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Als ich zum Opfer wurde

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13.05.2001
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Als ich zum Opfer wurde

Als ich zum Opfer wurde

Es war ein noch dunkler Morgen im Herbst. Ich eilte zur Bushaltestelle, wurde von einem hellen „Guten Morgen.“ am Zipfel gezupft. Ein kleines Kind stand in dem finsteren Garten, in den ich meistens hineinlugte, wenn ich von der Uni zurückkehrte. Ich erwiderte den Gruß und zog weiter, meine Laune war sichtlich erhöht. Wie gut, dass Worte nicht bis in die letzten Ecken menschlicher Gefühlskategorien hinreichen konnten. Wie gut, dass sich der Mensch nicht selbst erschaffen konnte. Wie gut, dass Ehrlichkeit Selbstbetrug war.

Als die Schläge niederprasselten, schaute ich weg. Ich schwebte. Mein Körper wurde geschunden. Das brauchte ich nun wirklich nicht, plagten mich schon seit Stunden strahlende Kopfschmerzen. Mein Kopf. Und das jetzt auch noch. War das nicht mein damaliger Musiklehrer? Wenn ich Lehrer oder Professoren radeln sah, erheiterte mich das ungemein. Sehe, was geschehe.

Mit dreizehn Jahren hatten mich Züge fasziniert. Zugekifft waren wir auf den Bahngleisen gelaufen. Ganz nah hatte ich mich herangetastet, wenn ein Zug vorbei fuhr. Sie hielten mich fest, damit ich nicht die Grenze überschritt. In Dänemark war ich alleine. Ich saß auf einer Stange und wartete auf einen Zug. Er kam nie. Es waren nur Ferien. Die Zeit hatte nicht gereicht. Mein Zug war Godot.

Er nannte mich Hure. Er hatte eine Grenze überschritten, und von diesem Tag an verlor ich jeglichen Respekt. Was sich liebt, das reizt sich bis aufs Blut. Ich genoss es sein Herz so lange zu drücken, bis es fast zu schlagen aufhörte. Er stellte mir dafür immer stechendere Schmerzen aus. Ich nahm sie an und schwieg, bis es überkochte. Aber er war jedes Mal stärker. Ich hatte nicht gewusst, dass man kochendes Wasser herunterdrücken konnte. Zurück in seinen Topf. Er verbrannte sich dabei kein-Wort-könnte-es-beschreiben stark, aber er gab nie auf. Ich mutierte unter seinem Schutz.

Sie saßen tuschelnd an zwei zusammengestellten Tischen. Mit Stolz präsentierte mir Alina eine tiefe Schnittwunde. Sie trug sie nicht einmal verdeckt, zeigte sie der Welt wie ein Radfahrer sein gelbes Trikot. Wir befuhren die Pyrenäen. Mich verglich man mit einem angriffslustigen Emporkömmling, ich sah es in ihren Augen. Ich war eine Bedrohung, die man nicht aus den Augen ließ. Sie waren nur begrenzt nett zu mir. Dabei hatte ich sie nie gebraucht. Ich redete mir nachtnächtlich ein, dass ich nur mich und ihn brauchte. Er war auch selten nett, aber auf ihn war Verlass.

„Hallo, Sonnenschein!“ zupfte mich am Zipfel. Ich drehte mich um und sie drückte und küsste mich. Ich hatte das bislang nie erwidern können. Solche Zutraulichkeiten lähmten mich. Man schreckte sogar vor meinen Berührungen zurück, es passte nicht hinein. Daran hatte ich Spaß gefunden. Die überraschende Andersartigkeit der Ghalia B. Ich liebte mich, wenn ich andere beeindruckte.

Wir saßen im Auto. Sie weinte. In meiner Gegenwart. Nicht alleine unter der Bettdecke weinen. Kein Teddybär, der einen blind verstand, den man danach vor den Augen der Außenwelt verstecken musste. Sie hätten gemerkt, dass er versteht und ihn mitgenommen. „Meine Mutter tritt seit Jahren gegen Gewalt in Familien auf. Seit Jahren ist sie engagiert und schreibt lange Reden. Dass wir eine Heidenangst vor unserem Vater hatten, das wollte sie nie hören.“ Was hätte ich ihr alles erzählen können. Aber ich konnte nicht diese Grenze überschreiten. Nicht in ihrer Gegenwart.

Er lag auf mir und mühte sich ab. „Liebst du mich?“ Ich glaubte nicht recht zu hören. Allzu lange durfte ich nicht zögern. Ich lachte auf und warf ihm vor: „Was für eine Frage!“ „Du zeigst es aber nie, so wie es andere Frauen tun.“ Wut stieg in mir auf. Ich schluckte, lächelte und sprach gespielt irritiert: „Sicher tue ich das!“ Ruckartig drehte ich mich um, schloss meine Augen und hoffte, dass er mich in Ruhe ließ. Hätte mich nicht gewundert, wenn er mich wegen des zugekehrten Arsches verprügelt hätte.

Mit dreizehn hatte ich sterben wollen. Irgendwann hatte ich diese Zeit als einen Teil der Pubertät abgeschrieben und mir eines geschworen: Niemals würde ich mich wieder so hängen lassen.
Die Todessehnsucht nahm mich bei der Hand. Verzweifelt hörte ich Liebeslieder, schaute Liebesfilme, las Romeos Schwüre, um an Schönes zu denken. Doch entweder zermürbte mich der traurige Schluss der Geschichten oder ich verging in der Sicherheit, dass mir nie etwas Gutes begegnen würde. Oder er gesellte sich zu mir und schwärmte seiner großen Liebe von der großen Liebe vor. Ließe ich ihn allein, so stürbe er. Ich stellte ihn mir tot vor. Seelisch tot. Ein Teil von mir würde ihm ins Grab folgen.

Es war ein dunkler Morgen im Herbst. Ich versuchte nicht an die Scham zu denken. Nicht an die Konsequenzen, die ich in meiner Vorstellung nicht ertragen konnte. Ich schob die Anderen beiseite und konzentrierte mich auf mich. Die Ahnung tat weh. Die furchtbare Ahnung von der Zerstörung, die ich anrichtete. Ich trat vor: „Mein Mann schlägt mich.“ Ich trat auf. Die Lichter fingen mich ein. Wärme. Klebrige Wärme. Es ekelte mich an. Sie zogen an mir; bis ich mich fallen ließ. Ich gab mich meinem Schicksal als Opfer hin.

 

Hallo Zaza,

aus der "Ich-Perspektive" eine solche Geschichte zu schreiben, muss konsequenterweise bedeuten, dass sich die Protagonistin schützt, dass sie nicht alles preis gibt, und das was sie erzählt in schemenhaften Verschlüsselungen kommt, in Erinnerungsfetzen, wirr, achronologisch und noch um das Verstecken bemüht, wenn sie sich in das Rampemlicht der Selbsthilfegruppe stellt.
Opfer wird deine Prot erst, als sie sich als Opfer bekennt. Das passt zu ihrem Selbstverständnis.
Zart nach Entschuldigungen suchend ("Was sich liebt, das reizt sich bis aufs Blut") oder verzweifelt im Sonnenschein nach positiven Lügen, ist der Horror für deine Prot eben ihr Alltag, für den auch ihr die klaren Worte fehlen bis zum Schluss, der etwas an die Treffen anonymer Alkoholiker erinnert.
Das ist konsequent, denn diese Beziehungen verwechseln oft Sucht mit Liebe.
Deine Geschichte ist so verwirrend, wie wohl deine Protagonistin verwirt wurde in ihrem Kampf um Selbstbehauptung, die sie darin fand, sein Herz so lange zu drücken, bis es das Schlagen fast aufgab und den Armen und Händen überließ.
So finde ich viele kleine wahre Sätze darin wieder, wie etwa: Ich liebte mich, wenn ich andere beeindruckte.
Und trotzdem bleibt bei dieser Geschichte für mich ein Fragezeichen. Es ist eine jener Geschichten, vor denen ich sitze und mir dumm vorkomme, weil ich nur ahnend ins Dunkle hinein interpretieren kann. Du könntest alles ganz anders gemeint haben, während ich mich mit geschriebenen Überlegungen lächerlich mache.

Wie gut, dass Worte nicht bis an die letzten Ecken menschlicher Gefühlskategorien hinreichen konnten.
Ich weiß nicht, ob es da in der Sprache regionale Unterschiede gibt, für mich klingt an die Ecken immer komisch, es sei denn, ich stelle mir einen Tisch vor, auf dem ich etwas an die Ecken schieben kann, bis es runterfällt. Hier sind aber wohl eher die verborgenen Ecken gemeint. Da würde ich in vorziehen.

Lieben Gruß, sim

 

Wieso würdest Du Dich mit Deinen geschriebenen Überlegungen lächerlich machen? Alles was belegbar ist, ist zulässig. Es ist sehr einfach.

Ja, der Text ist verwirrend und überhaupt nicht geradeaus. Wenn Du mich danach fragtest, den Text in einem Satz zusammenzufassen oder sein Thema, ich könnte es nicht.

Was mich aber interessiert: Was für ein Fragezeichen ist das? Regts zum Denken an? Oder eher zum Rätseln? Sagt er Dir was, und Du möchtest nur nicht die Gefahr eingehen, meine Intention nicht zu treffen? Oder sagt er Dir rein gar nichts?

Mach Dir keine Gedanken über meine Gedanken.

 

Hallo Zaza,

wie der langen Kritik zu entnehmen ist, hat mir der Text ja eine Menge gesagt. Allerdings kam ich mir tatsächlich eher etwas rätselnd als denkend vor. ;)
Das der Text nicht geradeaus ist, finde ich grundsätzlich gut und dem Thema Gewalt auch angemessen. Dass die Geschichte etwas wirr daher kommt erscheint mir angesichts der Perspektive als konsequent, nicht weil ich Opfer als wirr betrachten würde, sondern weil es verwirrt, sich als Opfer zu sehen, manipuliert worden zu sein und zaghaft vielleicht die Schuld an den Schlägen, die man einstecken muss(te) in Frage zu stellen.
Der letzte Teil meiner Kritik entsprach einem Gefühl, dass ich beim Lesen aber eben auch hatte. Es war ein unangenehmes Gefühl, das nicht nur aus der Geschichte herrührte (das wäre bei dieser Geschichte völlig in Ordnung gewesen), sondern aus dem Gefühl nur ahnungsvoll ratend etwas daraus lesen zu können, eben ein Gefühl, sich selber dumm zu fühlen vor dem Text, ihn weder intuitiv noch intellektuell vollständig erfassen zu können.

Mach Dir keine Gedanken über meine Gedanken.
Der Gefahr unterliege ich natürlich leicht, gebe ich zu. ;)

Einen lieben Gruß, sim

 

Hallo Zaza

Ich trat vor: „Mein Mann schlägt mich.“ Ich trat auf. Die Lichter fingen mich ein. Wärme. Klebrige Wärme. Es ekelte mich an. Sie zogen an mir; bis ich mich fallen ließ. Ich gab mich meinem Schicksal als Opfer hin.

Sie sah sich bis zum Schluss als vorsätzlichen Täter, nicht als Opfer an.

Ganz nah hatte ich mich herangetastet, wenn ein Zug vorbei fuhr. Sie hielten mich fest, damit ich nicht die Grenze überschritt.

Die Todessehnsucht, durch andere daran gehindert zu werden den letzten Schritt zu tun, zu spüren dass man davon abgehalten wird, aber man könnte es.

Er nannte mich Hure. Er hatte eine Grenze überschritten, und von diesem Tag an verlor ich jeglichen Respekt. Was sich liebt, das reizt sich bis aufs Blut. Ich genoss es sein Herz so lange zu drücken, bis es fast zu schlagen aufhörte

Ihn in ihrer Macht zu haben, das Spiel ihn so lange zu reizen zu können, bis er zur Tat schreitet.

Ich hatte nicht gewusst, dass man kochendes Wasser herunterdrücken konnte. Zurück in seinen Topf. Er verbrannte sich dabei kein-Wort-könnte-es-beschreiben stark, aber er gab nie auf. Ich mutierte unter seinem Schutz.

Diesen Machtkampf wer über wen gewinnt, man wächst an seinen Gegnern.

Ich war eine Bedrohung, die man nicht aus den Augen ließ. Sie waren nur begrenzt nett zu mir. Dabei hatte ich sie nie gebraucht. Ich redete mir nachtnächtlich ein, dass ich nur mich und ihn brauchte. Er war auch selten nett, aber auf ihn war Verlass.

In einer Selbsthilfegruppe wirkt sie als Aussenseiterin, weil sie es ist die das Spiel führt.

„Meine Mutter tritt seit Jahren gegen Gewalt in Familien auf. Seit Jahren ist sie engagiert und schreibt lange Reden. Dass wir eine Heidenangst vor unserem Vater hatten, das wollte sie nie hören.“ Was hätte ich ihr alles erzählen können. Aber ich konnte nicht diese Grenze überschreiten. Nicht in ihrer Gegenwart.

Zurück zu führen auf ihre Kindheit, die sicher nicht gewaltfrei war

Er lag auf mir und mühte sich ab. „Liebst du mich?“ Ich glaubte nicht recht zu hören. Allzu lange durfte ich nicht zögern. Ich lachte auf und warf ihm vor: „Was für eine Frage!“ „Du zeigst es aber nie, so wie es andere Frauen tun.“

Sie kann oder will nicht lieben, lieber fühlen dass sie geliebt wird.

Oder er gesellte sich zu mir und schwärmte seiner großen Liebe von der großen Liebe vor. Ließe ich ihn allein, so stürbe er. Ich stellte ihn mir tot vor. Seelisch tot. Ein Teil von mir würde ihm ins Grab folgen.

Vielleicht ihr Vater, der sie mißbrauchte und zu einer seelenkranken Frau machte.

Die furchtbare Ahnung von der Zerstörung, die ich anrichtete. Ich trat vor: „Mein Mann schlägt mich.“ Ich trat auf. Die Lichter fingen mich ein. Wärme. Klebrige Wärme. Es ekelte mich an. Sie zogen an mir; bis ich mich fallen ließ. Ich gab mich meinem Schicksal als Opfer hin.

Dann der Schluss, die Zerstörung die sie anrichtete.

Bin mir nicht ganz sicher, ob ich deine wohl noch lange zum darübernachdenken Geschichte, richtig interprediert habe. Ich hoffe doch.

Einen schönen Abend wünscht dir

Morpheus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Zaza,

vermutlich stehen einige Gedanken hier schon von sim und Morpheus, die ich auch habe. Ich habe trotzdem zu jedem Abschnitt geschrieben, was mir eingefallen ist.

<<Es war ein noch dunkler Morgen im Herbst. Ich eilte zur Bushaltestelle, wurde von einem hellen „Guten Morgen.“ am Zipfel gezupft. Ein kleines Kind stand in dem finsteren Garten, in den ich meistens hineinlugte, wenn ich von der Uni zurückkehrte. Ich erwiderte den Gruß und zog weiter, meine Laune war sichtlich erhöht. Wie gut, dass Worte nicht bis in die letzten Ecken menschlicher Gefühlskategorien hinreichen konnten. Wie gut, dass sich der Mensch nicht selbst erschaffen konnte. Wie gut, dass Ehrlichkeit Selbstbetrug war.>>

Erscheint mir wie eine Erinnerung, das kleine Kind ist die Protagonistin selbst, der finstere Garten die Vergangenheit.

<<Als die Schläge niederprasselten, schaute ich weg. Ich schwebte. Mein Körper wurde geschunden. Das brauchte ich nun wirklich nicht, plagten mich schon seit Stunden strahlende Kopfschmerzen. Mein Kopf. Und das jetzt auch noch. War das nicht mein damaliger Musiklehrer? Wenn ich Lehrer oder Professoren radeln sah, erheiterte mich das ungemein. Sehe, was geschehe.>>

Sieht für mich aus wie das Phänomen, wenn mit einem etwas passiert, über das man keine Macht hat, den "Geist vom Körper zu trennen". Ablenkung und Bagatellisierung. Ich kann nicht deuten, warum sie den Musiklehrer sieht, also an welcher Örtlichkeit es stattfindet.

<<Mit dreizehn Jahren hatten mich Züge fasziniert. Zugekifft waren wir auf den Bahngleisen gelaufen. Ganz nah hatte ich mich herangetastet, wenn ein Zug vorbei fuhr. Sie hielten mich fest, damit ich nicht die Grenze überschritt. In Dänemark war ich alleine. Ich saß auf einer Stange und wartete auf einen Zug. Er kam nie. Es waren nur Ferien. Die Zeit hatte nicht gereicht. Mein Zug war Godot.>>

Habe mich gerade durch google informiert, was Godot bedeutet, bzw. das Warten auf Godot (er kam nie). Sieht wie die Selbstmordgedanken von Halbwüchsigen aus. Die anderen hielten die Protagonistin ab. Als sie mal allein war, kam kein Zug, es ergab sich keine Gelegenheit, oder sie konnte es nicht.

<<Er nannte mich Hure. Er hatte eine Grenze überschritten, und von diesem Tag an verlor ich jeglichen Respekt. Was sich liebt, das reizt sich bis aufs Blut. Ich genoss es sein Herz so lange zu drücken, bis es fast zu schlagen aufhörte. Er stellte mir dafür immer stechendere Schmerzen aus. Ich nahm sie an und schwieg, bis es überkochte. Aber er war jedes Mal stärker. Ich hatte nicht gewusst, dass man kochendes Wasser herunterdrücken konnte. Zurück in seinen Topf. Er verbrannte sich dabei kein-Wort-könnte-es-beschreiben stark, aber er gab nie auf. Ich mutierte unter seinem Schutz.>>

Wie Morpheus schon sagt, sie reizt ihn solange, bis er zuschlägt.

<<Sie saßen tuschelnd an zwei zusammengestellten Tischen. Mit Stolz präsentierte mir Alina eine tiefe Schnittwunde. Sie trug sie nicht einmal verdeckt, zeigte sie der Welt wie ein Radfahrer sein gelbes Trikot. Wir befuhren die Pyrenäen. Mich verglich man mit einem angriffslustigen Emporkömmling, ich sah es in ihren Augen. Ich war eine Bedrohung, die man nicht aus den Augen ließ. Sie waren nur begrenzt nett zu mir. Dabei hatte ich sie nie gebraucht. Ich redete mir nachtnächtlich ein, dass ich nur mich und ihn brauchte. Er war auch selten nett, aber auf ihn war Verlass.>>

Hmm ... dieser Abschnitt ist auf den ersten Blick seltsam. Sieht so aus, als gäbe es einen Wettbewerb, wer das größte Opfer sei. Eine Art Selbsthilfegruppe, in der man konkurriert, wer es am schlimmsten aushalten muss.

<<„Hallo, Sonnenschein!“ zupfte mich am Zipfel. Ich drehte mich um und sie drückte und küsste mich. Ich hatte das bislang nie erwidern können. Solche Zutraulichkeiten lähmten mich. Man schreckte sogar vor meinen Berührungen zurück, es passte nicht hinein. Daran hatte ich Spaß gefunden. Die überraschende Andersartigkeit der Ghalia B. Ich liebte mich, wenn ich andere beeindruckte.>>

Auch hier, beim letzten Satz, kommt es mir so vor wie eine Bestätigung meiner oberen Annahme. Und das Problem mit den Berührungen, sieht aus, als wäre es neu für sie, dass jemand so unbekümmert einen anderen umarmen könnte, also scheint es in der Umgebung, in der sie aufwuchs, nicht so zugegangen zu sein.

<<Wir saßen im Auto. Sie weinte. In meiner Gegenwart. Nicht alleine unter der Bettdecke weinen. Kein Teddybär, der einen blind verstand, den man danach vor den Augen der Außenwelt verstecken musste. Sie hätten gemerkt, dass er versteht und ihn mitgenommen. „Meine Mutter tritt seit Jahren gegen Gewalt in Familien auf. Seit Jahren ist sie engagiert und schreibt lange Reden. Dass wir eine Heidenangst vor unserem Vater hatten, das wollte sie nie hören.“ Was hätte ich ihr alles erzählen können. Aber ich konnte nicht diese Grenze überschreiten. Nicht in ihrer Gegenwart.>>

Die ersten Sätze deuten für mich auf eine Familie hin, in der alles, was dem Kind Freude und Halt geben könnte, weggenommen wurde, um es und seine Emotionen zu kontrollieren. Der Rest sieht nach der üblichen Lüge und Selbsttäuschung aus, die dann die Familie "zusammenhält". Die Mütter, die trösten, aber nicht in der Lage sind, eine sichere Umgebung zu schaffen, indem sie sich trennen.

<<Er lag auf mir und mühte sich ab. „Liebst du mich?“ Ich glaubte nicht recht zu hören. Allzu lange durfte ich nicht zögern. Ich lachte auf und warf ihm vor: „Was für eine Frage!“ „Du zeigst es aber nie, so wie es andere Frauen tun.“ Wut stieg in mir auf. Ich schluckte, lächelte und sprach gespielt irritiert: „Sicher tue ich das!“ Ruckartig drehte ich mich um, schloss meine Augen und hoffte, dass er mich in Ruhe ließ. Hätte mich nicht gewundert, wenn er mich wegen des zugekehrten Arsches verprügelt hätte.>>

Die Vergangenheit hat ihre Folgen, sie ist mit jemandem zusammen, der sie genauso behandelt wie sie früher behandelt wurde. Oder es ist eine Szene aus der Vergangenheit, eine Erinnerung an den Missbraucher.
So auch die nächste Szene:

<<Mit dreizehn hatte ich sterben wollen. Irgendwann hatte ich diese Zeit als einen Teil der Pubertät abgeschrieben und mir eines geschworen: Niemals würde ich mich wieder so hängen lassen.
Die Todessehnsucht nahm mich bei der Hand. Verzweifelt hörte ich Liebeslieder, schaute Liebesfilme, las Romeos Schwüre, um an Schönes zu denken. Doch entweder zermürbte mich der traurige Schluss der Geschichten oder ich verging in der Sicherheit, dass mir nie etwas Gutes begegnen würde. Oder er gesellte sich zu mir und schwärmte seiner großen Liebe von der großen Liebe vor. Ließe ich ihn allein, so stürbe er. Ich stellte ihn mir tot vor. Seelisch tot. Ein Teil von mir würde ihm ins Grab folgen.>>

Niemals würde ich mich wieder so hängen lassen - also niemals wieder Opfer sein, niemals wieder machtlos ausgeliefert. Hoffnung auf ein gutes Ende, aber die Gewissheit, dass es nicht einträfe. (Selbsterfüllte Prophezeiung oder die unbewusste Erkenntnis, dass man es so nicht erreichen kann, durch bloßen Glauben und Hoffnung?)
Die letzten Sätze: Erpressung des Missbrauchers?

<<Es war ein dunkler Morgen im Herbst. Ich versuchte nicht an die Scham zu denken. Nicht an die Konsequenzen, die ich in meiner Vorstellung nicht ertragen konnte. Ich schob die Anderen beiseite und konzentrierte mich auf mich. Die Ahnung tat weh. Die furchtbare Ahnung von der Zerstörung, die ich anrichtete. Ich trat vor: „Mein Mann schlägt mich.“ Ich trat auf. Die Lichter fingen mich ein. Wärme. Klebrige Wärme. Es ekelte mich an. Sie zogen an mir; bis ich mich fallen ließ. Ich gab mich meinem Schicksal als Opfer hin.>>

Scham - der Täter müsste sich schämen, aber die Opfer tun es. Verdrängung. Die eklige Wärme = das Mitgefühl der anderen, das die Protagonistin ihre "Schwäche" spüren lässt, also die Erinnerung daran, einmal hilflos und ausgeliefert gewesen und es auch jetzt zu sein. Während sie bisher sich vormachen konnte, sie sei stark, könnte die Gewalt des Anderen kontrollieren (also ihn reizen, also kann sie sich vormachen, sie hätte sie es in der Hand, wann er gewalttätig wird), muss sie nun erkennen, dass sie Opfer ist.

Ob ich nun richtig liege mit der Interpretation oder nicht - komplizierte Sache, die Du da in Worte gefasst hast. Ich staune immer wieder über Deine Geschichten.

vio

 

Hallo Zaza,

deine Geschichte stellt wie ein zerbrochener Spiegel Stücke einer Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven dar. Das ergibt bei mir ein unzusammenhängendes Bild, mehr Ahnung als Verstehen, bei jedem Lesen neue Eindrücke (hast du nachträglich noch was eingefügt?) und das Gefühl, daß diese Verwirrung der Realität näher kommt als eine rundgeschliffene Geschichte.
beeindruckend

sowieso

p.s.: "Meine Mutter tritt seit Jahren .." ist für mich ein Erlebnis einer anderen Frau (aus der Selbsthilfegruppe?), im Auto erzählt.

 

schade um den guten inhalt, dass die story nur runtergeschrieben ist. eine überarbeitung vorausgesetzt handelt es sich hier um ein stück wertvolle literatur.

 

Servus Zaza!

In sehr schöner Sprache und starken Bildern beschreibst Du hier die mögliche Entwicklung eines Mädchens, das die Grenzen dessen, was es ertragen kann, auslotet, zu einer Frau, die Schmerz bewusst erträgt. Was der Pubertierenden anfangs als gefährliches Spiel für eine Art Erregung und Beweis der Selbstbestimmung dient, bricht sich immer weiter Bahn in den Alltag der Erwachsenen, wird zur Gewohnheit und bestimmt die Partnerwahl. Ein für Aussenstehende nicht zu begreifender Machtkampf wird für zwei Gefangene einer solchen Beziehung (Hassliebe?) zur Normalität. Aus dieser Situation findet nur ein Opfer heraus, das sich zu dieser Rolle bekennt.
Die Geschichte ist m. E. gut ausgearbeitet!


Ciao
Antonia

 

Hallo Zaza!

Neue Gedanken habe ich kaum, aber ich wollte Dir meinen Eindruck dennoch mitteilen. Harkov nennt es runtergeschrieben - dem kann ich mich nicht anschließen. Ich finde Deine Darstellung Opfer-sein/zum-Opfer-gemacht-werden, das ganzes Selbstverständis durhc Sprache und Stil, durch die einzlenen Schlaglichter extrem gut zum Ausdruck gebracht.
Deine Geschichte hebt sich dadurch, durch dieses Selbstverständis Deiner Prot, durch die Sprache wohltuend von Geschichten ab, wie sie es hier zuhauf über geschlagene Frauen gibt.
Großes Lob von meiner Seite.

schöne Grüße
Anne

 

Vielen Dank für eure Kritiken!

Leider habe ich es nicht geschafft, den Text zu überarbeiten bis zu dieser Antwort. An einigen/vielen Stellen könnte man den Ausdruck verbessern.

An dem Aufbau mag ich nichts ändern, auch halte ich den Vorwurf, dass der Autor keinen Schlüssel geliefert habe, für unbegründet.
Ein Text, den der Leser nicht verstehen kann? Jeder hier hat genau verstanden, worum es geht.

Schade.

 

Es fehlen weder ein Schlüssel zum Text, noch eine eindringlichere Schilderung.

 

Ich kann mit der Geschichte nicht viel anfangen .... ober irgendwie fand ich

Geschrieben von Zaza
Als ich zum Opfer wurde

wurde von einem hellen „Guten Morgen.“ am Zipfel gezupft.


das irgendwie unfreiwillig komisch ... :D

Ein helles Guten Morgen zupft jemanden am Zipfel :D - die Auflösung nach dem Lachanfall erfährt man erst hinterher .....

ich würde das irgendwie umschreiben :D

 

hallo zaza
Von Kindesmißbrauch(elterliche gewalt) bis zum schlagenden Ehemann, von Masochismus bis Borderline guckt da viel zwischen den zeilen hindurch und hinterlässt in mir das Fragezeichen: "was will sie denn eigentlich bewirken, mit dieser Geschichte"???
Was sagst du...??? Abgesehen vom letzten Satz, in dem deine Prot sich dem Opfer - sein hingibt, oder ERgibt?

das ist für meinen geschmack zu wirr und zu fragmentarisch... du beschränkst dich darauf, nur zerissenheit eines seelisch ungesunden Menschen zu spiegeln... das aber hab ich schon zu oft gelesen, als dass es noch etwas bleibendes und konstruktives in mir zurücklisße... nein, ich hätte dir mehr, im Sinne einer klaren, erzählerischen (und für den Leser zu verstehenden/begreifbaren/in die Zukunft einer Lösung weisenden)Struktur zugetraut, und finde diese geschichte (noch) unbefriedigend.
Lord

 

Keine Ahnung, was ich bewirken will.

Viele Formen von Gewalt: Gewalt ist keine Ausnahme. Sie guckt nicht zwischen den Zeilen hindurch. Sie ist alltäglich und bedarf keiner näheren Beschreibung oder Spezifizierung. Zumindest in den Augen der Prot.

Ziel war nie eine klare Struktur. Kann ich als Kritik leider nicht ernst nehmen. Unzufrieden bin ich selbst noch, aber aus anderen Gründen.

 

Hi,
also ich fand die Geschichte gut!
Sie regt zum Nachdenken an, und bei solchen Themen ist es wichtig, nachzudenken. Außerdem glaube ich nicht, dass man als ein solches Opfer klarere Gedanken haben kann. Ich finde auch den Stil gelungen.
Alles in allem würde ich den Text so lassen wie er ist, und ihn als gut Empfinden.

Meine Meinung :)
WibiB

 

@Lord Arion:
Deine Anmerkungen sind für die Autorin sicher sehr wichtig, auch wenn dir der Sinn nicht ganz einleuchtend erscheint. Wie sim oben schon sagt hat, dient solch eine verwirrende Geschichte, um bestimmte Dinge zu verstecken. Wenn man keinen Bezug zum Geschehen hat, ist es ganz natürlich, wenn man für sich nichts herausholen kann. Ich kann keineswegs von mir behaupten, jedes einzelne Detail verstanden zu haben, geschweige denn, die optimale Interpretation für den Text zu besitzen, dennoch finde ich die Geschichte verständlich.

@Zaza:
Stilistisch gewohnte Klasse! Ein literarischer Dilettant kann die Meisterin des Wortes ja schlecht kritisieren.

 

Zaza... woher soll ich denn wissen, was du für ziele verfolgst, wenn sie sich mir durch die Geschichte nicht erschließen? dabei, und so wollte ich meine Aussageverstanden wissen, ist eine klarere Struktur hilfreich...
wenn dein Ziel war, auszudrücken, wie sehr das opfer(Prot) in diesen alltäglichen Gewaltkreisläufen gefangen ist, so dass er/sie das als Normalität ansieht, und nicht die gewltlosigkeit und das friedliche miteinander, dann gebe ich dir recht, dann hab ich nicht genau genug gelesen...
ansonsten ist es aber schade, dass du so überheblich drüber weggehst... ich kann es nur so verstehen, wie mein verständnis es zulässt... es ist also mitunter schwer, deine Intentionen zu erkennen...
Etwas weniger Arroganz in der antwort täte auch dir nicht schlecht, auch wenn dich hier andere bereits als "Meisterin der Worte" bezeichnen...nach meinem Empfinden lernen wir hier alle mit jeder neuen Geschichte noch was dazu...
mfg. Lord

 

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