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Aleas jactas sunt

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22.11.2006
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Aleas jactas sunt

Hier stehe ich nun im großen Saal. Die riesigen, mit bunten, vermutlich aus dem Sachsenspiegel oder aus einem anderen Buch längst vergangener Zeiten entnommenen Motive, verzierten Fenster lassen zwar Sonnenlicht herein, erlauben jedoch keinen Blick nach draußen. Ich kann sie nicht sehen, da ich mit dem Rücken zu ihnen stehe. Die Wände sind hoch und mit hellem Holz verkleidet, was ein trügerisches Gefühl der Freundlichkeit und Harmlosigkeit vermittelt. Links von mir, hinter einem länglichen Pult, fast einer Tafel gleichend, „thronen“ die hohen Herren mit finsterer Mine. Mir gegenüber starren acht Herrschaften, in zwei Sitzreihen hintereinander angeordnet, gebannt in Richtung der hohen Herren, von denen einer sich erhoben hat und seine Rede verliest. Ihm gegenüber sitzt das Publikum, aufgeregt und kopfschüttelnd lauschend. Das ganze wirkt wie ein schlichtes Theaterspiel, und ich bin sein Hauptakteur, nur, dass es kein Theaterspiel ist.

„Schuldig!“ ertönt eine sonore Stimme. Ja, ich bin schuldig. Ich habe es getan. Es gibt kein zurück. Ich weiß, dass es falsch war. Doch nun ist es zu spät. Ja, ich bin schuldig! Beschämt, vielleicht auch reuig, starre ich auf den Fußboden. Ich traue mich nicht, meinen Kopf zu erheben. Ich spüre förmlich, wie alle Blicke auf mich gerichtet sind – bedauernd, beobachtend, ob nicht doch irgendeine Regung in meinem Gesicht zu erkennen ist, verachtend, beschuldigend, sensationsgeil. Nein, ich werde nicht meinen Kopf erheben, ich werde euch nicht erlauben, irgendetwas in meinem Gesicht zu lesen, etwas hineinzuinterpretieren, was ihr sehen wollt. Ich fühle mich, als würde ich nackt und angekettet auf einem Marktplatz des Mittelalters stehen. Ich habe doch alles zugegeben. Was wollt ihr noch von mir? Dass ich auf die Knie falle und um Vergebung flehe?

Ich schließe meine Augen, als ob ich mich dadurch an einen anderen Platz bringen könnte. An einen Platz, wo mich keiner kennt, wo ich für mich alleine bin, wo mich keine vorwurfsvollen Blicke quälen, wo ich noch einmal von vorne beginne kann. Aber alles, was ich sehe, ist eine große Blutlache. Darin liegt sie. Wie konnte das nur passieren?! Es hat mich einfach überkommen. Dabei habe ich ihr hundertmal gesagt, sie solle mich nicht provozieren. Und jetzt ist es passiert! Ich spüre noch förmlich, wie meine Faust auf ihrem Körper auftritt, ich kann hören wie ihre Knochen unter der Wucht der Schläge knacken. Es kam mir vor wie in einem Blutrausch. Ich glaube, ich bekam sogar eine Erektion. Aber es war falsch, es war grausam, es war geil!

Ja, ich bin schuldig! Ich spüre die Blicke meiner Eltern auf mir, wie mein Vater fassungslos den Kopf schüttelt, meine Mutter ihr tränenbenetztes Gesicht in ihre Hände vergräbt. Ich sehe ihre Eltern, die mit steinerner Mine das ganze Schauspiel verfolgen. Und ich sehe sie, zwei Krücken neben ihr an der Bank gelehnt, ein Auge halb zu geschwollen, und wie sie dennoch mit ihrem vergebenden und mitleidigem Blick zu mir herüberblickt, als wolle sie mich trösten. Wie ich das hasse! Wie ich mich hasse! Warum kann sie mich nicht hassen, sondern muss mir alles vergeben? Und dafür hasse ich sie!

Ich bin bereit. Ich bin bereit, das Urteil zu empfangen. Mir ist jedes recht. Ich will nur weg von hier. Weg von den Heiligen, weg von Verurteilenden, weg von den Vergebenden, weg von den Spannern, weg von euch allen.

Ein bitteres Lächeln huscht über meine Lippen, als ich endlich meine, von mir selbst so ersehnte, Strafe vernehme. Drei Jahre unbedingte Haft. Das ist alles? Aber ich glaube, keine Strafe der Welt hätte mich zufrieden stellen können. Es hat keine Bedeutung für mich. Es kommt mir alles so unerträglich weltlich vor. Ich bin euch überlegen. Ihr wisst es nur noch nicht.

Der Justizwachebeamte legt mir die Handschellen an und führt mich am „Publikum“ vorbei zur Türe Richtung meines neuen Heims. Jetzt – jetzt hebe ich zum ersten Mal meinen Kopf, um trotzig in die Fratzen der scheinheiligen Lämmer zu blicken. Doch ich schaue ins Leere. Es ist niemand gekommen.

 

Hallo Ulrich,

ein herzliches Willkommen hier. Für ein Erstlingswerk hast du gar keinen so üblen Text abgeliefert.

Insgesamt kann man es als kurze Pointengeschichte bezichnen, damit erfüllst du schon mal eine ganze Reihe formaler Kriterien.

Bei genauerem Hinsehen kann man aber noch an ein paar Stellen feilen.

Was den Titel betrifft, so ist mein Latein zu lange her, als dass ich mich an den Plural von Alea erinnern könnte. Ist es tatsächlich aleas? Die Würfel sind Gefallen ... etwas allgemeingültig, vor allem nicht ganz passend zur Pointe.

Und dann stolpert man zu Anfang über folgenden Satz:

Links von mir, hinter einem länglichen Pult, fast einer Tafel gleichend, „thronen“ die hohen Herren mit finsterer Mine. Mir gegenüber starren acht Herrschaften, in zwei Sitzreihen hintereinander angeordnet, gebannt in Richtung der hohen Herren, von denen einer sich erhoben hat und seine Rede verliest. Ihm gegenüber sitzt das Publikum, aufgeregt und kopfschüttelnd lauschend

Kann mir die Geometrie nicht so recht vorstellen, der Kontrast vonHerrschaften und hohen Herren ist auch etwas zermürben.

Das Punblikum lauscht aufgeregt und kopfschüttelnd? Abgesehen von der seltsamen Forumulierung passt das nicht zur Pointe. Er kann es nicht wissen.

Es kam mir vor wie in einem Blutrausch
Es kam mir vor KOMMA wie in einem Blutrausch

Ich bin bereit. Ich bin bereit, das Urteil zu empfangen
Etwas lästige Wiederholung

Es hat keine Bedeutung für mich. Es kommt mir alles so unerträglich weltlich vor. Ich bin euch überlegen. Ihr wisst es nur noch nicht.

Eine Reihe von Anspielungen, die (endlich) über etwas einseitigen Selbstbetrachtungen des Prot. hinausgehen. Leider nur angerissen und die Zeit zu weiteren Erklärungen nimmst du dir nicht, denn es folgt die Pointe.

LG,

N

 

Hallo, Ulrich!

Auch von mir nochmal herzlich wilkommen auf KG.de! :)

Zum kurzen Text ein paar kurze Anmerkungen:

Wenn schon einen lateinischen Titel, dann bitte korrekt: Alea jacta est (Google ist dein Freund! - Eigentlich Singular "Der Würfel ist geworfen", im deutschen dann zu einem Plural "Die Würfel sind gefallen" kolportiert). Dein Titel ist leider kein korrektes Latein, ich würde das ändern (lassen).

Der Zusammenhang des Titels mit dem Text ist mir zu banal. Die platte Tatsache, dass hier eine Entscheidung (sprich Urteil) gefallen ist, ist leider sehr spannungsarm. Mir fehlt der Aha-Effekt. Der Twist. Die ... Tiefe in Text und Titel. Hoffe, es ist einigermaßen klar, was ich meine.

Der Text selber ist leider auch etwas flach für meinen Geschmack - er versucht eine eigentlich banale Situation durch etwas pathetische Innensicht-Formulierungen des Verurteilten aufzubauschen. Was dabei rauskommt, liest sich für mich leider etwas holprig und klischeehaft. Tatsächliche Handlung (und sei sie nur im Off) oder echte Charakterzeichnung fehlen leider, der Text bleibt zu sehr in der etwas wortschwurbeligen Beschreibung einer alltäglichen Gerichtsszene hängen.

Meine ersten spontanen Verbesserungsansätze wären:

Was genau macht den Charakter des Prot und seiner speziellen Tat aus? Hier fehlt eine Menge, das man vertiefen könnte/müsste.

Es sollte ein, zwei Besonderheiten in der Szene geben, eine Art Motiv, das den Text stützt. Das kann alles mögliche sein, von der Hakennase des Richters bis hin zu einem bestimmten Gemälde an der Wand. Sowas gibt gerade einem solchen sehr deskriptiven Text etwas mehr Tiefe und Halt und dem Leser "Futter" zum "Gucken", derweil man darum die Handlung (sofern man das hier so nennen kann) herumspinnen kann.

Daraus folgend: In seiner jetzigen Form ist der Text einfach zu beliebig und platt, inhaltlich wie auch stilisitisch, und berührt mich daher überhaupt nicht. Es fehlt ihm das Spezielle, siehe dazu auch die letzten Anmerkungen von Nicole - da fehlt einfach noch eine Menge, um aus diesem Beschreibungsgeschwafel einen wirklich spannenden Text zu machen, der wirklich etwas erzählt.

Mein Fazit: Ich hab schon sehr viel schlechtere Erstlinge hier gelesen - aber es gibt trotzdem noch eine ganze Menge, woran man arbeiten könnte. Dran bleiben!

So weit mein erster Eindruck - hoffe, du kannst mit den Anmerkungen was anfangen. Weiterhin frohes Schaffen und viel Spaß auf KG.de! ;)

Gruß,
Horni

(Auf mitternächtlicher Spontan-Kritisier-Tour :D)

 

Zuerst einmal: Hallo!

Das Latein ist sehr wohl korrekt, denn der Plural lautet im Lateinischen so (kann man im Stowasser nachschauen :) ) Vielleicht habe ich nicht richtig zitiert.

Zu der Kritik sei zu sagen, dass vor allem die ersten Sätze tatsächlich etwas komisch klingen. Ich bin selbst beim Durchlesen mehrmals darüber gestolpert, habe mich dann jedoch dazu entschieden, sie nicht zu verbessern.

Der Titel muss für mich nicht immer in einem Zusammenhang zum Inhalt sein bzw. darf auch ruhig banal sein. Ich nehme am Ende einer Geschichte spontan den ersten Gedanken, der mir einfällt und schreibe ihn auf, da mir der Titel schlichtweg egal ist.

Ich verstehe nicht ganz, worauf Du mit Deinem "Motiv, das die Szene stützt" hinauswillst. Solche Dinge wie etwa eine Hakennase oder Wandgemälde oder sonst irgendwas erschienen mir im Verlauf der Geschichte nicht sinnvoll.

Ad Nicole: "Das Publikum lauscht...." passt insofern zur Pointe und auch zur Geschichte, da nichts von dem, was der Protagorist wahrnimmt, stattfindet.

Aber insgesamt habt ihr recht: Die Geschichte ist banal und einfach - sofern man überhaupt von "Geschichte" reden kann, denn die sollte ja etwas "erzählen" :)

 

Nix zur Geschichte, nur zum Latein. Wikipedia liebt dich:

Syntaktisch richtig wäre als Plural die Schreibweise „Aleae iactae sunt“. Diese wird aber nicht verwendet, da schon mit alea mehrere Würfel gemeint sein können (alea lässt sich auch mit „Würfelspiel“ übersetzen). Aleae hingegen bezeichnet mehrere Würfelspiele. Tatsächlich ist alea also ein Wort, das sowohl den Singular als auch den Plural darstellen kann. In jedem Fall steht das dazugehörige Verb jedoch im Singular. Demzufolge ist die Übersetzung „die Würfel sind gefallen“ dennoch zulässig und nicht wirklich falsch.

Ich hatte Latein, die Form "aleas" kenn ich nicht.

 

Ich bin selbst beim Durchlesen mehrmals darüber gestolpert, habe mich dann jedoch dazu entschieden, sie nicht zu verbessern

Das ist die Form von Selbsterkenntnis, die man in diesem Forum liebt.

Wir wünschen ihnen für ihre weitere literarische Zukunft viel Erfolg,

mit freundlichen Grüßen,

N. Berg

 
Zuletzt bearbeitet:

Zu dem Latein-Krempel ist nix mehr hinzuzufügen - danke, Felsy! (Und ich hab sogar extra nochmal meinen Langenscheidt rausgekramt... :dozey: )

Zu deiner Reaktion allgemein:

Das wäre glaube ich Nummer drei auf der Standard-Ausreden-Liste:

Das ist so schlecht ausgedrückt/banal/oberflächlich/falsch recherchiert/spannungsarm/Wasauchimmer (zutreffendes bitte einkringeln!), weil ich das so haben wollte... :hmm:

Nich böse sein, aber wenn man das erstmal soundsooft gelesen hat...

Ich verstehe nicht ganz, worauf Du mit Deinem "Motiv, das die Szene stützt" hinauswillst. Solche Dinge wie etwa eine Hakennase oder Wandgemälde oder sonst irgendwas erschienen mir im Verlauf der Geschichte nicht sinnvoll.

Es geht um Details, eine Art roten Faden (oder mehrere), die diesem sehr deskriptiven Text seine Beliebigkeit nehmen. Damit da nicht einfach nur irgendwelche Leute in irgendeinem Zimmer sind und irgendwas machen. Wie sehen diese Leute aus? Wie sieht der Raum aus? Was ist einzigartig an den Personen oder der Umgebung, das eine Erwähnung lohnt? Worauf konzentriert sich die Wahrnehmung des Prot? Worauf möchte ich die Wahrnehmung des Lesers konzentrieren? Wodurch könnte ich eine bestimmte Stimmung erzeugen oder bestimmte Emotionen auslösen?
Anders ausgedrückt: Was ist um alles in der Welt so besonders an dieser Szene, dass du ausgerechnet sie beschreibst und dass ausgerechnet ich als Leser mich dafür interessieren soll? Es geht darum, einen farbigen Text mit etwas Tiefe zu erzeugen. Das fängt bei den Umgebungsdetails an und hört mit der ultrawichtigen Charakterisierung des Protagonisten und seiner Motive auf!

Vielleicht versuchst du einfach mal, die bisherigen Reaktionen auf deinen Text in Ruhe auf dich wirken zu lassen. Evtl. vergleichst du auch - diesen Tipp gebe ich immer wieder gerne - deinen eigenen Text mal ganz bewusst und detailliert mit "professionellen" Geschichten, z.B. in einer Anthologie. Vielleicht fällt dir dann das eine oder andere auch selber ins Auge. Es ist nämlich nicht wirklich sinnvoll, sich das untere Ende der Messlatte als Maßstab zu nehmen und zu sagen: "Hey, schlecht kann ich auch!" Dein Ziel sollte sein, es den Besten gleichzutun! ;)

Gruß,
Horni

 

Ja, ja, mein Latein ist auch schon ein wenig her. Und wenn man es nicht mehr kann, dann sollte man auch nicht darüber klugsch.... . Also, entschuldigt diesen Fehler.

Es ist irgendwie recht spannend, wie eigene Geschichten auf andere wirken. Bis jetzt habe ich eigentlich nur für mich geschrieben und nie etwas anderen gezeigt (jetzt weiß ich auch, warum ;) ) Ich bin zufällig über dieses Forum gestolpert und habe nun die Anonymität des Internets genützt, um einem Publikum zu schreiben.

Ich möchte auch an dieser Stelle erwähnen, dass vielleicht für Euch unverständliche Reaktionen von mir auf Eure Kritiken nicht heißen soll, dass ich nicht darüber nachdenke bzw. ich es nicht akzeptiere.

Ich wollte mich bei dieser Geschichte eigentlich nicht in Beschreibungen von Räumen bzw. Personen ergießen, da ich es in dem Kontext für unpassend empfand. Ich dachte, das Beschreiben von Gefühlen bzw. vom Innenleben müsste eigentlich genügen. Was ich nicht dabei bedacht habe, ist, dass es dann anscheinend recht langweilig und einfältig anmutet. Wie gesagt, es ist interessant, zu erfahren, wie eigene Geschichten, von denen man ganz spezielle Vorstellungen hat und die für einen selbst eigentlich nicht langweilig sind, auf andere wirken, die wiederum andere Vorstellungen haben bzw. etwas anderes erwarten.

Eines noch ad Horni: Ich hatte eigentlich nicht vor, mich mit irgendjemanden oder irgendetwas zu messen. Ich sehe das auch nicht als Wettkampf. Ich habe nicht einmal ein spezielles Vorbild, da ich so ohendies nicht schreiben kann und will. Jeder hat seinen eigenen Stil - und genau das sind die Grenzen in denen man sich bewegt und in denen man sich verbessern kann oder über die man hinausgehen kann. Es handelt sich aber immer noch um den eigenen Stil, weswegen es nichts bringt, sich an professionellen Autoren zu orientieren, wenn man sich nicht als Nachahmungstäter verdingen will. Das wiederum soll jetzt nicht heißen, dass ich keine Lieblingsautoren habe (die ohendies ständig wechseln) - ich messe mich nur nicht mit ihnen.

 

Hi nochmal kurz!

Es geht nicht um "Wettkampf" - aber um Qualität. Darum, dass man immer versucht, den besten Text zu schreiben, den man schreiben kann und sich nicht mit "Och, das ist jetzt zwar nich so doll, aber ich mag es jetzt nicht verbessern..." zufrieden zu geben. "Messen" also nur im Sinne von "Was machen die, damit ihre Geschichten so gut sind - und wie kann ich das auch erreichen? Hat mein Text das schon? Und wo noch nicht?"
Und es ist absolut legitim und sinnvoll, sich Anregungen bei den "Großen" zu holen, wo man evtl. an seinem eigenen Geschreibe noch was verbessern könnte etc. Mit "Nachahmungstäterschaft" hat das absolut nichts zu tun. Nur mit Auseinandersetzung mit der Materie. Es geht ja um Techniken, um Tipps und Tricks im weitesten Sinne, nicht ums "Abschreiben"...
Von Vorbildern zu lernen, heißt ja nicht, nicht trotzdem sein eigenes Ding zu machen. Ich staune immer wieder, wie weit verbreitet dieses Mißverständnis ist, "der eigene Stil" sei etwas ist, das im Elfenbeinturm entwickelt und eifersüchtig vor "fremden Einflüssen" geschützt werden muss... :schiel:

My last tuppence,
Horni

 

Hi UlrichF,

es geht hier um die ambivalenz der Gefühle: Stolz und Scham. wie weit krieche ich bei gleich welcher Schuld zu Kreuze, wie weit erhebe ich mich gleichzeitig über die Opfer und ihre angehörigen in meiner Verachtung für sie.
Psychologisch hast du diesen Widerstreit der Gefühle nicht in aller Konsequenz ausgelotet, weil du sie eindimensional verteilst.
Jede Figur steht für begrenzte Gefühle.
Die Eltern des Prot für Scham und Fasssungslosigkeit. Was machen sie daraus? Wir sehen sie sitzen, vielleicht mit Schuldgefühlen, ein Monster großgezogen zu haben. Was treibt sie in die Gerichtsverhandlung? Die anhaltende Liebe zu ihrem Sohn oder das schlechte Gewissen den Eltern des Mädchens gegenüber? Haben sie mit dem Sohn gebrochen oder nicht? Haben sie ihn vielleicht in der Untersuchungshaft besucht, eine Kaution bezahlt? Im falle anhaltender Liebe müsste dein Prot die Eltern ähnlich empfinden, wie sein Opfer, das ja an der Liebe festhält. Dadurch entsteht ein Bogen, ein Kreis. Haben sie ihn verstoßen, sitzen vielleicht sogar demonstrativ mit den Eltern des Opfers zusammen, entstehen andere Gefühle. Eventuell das, sie hätten ihren Sohn nie geliebt. Auch dadurch entsteht ein Kreis. Deine Eltern scheinen außer mit Fassungslosigkeit und Tränen gar nicht zu reagieren und dadurch hat dein Prot auch keine Chance, etwas zu erzählen.
Den Eltern des Opfers gönnst du nur einen Satz, eine versteinerte Miene (die Mine wäre der Stollen eines Bergwerks oder ein Sprengkörper).
Auch die Tatschilderung ist mir zu knapp. Dabei möchte ich nicht mehr Blut oder die Provokation, sondern mehr über das Gefühl des Blutrauschs wissen. Die Erektion und die Wertung "es war geil" ist da schon mal ein guter Anfang, auch wenn sie vielleicht in der Realität dazu geführt hätte, das Strafmaß von fünf Jahren auf Körperverletzung voll auszunutzen, aber ein Geständnis kann es natürlich auch wieder mildern.
Ich glaube aber, die fehlende Verbindung zwischen den ambivalenten Gefühlen gibt den meisten Lesern hier das Gefühl, deine Geschichte sei noch unvollständig.

Weg von den Heiligen, weg von Verurteilenden, weg von den Vergebenden, weg von den Spannern, weg von euch allen.
Diese Wertung der Anwesenden leitet sich nirgends aus dem Text her. Woraus schließt er auf deren Selbstverständnis als Heilige, Verurteilende, Spanner? Sie alle haben ja einen plausiblen Grund, der Verhandlung beizuwohnen? Woher nimmt er diese Wertung?
Gut, zum Ende hin entlarvt sich die ganze Szenerie als Imagination. Es war niemand bei der Verhandlung. Ist die Tat wirklich passiert?
Eine Verhandlung ohne Zeugenaussagen kann ich mir schwer vorstellen. Auch hier kann es sein, dass du Frustration erzeugst. Ähnlich, wie eine Geschichte, die am Ende klarmacht "Ätsch, das war alles nur ein Traum". Bei einer Gerichtsverhandlung erscheint mir dieses Szeneario der Einsamkeit ind er eigenen Welt zwischen Überheblichkeit und Selbstverachtung deplatziert. Man kann sich da allein fühlen, aber es sind immer Menschen anwesend.
Hinzu kommen sprachliche Fehler oder Nachlässigkeiten.
Und ich sehe sie, zwei Krücken neben ihr an der Bank gelehnt
Hier zum Beispiel sind die Krücken an die Bank gelehnt.

Lieben Gruß, sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ulrich,

Den Titel würde ich, korrektes Latein hin oder her, so zitieren wie ihn alle kennen. Mich hat deine gewählte Schreibweise fast dazu gebracht, sie nicht zu lesen.
Nach dem ersten Absatz habe ich sie fast weggeklickt, dann habe ich die Kommentare durchgelesen und da wollte sich sie doch lesen.
Das habe ich getan und sie hat mich beeindruckt. Die Pointe hat mich regelrecht getroffen.
Jetzt frage ich mich trotzdem, ob sie gut ist, denn eigentlich hätte ich sie ja bei Seite gelegt, was schade gewesen wäre, muß eine Geschichte einen gleich in den Bann ziehen um gut zu sein?
Ich bin verwirrt.
Aber ich fand sie gut.
Ich weiß, komischer Kommentar, aber aus`m Bauch.

LG
Katinka

 

Ich möchte mich bei Euch jedenfalls bedanken, dass Ihr Euch die Zeit genommen habt, Euch mit meinem Versuch einer Geschichte zu beschäftigen und so ausführlich zu kritisieren.

Ich werde sicher nicht alles annehmen (das erwartet hoffentlich auch keiner), aber ich werde die Dinge, die mir wichtig erscheinen, versuchen zu verwerten.

Vielen Dank und bis zum nächsten Mal,

Euer Ulrich

 

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