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Alltagssorgen
Heute war ein schrecklicher Tag für mich. Er begann mit einer kaum brauchbaren Radiomeldung: „Zwölf durchgedrehte Kühe auf der Autobahn, zweiundzwanzig Kilometer Stau.“
Wie soll ich meinem Arzt erklären, dass so ein Verkehrschaos bei mir depressive Lungentoxikose verursacht? Die Gärungsprodukte der im Staustress produzierten Kuhfladen verbanden sich nämlich mit den Chemikalien der Autoabgase zu giftigen Aerosolen. Diese wurden mit dem heutigen Süd-Ost Wind genau auf mein Haus zugetrieben. Ahnungslos atmete ich alle möglichen üblen Substanzen ein, bis mir aufgrund der Radiomeldung bewusst wurde, warum ich den ganzen Tag an erektiver Haardysionie litt, die durch reflektorische Hyperventilation das beschriebene Lungenleiden verursachte.
Neulich war der Sachverhalt klarer: Bei der Meldung „Neue Sandstrahlanlage in Betrieb genommen“ konnte ich meinem Arzt versichern, dass meine orthopädisch gesteuerten Herz-Rhythmus-Störungen eigentlich Strahlenschäden sind. Klar - eine Auswirkung der Fabrik. Ich kenne mich in solchen Dingen gut aus. Sie müssen wissen, ich bin Hypochonder. Natürlich nicht irgendein dahergelaufener Amateur. Ja, ich bin Berufs-Hypochonder. Ein Professional-Spezialist für internationale Symptomatik. Kann man davon Leben? Natürlich nicht. Hypochonder sind Idealisten. Ich finanziere mich durch einen Deal mit der Regierung: Ich garantiere, meiner krankhaften Profession treu zu bleiben, kein Verbrecher zu werden und kassiere jeden Monat die Hälfte der Gefängniskosten, die der Staat dank meines Wohlverhaltens einspart. Wie erwähnt, ich bin Idealist, außerdem fair.
Mit dem Staat komme ich also klar, das kann nicht jeder behaupten. Von unserer Absprache haben beide Seiten einen Vorteil. Wo gibt es so etwas noch? Nur mein Arzt macht neuerdings Schwierigkeiten: Er sagt, die schlechten Nachrichten dürften bei mir nicht zu schrecklichen Tagen führen. Die eigentliche Katastrophe für einen Hypochonder meiner Art müsste doch sein, wenn nichts passiert, noch nicht mal jemand in ein Kanaldeckelloch fällt. Meine wirkliche Krankheit sei demnach der Morbus chaoticus, also mangelnde Logik beim Ableiten von Krankheitssymptomen. Kein Wunder, dass ich jetzt auch noch an taktischer Erklärungsphobie leide!