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Alles nur Geschmack? Oder doch Handwerk, Gefühl oder was anderes?
Vorab: Mir ist bewusst, dass ich hier einen sehr, sehr langen Text fabriziert habe - ich erwarte nicht, dass man sich durch alles durchquält - vielleicht habt ihr aber etwas zu einzelnen Punkten (unten fett markiert) zu sagen. Ich freue mich auf einen Austausch und darauf etwas zu lernen!
Ich hoffe hier ist auch die richtige Stelle im Forum für so einen Text - ansonsten bitte verschieben.
Hallo zusammen,
[Edit: Sämtliche Bezüge und Direktzitate entfernt, ansonsten verfälscht oder sinngemäß wiedergegeben, wenn ich etwas hier irgendwo gelesen haben]
Das nimmt natürlich den Grund für meine Fragen, aber so ist es eben.
Ich habe viele Fragen und freue mich, wenn wir uns darüber austauschen können: Ja, ich meine die Fragen ernst (ich bin Anfängerin), nein, die sollen nicht provozieren, auch wenn sie für euch vielleich dämlich klingen. Bitte enschuldigt auch, wenn das ein oder andere etwas bissig geschrieben ist.
1) Geschmack vs Handwerk
"Kann es sein, dass dir einfach nicht gefällt was ich schreibe und es dir nicht zusagt?" In anderen Worten: Da dockt nichts bei dir an? <--- Die Frage habe ich mal unter einem eigenen Texte gestellt und den Eindruck es wurde als hilflose Verteidigung meines schrecklichen Textes interpretiert, der vor allem auch allgemeingültig schrecklich ist, dabei hatte ich bis zu dem Zeitpunkt die Erfahrung gemacht, dass mein Text bei manchen Leuten funktioniert hatte und bei manchen nicht. Das ist ja auch bei Fremdtexten so. Wenn ich da z. B. nix kapiere, können 10 Leute schreiben: "Brilliant durchdacht" oder andersrum, ich sehe irgendwas im Text, finde das total gut, aber die anderen sehen das nicht so. Wenn das erste passiert denk ich mir: "Gut, ist halt nicht mein Geschmack". Für mich würde der Text auch nicht mehr funktionieren, wenn er von XY über den Klee gelobt werden würde. Bitte nicht schlagen, aber ich habe zuletzt die Erzählungen von Peter Stamm "Blitzeis" gelesen und fand es schrecklich. Zu den meisten Texten von Carver bekomme ich auch keinen Zugang, um ein zweites Beispiel zu nennen. Ich finde es schrecklich trocken und meine Gefühle machen da so rein gar nix. Die sitzen in der Ecke und sagen: "Ja, schade, wir hatten uns gefreut mal ein bisschen in Wallung zu geraten, aber hier ist bloß staubtrockene Wüste." Stell ich mich jetzt hin und wage zu sagen Stamm und Carver sind scheiße? Nein! Es ist nur nicht meins (vielleicht noch nicht?), handwerklich sauber hin oder her, ich finds trotzdem schrecklich. Und jetzt? Hat doch alles mit dem Geschmack zu tun? Wieso lesen Leute Fitzek und andere Leute in diesem Forum wollen sich lieber die Augen ausstechen als das zu tun? Ist Fitzek eigentlich handwerklich unsauber (ernstgemeint, ich kann das nämlich nicht beurteilen). Muss ich überhaupt beurteilen wie handwerklich sauber etwas ist, wenn ich es lese? Machen die meisten Leser:innen vermutlich auch nicht?!
2) Kenne zuerst die Regeln
Da schreibt jemand eine Geschichte hier im Forum und dann kommt jemand und sagt: "Nee, hier ist die Perspektive aber ungut, da passt was nicht mit deinem Charakter, das kauf ich der Person nicht ab" etc. pp. Ich frage mich super oft "Aha, woher die Kritik, für mich funktioniert das einwandfrei." Bin ich die "wertlosere" Leserin? Wer hat da denn recht? Was sind denn diese Regeln an die man sich halten soll - mal abgesehen von Rechtschreibung und Grammatik? Können wir hier im Forum Text wirklich auf Basis von Regeln korrigieren oder schildern wir nicht die meiste Zeit bloß unsere Eindrücke, unseren Geschmack und teilen mit, was für uns gut oder schlecht funktioniert hat? An vielen Stellen im Netz kann man z. B. lesen: Eine Kurzgeschichte braucht einen Anfangsteil, Mittelteil und ein offenes Ende. Die Frage erübrigt sich ja, wieviele Geschichten es hier gibt wo Protagonist:innen einfach nur die Gedanken schweifen lassen und das genau nirgendwo hinführt. Kein Anfang, Mitte, Schluss, nur irgendein mäandern - kann trotzdem gut sein. Wo sind diese unumstößlichen Kriterien, die gute Literatur ausmachen? Manche mögen es trockener, manche blumiger, manche wollen mehr Show, manche mehr Tell, manche wollen Leerstellen im Text, manche wollen alles bis in kleinste Detail erklärt haben. Ist davon etwas "richtiger" oder "falscher"? Die einzige Regel, die ich bisher herauskristallisieren konnte, die trotz der verschiedenen Geschmäcker alle zu verbinden scheint: "Schreib straff und präzise, laber nicht" - aber selbst da bin ich mir nicht 100% sicher. Sollte es nicht heißen: Schreibe so, wie es dir gefällt und wenn es anderen nicht gefällt, dann lebe damit? Wer entscheidet denn auch am Ende ob etwas gut ist oder nicht? "Ich lese gerne Tell, aber nur gut gemachten" - Mhh. Was A gut findet, muss B noch lange nicht gut finden? Wie wertet man sowas? Und wenn ein Literaturkritiker sagt, dass etwas gut oder schlecht ist, bildet der dann meine Leserealität ab? Also meine nicht - ich denke ich habe nicht so eine literarische Vorbildung wie ein Literaturkritiker ...
3) Freifahrtschein: "Es fühlt sich richtig an"
Im Prinzip kann man damit ja jede Kritik entwaffnen, ein Totschlagargument. Wer macht denn Kunst zu Kunst? Die Schöpfenden, weil sie sagen: "Ich verstehe mich als Künstler:in" oder der/die Rezipient/in, weil er/sie sagt "Das ist Kunst."
Ich verstehe auch Aussagen wie "Ich schreibe nicht für eine Zielgruppe, ein Publikum, ich schreibe so wie ich will, für mich (oder weil der Text den Stil vorgibt)" [Edit: hier fehlte ein NICHT, ich verstehe es nicht] - Wieso betreiben wir dann die Veranstaltung hier? Ab sofort schreib ich auch unter jedem meiner Text: "Der Text wollte es so und es fühlt sich richtig so an. XY findest du nicht gut? Nein, das musst du schon der Hauptfigur überlassen wie sie denkt. XY ist ein komisches Bild? Nein, nein, du siehst nur nicht richtig!" Solche Antworten sind doch keine guten Gründe, aber man liest sie oft. Ob es legitime Antworten sind? Keine Ahnung - ich bin nur noch verwirrt und meine das nicht böse!
4) Klischees, Vorurteile, Kitsch, Drama
Diese vier Begriffe scheinen die Totsünden bzw. die "bösen Fallen" zu sein, in die man als Autor/in tappen kann. Mithilfe der Community, wird man darauf hingewiesen, wo zu viel Schmalz lauert, wo man "drüber" ist, wo man Vorurteile reproduziert usw. Quasi wie im Film, wenn man über die ausgelutschte Szene wo der Hauptcharakter in den Spiegel blickt, sich selbst tief in die Augen schaut und den Spiegel am Ende mit der Faust zerschlägt, die Augen rollt.
Produziert diese Herangehensweise nicht aber Texte, die auch ein Klischee sind? Sprich die Leute, die Trivialliteratur lesen, auf die hier gerne auch mal heruntergeblickt wird, würden sagen: "Das was wir an Kitsch und Drama zu viel haben, da wo wir drüber sind, da lesen sich die Texte dieser Literaten staubtrocken. Da muss immer alles intellektuell kryptisch sein und nix darf auf dem Silbertablett serviert werden, da wird Lesen zur Challenge". Hier gibts halt keine Shades of Grey Plots aber Working-Class Heros. Hier muss sich ein erwachsener Mensch auch sehr erwachsen ausdrücken in der Geschichte, sonst wirds nicht gekauft etc. pp. At the end of the day, wird also auch eine Art Schablone drübergestülpt, wie so ein Text zu sein hat und korrigiert, was aus dem Rahmen fällt. Sind das diese Regeln von denen alle reden?
Oder übersehe ich hier ein entscheidendes Detail? Man helfe mir bitte. Bei dem letzten Beispiel denke ich an eine Novelle, die ich hier gelesen habe, wo die Hauptperson Professorin ist. Der Witz ist: Ich habe jeden Tag mit Professoren zu tun, ich arbeite mit ihnen zusammen, tagtäglich - trotzdem lese ich in den Kommentaren, dass sich eine Erwachsene Frau so nicht verhält. Also mein Berufsleben zeigt was anderes - aber trotzdem ist das Forum voll mit Aussagen die Gegebenheiten und Verhaltensweisen über Menschen mit einer Bestimmtheit darlegen (in dem Fall Professorinnen), wie ich es nicht erlebe.
Da schließt sich auch der Kreis zu dem "fühlt sich richtig an" - wenn jemand jetzt eine schmalzige Lovestory schreibt und die Wortkrieger rückmelden: "Puuh, das ist aber echt sehr kitschig, da trieft der Schmalz aus allen Ritzen", bleibt immer noch die Antwort: "Und? Ich wollte genau so einen triefigen Schmalz produzieren, gehen Sie bitte weiter, wenns Ihnen nicht zusagt." Dann wird aber entgegnet man sperre sich gegenüber der Textarbeit. Es gibt doch aber einen Unterschied, ob ich im erstellten Rahmen Dinge ändere, oder etwas ganz anderes erzähle. Also aus dem Millionär den Bettler mache oder aus dem Schulkind einen Professor. Wie lest ihr denn Texte zuhause? Gemütlich im Sessel, ggf. mit einem Bleistift für Notizen, ohne Notizen nur zum Genießen? Vielleicht bin ich ja auch nicht die geeignete Literatur-Konsumentin und bekomme hier deshalb meine Gedanken nicht geordnet. [Die letzten drei Sätze sind verrutscht und gehörten ursprünglich hinter: "da wird Lesen zur Challenge"]
Kann mir hier mal jemand ernstgemeint eine Meinung bzw. Hilfestellung zu geben?
5) Reviewkultur
Der Punkt schließt an den obigen an. Vielleicht übersehe ich auch hier etwas, aber ich habe oft den Eindruck wenn Texte kritisiert werden, werden schnell allgemeingültige bzw. Pauschalaussagen getätigt: "Der Text ist schlecht weil, ..." "Dem Text mangelt es an XY." "Der Autor hat keine Mühe investiert, weil ..." Manchmal warte ich dann zwei, drei Tage und jemand anders schreibt: "XY sehe ich nicht so, mir gefällt ABC" - Auch hier: Wer hat recht? Woher nehmen die Kommentatoren diese "Boldness", diese scheinbar unumstößliche Wahrheit zum Text, die da nach außen gegeben wird? Ich bemühe mich in meinen Kommentaren immer sehr darum zu verdeutlichen, dass das nur meine Sicht ist, dass jemand anders das ja ganz anders sehen kann und, dass ich die Löffel nicht mit Weisheit gefressen habe. An vielen anderen Stellen sehe ich aber zwanzig konträre Warheiten, die alle für sich aber pauschal als exklusiv richtig verkauft werden.
Ich bin neu in der Community und kenne den Background der Leute nicht, denke aber, der ist im Grunde nicht wichtig um zu sagen, ob etwas gefallen hat oder nicht. Aber der Maßstab der angelegt wird, die Erwartungen an Text, gehen schon sehr deutlich außeinander. Ich sehe das ein bisschen so: Ich stelle einen Text ein und dann kann ich sehen, was zurückkommt. Wenn sagen wir 10 Leute an einer Stelle aus dem Text fliegen, dann ist das ein ziemlich guter Hinweis, dass ich als Autorin etwas verbockt habe. Wenn es bei fünf funktioniert und bei fünf nicht, dann muss ich abwägen, wie ich es haben möchte. Aber letztendlich ist jeder Kommentator nur ein Kommentator, dem ich dankbar bin, dass er oder sie sich Zeit für meinen Text genommen hat, aber er oder sie kann mich nicht zwingen alle Vorschläge anzunehmen und schildert nur eine sehr individuelle Sicht auf die Dinge.
6) Wie findet ihr das Mittelmaß beim Textverteidigen? Gibt es einen allgemeinen Tipp für das Texten?
Während meiner Ausführungen hatte ich oft meine eigenen Texte vor Augen - mit denen ich zum Teil noch massiv kämpfe, weil ich nicht weiß welche Kritik ich umsetzen kann und möchte. Falls jemand auf die abstruse Idee kommt, ich habe die obigen Fragen alle aufgeworfen, um mir einen Freifahrtschein für meine eigenen Texte zu holen, damit ich mich zurücklehnen kann und alles so lassen kann: Nein. Ich stelle bloß fest, dass viele Tipps, die ich erhalte, aus dem Text einen Text machen würden, den ich selbst so nicht lesen möchte. Ich stecke fest zwischen zwei Ratschlägen die ich hier bekommen habe: 1) Lern die Grundregeln, du hast da Probleme im Handwerk 2) Lese, schreibe und fühle, es gibt immer jemanden, der es nicht mag. Leg einfach los.
Wie bold muss man denn bei den eigenen Texten sein? Eine gewisse Überzeugung sollte man, bevor man den Text hochlädt, ja schon haben, der Text wird ja nicht auf den Basar gegeben und steht völlig frei zu Verhandlung. Aber dann lese ich: "Die Neulinge, die sich und ihre tolle Kunst immer verteidigen und behaupten die anderen sind zu doof" - Dürfen das dann nur die alten Hasen - oder darf man das gar nicht - oder wie? Wenn man einen Text nicht kapiert, hat man halt oft einfach Pech gehabt, weil im Faden nichtmal eine ursprüngliche Intention dargelegt wird - so is das Leben
Leider bin ich an dem Punkt angelegt, an dem ich keinen Satz mehr aufs Papier kriege. In meinem Kopf laufen sieben To-Do-Listen mit, wie da jetzt alles zu sein hat. Und wenn ich dann doch mal einen Satz oder Absatz zustande bringe, dann mag der vielleicht handwerklich besser sein, fühlt sich für mich aber grausam an, fühlt sich nicht nach meinem Text an. Ich möchte mir nicht mit Gewalt einen Arm ausreißen, um z. B. ein Gefühl nicht beim Namen zu nennen und stattdessen jedes Gefühl zeigen. Ich möchte nicht darauf verzichten in die Köpfe meiner Charaktere zu schauen und auch mal sagen dürfen: "Marla fand sich in dem Dickicht aus Regeln und Geschmack nicht mehr zurecht. Unwetterwolken waberten durch ihren Kopf und erschwerten das Denken." Vermutlich ist der Schlüssel hier: Die Dosis macht das Gift?! Ich möchte so schreiben, wie es mir gefällt und habe doch das Gefühl, das ist die falsche Herangehensweise. Wenn ich etwas schreibe, eine Geschichte erzähle, dann tue ich das, weil meine eigenen Erfahrungen einfließen oder weil ich etwas in meinem Umfeld beobachtet habe und das lohnenswert zu erzählen finde - wie kommt ihr auf die Ideen eurer Geschichten? Kann jemand helfen?
Viele Grüße
-Marla