mich selbst ins Leere fragen. "Du solltest lüften und aufhören zu rauchen, wenn er im Raum ist."
„Ihm fehlt nichts“, entgegnet Cayla mir schroff. "Ich sitze doch ständig neben ihm, und höre wenn ihm was fehlt."
Diese leidige Diskussion haben Cayla und ich laufend. Ist doch nicht so schwer den Jungen ständig anzuschließen, oder?
Die Elektroden, die mit Hilfe von Aufklebern angebracht werden, und seine Atmungsbewegungen messen sollen, kann ich nicht sehen, da sie ja normalerweise auf seiner Brust festgemacht werden, verborgen unter seinem Strampelanzug. Auch die Kabel, die von dort zum Monitor führen sollten, kann ich nirgends sehen.
"Vielleicht solltest du ihn vorsichtshalber doch anschließen, er sieht nicht gut aus".
Widerwillig erhebt sie sich endlich von ihrem Sofa, und geht in das fröhlich eingerichtete Kinderzimmer, gleich gegenüber dem Wohnzimmer, in dem ihre Tochter Sophie friedlich schläft, um die Aufkleber und den tragbaren Monitor zu holen. Es dauert ein paar Minuten, bis wir den Kleinen mit dem Monitor verbunden haben. Mit geschickten Händen arbeiten wir zusammen daran. Mittlerweile weiß auch ich, was ich tun muss. Nachdem er angeschlossen ist, und vom Herumhantieren wieder munterer ist, scheint es dem Kerlchen besser zu gehen. Seine Lippen und sein winziges Gesichtchen nehmen wieder eine zartrosa Farbe an. Ich verstehe ja durchaus, dass diese Prozedur lästig ist, aber schließlich geht es doch um die Sicherheit ihres Kindes.
Ich hole einen kühlen, feuchten Waschlappen. Zärtlich streicht Cayla ihrem Sohn damit über seine Wangen, seine Stirn, und die winzige Nase. Erleichtert öffne ich die Balkontüre, um frische Luft herein zu lassen. Zum Rauchen gehen wir nach draußen. Alles scheint in bester Ordnung zu sein, und beide genießen wir die kühle Märzluft und den klaren, mit glänzenden Sternen bedeckten Himmel über uns. Von hier oben aus kann man direkt über die Grenze nach Salzburg zum beleuchteten Funkmasten sehen. Für ein paar wenige Minuten bin ich beruhigt. Ich unterhalte mich mit Cayla über die bevorstehende Party meines Sohnes Jonas, der morgen seinen vierten Geburtstag feiern wird.
"Wie wär’s mit Cappuccino?", will Cayla wissen.
"Gute Idee, ich helfe dir".
Zusammen gehen wir hinein ins Wohnzimmer, wo Marco ruhig eingeschlummert ist. Seine Atmung ist regelmäßig. Die Balkontür wird wieder geschlossen. Ist doch noch ziemlich kalt, so spät am Abend. Ich freue mich auf den Sommer, aber der lässt wohl noch etwas auf sich warten. Hier in den Bergen kann das dauern, da wechselt das Wetter von einer Minute zur anderen. Beide stehen wir ihn der Küche und warten darauf, dass sich der Wasserkocher endlich ausschaltet. Ich zähle die gewünschte Menge des Cappuccinopulvers in unsere Tassen….

Ein schriller, lauter Ton zerschneidet unser Gespräch. Sofort ist alles vergessen. Die Tassen, das Wasser, unsere Unterhaltung, alles. Cayla schreit den Namen ihres Jungen. Gleichzeitig stürmen wir ins Wohnzimmer zu Marco. Er bewegt sich kein bisschen. Die Augen geschlossen, die Lippen nicht einmal mehr blau, sondern gräulich, sein Gesicht fahl wie der Nebel über den Bergen. Keine von uns ist in der Lage, sich zu bewegen. Wir stehen nur da wie unbewegliche Säulen aus Stein. Eingefroren in unsere panischen Angst und traurigen Unwissenheit.
Nachdem ich alles gelernt hatte, was man in einer solchen bedenklichen Situation machen muss, war ich der trügerischen Meinung, ich wäre darauf vorbereitet. Ich bin es nicht!! Dieses kleine Menschlein ist echt, keine leblose Plastikpuppe zum Üben, der es egal ist, ob ich nun einen Fehler mache oder nicht. Kein ausgebildeter Sanitäter steht hinter mir, um im Notfall einzugreifen, wie damals im Erste-Hilfe-Kurs für Säuglinge.
Cayla geht es genauso. Sie sieht nur, dass ihr Sohn jede Sekunde ein bisschen mehr stirbt. Endlich - sie löst sich von ihrer stumpfen Lähmung und hebt das leblose Bündel hoch. Sie schüttelt ihn sanft und ruft immer wieder seinen Namen.
"Marco, Marco, mach die Augen auf … Mama ist ja da … bitte!"
Sie ist hilflos. Verzweifelt drückt sie mir das Kind in den Arm.
"Bitte Sarah, hilf ihm, du hast das doch gelernt."
Nie vorher habe ich eine solche Angst in Caylas Augen gesehen. Ich schreie sie an, sie solle den Notarzt rufen. Ich versuche mich selbst zu beruhigen. Ich zähle bis zehn - das funktioniert immer. Ich bin ruhiger. Langsam rufe ich mir alles in Erinnerung. Ich weiß nun wieder, was ich tun kann.
Vorsichtig öffne ich seinen schlaffen Mund. Mit dem Waschlappen, der noch immer auf dem Tisch vor mir liegt, wische ich sanft die Milchreste weg. Mehrfach puste ich ihm ins bleiche Gesicht. Meine Gedanken kreisen, aber noch bin ich konzentriert. Ich nehme nicht mehr wahr, was um mich herum geschieht. Es gibt nur dieses leblose Kind in meinen Händen, und mich. Ich höre nicht auf ihm immer und immer wieder ins Gesicht zu pusten. Dann ist dieser schreckliche Ton weg. Totenstille. Die Stille wirkt so unlogisch. Marco atmet. Ich erwache aus meiner Trance und suche nach Cayla. Sie sitzt im kalten Flur und weint.
"Wann kommt der Notarzt?"
"Ich find die Nummer nicht."
Wut steigt in mir auf. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, aber zum telefonieren hätte es sicher gereicht. Ich reiße ihr das Telefon aus der Hand, und wähle die Nummer selbst.
"Rettungsleitstelle, Schwester Wind."
Ich erkläre ihr, wer ich bin, wo ich bin und was passiert ist.
"Der Junge hängt am Monitor. Im Moment atmet er flach, aber er scheint nichts wahrzunehmen, bitte kommen sie sofort."
"Der Einsatzwagen ist andersweitig unterwegs, wir kommen so schnell wie möglich. Wenn das Kind aufhört zu atmen, machen sie das Gleiche wie vorhin."
"Bitte beeilen sie sich."
"Ich werde die Rettungsleitstelle Salzburg auch benachrichtigen, bleiben sie ganz ruhig."
Wieder dieses schreckliche Geheule des Alarms. Ich zucke zusammen, und lasse das Telefon fallen. Wie ferngesteuert laufe ich wieder zu Marco. Wieder atmet er nicht. Immer und immer wieder versuche ich ihn zum Atmen zu bewegen, in dem ich ihm wie eben ins Gesicht puste. Es hilft nichts. Schleimige Flüssigkeit läuft aus seiner Nase. Ich versuche mit dem Waschlappen die Nase frei zu bekommen. Sekunden später umrahmt mein Mund seine Nase und seinen Mund. Kein liebevoller Kuss. Ein mutloser Versuch, ihm Atem zu spenden. Vorsichtig blase ich meinen eigenen Atem durch seinen Körper direkt zu den winzigen Lungen. Einmal, zweimal, dreimal...
Pause.
Ich halte ihn vor mich und drücke mit meinen Daumen behutsam auf seinen Brustkorb – einmal, zweimal, dreimal. Wir atmen wieder zusammen, einmal, zweimal, dreimal. Immer und immer wieder. Der Alarm ist aus. Ich weiß nicht, ob ich alles richtig mache aber der Alarm ist aus - so falsch kann es nicht sein. Ich beobachte ihn. Die Augen noch immer geschlossen, aber der Brustkorb bewegt sich. Ich betrachte ihn still und starre immer wieder zur Uhr. Zwanzig Minuten, das kann doch nicht wahr sein. Wir wohnen nur fünfhundert Meter vom Krankenhaus entfernt. Wie kann man dann zwanzig Minuten brauchen, um hierher zu kommen. Dass der Einsatzwagen zu einem anderen Notfall unterwegs ist, habe ich längst vergessen. Ich bin nur zornig. Schaue abwechselnd zur Uhr und zu Marco.
Er atmet ruhig, aber sehr flach. Wo ist Cayla. Sie sitzt nicht mehr im Flur. Sie läuft auf und ab wie ein verstörter Gefangener. Im Moment ist sie nicht ansprechbar. Sie hat sich zurückgezogen, in eine andere Welt, in der ihr Sohn gesund ist und sie alles fest im Griff hat.
Der Alarm zerreisst die Stille. Noch nie in meinem Leben habe ich mich einem Menschen so nah gefühlt, wie in diesem Augenblick. Der kleine Marco und ich atmen wieder zusammen - er mit mir und ich für ihn.
Wir teilen uns ein Stück vom Leben für ein paar Sekunden und Minuten. Ich werde nicht aufhören mit ihm zu atmen, bis jemand kommt, der es besser kann als ich. Aber ich höre noch keine lauten Sirenen, kein helles Blaulicht leuchtet auf der Strasse. Kein erlösendes Klingeln an der Tür. Mich beschleicht eine furchtbare Angst. Vielleicht finden sie uns gar nicht. Es stehen doch so viele Häuser nebeneinander und eins sieht aus wie das andere. Die Hausnummern sind auch so schlecht zu lesen.
"Cayla, geh sofort nach unten, pass auf dass der Notarzt ins richtige Haus kommt. Schnell."
Sie ist wieder da. Sie hat nun eine Aufgabe. Muss nicht mehr hilflos daneben stehen. Im selben Moment rennt meine fassungslose Freundin nach unten, und wartet. Mein Gott, schon beinahe eine halbe Stunde.
Manchmal fängt man erst zu beten an, wenn man wirklich Hilfe braucht, und ich bete. Flehe zu einem unsichtbaren Gott, von dem ich mir nicht sicher bin, ob er dem Würmchen beistehen kann.
Vor mir stand noch das Glas mit Wasser. Ich tauche meinen Daumen hinein und führe ihn zu Marcos Stirn. Er ist noch nicht einmal getauft, denke ich. Welch irrsinniger Gedanke. Ist das jetzt so wichtig? Für mich schon.
In der Schule lernte ich einmal, dass es möglich war einem Sterbenden eine Nottaufe zu geben. Jeder durfte das machen. In diesem Moment scheint es mir richtig. Mein Daumen ruht noch auf seiner kühlen Stirn, und für einen winzigen Augenblick öffnet er die Augen. Ich weiß nicht ob ich mir das einbilde, aber ich freue mich trotzdem darüber und weiß ich hab nichts falsch gemacht.

Die Haustür ist noch offen. Cayla hat sie in der Eile nicht zu gemacht. Ich höre die Sirene des Notarztwagens. Kurz darauf unsere Nachbarn, die neugierig ins Treppenhaus laufen. Sensationssüchtig, wie immer. Jemand mit einer kräftigen Stimme, die ich nicht sofort verstehen kann, übertönt das sinnlose Geplapper unserer Nachbarn.
"Aus dem Weg."
Das muss der Arzt sein, der sich einen Pfad durch die Schaulustigen bahnt. Sekunden später nimmt ein älterer Mann in Sanitätskleidung mir das blasse Kind aus den Armen. Eine Sauerstoffmaske wird über seinen Mund und seine Nase gestülpt. Ich bin noch nicht bereit, ihn einfach gehen zu lassen und bleibe ganz in seiner Nähe. Ein anderer Sanitäter nimmt mich am Arm und zieht mich von Marco weg.
"Es ist alles in Ordnung. Der Kleine atmet. Wir kümmern uns jetzt um ihn. Sie haben das wirklich sehr gut gemacht."
Mir ist schwindelig. Ich setze mich wieder, und beobachte genau was sie mit "meinem" Kind machen. Ja, ich habe das Gefühl, jetzt würde er auch ein wenig zu mir gehören.
Cayla hat sich inzwischen beruhigt und zieht sich an, um ihren Sohn ins Krankenhaus nach Salzburg zu begleiten.
"Ich bleibe hier und passe auf Sophie auf. Ruf mich an, wenn du kannst."
Mehr kann und will ich jetzt nicht sagen. Der Ältere der beiden Sanitäter bringt Marco hinunter zum Einsatzwagen. Cayla geht sofort mit. Der Sanitäter, der mich am Arm genommen hatte, packt die Ausrüstung zusammen, bevor auch er nach unten geht. Ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren mit wuscheligem schwarzem Haar. Als er fertig ist sieht er mich an und lächelt.
"Der Kleine ist übern Berg, wir nehmen ihn nur zur Beobachtung mit. Sie haben ihm das Leben gerettet."
Wieder lächelt er und verschwindet im Treppenhaus. Scheppernd fällt die Wohnungstür ins Schloss. Ich bin allein.
Minutenlang sitze ich nur da und kann mich nicht bewegen. Sophie schläft. Ich muss mich nicht bewegen. Plötzlich springe ich auf und renne ins Kinderzimmer. Ängstlich schaue ich in das Gitterbett zu Sophie. Töricht, ich weiß. Sie schläft noch immer ganz ruhig. Hat von der Aufregung der letzten Stunde nichts mitbekommen. Ich gehe wieder hinüber ins Wohnzimmer und lasse mich in den Sessel fallen.
Langsam gleitet mein Blick auf dem Tisch. Der Waschlappen liegt noch da. Das Glas mit Wasser ist beim Verrücken des Tisches durch den Sanitäter umgefallen. Es verteilt sich in kleinen Rinnsalen über die Oberfläche. Das Licht von der Decke des Zimmers spiegelt sich darin. Das kann ich nicht ertragen. Es ist alles viel zu hell. Ich reiße die Balkontür auf. Ich brauche frische Luft zum Atmen, und schalte das Licht aus.
Nur der Mondschein fällt kaum wahrnehmbar vom Balkon ins Zimmer. Vor dem Tisch falle ich auf die Knie. Ich kann nicht mehr, meine Arme liegen auf dem Tisch in dem verschütteten Wasser. Ich spüre es nicht. Die Ärmel meiner roten Bluse saugen sich gierig damit voll. Ich weine - aus Verzweiflung, Wut und Erleichterung. Meine endlosen Tränen vermischen sich mit dem Wasser auf dem Tisch. Schließlich schlafe ich so kniend ein. Ein guter Schlaf in unbequemer Lage. Ich bin wirklich erschöpft. War so lange ich konnte für den kleinen Marco wach und konzentriert. Jetzt bin ich es, der eine helfende Hand nicht ablehnen würde.
Das Telefon klingelt. Ich war doch gerade eingeschlafen. "Lass es klingeln, lass es klingeln… es hört schon wieder auf", denke ich noch beinah schlafend. Es hört nicht auf. Cayla ist am anderen Ende. "Wie üblich", denke ich. Nein, nicht wie üblich. Plötzlich bin ich hellwach.
"Wie geht es ihm?"
"Alles in Ordnung. Ich habe meine Mutter angerufen. Sie kommt mich abholen. Marco bleibt noch ein paar Tage hier. Nur zur Beobachtung, haben sie gesagt. Seit Stunden kein Alarm. Bin gleich da, dann frühstücken wir zusammen, ja?"
Wortlos lege ich auf. Seit Stunden kein Alarm. Wie lang hab ich denn geschlafen? Meine Knie schmerzen entsetzlich. Ich war tatsächlich richtig eingenickt. Und ich friere, weil die Balkontüre immer noch offen ist.
Ich borge mir einen trockenen Pulli aus Caylas Schrank und streife ihn mir zitternd vor Kälte über, während ich nach draußen gehe. Auf dem Balkon stehend freue ich mich über die Morgendämmerung.
Ich bedanke mich bei der Sonne, dass Marco sie noch sehen darf und rauche eine Zigarette. Mein Kopf dröhnt von den Ereignissen der letzten Nacht, aber ich bin glücklich. Lange stehe ich dort und beobachte wie sich die rötliche Scheibe Stück für Stück in den Horizont hinein schiebt. "Es ist alles so wie jeden Tag", denke ich.
Cayla steht plötzlich hinter mir. Ihre Mutter spaziert in die Küche um Frühstück zu machen. Nebeneinander stehend, mit den Händen auf dem Geländer ruhend, sehen wir uns an. Meine Freundin umarmt mich und küsst mich auf die Wange.
"Danke", flüstert sie.
"Bitte", flüstere ich zurück.
Mehr Worte sind nicht nötig.
Wir umarmen uns gegenseitig und vergießen erleichternde Tränen, aber wir schämen uns ihrer nicht.

Die Angelspitze zittert zaghaft.
"Schnell Marco, zieh an."
Ein silbrig glänzendes Fischchen hängt an Marcos Angelschnur und hüpft wild im grünen Gras umher. Irgendwie löst es sich vom Haken und springt mit zappelnden Vorwärtsbewegungen in Richtung Bach. Schnell lege ich die Hand um das winzige Fischchen. Ich lasse es in einem Eimer mit Wasser, der neben uns in der feuchten Wiese steht, behutsam aus meinen Fingern gleiten.
"Danke Sarah, du hast ihn noch erwischt, du bist super. Die Mama hat Recht, die sagt das auch immer.
"Nein Marco, so toll bin ich gar nicht. Ich bin nur manchmal zur richtigen Zeit am richtigen Ort - das ist alles."
Er lächelt mich an, und eine kleine verstohlene Träne klammert sich in meinem Augenwinkel fest.
Ich blicke ihm direkt in sein glückliches Gesicht.
Ist das nicht das schönste und wertvollste Lächeln der Welt?

 

Hallo Kürbiselfe,
Packend geschrieben, diese Geschichte.
Ich fühlte die Angst um das Leben des Kindes, den Zorn auf die (in meinen Augen lebensuntüchtig dargestellten) Mutter, die Anspannung helfen zu wollen, und sich nicht zu trauen, die Entkräftung nach der Lebensrettung und die Verbundenheit mit dem Kind.
Was ich noch empfinde: Irgendwie scheint die Erzählerin mehr Mutterqualitäten zu haben, als die leibliche Mutter. Auch am Ende wird dieser Eindruck nicht abgemildert.

Woltest du das so?

Goldene Dame

 

Hallo Kürbiselfe!

Die Goldene Dame hat schon recht, packend und mitreißend geschrieben. (Auch wenn ich vom Angeln nicht viel halte. ;) )
Die Umrahmung des Mittelteils ist Dir gut gelungen. Eine Anmerkungen noch im Detail:


Neben mir am moosbewachsenen feuchten Ufer eines kleinen idyllischen Baches, der das Grundstück meines Vaters umsäumt
- ist mir als erster Satz fast etwas zu verschlungen.
Ein Mädchen von17 Monaten
- von siebzehn
Für jenes damals so zierliche Wesen

Ein zierliches Wesen ist er
- steht zwar etwas auseinander, dennoch ist mir Wortwiederholung aufgefallen.
Ich werde Cayla nicht in ihre zahllosen Affären reinreden. Dazu habe ich auch gar kein Anrecht. Jeder ist seines eignen Glückes Schmied. Da ist was Wahres dran. So manches Mal wünsche ich mir jedoch, Cayla wäre ein besserer Schmied.

Hier und wie Du Cayla überhaupt schilderst ist gelungen. Du sagst nicht viel über sie aus, sagst nicht, sie sei unselbständig oder sonstwas – Du ZEIGST es dem Leser durch Details und Stellen wie diese. Die Charakterisierung ist Dir auf diese Weise meiner Meinung nach sehr gut gelungen.

Mama ist ja da… bitte!!!"
kleinliches Detail: vor den Auslassungspunkten … ein Leerzeichen. Und normalerweise langt ein ! . ;) Die Dringlichkeit und Verzweiflung wird dem Leser auch so gut bewusst


Vorsichtig öffne ich seinen schlaffen Mund. Mit dem Waschlappen, der noch immer auf dem Tisch vor mir liegt, wische ich sanft die Milchreste um und in seinem Mund weg
– Mund Wiederholung


Aber ich höre noch keine lauten Sirenen, kein helles Blaulicht leuchtet auf der Strasse.
- Straße. Das kommt noch ein paar Mal vor.
"Der Kleine ist überm Berg,
- überN Berg
Ich habe meine Mutter angerufen, die mich abholen kommt.
- meiner Meinung nach in direkter Rede nicht so gelungen. Dieser Nebensatz wirkt gestellt. Ich würde ihn als eigenen Satz formulieren: Sie kommt mich abholen.

Sehr gern gelesen.

schöne Grüße
Anne

 

Hallo Goldene Dame,

Was ich noch empfinde: Irgendwie scheint die Erzählerin mehr Mutterqualitäten zu haben, als die leibliche Mutter. Auch am Ende wird dieser Eindruck nicht abgemildert.

Woltest du das so?

Ja, das war meine Absicht.

Packend geschrieben, diese Geschichte.
Hatte anfangs Zweifel, ob sich die Spannung halten kann, aber mir fiel partout kein Synonym für Alarm und ein paar anderen Worten ein. Schön zu lesen, dass es dennoch gelungen ist. :)
Vielen lieben Dank fürs Lesen.

Liebe Grüße, die Kürbiselfe

 

Hallo Anne,
Deinen langen Beitrag habe ich mir erst einmal ausgedruckt, damit ich nur nichts vergesse, bei der Korrektur der Geschichte. :D Du hast Dir da so viel Mühe gemacht. Danke Dir dafür.

Du sagst nicht viel über sie aus, sagst nicht, sie sei unselbständig oder sonstwas – Du ZEIGST es dem Leser durch Details und Stellen wie diese. Die Charakterisierung ist Dir auf diese Weise meiner Meinung nach sehr gut gelungen.
Es ist nicht leicht, jemanden zu beschreiben, den man kennt und eigentlich sehr gern hat. So war ich doch etwas zu ... ängstlich, es direkt auszusprechen. Dass mir dadurch die Beschreibung von Cayla Deines Erachtens sehr gut gelungen ist, freut mich natürlich. :)
Sehr gern gelesen.
So etwas liest man sehr gerne. ;)

Deine Verbesserungsvorschläge werde ich mir zu Herzen nehmen und die Fehler ausbessern.
Vielen Dank für Deine Mühe und für Dein Lob.

Liebe Grüße, die Kürbiselfe.

 

Na, da haben wir wieder was für Bastei-Lübbe, nicht?

1. Ordentlich auf die Trännendrüse gedrückt:

Er lächelt mich an und eine kleine verstohlene Träne klammert sich in meinem Augenwinkel fest.
Ich blicke ihm direkt in sein glückliches Gesicht.
Ist das nicht das schönste und wertvollste Lächeln der Welt?

2. Grund geliefert, sich als Leser/in besser zu fühlen als die traumtänzerische Mutter in der Geschichte:
"Ich find die Nummer nicht."
Wut steigt in mir auf. Ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen ist aber zum telefonieren hätte es sicher gereicht. Ich reiße ihr das Telefon aus der Hand und wähle die Nummer selbst.

3. Sich selbst scheinheilig entschuldigt:
Ich werde Cayla nicht in ihre zahllosen Affären reinreden. Dazu habe ich auch gar kein Anrecht. Jeder ist seines eignen Glückes Schmied.

4. Doch das hindert die Protagonistin nicht daran, sich wenig später fremder Rechte anzumaßen:
Vor mir stand noch das Glas mit Wasser. Ich tauche meinen Daumen hinein und führe ihn zu Marcos Stirn. Er war noch nicht einmal getauft, denke ich. Welch irrsinniger Gedanke. Ist das jetzt so wichtig? Für mich schon.
In der Schule lernte ich einmal dass es möglich war einem Sterbenden eine Nottaufe zu geben. Jeder durfte das machen. In diesm Moment scheint es mir richtig. Mein Daumen ruht noch auf seiner kühlen Stirn und für einen winzigen Augenblick öffnet er die Augen. Ich weiß nicht ob ich mir das einbilde aber ich freue mich trotzdem darüber und weiß ich hab nichts falsch gemacht.
weiß sie doch, dass ihr das in dieser Gesellschaft nicht übel genommen wird – zumal der Kleine mit seinen Augen zuzustimmen scheint - , die Gründe der Mutter für die Nichttaufe interessieren eh niemand, wahrscheinlich hat’s nur vergessen, so dusselig wie sie ist.

Kein Zweifel, das ist der Stoff, aus dem die Auflage gemacht wird.

Dion

 

Hallo Dion,
danke Dir für die Analyse meines Textes.

Na, da haben wir wieder was für Bastei-Lübbe, nicht? - Kein Zweifel, das ist der Stoff, aus dem die Auflage gemacht wird.
Dass ich druckreif schreibe lese ich zwar gerne, kann aber aus Deinen Zeilen nicht erkennen, ob Du nun der Meinung bist, dies wäre so, weil die Geschichte so schön ist, oder sie bestimmte Regeln befolgt, die ein Massenpubikum ansprechen würde. Gedruckt wird nämlich auch viel Mist.
Lange Rede kurzer Sinn: Ich weiß nicht, ob sie Dir wirklich gefallen hat. :confused:

Liebe Grüße, die Kürbiselfe :)

 

Hi Kürbiselfe,

wieder eine sehr schöne Geschichte.

Allerdings habe ich diesmal drei kleinere Kritikpunkte:

Zitat: ..."schließlich und endlich doch noch erscheinen wird".
Der Satz stört mich irgendwie, aber ich kann dir auch nicht sagen warum.

Zitat: ",dass sie erneut nicht wirklich ihren Hunger nach Liebe stillen konnte".
Gefiele mir besser so: , dass sie ihren Hunger nach Liebe erneut nicht stillen konnte.

Was ich etwas zu lange fand, das war die Phase als die Mutter mit dem Kind im Krankenhaus war und die Prot. alleine zu Hause war. Das gefiele mir besser, wenn es gekürzt wäre, oder vielleicht sogar ganz gestrichen.
Also die Mutter geht mit dem Kind - und dann noch die Endszene mit dem Angeln.
Doch das ist nur meine Meinung.

Ansonsten ist dir auch hier wieder eine sehr schöne Geschichte gelungen und ich war wirklich ganz fasziniert am Bildschirm gehangen, weil ich unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht!

Bella

 

Hallo Bella,
Du arbeitest Dich ja wirklich durch beinahe all meine Geschichten. Das ist sehr nett und ich danke Dir. :)

Was ich etwas zu lange fand, das war die Phase als die Mutter mit dem Kind im Krankenhaus war und die Prot. alleine zu Hause war. Das gefiele mir besser, wenn es gekürzt wäre, oder vielleicht sogar ganz gestrichen.
Du magst schon recht haben, aber für mich ist dieser Abschnitt sehr wichtig, da der geschätzte Leser hier die Erleichterung und die Erschöpfung der Prot erfährt. Eine solche Handlung macht natürlich stolz auf sich selbst, aber das begreift man so kurz nach dem Ereignis noch nicht. Dazu ist man einfach noch zu vollgestopft mit den ungeordneten Informationen. Das wollte ich dem Lesenden so näher bringen. ;)
Ansonsten ist dir auch hier wieder eine sehr schöne Geschichte gelungen und ich war wirklich ganz fasziniert am Bildschirm gehangen, weil ich unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht!
Du kannst mich ja nicht sehen, aber bei solchen lieben Komplimenten werde ich tatsächlich ein wenig rot. :D Vielen, vielen Dank dafür.

Liebe Grüße, Susie

 

Was Dion vermutlich meinte: dass ihm die Geschichte zu sehr auf die Helden - und Trändendrüsenschiene läuft, was seiner Meinung nach wohl Auflage bringt, aber er offenbar literarisch nicht schätzt.

Dem könntest Du begegnen, in dem Du die Ich - Perspektive fallenlässt und die sichtbaren emotionelen Regungen hinten vor lässt.

Mich allerdings hat es nicht gestört, dass Du als erste Person erzählst. Es hat Vor- und Nchteile. Der Vorteil: der Leser wird sich gern mit der Erzählerin identifizieren. Der Nachteil: ein halbwegs kritischer Leser wird durch die Perspektive überdenken, wie er selbst gehandlet hat, und wird so evtl auf eigene Schwächen aufmerksamer.

sorry, musste hier nochmal meinen Senf dazugeben.

schöne Grüße
Anne

 

Hallo Maus,
jetzt glaube ich Dion besser zu verstehen. Dank Deines Senfes. :D
Werde mir für die zukünftige Geschichten meine Gedanken dazu machen, aber Alarm möchte ich so lassen wie sie ist. :shy:
Danke Dir für Deine erklärenden Worte.

Liebe Grüße, Susie :)

 

Zitat von Maus:
Was Dion vermutlich meinte: dass ihm die Geschichte zu sehr auf die Helden - und Trändendrüsenschiene läuft, was seiner Meinung nach wohl Auflage bringt, aber er offenbar literarisch nicht schätzt.
Du kennst mich schon ganz gut, Anne, danke für die Aufklärung des ziemlich neuen Mitglieds Kürbiselfe. Ich hätte das schon noch gekonnt, aber wäre bestimmt wieder irgendwo angeeckt. :D

Dion

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Jo,

ich bin restlos begeistert und empfand es nicht (entgegen Dion) zu stark auf die Tränendrüse drückend.
Hatte schon angefangen mir Gedanken zu machen ob die Story wirklich zu sehr ... mh ... schmalzt. Jetzt glaube ich aber, das passt schon so. Danke. :)


Und dies lag einzig und allein an deiner fesselnden Umsetzung, gerade im Mittelteil.
Sollte mir vielleicht überlegen, mich in Tomatensusie umzubenennen. Das würde besser zu meiner aktuellen Gesichtsfarbe passen. :huldig: :huldig:


Danke auch für Deine Hinweise. Das mit dem Cappuccinopulver und dem ganz schön kalt klingt wirklich komisch. Werde sofort die Änderungen vornehmen. ;)


Zitat:
"Der Kleine ist übern Berg, wir nehmen ihn nur zur Beobachtung mit. Sie haben ihm das Leben gerettet."

Hmm? DAS können sie schon zu diesem Zeitpunkt mit Sicherheit sagen?

Nein, konnten sie natürlich nicht. Ich nehme an, der Sanitäter wollte mir nur Mut machen und damit sagen, dass die Mühe sich gelohnt hätte.


hehe ... das 'beinahe' kannst du bei mir streichen.
nun wird´s aber langsam Zeit, dass auch ich Dich zu einem meiner Chefkritiker ernenne. War ja auch schon überfällig, gell? :D


Fazit: für mich ganz eindeutig eine deiner stärksten Geschichten.

So sei es, sagte die Elfe bescheiden und höchsterfreut, während sie des Dankes keine passenden Worte in ihrem vom Glück getränkten Hohlraum der Gedanken fand. :D

So denn bis bald und
liebe Grüße von Susie


Nachtrag: Zitat von Jo: (der heute seit nunmehr 100 Tagen seinen Senf dazu geben darf / muss / will ). - und ich darf dabei sein: Herzlichen Glückwunsch und ein dickes Danke!

 

Hallo Kürbiselfe!

Hm, naja. Irgendwie wirkt der Text auf mich wie ein reales "Schaut her, wie gut ich bin" - das ganz besonders auch durch die Ich-Form und das Zeichnen der Freundin als hilflose (und durch das Rauchen neben dem eh schon schwachen Kind rücksichtslose) Person.

Nun weiß ich nicht, was Deine Intention war, diese Geschichte zu schreiben, hoffentlich nicht die oben erwähnte.
Wenn Du zeigen wolltest, wie sehr einem ein Kind durch so ein Erlebnis ans Herz wachsen kann, dann würde ich die Protagonistin erst ab da erinnern lassen, wo sie ihm die Mund-zu-Mund-Beatmung gibt. Sie sieht ihm ins Gesicht und erinnert sich, wie sie damals sein Gesicht genommen hat und ihm das Leben eingehaucht hat. Ich denke, das ist der bewegende Moment, nicht daß die Mutter des Kindes Tarot-Karten legt, sich ständig hoffnungslos verliebt und was weiß ich noch alles.
Wichtig für die Geschichte ist meiner Meinung nach auch nicht, wo die Mutter inzwischen war und weswegen und ob sie unfähig war, etwas zu tun (eine kurze Andeutung reicht), sondern daß die Protagonistin dem Kind das Leben rettet und heute glücklich darüber ist, daß es sich am Leben freut; nicht stolz auf ihre Leistung, sondern einfach nur glücklich.

Eine kleine Kritik ist auch noch im Text, die Du etwas ausbauen könntest, nämlich daß der Rettungswagen so lang braucht - was bei gesünderen Krankenkassen vielleicht schneller gehen würde...

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Goldene Dame schrieb:
Was ich noch empfinde: Irgendwie scheint die Erzählerin mehr Mutterqualitäten zu haben, als die leibliche Mutter. Auch am Ende wird dieser Eindruck nicht abgemildert.

Woltest du das so?


Kürbiselfe schrieb:
Ja, das war meine Absicht
.

Ich finde es wirkt moralinsauer. Wenn du ihre Empfindungen und Dankbarkeit, ein Leben gerettet zu haben, ohne die negative Zeichnung der Mutter bringen würdest, wäre die Intention der Geschichte: Ich habe getan, was getan werden musste viel ehrlicher. So hört sich dass eher an wie: Ich musste es tun, weil ich aufgepasst habe und damit gerechnet habe, dass sie nicht klar kommt.

Liebe Grüße
Goldene Dame

 

Hallo Häferl,
Nun, ich weiß mit der Antwort hat es etwas gedauert. Musste mir erst einmal meine Gedanken dazu machen.

Hm, naja. Irgendwie wirkt der Text auf mich wie ein reales "Schaut her, wie gut ich bin" - das ganz besonders auch durch die Ich-Form und das Zeichnen der Freundin als hilflose (und durch das Rauchen neben dem eh schon schwachen Kind rücksichtslose) Person.

Was meine Absicht war, wolltest Du wissen. Bestimmt nicht eine Geschichte zu schreiben die einen "schau her - ich bin toll Effekt" auslöst.
Auch wollte ich nicht allein hervorheben, wie sehr ein solches Erlebnis das Kind einem ans Herz wachsen lässt.
Sicher ist die Erzählerin glücklich darüber, dass es ihr möglich war, dem Kind das Leben zu retten.
Eine Absicht steckt aber nicht wirklich dahinter. Nur eine Aufzählung der Ereignisse einer Nacht. Da gehört nun mal auch die Freundin, die Charakterisierung derselben und ihre Handlungen dazu.
Die lange Zeit, die der Krankenwagen braucht, verdient keine weiteren Ausbauten, da gesündere Krankenkassen nicht zu den Ereignissen der Nacht passen. Sicher hast Du Recht, dass dieser Aspekt nicht untergehen sollte, aber die Erzählerin hat sich in dieser Nacht keine Gedanken darüber gemacht, sie war einfach nur wütend. Die Hintergründe waren für sie in diesem Moment nebensächlich. Diese Gedanken kamen erst am nächsten Tag und das ist eine andere Geschichte ...

Ich danke Dir für Deine Erklärung und teilweise teile ich Deine Meinung. Werde diese auch in zukünftigen Geschichten sicherlich in Betracht ziehen. ;) Dennoch lässt du mich etwas unbefriedigt zurück. Denn ich weiß nun immer noch nicht, ob Dir die Geschichte nun gefällt oder nicht, mal abgsehen von der fehlenden Absicht des Textes. :shy:

Liebe Grüße, Susie

 

Hallo Goldene Dame

danke auch dir dafür, dass Du Dich so mit meiner Geschichte auseinandersetzt hast.
Leider muss ich zugeben: Ich hatte nicht wirklich eine Absicht mit dem Text. Für mich schildert er lediglich das Erlebte einer Nacht. Mit allem, was dazu gehört. Die Freundin, das Kind und die Erzählerin.
Ich weiß leider nicht, was moralinsauer ist. ;)
Die Erzählerin hat getan, was getan werden musste. Sie musste nicht aufpassen, weil sie mit dem eventuellen Versagen der Freundin rechnen musste.
Sie wurde hineingedrängt in eine Verantwortung, die sie gar nicht wollte. Sie wollte nie eine Heldin sein. Man hat sie nie gefragt, ob sie dem Kind das Leben "retten dürfen" möchte. Natürlich ist sie froh darüber, dass es geglückt ist.
Aber hätte sie die Wahl gehabt, diese Verantwortung weiter zu schieben, beispielsweise an die Mutter, hätte sie es vielleicht getan. Darum glaube ich, muss das Drumherum auch eine Rolle spielen. Die Erzählerin ist eine Person, die gerne hilft, wenn es nötig wird, sich gerne auch anbietet zu helfen, aber nicht aufdrängt dies zu tun.
Die Freundin ist eine Person, die sich grundsätzlich gern auf andere verlässt, wobei ich der Meinung bin, wäre die Erzählerin nicht anwesend gewesen, hätte die Freundiin sicher auch eine Lösung gefunden, dem Kind zu helfen, selbst wenn sie selbst bis heute nicht daran glaubt.

Wie ich schon Häferl geschrieben habe, werde ich auch Deine Anregungen in zukünftigen Geschichten berücksichtigen. Deshalb danke ich Dir noch einmal für die aufgewendete Mühe.

Liebe Grüße, Susie :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Marius

Du hast sehr viel Zeit und Mühe in die Analyse meiner Geschichte gesteckt. Dafür kann ich mich nur sehr herzlich bedanken! :)

Die Kommafehler versuche ich schnellstmöglich auszubessern. ;)

Neben mir am moosbewachsenen feuchten Ufer eines kleinen idyllischen Baches, der das Grundstück meines Vaters umsäumt (Komma) sitzt ein kleiner Bengel von acht Jahren. Er versucht (Komma) mit seinen ungeschickten Händen Fische zu fangen. Immer wieder entgleitet ihm das kleine Stückchen Brot aus seinen dicklichen, kurzen Fingern, das er auf den Haken stecken möchte (Hat er einen Haken in ungeschickten Händen oder eine Angel?). Schließlich helfe ich ihm doch (Komma) und die vermeintliche (wieso „Vermeintliche“?) Beute landet sicher im kühlen Wasser (Das habe ichnicht verstanden...).

Der Bengel hat einen Haken in der Hand, der an mit einer Schnur an einer Angel hängt. Er steckt das Stückchen Brot auf den Haken, um diesen dann mit Hilfe der Angel (nicht die Angel selbst) ins Wasser zu werfen. Vermeintlich deswegen, da ja nicht jedes aufgesteckte Stückchen Brot zwangsläufig den Fang eines Fisches nach sich zieht. Manchmal wartet man stundenlang darauf. Manchmal fängt man einfach auch gar nichts. Dem Auswerfen geht noch eine Bearbeitung des Brotes vorraus. Am besten knetet man es zu einer kleine Kugel. Das verhindert das zu schnelle Aufweichen und den Verlust der Brotes. Dies genauer auszuführen schien mir aber nicht nötig im Text.

Ich breche mal ab mit meinen Klammern, sonst unterstellt mir wieder irgendein Hirnrissiger eine Doktorarbeit angestrebt zu haben oder sowas. Schließlich ist Deine Geschichte schön lang, was ich übrigens außerordentlich begrüße.

Ich hätte Dir so etwas nie unterstellt. Dass die Geschichte für Dich eine angenehme Länge hat, freut mich sehr.

Liebe Elfe, so toll ist ein Komma gar nicht. Doch manchmal zur richtigen Zeit am richtigen Ort wirkt es Wunder. Ich mag das Ziel Deiner Geschichte sehr gerne und kann das Gefühl nachempfinden, das Du beim Schreiben gehabt haben magst.
Deine Kommafehler aber verdienen einen Eintrag ins Guinnes-Buch der Rekorde. Das aber war hoffentlich nicht Deine Intention.

Scherz beiseite: Überarbeite die Geschichte.


Natürlich war es nicht meine Absicht, mit solch zweifelhaftem Ruhm im Guinness-Buch zu landen. :D Selbstverständlich werde ich Deinem Rat folgen und den Text noch einmal überarbeiten.
Es ist schön zu lesen, dass Du die Gefühle, die ich beim schreiben hatte, nachempfinden kannst.

„Die Aufkleber, die seine Atmungsbewegungen messen sollen (Aufkleber können nicht messen), kann ich nicht sehen“

Zitat:
„...da sie ja normalerweise auf seiner Brust festgemacht sind und unter der Kleidung verborgen sind, aber auch die Kabel die von dort zum Monitor führen sollten kann ich nirgends sehen.“
(Bisschen unglückliche Beschreibung dafür, dass diese Dinger nicht angeklebt sind.)


Es sind tatsächlich Aufkleber. In diesen befinden sich kleine Elektroden, oder wie auch immer die Dinger heissen mögen. Man setzt drei Stück dieser Aufkleber auf die Brust, bzw., einen knapp darunter. Von dort aus laufen verschiedenfarbige Kabel (deshalb verschiedenfarbig, weil jedes für sich einen bestimmten Platz einnehmen muss und so nicht verwechselt werden kann), die in einem kleinen Stecker münden zu besagtem Monitor, in den sie eingesteckt werden. Das Ding zeigt natürlich keine Kurven, wie man sie im Fernsehen sieht. Lediglich eine Zahl leuchtet auf, die sich in einem bestimmten Rahmen bewegen muss. Tut sie es nicht, wird der Alarm ausgelöst.

Generell muss ich mal sagen, dass ein solches Kind ein Fall für die Intensivstation ist, und kein Fall für das Wohnzimmer.
Im Grunde genommen hast Du Recht. Es muss eine bestimmte Zeit vergehen (ich glaube es waren fünf Tage), in der der Alarm nicht einmal ausgelöst werden darf, bevor man ein Kind mit nach Hause bekommt. Selbstverständlich braucht ein solches Kind viel Aufmerksamkeit, aber vor allem auch ein sehr gutes Raumklima, dass hier aber fehlte, wodurch die Situation erst zu Stande kam.

„Cayla hat sich inzwischen beruhigt und zieht sich an, um mit ihrem Sohn ins Krankenhaus nach Salzburg zu begleiten.“
(Mit ihrem Sohn nach Salzburg zu begleiten? Und ferner: Ist das Krankenhaus nicht eigentlich ganz in der Nähe?)
Der Fehler wird natürlich behoben. Das Ganze spielt in einem Ort kurz vor der österreichischen Grenze. Gelegentlich kommt es vor, dass ein Einsatzwagen nicht verfügbar ist und so informiert das deutsche Krankenhaus auch Salzburg, da gibt es so ein Abkommen zwischen den beiden Häusern. Die Salzburger Sanitäter waren aber dann auch tatsächlich schneller vor Ort, als die deutschen. Daher musste die Mutter mit nach Salzburg fahren, obwohl das deutsche Krankenhaus tatsächlich ganz in der Nähe ist. Ich denke, wenn Du es noch einmal genauer durchliest, kannst Du es erkennen. Vor allem an der Stelle, wo die beiden Frauen auf dem Balkon stehen und erklärt wird, dass man über die Grenze nach Salzburg sehen kann. Ich glaube, damit die Örtlichkeiten ausreichend beschrieben zu haben, oder wirkt das nur so auf mich, weil ich sie ja kenne?

„Ich kann nicht mehr, meine Arme liegen auf dem Tisch in dem umgestürzten Wasser.“ (Können Arme in „ungestürztem Wasser“ liegen?)

verschüttete?

Wenn Du an weiteren Klammern interessiert bist, reicht ne PN.)

Das ist ausgesprochen nett von Dir. Werde diese Freundlichkeit gern in Anspruch nehmen, so bald ich den Text noch einmal überarbeitet habe.

Marius, ich danke Dir! So eine ausführliche Kritik und Hilfe erhält man nur selten und habe mich sehr darüber gefreut. Was nicht heisst, dass ich mich nicht auch über kurze Kritiken freuen würde. :D

Liebe Grüße, Susie

 

Liebe Kürbiselfe,
ich finde es durchaus in Ordnung, wie die Mutter von dir beschrieben wird. Wie Maus schon sagte, du hast es gezeigt, nie selbst bewertet. So wie du es gezeigt hast, ist es natürlich, dass sie in den Augen der Leser nicht gut weg kommen kann. Ich habe die Geschichte heute noch einmal gelesen und habe dabei nach der Überarbeitung auch die Nachsicht und das Besondere der Freundschaft mit Calya deutlicher gesehen. Das moralinsaure ist verschwunden. :D


Liebe Grüße

Goldene Dame

 

Hallo Kürbiselfe,

das ist eine sehr mitreissende, spannende Geschichte. Man fiebert mit. Außerdem ist so viel Konkretes drin, z.B. der Monitor, die Farbe der Kinderlippen bei drohendem Atmungsstillstand etc., dass die Story sehr glaubhaft wird. Das hebt sie über andere Geschichten über ähnliche Themen, in denen ein eher abstraktes Gefühl im Vordergrund steht.

Ein paar kritische Bemerkungen trotzdem.

1.) Der Schluss ist m.E. zu lang. Für mich war die Spannung weg, als klar war, dass der Kleine überleben würde.

2.) An ein paar Stellen fand ich die Gedanken des Protagonisten unlogisch. Das spricht nicht gegen die Geschichte, nur gegen den Protagonisten. Aber da es ein Ich-Erzähler ist: Sollte man den nicht als Identifikationsfigur so sympathisch wie möglich machen?

3.) Mir sind sehr viele wertende Adjektive aufgefallen: idyllischer Bach, liebenswerter Bursche, ein bisschen zu mollig, etc. Ich will das nicht kritisieren, es hat mich nicht gestört. Es hilft einem, zu verstehen, was der Ich-Erzähler fühlt, wenn er z.B. den Jungen sieht. Ich weiß einfach nicht recht, was ich davon halten soll.

Die Anmerkung Dions gegenüber den letzten Sätzen muss ich leider unterschreiben. "eine kleine verstohlene Träne" - das ist Kitsch, sorry. Ich habe das überlesen, weil mich die Geschichte da schon nicht mehr interessiert hat (siehe Punkt 1). Er hat auch Recht, was die Überlegenheit der Ich-Erzählerin anbelangt: Irgendwann hat man das Gefühl, sie sei arrogant. Sie weiß alles besser.

Aber insgesamt eine sehr gute Geschichte.

Grüße,
Stefan

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom