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Am See
„Komm sofort her, Muschi!“
Adrian pfeift durch die Finger. Darum habe ich ihn schon immer beneidet, nie habe ich das gelernt.
Die Colliehündin dreht den Kopf, verlangsamt ihr Tempo und bleibt schließlich stehen.
„Bei Fuß!“
Langsam kommt sie uns entgegen getrottet. „Brav.“
Den Hund ausgerechnet Muschi zu nennen, ist natürlich Adrians Idee gewesen. Es ist ja auch sein Hund. Eine Schnapsidee. Als er mir am Telefon davon erzählt hat, vor etwa einer Woche, hat er noch in den Hörer geprustet. Dabei hat er sie schon seit über drei Jahren.
Sie ist ein Witz auf vier Beinen, die einen lachen sich tot, wenn sie Adrian nach ihr schreien hören, die anderen drehen sich pikiert weg.
Langsam schlendern wir am Ufer des Weihers entlang, Adrians Hand liegt auf Julias Hintern. Besitzdemonstration: Meins, Hände weg.
Viele haben vor uns den selben Gedanken gehabt. An ein paar Stellen steigt der Rauch von Kohlefeuern in die Luft, der Geruch nach Schweinefett und angebranntem Fleisch hängt über dem blaugrünen Wasser. Kinder kreischen.
Etwas abseits zwischen den Büschen finden wir schließlich eine Stelle, wo wir die Badematten und die alte Decke ausbreiten können.
Muschi wedelt wie verrückt, schleckt mir kurz die Hand, guckt nach ihrem Herrchen. Der zieht sich gerade das T-Shirt über den Kopf.
Vorsichtig schlängelt sie sich einen Weg zwischen Schilf und Gräsern, und mit einem Satz ist sie im Wasser. Ein paar Schlingpflanzen kleben ihr am Fell und man sieht ihr die Begeisterung an, als sie durchs Wasser paddelt. Es sieht ungeschickt aus.
„Willst auch eine?“, reißt mich Adrian aus den Gedanken. Ich stehe noch immer, habe gar nicht bemerkt, wie er sich neben Julia auf die Decke gesetzt hat. Jetzt hält er mir eine Selbstgedrehte entgegen, Van Nelle, wie immer, wie früher, wie vor sechs, sieben Jahren.
Ich hab aufgehört …
„Ja, gern, danke … “
„Drehst du mir auch eine?“, fragt Julia missmutig und es klingt eher wie ein Befehl. Sie hat nur noch den Bikini an, ihre Haut ist sonnengebräunt. Es ist nicht das erste Mal in dem Sommer, dass sie hier liegen …
Anfangs bin ich sauer gewesen, als ich sie gesehen habe. Dass Adrian einfach seine neue Flamme mitschleppt, obwohl ich eigentlich mit ihm reden will, nach so vielen Jahren, finde ich nicht okay.
Zumal er sie selbst erst seit knapp zwei Wochen kennt, im MGM abgeschleppt, guter Fang, oder? Und im Bett eine Kanone, hat er mir zugezwinkert, während sie die Matten im Kofferraum verstaut hat.
Zumindest eine verdammt gute Figur hat sie, das muss ich ihr lassen. Schöne Brüste und einen knackigen Hintern.
Ich setze mich zu den beiden auf die Decke, bitte um das Feuerzeug und ziehe mir den Rauch in die Lungen.
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Adrian seine Hand auf Julias Bauch legt.
Es hat sich eigentlich nichts geändert. In der Schulzeit sind wir hier den ganzen Sommer über gewesen, Ferien, keine Ferien, egal. Adrians Freundinnen haben schneller gewechselt, als ich mir ihre Namen merken konnte, eine hübscher als die andere, nach ein paar Tagen langweilig. Beim Vögeln merkst du wenigstens noch, dass du lebst, Nico, hat er früher oft gesagt.
Er ist der Mädchenschwarm, nicht ich. Seit fast einem halben Jahr keinen Sex mehr, soweit zu meiner Bilanz. Seit Iris mich aus ihrer Bude geschmissen hat. Seit ich in ein kleines, untervermietetes Zimmer am Stadtrand gezogen bin.
Die Besitzerin der geräumigen Wohnung ist eine ältere Dame, die mir angeboten hat, sie „Mutti“ zu nennen. Sie ist froh, dass sie nicht mehr allein auf den 120 Quadratmetern ist und ihr jemand bei „Männerarbeiten“ zur Hand geht.
„Was machstn jetzt so, wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen“, fragt Adrian.
„Ich bin auf der Suche nach einem Job“, antwortet ich, „Seit dem Studium nur Absagen.“
Er räkelt sich auf der Decke. „Was hast du nochmal gemacht, Architektur?“
Automatisch nicke ich. „Ja … zur Zeit ist der Arbeitsmarkt mies.“ Ich will nicht über meine erfolglosen Bewerbungen reden.
„Und du?“
„Hab vor ein paar Wochen die Lehre abgebrochen, die Arbeit am Bau ist der reinste Knochenjob.“ Er grinst. „Noch dazu jetzt, wo es so heiß ist, da lieg ich lieber hier rum.“
Das ist typisch Adrian. Keine abgeschlossene Lehre? Egal. Hauptsache jetzt geht's ihm gut und er braucht nicht über die Zukunft nachzudenken. Was hat er vor der Lehre überhaupt gemacht? Ich will nicht fragen. Irgendwie sollte ich das wissen.
Dass er immer noch bei seinen Eltern wohnt, habe ich schon letztes Wochenende beim Telefonieren mitbekommen.
Ich habe seit meinem Umzug nur noch sporadisch, dann lange Zeit gar nichts mehr von ihm gehört , und die Idee, mich mit ihm in Verbindung zu setzen, ist mir spontan gekommen. Also habe ich bei seinen Eltern angerufen, um zu erfahren, wie ich ihn erreichen kann …
Muschi klettert das Ufer hinauf, hechelnd und nass, einen dünnen Ast im Maul. Ihr Fell trieft. Kurz bevor sie uns erreicht, bleibt sie stehen und schüttelt sich. Ein ganzer Regen trifft Julia, die ihr am nächsten liegt. Das Mädchen schreckte hoch, ihr Blick ist angeekelt. Ein paar kleine Algen sind auf ihrer Milchkaffeehaut gelandet.
Früher hat es uns nie etwas ausgemacht, dass der See spätestens Anfang August umgekippt ist, wir sind dennoch immer baden gegangen. Jetzt habe ich keine Lust mehr, in die Brühe zu steigen, die von einem schmierigen Film aus Sonnenöl überzogen ist.
Adrian lacht. Julia schaute ihn wütend an.
„Blödes Vieh, lass das gefälligst“, zischt sie.
„Ab ins Wasser“, ruft Adrian. Er nimmt einen Stein vom Ufer und wirft ihn in den See. Sofort springt die Hündin nach, sucht, paddelt, erwischt ihn natürlich nicht. Hunde sind dumm. Sie merken sich nie, dass Steine sinken.
Dafür stieben ein paar Enten auseinander, die sich bis in Ufernähe vorgetraut haben. Muschi ist begeistert.
Von da an wird es zum Spiel. Wann immer die Hündin aus dem Teich klettern will, werfen Adrian und ich Steine, um sie davon abzulenken.
Ich bin ganz froh über diese Beschäftigung, ich weiß ehrlich gesagt nicht recht, worüber ich mit ihm reden soll. So können wir wenigstens ab und zu einen Kiesel werfen und über den Hund lachen.
Unter einem der Steine findet Adrian ein verschmutztes Kondom. Klar, dass er es Julia vor die Nase halten muss: „Hey Süße, Lust auf einen Quickie?“
Ich grinse, während er ein paar herbe Worte zu hören bekommt. Ich kann mir gut vorstellen, dass er das Gummi sogar vor einiger Zeit selbst hier weggeworfen hat, früher ist der See immer einer seiner Lieblingsplätze gewesen.
Julia hat sich wieder beruhigt, und liegt jetzt auf dem Bauch, um ihre Hinterseite zu bräunen. Der Bikinistring ist mehr als knapp, und Adrian massiert mit einer Hand ihre Pobacken.
Ich fühle mich fehl am Platz.
Langsam wird es kühler. Über dem Wasser tanzen Mückenschwärme.
Irgendwann schlägt Adrian vor, wieder zu fahren. Eigentlich bin ich froh darüber. Julia steht ohne ein Wort auf und zieht sich ihr T-Shirt und den kurzen Rock wieder über.
Adrian reißt ein paar flache Witze, als wir zum Auto zurück gehen.
Er nutzt jede Möglichkeit, um Muschi zu sich zu rufen und über die Gesichter der anderen zu lachen.
Er hat nicht an den Sonnenstand gedacht, und so ist sein roter Golf eine einzige Sauna. Eigentlich ist es der Wagen seiner Eltern, aber Adrian benutzte ihn dauernd. Er kümmert sich nicht um das Geschimpfe von seinem Vater, erzählt er, als wir einsteigen.
Sie setzen mich am Bahnhof ab, ich habe noch viel Zeit. Ich weiß nicht, wie ich mich verabschieden soll. Bis bald? Ciao? Mach's gut? Lauter Floskeln.
„Meld dich, wenn du wieder in der Stadt bist, okay?“
Er guckt mich an, seine Haare zerzaust, ein bisschen Sonnenbrand auf der Nase.
„Ja, klar, mach ich … bis bald, Adrian“, antworte ich und weiß, dass ich lüge.