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Alltagssorgen

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18.04.2002
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Alltagssorgen

Heute war ein schrecklicher Tag für mich. Er begann mit einer kaum brauchbaren Radiomeldung: „Zwölf durchgedrehte Kühe auf der Autobahn, zweiundzwanzig Kilometer Stau.“
Wie soll ich meinem Arzt erklären, dass so ein Verkehrschaos bei mir depressive Lungentoxikose verursacht? Die Gärungsprodukte der im Staustress produzierten Kuhfladen verbanden sich nämlich mit den Chemikalien der Autoabgase zu giftigen Aerosolen. Diese wurden mit dem heutigen Süd-Ost Wind genau auf mein Haus zugetrieben. Ahnungslos atmete ich alle möglichen üblen Substanzen ein, bis mir aufgrund der Radiomeldung bewusst wurde, warum ich den ganzen Tag an erektiver Haardysionie litt, die durch reflektorische Hyperventilation das beschriebene Lungenleiden verursachte.
Neulich war der Sachverhalt klarer: Bei der Meldung „Neue Sandstrahlanlage in Betrieb genommen“ konnte ich meinem Arzt versichern, dass meine orthopädisch gesteuerten Herz-Rhythmus-Störungen eigentlich Strahlenschäden sind. Klar - eine Auswirkung der Fabrik. Ich kenne mich in solchen Dingen gut aus. Sie müssen wissen, ich bin Hypochonder. Natürlich nicht irgendein dahergelaufener Amateur. Ja, ich bin Berufs-Hypochonder. Ein Professional-Spezialist für internationale Symptomatik. Kann man davon Leben? Natürlich nicht. Hypochonder sind Idealisten. Ich finanziere mich durch einen Deal mit der Regierung: Ich garantiere, meiner krankhaften Profession treu zu bleiben, kein Verbrecher zu werden und kassiere jeden Monat die Hälfte der Gefängniskosten, die der Staat dank meines Wohlverhaltens einspart. Wie erwähnt, ich bin Idealist, außerdem fair.
Mit dem Staat komme ich also klar, das kann nicht jeder behaupten. Von unserer Absprache haben beide Seiten einen Vorteil. Wo gibt es so etwas noch? Nur mein Arzt macht neuerdings Schwierigkeiten: Er sagt, die schlechten Nachrichten dürften bei mir nicht zu schrecklichen Tagen führen. Die eigentliche Katastrophe für einen Hypochonder meiner Art müsste doch sein, wenn nichts passiert, noch nicht mal jemand in ein Kanaldeckelloch fällt. Meine wirkliche Krankheit sei demnach der Morbus chaoticus, also mangelnde Logik beim Ableiten von Krankheitssymptomen. Kein Wunder, dass ich jetzt auch noch an taktischer Erklärungsphobie leide!

 

Hallo Wolto, gefällt mir, ist eine typische Story von dir. Hat deine Handschrift, die kann ich jetzt auch lesen. Ein wenig löchrig finde ich den Deal mit der Regierung, da hätte es auch ein andre Erklärung für geben können. Ansonsten, würde ich mal sagen, dass es zwar leichte Kost ist, aber eben doch irgendwie schwer!
Die Anspielung mit dem Kanaldeckel ist die zufällig. Denn... ich kenne ja die meisten stories von dir. Und ich behalte sie im Kopf....hey, der beste Beweis! Ein Indiz, ...achja der Schluss hat auch was!!

Liebe grüsse Arche

 

Hallo stefan,

Danke für die netten und spezifischen Anmerkungen. Das Kanaldeckelloch verfolgt mich doch irgendwie.
Ich befürchte, der Protagonist bildet sich diesen Deal mit der Regierung nur ein, würde eine Regierung freiwillig Kohle `rausrücken? Es freut mich besonders, wenn Dir der Schluß gefällt, er bringt wenigstens ein wenig Logik in das Verspielte.

Liebe Grüße,

tschüß... Siegbert

 

Hallo, Wolto!

Für mich als Mitglied einer alteingesessenen, ehrbaren Familie von Hypochondern ist das von Dir beschriebene Dilemma gut nachvollziehbar. Wirklich schlimm, so eine taktische Erklärungsphobie!

Beinahe alle der angeführten Leiden sind mir bekannt. Was aber ist unter "erektiver Haardysonie" zu verstehen? Dieses Krankheitsbild ist mir bislang verwehrt geblieben. Irgendetwas "Haarsträubendes"?

Hier noch ein paar meiner persönlichen Favoriten: Literale Kontorsion, Cerebrum Cavernosum, Pseudologia Phantastica und (besonders bei Frauen beliebt)Loquacitas Infernalis.

Hoffentlich passiert das nicht, dass nichts passiert. Wäre seltsam, wenn nicht einmal jemand in ein Kanaldeckelloch fiele.


Gruß
Antonia:D

 

Hallo Antonia,

jetzt leide ich an Erklärungsphobie, aber nicht an taktischer, sondern aufgrund eines Cerebrum cavernosum (regio vokabulorum) - was ist „Loquactitas“ (logische Quakophonie ?).
Ja, so ein abgasbedingter Haarkrampf ist ein guter Gel - Ersatz.
Ich bin zwar kein Hypochonder und leide auch nicht an Verfolgungswahn, doch die Kanaldeckellöcher lauern mir überall auf – sogar vor unserer Einfahrt habe ich eins entdeckt...

Vielen Dank für Deinen anregenden Beitrag!

Tschüß... Siegbert

 

Lol-echt gut geschrieben, hat spass gemacht, dass zu lesen!
cya, kmayse

 

Hallo kmayse,

toll, wenn es Dir gefällt, Du hast Dich zum Glück nicht von den lateinischen Ausdrücken abschrecken lassen.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo, Siegbert!

Dein Versuch mit der Quakophonie ist gar nicht schlecht! Laut "Pschyrembels klinischem Wörterbuch" (welches in keinem hypochondrischen Haushalt fehlen darf) handelt es sich bei "Loquacitas" um Geschwätzigkeit.

Ich denke, es geht in Deinem Text auch um Zufriedenheit. Liege ich da völlig daneben?


Liebe Grüße
Antonia

 

Hallo Antonia,

ich muß wohl mein medizinisches Lexikon wegschmeißen, Loquacitas ist da nicht enthalten, dabei ist der Ausdruck doch (be-)merkenswert.
Wenn jemand unglücklich ist, weil kein Unglück passiert... und auch noch egozentrisch ist...
Toll, daß du Dich nicht von der Blödelei hast täuschen lassen!

Da fällt mir gerade noch ein... `Las Loquacitas´ wäre doch ein scharfer Name für eine lateinamerikanische Girl- Group !?

Take care,

tschüß... Siegbert

 

Hallo Woltochinon!

Kann ehrlich gesagt eurer fachspezifischen Diskussion nicht ganz folgen und weiß auch gar nicht so recht, was ich dazu schreiben soll. Lateinische medizinische Fremdwörter sind eben nicht gerade mein Spezialgebiet und ich müsste wohl erst bei vielen Wörtern nachschlagen, um sie zu verstehen... :D

Aber es ist sicherlich nicht einfach, viele derartige Fremdwörter in einen Text einzubauen. Ob sie mit ihren Bedeutungen immer richtig in der Geschichte verwendet wurden, kann ich daher nicht beurteilen; hab' den kurzen Text aber gerne gelesen und fand ihn gar nicht mal schlecht. Der letzte Satz gefiel mir am besten. :)

Eine Sache noch:
Wörter wie "Stau- Streß" schreiben sich ohne Leerzeichen.

Viele Grüße,
Michael :)

PS: Danke, dass du "In Memoriam" gelesen hast.

 

Hallo Michael,

sorry- das kam mir nicht besonders fachspezifisch vor, da sieht man`s wieder- der Autor als Gefangener seiner eigenen Gedankenwelt.
Vielen Dank für`s Lesen und den Leerzeichen-Tipp!

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo noch mal!

Naja, vielleicht war "fachspezifisch" nicht gerade das richtige Wort. Die meisten Begriffe wie Hypochonder, Cerebrum Cavernosum oder z. B. Loquacitas sagen mir nichts, das hab' ich eben damit gemeint.

Hab' die Story aber gerne gelesen.

Grüße - Michael :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Ja, ja. Ich habe mich auch sofort wiedererkannt, leide ich doch genau wie alle hier ständig unter Logorrhö! :D
Ist bei mir durch cerebralen Meteorismus bedingt, der läßt ständig die Ganglien durchknallen.
Aber ich bin ja unter Gleichgesinnten, und das tröstet mich.
Woltochinon, :thumbsup:
Tolle, kleine Geschichte!

 

Hallo barkai,


was kann einem Schreiber besseres passieren, als eine kreative Rückantwort seiner Leser!? Weil Du es erwähnst - bei näherer Betrachtung leide auch ich an cerebralem Meteorismus, ich geh´ gleich morgen zum Arzt, vielleicht treffen wir uns dort.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Au, fein. Gute Idee! Bin momentan von einer irreversiblen Autoritäts-Negation befallen und suche gleichfalls Betroffene. Lade euch ein zu einer spontanen Praxis-Okkupation mit fröhlichem Rezept-Austausch. Welche Location?

@ Wolto:
"Las Loquaticas" klingt verdammt gut. Mal sehen, ob ich mir die Namens-Rechte sichern kann, bevor Dieter B. darauf kommt.:D


Liebe Grüße
Antonia

 

hello Woltochinon,

eine launige Ego-Geschichte, wenngleich ich befürchte, dass die taktische Erklärungsphobie eine schlimme vegetative Dystonie zur Folge haben wird, mit der man nicht spaßen sollte.

Anmerkungen:

'daß ich wegen dem Verkehrschaos' - wegen bitte mit Genitiv! ;-)
'Ich finanziere mich durch ein Deal' - durch einen Deal

Viele Grüsse vom gox

 

Hallo gox,

vielen Dank für Deinen netten Beitrag!
Inzwischen hat sich „die taktische Erklärungsphobie“ bis ins Weiße Haus ausgebreitet. Nach einer Erklärung für die Unauffindbarkeit taktischer Waffen im Irak darf man nicht fragen...
Die Fehler werden gleich ausgemerzt, da bin ich doch in die Umgangssprache reingerutscht. Den Genetiv vermeide ich lieber, er klingt so gestelzt. (Genetivus umständlicus).

Ich wünsche Dir, dass die „vegetative Dystonie“ ausbleibt,

l G,

tschüß... Woltochinon

 

Liebster Woltochinon,

ich hab einfach mal in dieser tristen Jahreszeit eine humorige deiner Geschichten rausgekramt.
Eine, die ich noch nie zuvor gelesen habe und dementsprechend auch noch nicht meinen Kommentar dazu gepinselt hab.

Was mir gut gefällt, ist, dass du es nicht übertreibst. Meist sind solche Geschichten von dem Virus der ewigen Wiederholungen befallen, also es werden dann jede Menge neue Begriffe gezaubert, aber im Grunde passiert nix Neues. Da hältst du gut die Balance.
Ich fand die Geschichte fröhlich unterhaltsam und amüsant.
Das reicht für die Humorabteilung allemal.

Was mich gestört hat, war, dass ich nicht begriffen habe, was genau der Protagonist mit der Regierung für einen finanziellen Deal hatte, überhaupt was für einen Deal. Das irritierte mich. Vielleicht magst du das ja noch irgendwann in die Geschichte einflechten. Muss ja nicht viel sein und muss ja auch nicht bis in jede Verästelung erklärt werden.

Nette Story. Würde mich glatt freuen, wenn es mehr davon gäbe. Wir lachen alle zu wenig.

Lieben Gruß
lakita

 

Liebe Elvira,

habe erst heute bemerkt, dass du meine Geschichte ausgegraben hast. Vielen Dank dafür, es freut mich sehr, wenn dir mein kleines Werk gefällt.

Du sagst: „Wir lachen alle zu wenig“, ja, das stimmt, es macht vieles leichter. Elmar Gruber drückt es (gekonnt) so aus:


„Humor ist das Einzige, was man im Leben ernst nehmen muss; alles andere muss man mit Humor nehmen.“


Eigentlich hatte ich gedacht die Sache mit dem Deal sei klar:

„Ich finanziere mich durch einen Deal mit der Regierung: Ich garantiere, meiner Profession treu zu bleiben, kein Verbrecher zu werden und kassiere jeden Monat die Hälfte des auf diese Weise vom Staat eingesparten Geldes“

Durch den Verzicht auf ein Verbrecherdasein spart der Typ dem Staat Kosten (Fahndungskosten, Gefängniskosten). Die Hälfte des gesparten Geldes zahlt ihm der Staat, also eine Win-Win-Situation (ich habe auch mal bei der Landesregierung nachgefragt, aber die haben sich nicht darauf eingelassen. Zwei Tage später haben sie meinen Nachbarn in die Psychiatrie zwangseingeliefert – gut, dass ich den Deal zur Probe unter seinem Namen einfädeln wollte …)
Falls da wirklich noch Klärungsbedarf ist, schick mir bitte eine kleine Nachricht, dann führe ich das noch aus. Vielleicht ist es nur beim Amüsieren untergegangen.


Alles Gute,

Woltochinon

 

Huhu Woltochinon,

nach langer Abstinenz hier, bist Du mein erstes literarisches Opfer.
Die Geschichte hat mir gut gefallen. Den ersten Lacher hatte ich bei den Kühen am Anfang. Keine Ahnung warum, aber ich fand das echt lustig.

Ich schließe mich lakita an. Der Deal mit der Regierung ist mir anfangs nicht klar geworden, da musste ich überlegen und dann nochmals lesen - was jetzt ja nicht so schlimm war. ;)

Ansonsten sehr gern gelesen!

LG
flash

 

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