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Alice
Es war schließlich so weit. Die Zeit war so reif wie nie zuvor. Niemand wusste davon, sie hatte es Jahrelang geheim gehalten, aber jetzt war es soweit. Sie hatte es jahrelang vorbereitet, war nicht mehr zur Arbeit gegangen, hatte nächtelang in ihrem Haus gearbeitet und nun war es endlich geschafft. Ihre ganzen Ersparnisse waren in dieses eine Lebensziel geflossen. Die ganze Stadt, vielleicht das ganze Land oder die ganze Welt würde mit offenem Mund dastehen und es bewundern. ES war das beste, das sie in ihrem Leben geschaffen hatte! Sie legte ein letztes mal das große schwarze Leinentuch darüber und legte sich schlafen.
Der nächste Morgen. Sie – ihr Name war Alice – erhob sich aus ihrem Bett und in ihren Augen blitze es. Sie zog sich schnell an. Sie nahm die gleichen Sachen, die sie auch am Tag davor getragen hatte. Sie lief die Treppe hinunter, ging schnell aus dem Haus und stieg in ihr Auto ein. „TESTEN WIR SIE!“ sagte sie in einem etwas schrillen Ton. Sie setzte aus der Einfahrt zurück und fuhr dann zu ihrer besten Freundin Margret. Es war erst halb acht, aber sie würde sie eben notfalls wecken müssen.
Vor ihrem Haus stieg Alice so heftig auf die Bremsen, dass die Reifen blockierten und sie einen schwarzen Streifen aus Gummi hinterließ. Sie stieg aus und ging eilig den Weg zur Haustür entlang. Dort drückte sie vier mal hintereinander auf den Klingelknopf und klopfte dann an die Glasscheibe neben der Tür. Als sich nach einer halben Minuten immer noch nichts getan hatte, klingelte sie noch einige male und lief dann um das um das Haus herum. Sie sah durch alle Fenster, aber sie erkannte niemanden. Sie stieg in einem Satz die zwei Stufen zur Veranda im Garten hinauf und drehte den Türknopf der Hintertür. Sie sprang auf und Alice trat ein.
„Margret? MARGRET! ICH BINS, ALICE! KOMM IN DIE KÜCHE!“ rief sie und schon bald hörte sie ein Geräusch, das klang, als stapften müde Füße in Socken über eine Holztreppe. Dann ging die Küchentür auf und eine verschlafene Margret stand in der Tür.
„Alice. Was machst du denn hier mitten in der Nacht?“ Sie gähnte demonstrativ.
„Mitten in der Nacht? Es ist schon bald acht. Morgenstund’ hat Gold im Mund.“ Alice lachte nervös. „Los, zieh dir was an. Wir müssen zu mir fahren. Heute ist der große Tag. Du wirst staunen, sag ich dir. STAUNEN!“
Margret wusste überhaupt nicht, wie ihr geschah. „Staunen? Der große Tag? Wo von sprichst du überhaupt?“ Sie setzte sich an den Küchentisch, der in der Mitte des Raums stand.
„Nein, setz dich nicht hin, zieh dich an! Wir fahren!“
„Was ist denn los? Warum bist du denn so aufgeregt?“
„ES ist fertig!“
„Was ist ES?“
„Ich zeig es dir, wenn wir da sind. Du wirst es nicht fassen können! Komm schon, zieh dir endlich was über. Keine Sorge, du musst dich nicht sonderlich zurecht machen; das wird sich nicht lohnen. Du wirst es verstehen, wenn es soweit ist!“
Ungläubig und verwirrt verließ Margret die Küche und man hörte wieder das Stapfen der Füße.
Alice hatte damals in einem Supermarkt gearbeitet. Elf Jahre lang. Sie war immer pünktlich gewesen und hatte niemals etwas falsch gemacht. Alice doch nicht. Sie hatte immer treu hinter der Fleischtheke geschuftet. Tag für Tag. Damals war ihr zum ersten mal die Idee zu ihrem ES gekommen. Hinter der Theke, hinter der sie sich Jahre lang ohne Anerkennung die Füße wundgestanden hatte. Ja, die Gedanken schweiften ab in der ständigen Einöde von Darf es ein bisschen mehr sein und oh ja, die sind dieses mal besonders mager... Aber beschwert hatte sie sich nie. Niemals, in den ganzen elf Jahren. Sie war auch nie krank gewesen. Nicht mal in der Zeit, als ihr Mann sie verlassen hatte. Nein, Alice hatte weiter gearbeitet, Tag für Tag; Woche für Woche. Sie war darüber hinweg gekommen, dass ihr Mann sie betrogen hatte... mit ihrer besten Freundin.
Margret kam zurück in die Küche.
„Los geht’s. Komm!“ Sie stand auf und ging an Margret vorbei in den Flur. Margret folgte ihr. Durch die Haustür, den Weg entlang und ins schließlich ins Auto.
Alice trat aufs Gaspedal, noch bevor Margret die Tür geschlossen hatte.
„Was ist es denn nun atemberaubendes, wofür du mich in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett holst?“
„Du siehst es noch früh genug.“
Dann setzte sie das Auto wieder in die Einfahrt, aus der sie vor nicht mehr als einer halben Stunde herausgefahren war. „Jetzt bin ich aber echt gespannt.“ sagte Margret.
Sie folgte Alice ins Haus. „Ein Traum geht heute in Erfüllung.“ sagte sie und öffnete die Kellertür.
„ES ist im Keller?“
„Ja, komm. Lass dich darauf ein. Es wird dein Leben verändern. Darauf kannst du wetten.“ Wieder lachte Alice aufgeregt und nervös zugleich. Sie machte das Licht an und ging zwei Stufen hinunter. Dann wies sie Margret mit ihrer rechten Hand an, zuerst zu gehen. Sie ging an Alice vorbei. Die Stufen knarrten. Alice schloss die Kellertür, als Margret hinter dem Bogen, den die Treppe in der Mitte machte verschwunden war und schloss ab.
„Alice? Wo bleibst du?“ rief Margret hinauf.
„Bin schon da.“ Sie eilte hinterher.
Jetzt stand es vor ihnen. Am Ende des großen Raumes. Unter dem Leinentuch, das Alice gestern über das Gebilde geworfen hatte, zeichneten sich harte Kanten ab.
„Bist du bereit, Margret?“ fragte Alice geheimnisvoll.
„Bereit? Wofür denn? Was ist ES?“
Sie ging einige Schritte auf das Leinentuch zu. „Ich habe Jahre damit verbracht, dieses Meisterwerk zu perfektionieren. Alle Teile sind selbstgemacht. Weißt du, wie schwer es ist, etwas derartiges in dieser Größenordnung zu bekommen? Mach dich jetzt bereit, Margret. Wie heißt es doch so schön: Licht aus, Spot an!“ Sie betätigte zwei Lichtschalter an der Wand. Zuerst ging das schwache Deckenlicht aus und dann strahlte aus der linken oberen Ecke des Raumes ein greller Strahler genau auf das Leinentuch. „Spannend, was? Bist du nun bereit für dieses Erlebnis? Es wird dich... erstaunen!“
Mit der rechten Hand griff sie nach dem Tuch und zog es mit einem kräftigen Ruck ab. Margret öffnete den Mund, aber sie sagte nichts. Das grelle Scheinwerferlicht wurde von dem aufblitzenden Stahl reflektiert und blendete Margret fast.
„Was... was ist das?“
„Erkennst du es nicht? Es ist ein Fleischwolf!“
„Ein...“
„Ja, ein Fleischwolf. Gut, er ist etwas größer als gewöhnlich, aber das war für den Zweck eben nötig!“
„Etwas größer? Alice, was... für welchen Zweck? Was soll das?“ Margret stand völlig ungläubig vor dem riesigen Gebilde aus Stahl.
„Margret. Kannst du dich erinnern, was vor vier Jahren war? Als du mich mit George betrogen hast?“
„Alice, ich... was hast du vor? Ich habe Angst!“
„Keine Angst. Es dauerst höchstens eine halbe Stunde, wenn du... kooperativ bist, wenn ich es mal so ausdrücken darf.“ Margret wich einige Schritte zurück und suchte – den Blick immer noch wie gebannt auf dem riesigen Fleischwolf – mit den Händen hinter sich Halt am Treppengeländer.
„Was denkst du wohl, wozu ein Gerät in dieser Größe gut sein könnte. Denkst du ein Stück vom Schwein, das zu Gehacktem gemacht werden soll, hat diese Ausmaße nötig? Was denkst du, wofür ist es?“ sagte Alice und starrte Margret durchdringend an. „LOS, WOZU IST ES GUT?“ schrie sie plötzlich und Margret zuckte zusammen.
„Doch nicht etwa für... Alice, für... Menschenfleisch?“
„BINGO! Der Kandidat hat 1000 Punkte. Und jetzt rate, wer ihn einweihen darf?“ Sie ging einen Schritt auf sie zu und Margret schrie. Sie drehte sich um und rannte die Treppe hinauf. Oben drehte sie den Türknopf hin und her, aber nichts tat sich.
„Suchst du den hier?“ fragte Alice von unten. Sie sah neben sich und griff nach einer Eisenstange, die beim Bau ihres Projektes übrig geblieben war. Dann stieg sie langsam die Treppe hinauf in Richtung Margret, die wild mit den Fäusten auf die Tür einhämmerte und schrie.
„Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass ich vier Jahre Arbeit in ein solches Wunderwerk stecke und dich dann einfach durch die Tür entkommen lasse. Tz, tz, tz, Maggi baby, halte mich nicht für bescheuert.“ Sie holte mit der massiven Eisenstange aus und schlug sie ihr mit all ihrer Kraft in den Rücken. Margret ging nach einem kurzen Aufschrei zu Boden. Sie konnte sich nicht mehr bewegen. Alice ergriff ihre Arme und schleifte sie die Treppe hinunter.
„Weißt du, ich habe George geliebt. Richtig geliebt und dich auch. Du warst meine beste Freundin schon seit wir im Sandkasten gespielt haben. Das waren noch Zeiten. Aber dann kam vor vier Jahren etwas dazwischen...“
„Alice, ich...“ sagte sie leise und unter Schmerzen, während ihre Füße nach jeder Stufe, die sie hinuntergeschleift wurde ein dumpfes Tock machten.
„Sei still. Unterbrich mich nicht. Es kam etwas dazwischen und ich habe es ertragen. Genau so wie ich all die Jahre die anderen Dinge ertragen habe. Sei es mein Chef, der mich schikaniert und beleidigt hat, wo er nur konnte; der niemals auch nur ein gutes Wort über mich verloren hat und mich dann nach elf Jahren treuer Arbeit fristlos gekündigt hat, sei es die harte Arbeit von morgens bis abends hinter dieser verdammtem Fleischtheke, sei es die Hausarbeit, die ich nach der Arbeit noch erledigen musste, weil mein werter Herr Gemahl dafür ja zu müde war nach seinem harten Tag. PAH, das ich nicht lache. Ich könnte dir noch so viele Dinge aufzählen, Margret, aber das interessiert dich ja doch nicht. Du hast dich nie für meine Probleme interessiert. Immer nur ich hab dies, ich hab das... Weißt du, was es mich gekostet hat, vier lange Jahre lang noch deine beste Freundin zu spielen? Weißt du, wie das an meinen Nerven gezerrt hat? Ich glaube nicht, dass du dir das vorstellen kannst. Immer wieder zu beteuern, dass ich dir den Fehler mit George verziehen habe, weißt du, wie schwer das ist bei so einer dreckigen Hure wie dir? Für dich war mein Mann mal was anderes zwischen deinen Drei-Tage-Beziehungen, der besondere Kick. Der Mann meiner besten Freundin...hey, ein Nervenkitzel, der Abwechslung in MEIN Leben bringt. Ich ich ich ich ich!
Aber jetzt ist er endlich fertig! Sie ihn dir an, es ist ein Meisterwerk! Ein Unikat der besonderen Art. Ich könnte dich fast beneiden, du darfst ihn schließlich einweihen...“ Alice lachte schrill und auf eine Art wahnsinnig, als sei alles Menschlichkeit aus ihr gewichen.
Als sie an der Maschine angekommen waren, legt Alice einen Schalter um und ein monotones Surren begann und Margret konnte sehen, wie die große Schraube in der Mitte sich zu drehen begann.
Es führte eine kleine Treppe zur oberen Plattform des Fleischwolfs. Die obere Plattform war ein trichterförmiges silbernes Stahlgebilde, auf das es Margret jetzt hinaufzuhieven galt. Langsam erholte sie sich von dem Schlag in den Rücken und begann zu zappeln und zu schreien.
„Schrei du nur, aber glaub nicht, das dich jemand hört.“ sagte sie böse. „So, meine allerliebste Freundin Margret. Das war es dann wohl. Es war nett mit dir. Aber das, was jetzt kommt, wird alles überbieten!“ Sie küsste sie einmal auf die Stirn und dann hievte sie Margret mit einem Ruck in den Trichter, sodass ihre Füße auf der Drehschraube unterhalb der Öffnung landeten.
Dann verschloss Alice den Trichter mit einer großen Glaskuppel. „Wir wollen doch sehen wie du schreist, nicht wahr?“ fragte sie. Margret versuchte mit aller Kraft, die Kuppel nach oben zu schieben, aber die war erstens viel zu stabil und zweitens hatte die auch noch mit der sich drehenden Schraube zu kämpfen, die unter ihr arbeitete. Die rutschte immer wieder mit den Füßen die glatten Wände des Trichters hinab.
„Das wird keine schöne Sache. Ich darf das alles wieder sauber machen...“ sagte Alice kopfschüttelnd, während sie die Treppe hinunterstieg. Sie stellte sich mit verschränkten Armen hin und beobachtete interessiert Margrets Todeskampf. Sie schrie und schlug gegen das Glas.
„Nun mach es dir doch nicht so schwer, Maggi...“ sagte Alice.
„LASS MICH HIER RAUS!“ hörte man dumpf aus dem Inneren der Kuppel. „ICH WILL NICHT STERBEN! HILFEE!“
„Ich, ich, ich, ich, ich, das ist wieder so typisch!“ Sie ging auf den Fleischwolf zu und betätigte einen Schalter, woraufhin sich die Schraube schneller drehte. „Tja, wer nicht hören will, muss fühlen!“
Dann hörte man ein lautes Knacken und Margrets Schrei wich einem erstickten, qualvollen Stöhnen. Ihr Fuß war nun doch in die Schraube geraten und bei der ersten Umdrehung gebrochen. Jetzt gab es kein Entkommen mehr. Der Fleischwolf hatte sie. Sie kratzte an der Scheibe und wand ihren Körper hin und her. Ein letztes mal schlug sie mit ihrer Faust gegen die Kuppel und endlich zerbrach sie in Tausende von Scherben. Alice wurde aufmerksam und einen Moment unruhig.
Margret klammerte sich an den Rand des Trichters und hielt sich fest; versuchte sich hinauszuziehen und im selben Moment hielten ihre Schienbeine dem Druck der Schraube nicht mehr stand und zerbrachen unter krächzenden, unmenschlichen Schmerzenslauten. Sie schaffte es nicht mehr. Finger für Finger löste ich sich und sie wurde immer tiefer in den Fleischwolf gezogen. Durch das Gitter am Ende wurde bereits ein Gemisch aus Blut, Fleisch, Knochen und Kleidungsstücken in feinen, rötlichen Streifen gepresst und bald darauf verstummten Margrets Schreie ganz. Als der Schädel zersprang spritzte Gehirnflüssigkeit aus dem Trichter und landete auf dem Boden und dann war es irgendwann still, Alice schaltete den Fleischwolf aus und betrachtete das, was mal ihre beste Freundin gewesen war in der großen, silbernen Schüssel vor dem Gitter. Sie lächelte zufrieden. Dann wendete sie sich ab und ging langsam die Treppe hoch. „Mal sehen, wo George gerade steckt...“ sagte sie und begann, laut zu lachen.