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- 03.07.2004
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Amica Silvana
Die Rodung des Regenwaldes am Amazonas war ins Stocken geraten. Die weitere Urbarmachung und Besiedelung des nutzlosen Urwaldes war gescheitert. Die Holzindustrie hatte sich anderen lukrativen Wäldern zugewandt und die landlosen Bauern waren fortgezogen. Aber das undurchdringlich scheinende Grün übte auf manche Menschen einen unwiderstehlichen Reiz aus und so drangen immer wieder Expeditionen von Abenteurern und Wissenschaftlern in das Dickicht ein. Entweder kamen sie nach wenigen Tagen erschöpft und frustriert wieder aus dem Urwald heraus oder man hörte und sah nichts mehr von ihnen.
Die elfte Amazonasexpedition hatte sich sorgfältig vorbereitet. Die vorherigen Erkundungen mussten zwar nach wenigen Tagen aufgeben, aber die Teilnehmer waren zurückgekehrt und hatten ihre Erlebnisse weitergeben können. So drang auch diese Gruppe behutsam und aufmerksam in den Wald ein. Nach vier Tagen mit vielen interessanten Tieren und Pflanzen, aber ohne besondere Vorkommnisse erreichten die acht Personen eine kleine Lichtung an deren Rand ein selbst für den Urwald gigantischer Baum stand. Es gelang ihnen nicht, ihn zu umschreiten, da er von dornigen Rankenpflanzen überwuchert war. Der Baum und seine Umgebung schienen ihnen ein lohnendes Forschungsobjekt zu sein und so schlugen sie auf der Lichtung ihr Lager auf. Aber in der Dämmerung des nächsten Tages waren laute Vogelrufe zu hören und der Ornithologe meinte, es handele sich um einen seltenen Vogel, den sie unbedingt finden müssten. Und so brachen die Wissenschaftler eilig auf, diesen Vogel zu suchen. Ute, Mädchen für alles in der Expedition, blieb alleine zurück, um ihr Tagewerk zu verrichten - spülen, aufräumen, Essen zubereiten und andere unbedeutende Kleinigkeiten.
Ute störte sich nicht an ihren Aufgaben, sondern träumte beim Aufräumen vor sich hin. Sie war Sekretärin am Forschungsinstitut, aber anders als die Wissenschaftler hatte sie sich gar nicht darum bemüht, an der Expedition teilzunehmen. Sie verreiste wenig, sondern betreute lieber ihren kleinen Bruder, mit dem sie zusammen wohnte. Er war vier Jahre jünger als sie und war blind geboren worden. Ute hing sehr an ihm und schon als kleines Mädchen hatte sie geübt, mit geschlossenen Augen durch die Wohnung zu gehen, um die bilderlose Welt ihres Bruders besser zu verstehen. Sie hatte dann gelernt, Blindenschrift zu lesen und konnte natürlich blind Maschineschreiben, aber sie hatte auch manches andere eher spielerisch gelernt. Ihr Schreibtisch war immer aufgeräumt, sie wußte immer, was wo war und konnte sich schnell zurechtfinden - in schwierigen Situationen ebenso wie in unbekanntem Gelände. Deshalb wurde sie auch sofort ausgewählt, als sie sich um die Teilnahme bewarb. Warum sie mitgefahren war, war ihr immer noch nicht so recht klar. Irgendwie hatte sie das Gefühl gehabt, sie sollte an dieser Expedition teilnehmen und ihr Bruder hatte sie darin bestärkt. Diese eigenartige Erfahrung, als ob jemand an ihr zöge, war bei der Landung auf dem kleinen Flugplatz am Rand des Urwalds stärker geworden.
Ute schreckte aus ihren Träumen hoch und merkte, dass sie sich auf den Baum zu bewegte. Sie drehte sich um und erledigte weiter ihre Arbeit. Aber immer wieder schaute sie zu dem Baum hinüber, der die Lichtung überragte. Die herabhängenden Rankenpflanzen umgaben den Baum wie ein grüner Vorhang, der sich im Wind sanft bewegte.
Ute hängte den letzten Schlafsack zum Lüften an die Leine, die sie zwischen den Zelten gespannt hatte und dabei fiel ihr ein Spiel ein, das sie als Kinder oft gespielt hatten. Sie schloß ihre Augen, drehte sich ein paarmal um sich selber und ging dann mit geschlossenen Augen mehrere Schritte. Früher hatte sie bei diesem Spiel den richtigen Weg in die Küche nur mit der Nase gefunden, aber jetzt war es irgendetwas anderes, was ihr den Weg wies. Als sie die Augen öffnete, sah sie direkt auf den Baum, die Rankenpflanzen schienen sich geteilt zu haben wie ein Vorhang und im graugrünen Baumstamm zeigte sich ihr ein breiter tiefdunkler Spalt. Ute ging langsam auf diesen Spalt zu und erkannte, dass er mehrere Meter hoch reichte. Wie ein Tor führte er in den Baum hinein und Ute durchschritt diesen Eingang, hinter dem sie nichts sehen konnte. Aber ihr kam gar nicht in den Sinn, sich vorsichtiger zu verhalten. Auch die kühl überlegende und aufmerksam beobachtende Sekretärin am Forschungsinstitut war gerne einmal spontan und die kleine Göre Ute, die ja schon aus der Vergangenheit aufgetaucht war, stürzte sich gerne kopfüber in ein neues Abenteuer.
'Wenigstens nicht kopfüber', dachte Ute, als sie in die Baumhöhle trat, der Boden unter ihr plötzlich nachgab und sie ins Rutschen kam. Erst war sie erschrocken, aber dann schoß ihr durch den Kopf 'wie in der Röhre im Abenteuerbad' und dann hörte die Rutschpartie schon auf und sie lag ein wenig benommen auf dem Rücken. Licht gab es nicht, aber sie war es ja gewohnt, ohne Sehen zurechtzukommen und so begann sie, ihre Umgebung zu erkunden. Sie lag wohl auf einer glatten Fläche, denn Unebenheiten konnte sie unter ihrem Körper nicht fühlen. Langsam streckte sie ihre Hände aus und ertastete an den Seiten und über sich leicht klebrige Wände, die unter dem Druck ihrer Finger ein wenig nachgaben. Es war eigentlich ein angenehmes Gefühl, über diese Flächen zu streichen, die etwa die gleiche Temperatur aufwiesen wie ihr Körper. Die kleine abenteuerlustige Ute und die kühle Sekretärin taten sich in ihrem Kopf zusammen und versuchten, die Situation zu analysieren. 'Das kann nicht der Bau eines großen Tieres sein', sagte sie sich. 'Die Wände sind zu glatt und zu warm.' Sie atmete tief ein und schnüffelte dann überrascht. Die Luft hatte einen würzigen, erdigen Geruch. 'Gar nicht modrig, und Tiere kann ich auch nicht riechen.' Trotzdem fühlte sie sich in dieser Röhre gefangen und die kleine Ute bekam ein wenig Angst, dass sie hier steckenbleiben könnte. 'Hoffentlich geht es weiter und ein wenig heller könnte es gerne sein.'
Jetzt begannen die Wände heller zu werden. Ein sanftes grünes Licht breitete sich über sie aus und nun ging auch die Rutschpartie weiter, bis Ute mit einem leichten Plumps in einem Sessel landete. Jedenfalls kam es ihr so vor. Sie strich über die Lehnen, auf denen ihre Arme lagen. Die fühlten sich wie Leder an, waren aber auch klebrig und dieser Klebstoff blieb an ihren Händen hängen. In einem Anfall von Wagemut steckte sie ihren Zeigefinger in den Mund und leckte ihn ab. 'Süß' stellte sie fest und leckte weiter. In dem immer heller werdenden Licht konnte sie jetzt erkennen, dass sie in einer kugeligen Höhle gelandet war mit grün leuchtenden Wänden und einem kleinen tiefblauen Teich am Boden. Aber die Höhle war völlig leer. 'Eigentlich sollten doch Wurzeln von der Decke herabhängen, wenn ich unter dem Baum bin und Tiere scheint es hier auch nicht zu geben, jeenfalls raschelt hier nichts und es ist auch nichts zu sehen.'
Einige Fledermäuse flogen lautlos so dicht über ihren Kopf hinweg, dass sie zusammenzuckte. Aber keine Fledermaus blieb in ihren Haaren hängen, sondern sie hängten sich kopfüber an die Decke und falteten ihre Flügel zusammen. Jetzt konnte Ute auch erkennen, dass die Fledermäuse an dicken Wurzeln hingen, die sich über die Decke schlängelten. Sie schaute auf die Wurzeln, ließ sich das bisherige Geschehen durch den Kopf gehen und merkte, dass die kleine Ute in ihr noch ängstlicher wurde. Sie versuchte, ruhig zu atmen und sich selbst zu beruhigen. 'Keine Panik. Denk logisch nach. Aber das kann doch alles nicht sein, bin ich überhaupt wach? Ich höre nichts, es ist hier völlig still, aber unheimlich kommt es mir trotzdem nicht vor. Das ist sehr seltsam.'
Die Wände strahlten jetzt ein warmes gelbes Licht aus und Ute hörte gluckernde Geräusche. Sie sah auf die Wurzeln an der Decke. Waren das etwa Rohre? Nein, sie sahen eindeutig wie Wurzeln aus, aber sie schienen leicht zu pulsieren wie Adern. Wenn sie sich konzentrierte, hörte sie es in den Wurzeln rauschen und gluckern. Und sie hörte manchmal helle, fiepende Töne von der Decke. 'Woher kommen diese Töne?' Sie beobachtete die Decke genau und dann wurde ihr klar, dass die Fledermäuse ab und zu pfiffen. 'Fledermäuse kann das menschliche Ohr doch gar nicht hören. Das ist alles sehr eigenartig. Ich denke, die Rutschpartie sollte weitergehen und ich rutsche weiter. Ich denke, es sollte heller werden, und schon beginnen die Wände zu leuchten. Leuchtende Wände gibt es aber nur im Film oder in Büchern. Ich denke, dass es still ist und schon höre ich Geräusche. Wenn ich etwas denke, geschieht es. Auch das kann nicht sein. Vielleicht habe ich einen Traumpilz gegessen? Vielleicht bekomme ich ja auch Antworten, wenn ich Fragen denke. Also: Wo bin ich bloß gelandet?'
Leises Gelächter erfüllte ihren Kopf. 'Du bist in mir und ich bin ein Baum.'
'Wieso, aber, sprechende Bäume, das gibt es doch gar nicht.'
'Ich sehe deine Gedanken und sende dir meine Gedanken als Bilder, die du fühlen kannst.'
'Ich hoffe, ich träume nicht. Aber ich bin noch nie einem denkenden Baum begegnet, dennoch kommt mir das alles hier selbstverständlich vor.'
Das Licht in der Höhle wurde leicht rosa. Auch die Gedanken, die Ute nun vernahm, klangen verlegen: 'Ich halte deine Gefühle umfangen, so dass sie nicht überschäumen können. Ich brauche dich und ich möchte, dass du mir in Ruhe zuhören kannst.'
Ein tiefes Grummeln in ihrem Inneren schreckte Ute aus ihren Gedanken. 'Ich bin verwirrt, mein Kopf ist voller Fragen, aber mein Magen will offensichtlich erst einmal essen.'
'Das Wasser kannst du trinken und die Pilze sollten dir gut schmecken.'
'Welche Pilze?', dachte Ute und sah sie dann neben dem Teich aus dem Boden schießen. In kürzester Zeit entwickelten sie große Hüte wie Champignons. Ute stand auf, ging zu dem Teich, kniete sich hin und schöpfte mit beiden Händen Wasser. Es war kühl und fühlte sich angenehm frisch an. Sie nahm einen tiefen Schluck. Das Wasser erfrischte sie und sie nahm einen weiteren Schluck, den sie einen Moment auf ihrer Zunge behielt. Das Wasser hatte einen intensiven Geschmack, irgendwie erdig und doch süß. Dann brach sie sich einen Champignon ab und biss hinein. Sie vertraute dem Baum, dass er ihr keine giftigen Pilze vorsetzen würde. Der Pilz schmeckte nicht einfach gut, wie der Baum zu ihr gedacht hatte, sondern köstlich. Bedächtig aber zielstrebig erntete Ute einen Pilz nach dem anderen und kaute sie genüsslich, bis sie satt war. Sie nahm noch einige Schlucke Wasser und legte sich dann auf den Boden. Die Fledermäuse hingen über ihr an der Decke und schienen ihr zuzublinzeln. Ute merkte, dass nicht nur ihr Hunger gestillt war. Auch ihre Fragen schienen erledigt zu sein, jedenfalls fand sie keine mehr in ihrem Kopf, außer einer: 'Wozu brauchst du mich?'
'Ich stehe schon sehr lange in diesem Wald und ich denke auch schon sehr lange. Aber ich habe lange Zeit kaum über mein Territorium hinausgedacht. Es gibt andere Bäume, die auch Intelligenz entwickelt haben und wir haben uns dann und wann ausgetauscht. Wir leben im Einklang miteinander und mit den Pflanzen und Tieren und auch mit den wenigen Menschen, die im Wald ihre Heimat gefunden haben. Dann kamen neue Menschen. Und die wollten nicht mit uns und mit der Natur leben. Lange haben wir sie gewähren lassen, aber als der Wald zu sterben drohte, beschlossen wir, einzugreifen. Wir bauten einen Schutzwall aus Gedanken, Ranken, Gefühlen und Dornen. Die Raubtiere setzten wir als Patrouillen ein und jetzt kommt niemand in den Wald, wenn wir es nicht wollen.'
'Das klingt wie ein Heile-Welt-Märchen. Soll ich das jetzt den Menschen erzählen? Das würde mir doch niemand glauben. Und wenn doch, was würde es nützen. Die Menschen haben viele andere Möglichkeiten, die Natur zu zerstören.'
'Wir können nur wenig tun, das haben wir auch erkannt. Aus den Erzählungen der Menschen, die mit uns im Wald gelebt haben, wissen wir, dass wir ganz anders sehen als die Menschen. Ich fühle Wärme und Licht, die du ausstrahlst und ich höre deine Gedanken. Die Luft riecht anders, wenn Regen oder Sturm kommt. Ich kann die Erde schmecken und so mit meinen Wurzeln die Stoffe finden, die ich zum Leben brauche. Aber meine Sinne sind ganz anders als deine. Wir sind nur einige intelligente Bäume. Die anderen Lebewesen im Regenwald können wir zwar beeinflussen, aber wir können uns nicht mit ihnen austauschen. Doch es gibt andere intelligente Bäume, weit weg von uns. Wir können ihre Gedanken schwach in der Luft wahrnehmen, aber wir können ihnen nicht näherkommen. Wir brauchen jemanden, der sich für uns auf die Suche nach ihnen begibt.'
'Das verstehe ich', sagte Ute nach einer Weile. 'Aber wie soll ich diese anderen Bäume erkennen?'
'Darüber haben wir Bäume lange nachgedacht. Wir können unsere Sinne nicht austauschen, denn wir haben keine Augen oder Nasen. Wir haben viele Zellen, mit denen wir unsere Umgebung wahrnehmen und erkennen können. Und von diesen Zellen möchte ich dir einige abgeben. Du wirst dann ein wenig baumisch und ich erfahre ein wenig mehr über dich. Das wird hoffentlich genügen.'
'Aber wie soll das gehen?' Utes Denken verstummte und sie schaute fasziniert zu, wie sich mehrere Wurzeln von der Decke lösten und zu ihr herabsenkten. Langsam tasteten sich die Wurzelenden an sie heran und wanden sich dann um ihre Finger, ihre Arme und Beine. Sie schloß die Augen, um nicht in Panik zu geraten und versuchte ruhig und langsam zu atmen. Die Wurzeln kitzelten ein wenig, aber es war kein unangenehmes Gefühl. Schließlich war Ute eingehüllt in ein Wurzelgeflecht wie in einen warmen kuscheligen Kokon. Langsam schlief sie ein.
Wie lange sie geschlafen hatte, wußte sie nicht, aber als sie aufwachte, lag sie auf der Lichtung. Es war noch hell, die Affen schrien, die Vögel strebten ihren Schlafbäumen zu, die Wissenschaftler standen um sie herum und der Expeditionsleiter schien kurz vor der Explosion zu stehen: "Du liegst hier mitten im Urwald und schläfst einfach! Das ist doch unverantwortlich! Und Essen hast du auch nicht gemacht!"
Aber Ute hörte seine Worte kaum, denn ihre neuen Sinne stürzten wie ein Wasserfall auf sie ein. Sie lächelte die Wissenschaftler an. "Mir ist nicht gut, macht euch doch bitte selber euer Abendessen." Langsam erhob sie sich, ging in ihr Zelt und verschloss ihre Ohren vor dem aufgeregten Gerede der Männer.
Im Zelt legte sie sich auf ihren Schlafsack und dann wurde ihr bewusst, dass sie tatsächlich ihre Ohren geschlossen hatte. Jedenfalls hörte sie nichts mehr. Einen Augenblick überlegte sie, wie ein Leben ohne Hören wohl aussähe, aber dann wurde ihr bewusst, dass sie etwas hörte, aber anscheinend nicht mit ihren Ohren. 'Womit höre ich denn nur?', dachte sie.
'Ich spüre meine Umgebung durch meine Blätter und meine Wurzelspitzen und bei dir wird es wohl genau so sein.'
Ute lachte: 'Aber ich habe doch keine Blätter und keine Wurzeln.'
'Aber so habe ich dich gesehen: einen kleinen Baum, der seine Zweige hin und her bewegt und mit seinen Wurzeln über die Erde gehen kann.'
Ute stand langsam auf und bewegte ihre Hände hin und her. Tatsächlich, die Geräusche, die sie spürte, änderten sich. Vielleicht konnte sie mit ihren Händen feststellen, woher diese Geräusche kamen. Aber das wollte sie jetzt nicht weiter untersuchen, heute wollte sie im Zelt bleiben. Sie zog ihre Schuhe und Strümpfe aus, hob in einer Ecke die Bodenplane hoch und stellte sich auf den Erdboden. Sie konnte tatsächlich etwas fühlen, irgendwie schmeckte die Erde abgestanden und faulig, aber das erschien ihr doch seltsam. 'Was ist das', fragte sie.
'Schlechter Boden, auf dem nicht viel wachsen kann', entgegnete der Baum.
'Und was höre ich?'
Der Baum schien einen Moment zu lauschen: 'Ich kann einige Fledermäuse hören, aber sonst ist es still. Das Licht scheint nicht mehr und dann gibt es nur wenige Geräusche.'
'Ich bin schon wieder müde', dachte Ute, schlüpfte einfach in ihren Schlafsack und schlief sofort ein.
Am nächsten Morgen wachte sie erfrischt auf, wusch sich kurz und zog frische Kleidung an.
"Geht es dir wieder besser", fragten besorgt die Expeditionsteilnehmer, die versuchten, alleine das Frühstück zu bereiten.
"Es geht mir hervorragend. Ich glaube ich habe mir gestern den Magen verdorben und dann habe ich komische Sachen geträumt." Ute machte sich sofort an ihre Arbeit und nachdem die Männer versorgt waren, zogen sie los, endlich den Baum zu erforschen. Auch Ute nahm ihre Forschungen auf. Die Männer schauten nicht zu ihr hin, sonst hätten sie sich wohl gewundert, dass sie mit nackten Füßen und weitausholenden langsamen Armbewegungen über die Lichtung schritt, sich immer wieder herumdrehte, dann innehielt, um ihren eigenartigen Schreittanz wieder neu zu beginnen. Sie lernte mit dem Baum zusammen sehr schnell, ihre neuen Sinneseindrücke zu erkennen und zu benennen. Sie konnte verschiedene Tiere an ihren Ultraschalltönen unterscheiden, sie spürte in ihren Fingern das herannahende Gewitter und sie konnte mit ihren Füßen Wasseradern und nährstoffreiche Erde aufspüren. Aber das interessanteste war der Baum. Seine Blätter strahlten ein sanftes Grün aus, das sie selbst in der hellen Mittagssonne deutlich sehen konnte.
Nach zwei Tagen brach die Expedition ihr Lager ab und drang weiter in den Urwald vor. Ute traf noch zwei leuchtende Bäume und konnte die Männer überzeugen, in der Nähe der Bäume jeweils ihr Lager aufzuschlagen. Sie sprach lange mit den beiden Bäumen und lernte auch von ihnen, ihre neuen Sinnen einzusetzen. Aber die Vorräte gingen langsam zur Neige, die wild wachsenden Früchte bekamen einigen Expeditionsteilnehmern gar nicht und so mussten sie sich auf den Weg zurück in die Zivilisation machen.
Ute war ein wenig deprimiert. Wie sollte sie jetzt in die anderen Länder kommen und dort nach Bäumen suchen. Sie hatte sich noch gar keine Gedanken darum gemacht. Und konnte sie ihren Bruder einfach für längere Zeiten alleine lassen?
Als sie zu Hause ankam, im kalten grauen Regen in der großen Steinwüste, wurde sie von der Sehnsucht nach dem Baum und dem Wald beinahe überwältigt. Die überfüllte U-Bahn besserte ihre Laune auch nicht und dann stand sie vor ihrem Haus mit dem kümmerlichen Bäumchen im Vorgarten, das ihr krank und leidend erschien. Mit einem Seufzer öffnete sie die Wohnungstür und da stand ihr Bruder vor ihr, umgeben von einem sanften gelben Leuchten, er schien ihr wie ein kleiner Baum. Und da erkannte sie, dass sie nicht allein war und auch ihr Baum würde nicht mehr allein sein. Die Suche konnte beginnen.