Alte und Gefangene
(Dies ist eine ältere Satire. Im September 99 war sie aufgrund eines Zeitungsartikels in der Hannoverschen Allgemeinen aktuell. Auch wenn das eine oder andere nicht mehr zeitgemäßt sein sollte - mein Gott, was sind wir schnelllebig - verbleibt der Text im Original zur freundlichen Begutachtung.)
Die Fürsorge der Deutschen für Strafgefangene und andere fehlgeleitete Subjekte kennt keine Grenzen. Zumindest die der deutschen Gerichte.
So konnten wir unlängst der Zeitung entnehmen, dass das Oberlandesgericht Celle eben für die Strafgefangenen eine Lanze gebrochen hat. Es hat nämlich entschieden, dass es unzumutbar sei, zwei Strafgefangene in einer Zelle unterzubringen. Nur eine alleinige Unterbringung könne dem Strafgefangenen gerecht werden. Alles was über den Freiheitsentzug hinausginge, sei menschenunwürdig und eigentlich auch nicht mit der Bestrafung beabsichtigt. Was war das früher einfach, als der Verurteilte nur aufs Rad geschlagen bzw. dem Dieb bloß die Hand abgehackt wurde.
Doch dank diesem Urteil werden uns die Augen geöffnet. Es wird verständlich, dass der abgelehnte Asylbewerber gegen seine Abschiebung protestiert und lieber straffällig wird. Auch können wir nun dem Obdachlosen mehr Verständnis entgegenbringen, der rechtzeitig zum Winter auf Diebestour geht, um sich für die kalte Jahreszeit ein Dach über dem Kopf und geregelte Mahlzeiten zu verschaffen.
Aber wahrscheinlich wären wir auf dieses Urteil nie aufmerksam geworden, wenn nicht die Altenverbände und diejenigen, die sich um die Pflege der Alten kümmern, auf die Barrikaden gegangen werden. „Dieses Urteil ist eine Frechheit - ein Schlag ins Gesicht für jeden alten Menschen in Deutschland!“ Das ist der Grundtenor der Kommentare von dieser Seite.
Um zu verstehen, warum sich diese Menschen aufregen, müssen wir wohl ein Altenheim besuchen. Nachdem wir uns durch Heerscharen von zahnlosen und krückenschwingenden Menschen einen Weg zu einem der normalen Zimmer durchgekämpft haben, stellen wir fest: Hier wohnen zwei alte Menschen. Und diese sind noch nicht einmal miteinander verheiratet, da uns das Gesetz derzeit die gleichgeschlechtliche Ehe noch verbietet.
Das nächste Zimmer bietet uns kein anderes Bild. Auch hier wohnen zwei Menschen. Und so sieht es fast im gesamten Heim aus. Einzige Ausnahme bilden hier vielleicht noch alte Ex-Millionäre, die ihr Vermögen dem Heim verschrieben haben, um sich einen netten Lebensabend zu gönnen.
In Nordrhein-Westfalen ist sogar geplant ein Altenheim mit Mehrbettzimmern zu bauen. So will man die enorm gestiegenen Kosten der Altenpflege in den Griff bekommen.
Nun hat der findige Mann die verantwortlichen Politiker mit diesem Urteil und den Mißständen in den Altenheimen konfrontiert und um Abhilfe gebeten. Doch diese Politiker wussten sich zu helfen, denn schließlich hat nach deren Meinung das eine mit dem anderen nichts zu tun. Recht so!
Wir wollen uns die Mühe machen, die Aussage dieser Politiker zu analysieren.
Betrachten wir zunächst die alten Menschen in unserem Lande: Nachdem sie 40 Jahre oder länger geschuftet haben, gehen sie in den wohl verdienten Ruhestand. Sie beziehen eine Rente, die bei dem einen größer ausfällt und bei dem anderen nicht einmal für das tägliche Brot reicht. Solange sie noch zu Hause in den eigenen vier Wänden wohnen, mag dies zu tolerieren sein. Je älter sie jedoch werden – und damit auch länger der Rentenkasse zur Last fallen – wird die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie pflegebedürftig werden. Jetzt fallen sie nicht nur der Rentenkasse sondern auch der Pflegeversicherung zur Last. In letzter Konsequenz tragen die Alten eine Mitschuld an der hohen Staatsverschuldung.
Die Pflege der Alten ist nicht nur kosten- sondern auch noch personalintensiv. Irgendwer muss sich ja um diese Menschen kümmern. Der einfache Zivi reicht da nicht immer.
Was können wir Positives über unsere Alten sagen. Nun gut, sie verfügen größtenteils über einen ungeheuren Wissens- und Erfahrungsschatz, den sie uns zur Verfügung stellen wollen. Unserer multimedialen Gesellschaft erscheint es jedoch sehr viel einfacher, sich eben dieses Wissen und die Erfahrung aus dem Internet zu ziehen, als der brüchigen Stimme des Großvaters zu lauschen, der sowieso das meiste durcheinander bringt.
Bei dem Strafgefangenen sieht das anders aus:
Zunächst müssen wir ins Feld führen, daß nicht dieser die Schuld an seiner Tat trägt. Nehmen wir den gewöhnlichen Einbrecher: Ihm bleibt doch gar nichts anderes übrig, als gewaltsam in unser Haus einzudringen. Oder legen Sie ihr Geld vor die Haustür? – Nein? Sehen Sie, deswegen tragen wir die Schuld an dem Einbruch.
Oder nehmen wir den Mörder. Nun gut, es lag in dessen Absicht eine bestimmte Person vom Leben in den Tod zu befördern. Aber warum? Eben weil diese Person nicht in der Lage ist, von allein zu sterben; ein kleiner Infarkt oder Autounfall würde schon reichen.
Somit ist klar, dass wir, die Gesellschaft, die Schuld an den Straftaten tragen. Verübt hat sie allerdings der Verbrecher und dafür müssen wir in pflegen und hegen. Im Gegensatz zum alten Menschen kann uns der Strafgefangene immerhin noch als schlechtes Beispiel dienen und so der Menschheit von Nutzen sein.
Die Politiker haben also Recht: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.
Als Trost sei hier den Alten noch gesagt, dass es ihnen unbenommen bleibt, ebenfalls straffällig zu werden. So haben dann auch sie im hohen Alter noch eine Chance auf ein menschenwürdiges Dasein.
Wedemark, im September 1999