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Amazonas
Amazonas.
Der Regen hört nicht auf. Stunde um Stunde, ohne Unterbrechung prasseln die Tropfen schon auf meinen Kopf. Sie rollen über meinen Nacken. Vereinigen sich zwischen meinen Schulterblättern zu kleinen Rinnsalen. Meine teure Outdoor-Jacke ist inzwischen völlig durchnässt. Soviel zum Thema ‚waterproof‘. Ich fluche leise vor mich hin. Das Amazonasgebiet war schon immer berüchtigt für seinen Regen, aber in diesem Jahr spielt die Natur völlig verrückt. Der Regen hört einfach nicht mehr auf.Zum Glück ist die Remington 700 M405A unempfindlich gegenüber Regen. Außerdem habe ich sie vor drei Tagen gut geölt in ihrer Transportbox verstaut. Routiniert unterdrücke ich den Impuls, die Box zu öffnen. Das würde die Waffe nur unnötig dem Wasser aussetzen, dass immer noch unaufhaltsam von überall zu fallen scheint. Außerdem kenne ich dieses Präzisionsgewehr im Schlaf, seit ich es damals während meiner Ausbildung bekam. Ich muss es nicht mehr anschauen. Mein Körper erinnert sich auch so. Der glattschwarze Lauf, der Schaft aus schwarzer Glasfaser, der so ruhig in der Hand liegt. Der kalte, feinfühlige Spezialabzug. Das Gewehr ist ein Meisterwerk. Und mir vertraut wie nichts anderes auf dieser Welt. Selbst Zielfernrohr und Schalldämpfer sind für mich kein bloßes Werkzeug mehr. Sie sind wie Teile meines Körpers.
Ich lehne mich gegen die Wurzel des Kapok-Baumes und durchsuche meine Umgebung mit den Blicken. Im dem dichten Dschungel kann ich fast nichts erkennen. Überall Bäume, Schlingpflanzen, große Blätter und weicher, modernder Untergrund. Ich hasse diesen Wald. Und der Regen macht es nur noch schlimmer. Er tropft von den Blättern, rinnt an den grauen Stämmen nach unten. Sammelt sich unter meinen Stiefeln. Wabert in Schwaden durch mein Blickfeld. Außerdem übertönt er fast alle Geräusche. Nur manchmal kann ich irgendwo einen Papagei hören oder andere beschissene Vögel. Gefährlicher sind die Schlangen. Die kann man nicht hören. Ich ertappe mich dabei, dass ich unwillkürlich nach dem taktischen Messer an meinem Oberschenkel taste. Scheiße. Dieser verdammte Urwald macht mich nervös. Das kann ich jetzt nicht brauchen, muss mich auf meinen Job konzentrieren.
Das hier ist nicht mein erster Auftrag im Amazonas, aber dieses Mal ist es schlimmer denn je. Der Wald wirkt bedrohlich, feindlich, als wolle er sich wehren. Unsinn. Ich fange schon an Gespenster zu sehen, wie diese Öko-Spinner. Die Indianer sehen den Wald als großes, vernetztes Lebewesen, sagen sie. Er sei heilig. Bullshit, das ist einfach nur ein Wald. Ein verfluchter, riesiger Wald voller gefährlicher Tiere und giftiger Pflanzen. Aber nur ein Wald. »Es ist nur ein Wald«, versuche ich mir einzureden und ahne tief in mir, dass das nicht wahr ist. Also versuche ich, mich in meine Atemzüge zu versenken. Blockatmung, die alte Atemübung der Navy Seals und Scharfschützen. Aber auch das beruhigt mich heute nicht. Mein ganzer Körper scheint die Feindseligkeit dieses Waldes zu spüren.
Also versuche ich mich auf den geplanten Ablauf zu konzentrieren. Gehe vor meinem inneren Auge die einzelnen Schritte durch. Irgendwann in der nächsten Stunde werden Raoni Metuktire und seine Leute hier ankommen. Alle sind von ein und dem selben Kayapo-Stamm. Die Bestätigung kam vor 10 Minuten über das Satellitentelefon. Am anderen Flussufer, genau im meinem Blickfeld, liegt der Landesteg. Dort werden sie festmachen um auszusteigen. Die Schussentfernung beträgt knapp 400 Meter sagt der Laser-Entfernungsmesser. Perfekt. Hier über dem Fluss stört der Regen den Blick nicht so stark. Im Zielfernrohr werde ich den Häuptling sehen können, als ob er neben mir stünde. Den Sprengstoff habe ich direkt am Steg versenkt. Ich schaue auf den Fernzünder. Die LED leuchtet grün, die Verbindung steht. Wenn der Häuptling ankommt, werde ich ihn erschießen. In den Kopf, direkt unter dem gelben Federschmuck. Dann den Sprengsatz zünden. Den Rest werden die Piranhas erledigen. Ironie des Schicksals, wenn gerade Tiere dem berühmten Naturschützer den Rest geben. Das gefällt mir. Er wäre besser in seinem Dorf geblieben und hätte billigen Fusel getrunken statt diesen internationalen Rummel anzuzetteln. Er hätte sich viel erspart.
Nach der Detonation bleiben mir vier Stunden, den Hubschrauber-Landeplatz zu erreichen, an dem sie mich vorgestern abgesetzt hatten. Kein Problem, mit dem kleinen, flachen Glasfaserboot. Die Tanks sind voll. Es war klug, den Weg hierher ohne Motor zurück zu legen. Sparsam und lautlos. Ich muss lächeln. Es ist ein grimmiges Lächeln. Gute Planung ist wichtig und ich bin bekannt für präzise Planungen. Und die Ausrüstung ist wichtig. Ich schaue nach rechts, wo ich das Boot am Ufer versteckt habe. Mit seinem getarnten Rumpf, dem kraftvollen Antrieb und der Höchstgeschwindigkeit von über 60 Stundenkilometern ist es ausgesprochen nützlich. Auch Sprengstoff und Fernzünder sind das Beste, was der Markt hergibt. Meine Auftraggeber haben sich nicht lumpen lassen. Ich weiß natürlich nicht, wer sie sind. Der Kontakt lief verschlüsselt über das Darknet, die Bezahlung erfolgt wie immer in Bitcoins. Sicher ist sicher. Aber ich ahne, wer dahinter steckt: Kraftwerke/Staudämme, Bergbau oder Drogen. Jemand mit viel Geld und Einfluss will dieses Stück vom Amazonas und die Kayapo stehen im Weg. Wenn zwei sich streiten … bin ich der Dritte. Ich erledige das Problem lautlos und endgültig.
Plötzlich schreit irgendein Vogel über mir in den Baumkronen. Es klingt schaurig und ich zucke zusammen. Wieder fluche ich leise: Mich von meinen Gedanken ablenken lassen, wie ein Anfänger. Verdammter Mist. Ich reiße mich zusammen und schaue auf die Uhr. Zeit, die Remington fertig zu machen. Sorgfältig lege ich die Box auf den Boden und öffne die Schnallen. Den Zusammenbau habe ich tausende Male geübt, das beruhigt mich. Den Lauf in den Schaft drehen. Mit einem präzisen Klicken rastet er ein. Die Schulterstütze ausklappen und den Schalldämpfer auf den Lauf schrauben. Das Metall ist feucht und ich muss nachfassen. Dieser Scheiß-Regen hört einfach nicht auf. Ich nehme das Fernrohr aus seiner Hülle und schiebe es über die geriffelte Schiene oberhalb der Kammer. Eine Kerbe in der mannshohen Wurzel des Kapok dient als Stütze und ich schaue durch das Visier. Die Anlegestelle ist perfekt sichtbar. Gerade als ich am Visier die Entfernung einstellen will, sehe ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung.
Ich drehe mich um und erstarre. Der Leopard ist höchstens zwei Meter von mir entfernt. Er steht auf dem umgestürzten Baum, der Versteck nach links begrenzt. Aus dieser Höhe könnte er mich mit einem Satz erreichen. Ich verkneife mir den Fluch. »Nur nicht bewegen«, sage ich mir. Der Jaguar duckt sich und ich sehe die Muskeln unter seinem schwarzen Fell. Die grünen Augen fixieren mich. Warum hat er grüne Augen? Seltsam, was mir in solchen Momenten durch den Kopf geht. Jetzt zieht er die Lefzen hoch und zeigt die Zähne. Anders als Löwen und Tiger brüllt er nicht. Die Drohung ist lautlos. Trotzdem unmissverständlich. Die Remington zeigt in eine ganz andere Richtung und so lasse ich die Hand zu meinem Messer gleiten. Langsam, so langsam ich nur kann. Der Jaguar bewegt sich kaum, nur seine Augen folgen meiner Hand. Mit nichts als einem Messer habe ich keine Chance gegen so ein Raubtier. Ich spüre kalten Schweiß. Er tropft mir aus den Haaren in den Nacken und rinnt die Wirbelsäule entlang. Mein Herz rast. Der Jaguar bewegt sich immer noch nicht, nur sein Schwanzspitze streicht langsam von einer Seite zur anderen.
Dann ist er plötzlich weg. Ansatzlos hat er sich umgedreht und ist einfach weg. Wie erstarrt stehe ich da. Ich muss blinzeln und schüttle den Kopf. Für einen Moment dachte ich, hinter dem Raubtier einen Federschmuck gesehen zu haben und menschliche Augen. Angestrengt spähe ich in das grüne Zwielicht unter den Bäumen und versuche, den Bildern in meinem Kopf einen Sinn zu geben. Als hätte der Jaguar einen geisterhaften Begleiter gehabt. Mir schießen die Videos der letzten Umwelt-Konferenz in den Kopf, die mir meine Auftraggeber geschickt hatten. Die Zielperson war immer markiert. Und in allen Aufnahmen war, nur wenige Schritte hinter dem Häuptling, eine andere Gestalt zu sehen gewesen. Sie hielt sich im Hintergrund, aber der ganze Körper hatte Wachsamkeit ausgestrahlt. Mir sind in meinem Leben schon viele gefährliche Menschen begegnet und ich habe sehr feine Antennen für sie. Und schon lange hatten sich meine Antennen nicht mehr so deutlich gemeldet, wie bei diesem Mann. Er hatte sich kraftvoll bewegt, mit zielgerichteter Leichtigkeit, seine dunklen Augen immer in Bewegung. Ein gefährlicher Mensch, sehr gefährlich. Ich hatte ihn für einen Leibwächter oder einen Schamanen gehalten, mit seinem Kranz aus grünen Federn um den Hals. Und genau diese Federn hatte ich jetzt hinter dem Jaguar gesehen. Und dunkelgrüne Augen, kaum sichtbar im Schatten. »Einbildung, alles Einbildung«, versuche ich mir einzureden. Aber meine Hände zittern unkontrollierbar und der Regen hört einfach nicht auf.
Mein Körper atmet weiter. Minutenlang bin ich im Schock, aber mein Körper atmet von allein. Flach zwar, aber er atmet. Wieder versuche ich, meine Atemzüge zu kontrollieren. Als ich gerade anfange, ruhiger zu werden sticht mir irgend etwas in den Nacken. Es brennt wie Feuer und ich lasse das Messer fallen, um panisch danach zu schlagen. Ich erwische das Insekt mit der flachen Hand und schaue es an. So etwas habe ich noch nie gesehen. Wie eine Mischung aus Libelle und Wespe. Eine blau-grüne, wiederliche Wespe. Sie windet sich in meiner Hand und spüre den Ekel in mir aufsteigen. Aber ich kann keinen Stachel erkennen. Dann wird mir klar: der Stachel steckt immer noch in meinem Hals. Der Ekel überwältigt mich so plötzlich, dass ich mich unkontrolliert übergeben muss. Der ganze Wald bekämpft mich, selbst die Insekten. Meine Knie werden weich, die Stiefel rutschen im Schlamm aus. Zitternd halte ich mich an der rauen Rinde des großen Kapok-Baumes fest, um nicht ganz umzukippen. Versuche, meinen Körper wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ich … muss … mich … zusammen reißen.
Irgendwo im Hintergrund höre ich Stimmen, singende Stimmen. Die Leute des Häuptlings singen beim Rudern. Sie kommen! Jetzt muss mein Körper funktionieren. Das Adrenalin bringt mich wieder auf die Beine. Ich greife nach meinem Gewehr, lehne mich an den Stamm und lege den Schaft der Waffe sicher in die Kerbe der Wurzel. Wie vorher geübt. Aus der Schlaufe am linken Arm hole ich eine Patrone und lasse sie in die Kammer gleiten. Das kühle Metall des Gewehrs beruhigt mich. Automatisch falle ich in die Block-Atmung, atme zählend ein und aus, mit Pausen dazwischen. Mir ist immer noch übel, aber das Zittern meiner Hände lässt nach. Vierhundert Meter, das müsste auch so klappen. Ich stelle das Visier nach und sehe die Boote um die Flussbiegung kommen. Der Häuptling sitzt in der Mitte des Bootes und schaut nach vorn. Gut. Den Fernzünder lege ich neben das Gewehr. Die Boote kommen näher, die Ruderer zeigen auf den Steg und ändern ihren Takt. Noch zehn Sekunden.
Dann höre ich die Stimme hinter mir. Ich drehe mich um. Dieses Mal nehme ich die Remington mit in die Drehung. Der Fernzünder fällt in den Schlamm. Aber der Mann vor mir ist wichtiger. Ich erkenne die grüne Federkette an seinem Hals. Und die grünen Augen. Er hat Augen, wie der Jaguar an seiner Seite. Sein Gesicht ist bemalt, schwarze Linien senkrecht unter den Augen. Die gleichen Linien winden sich auch um den nackten Oberkörper. Ich habe ihn unterschätzt. Er ist noch gefährlicher, als ich dachte. Seine Augen und seine Bewegungen sind die eines Jaguars. In seiner rechten Hand hält er einen rituellen geschnitzten Stab. Früher hätte ich darüber gelacht. Jetzt packt mich die Angst.
Dann spricht er mit ruhiger Stimme und obwohl ich seine Sprache nicht kenne, verstehe ich ihn. »Der Wald hat genug«, sagt er. Seine Stimme dröhnt in meinem Kopf. »Die Erde hat genug. Eure Zeit ist vorbei.« Er zeigt mit dem Stab auf mich. Da erst fällt mir auf, dass der Jaguar an seiner Seite ein Weibchen ist, kleiner als der Jaguar von vorhin. Wo der Große ist, merke ich erst, als er mich anspringt. Es ist als käme er aus dem Nichts. Seine Tatze trifft mich am Hals. In mir explodiert der Schmerz. Das Gewehr fällt mir aus der Hand und ich rutsche am Stamm des alten Kapok-Baumes nach unten. Mein Gesicht landet im Schlamm, der sich langsam mit meinem Blut vermischt.
Dann ist da nur noch Stille und Schwärze. Ich sterbe.
Und der Regen hört nicht auf.