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Amputation 2 - Salems Cut
Dunkelheit ... Dickflüssige Luft ...
Der Mond … das einzige, was hin und wieder seine dürftige Reflexion durch die Wolkendecke wirft, lässt die Umgebung in diffusem Glanz erscheinen.
Ich schreite über schwammigen Boden, die Assoziation an durchweichten Rasen drängt sich mir auf. Morast quillt zwischen den Zehen hindurch, der Geruch gleicht dem eines pilzbefallenen Kellergewölbes. Meine Augen brennen, starren krampfhaft in das Grau vor meinem Gesicht.
Wo will ich hin?
Die Luft ist schwer.
Träge … zähflüssig … dringt sie durch meinen geöffneten Mund in die Lungen. Das Gefühl zu ersticken macht sich in meinem Kopf breit. Ich versuche mehr dieser gallertartigen Masse in mich hineinzusaugen. Immer mehr, bis der Brustkorb schmerzt. Winzige Nadeln wühlen sich durch mein Inneres, scheinen jedes Lungenblässchen einzeln zu durchdringen, reißen es auseinander, wüten berserkergleich durch die Zellen. Sauerstoff!
Ich will nicht ersticken. Ich schlucke, versuche meine Gedanken nicht auf das Atmen zu konzentrieren. Nicht nachdenken …
Wo bin ich?
Ein schmatzendes Geräusch unter meinen Füßen.
Ich blicke hinunter, doch da ist nichts. Nichts, außer diesem stinkenden Schlamm zwischen meinen Zehen. Nebel entsteht, windet sich aus der braunen Masse hervor wie Maden aus einem zerrissenen Kadaver, umhüllt verlangend meine Beine. Er schmeichelt meiner Haut unter der Hose, einer sanften Berührung zarter Hände gleich.
Es ist ein Traum. Ich befinde mich in einem Traum. Wenn ich jetzt panisch die Flucht ergreifen würde, der Schlamm hielte mich fest, die Nebelmaden würden sich durch meine Haut bohren, mich in schmerzhafter Bewegungslosigkeit erstarren lassen. Ein Albtraum.
Ich zucke zusammen. Ein Knacken in meiner unmittelbaren Umgebung.
Verschwinde! kreischt es durch meinen Kopf. Ich weiß nicht, warum, aber ich spüre, dass ich es tun sollte. Obwohl nur für den Bruchteil einer Sekunde zu hören, bohrt sich das Geräusch in meinen Verstand. Verschwinde!
Meine Augen versuchen etwas zu erkennen, doch das Licht des Vollmondes ist durch die dichten Wolken auf ein Minimum gedimmt. Meine Beine verharren in der grauen Schicht. Der Schlamm wird kälter. Ich hoffe, dass es noch Schlamm ist. Ich spüre den Herzschlag in jeder Pore meines Körpers, er hallt durch meinen Kopf. Immer lauter, unregelmäßiger. Mein Gehörsinn peilt in das Wabern vor meinen Augen, doch lediglich miteinander ringende Schatten tanzen ihren beängstigenden Reigen. Was hatte ich gehört?
Ich sehe die Stämme der umstehenden Bäume, schemenhaft. Sie wirken auf mich, wie eine starre Armee drohender Zinnsoldaten, lauernd, jeglicher Bewegung beraubt, genau wie die gigantisch trächtige Wolkenfront über meinem Kopf, die aussieht, als wären schwangere Leiber miteinander verschmolzen. Gleich wird der Mond hervorbrechen. Ich fühle es.
Wieder dieses knackende Geräusch. Irgendjemand schleicht durch das Unterholz. Irgendjemand bewegt sich auf mich zu, geschützt durch die in strenger Reihe angeordneten Baumsoldaten, geschützt durch die dichte Wolkenschicht. Noch!
Ich weiche einen Schritt zurück. Wo bin ich hier?
Die nicht vorhandene Erinnerung schmerzt. Ich weiß weder wo, noch wie ich hierher gekommen bin. Ich weiß nur, dass ich träume. Ich hoffe es.
Eine beinahe sinnliche Kälte umschlingt meinen Körper. Ich bin nackt. Meine weiße Männlichkeit stiert mich an, reckt sich der aufplatzenden Wolkendecke entgegen. Warum jetzt? War ich nicht vor Sekunden noch angezogen? Meine Beine zittern, die Erregung in den Lenden nimmt zu.
In diesem Moment bricht der Mond durch die Wolkenfront, und die dunkle Gestalt zwischen den Bäumen taucht auf wie eine billige Überblendungsszene in einem sechziger Jahre Film.
Ein wehendes, grünes Gewand umgibt sie. Ein Operationsmantel. Ich muss grinsen, erkenne einen länglichen Gegenstand in ihren Händen. Meine Standfestigkeit erschlafft.
Langsam setzt sich die Person in Bewegung. Ich erstarre, meine Mimik gefriert zu einer grotesken Maske der aufkeimenden Panik. Ich kann nichts tun.
Das bleiche Gesicht tritt in das Mondlicht ein und Professor Hartwig grinst mich an. Ich will schreien, doch der einzige Laut, der meinem Körper entweicht, ist das Plätschern meines Urins auf den schlammigen Boden.
Der Professor hebt die Sense in die bleierne Luft. „Sie werden alles spüren!“ Seine Stimme keift weibisch. „Das verspreche ich Ihnen!“
Ich weiche zurück, der Kloß in meinem Hals droht mich zu ersticken, mein Fuß versinkt im Schlamm. Ich blicke nach unten. Der Morast umschließt inzwischen meinen Unterschenkel. Er bewegt sich, betreibt Fellatio mit meinem Bein.
Professor Hartwig steht vor mir. Die Sense blinkt für einen winzigen Moment im unbefleckten Mondlicht, bevor ihr blankes Metall durch die Luft pfeift. Ich spüre einen kurzen Ruck in meinem linken Bein. Wieder weiche ich zurück; diesmal geht es. Der Professor grinst.
Ich merke, wie ich mein Gleichgewicht verliere. Irgendetwas stimmt nicht.
Ich blicke hinab und sehe mein abgetrenntes Bein einen halben Meter vor mir im Schlamm stecken. Der Knochen glänzt unnatürlich weiß, bevor quellendes Rot ihn umschließt. Ein winziger See entsteht, steigt an und ergießt sich wenig später schillernd über die bleiche Haut. Mein rechtes Bein knickt im Gelenk; beißender Schmerz durchfährt meinen Körper, als ich mit dem blutenden Stumpf des Linken aufschlage.
Ich strecke meine Arme nach vorn, der Gestalt des Professors entgegen. Wieder vernehme ich das Zischen der langen Klinge, sehe seine grinsende Fratze. Meine Unterarme wirbeln dem sanften Mondlicht entgegen, sehen aus, als wollen sie die runde Scheibe umarmen, bevor sie mit einem klatschenden Laut auf dem feuchten Boden aufschlagen. Ein kurzer, grotesker Applaus. Klatsch – Klatsch.
Ich blicke auf meine Stümpfe, die, Altarkerzen gleich, der grünen Gestalt huldigen. Purpurne Bögen, die mein Herzmuskel aus den Adern pumpt, bilden einen harten Kontrast in dem bleichen Gesicht des Professors.
Ich schreie ...
… ich reiße die Augen auf.
Das Licht brennt, doch es stört mich nicht. Es ist da. Schwach, aber es ist da.
Schweiß perlt von meiner Stirn, und der dämmrige Raum, in dem ich mich befinde, gibt mir für einen kurzen Augenblick das trügerische Gefühl der Geborgenheit. Ich will den Schweiß von der Haut wischen und hebe den Arm. Augenblicklich füllen sich meine Augen mit Tränen. Wie oft hatte ich in den letzten Tagen – Wochen – geheult? Geheult wie ein kleines Kind.
Der Verband um den Stumpf meines Oberarms grinst mich an. Langsam lasse ich den kläglichen Rest meiner Extremität auf die weiche Oberfläche des Kinderbettes sinken.
Seit zwei Monaten lieg ich in diesem Ding mit den Holzgitterstäben. Aber seit damals braucht mein Körper – der bemitleidenswerte Abfall einer menschlichen Erscheinung – auch nicht mehr Platz als ein Kinderbett. Wieder spüre ich die unbarmherzige Träne, die sich einen kitzelnden Weg durch mein Gesicht bahnt. Ich kann sie nicht wegwischen. Die mickrige Lampe an der Wand mir gegenüber verschwimmt in einem sanften Schleier.
* * *
Ein Stöhnen reißt mich aus dem Schlaf. Das erste, was in meinem Blickfeld erscheint, ist diese mickrige Wandlampe.
Habe ich gestöhnt?
Aber das hätte mich nicht mehr aufgeweckt. Seit der mehr oder weniger unfreiwilligen Entfernung meiner Gliedmaßen habe ich fast täglich gestöhnt, immer wieder zwischen den Schreien. Zwischen diesen erbärmlichen Schreien einer perfiden Mischung aus Schmerz und Hoffnungslosigkeit.
Seit zwei Tagen bin ich nicht mehr an dem Tropf angeschlossen; seit zwei Tagen ist der Rest meines Körpers nicht mehr auf die Wundermedizin des Professors angewiesen.
„Ist es nicht faszinierend“, hatte ich ihn einmal sagen gehört, „wie lange ihn das Mittel am Leben hält? Selbst der Heilungsprozess setzt schon ein.“
„Du meinst, er wird überleben?“, hatte die Stimme seiner Frau gefragt, erwartungsvoll, mit diesem unüberhörbaren Funken der Freude.
„Er wird überleben! Es ist fast unglaublich, welche Schmerzen er ertragen kann. Ich denke … nein, ich bin mir sicher, dass er überleben wird.“
Oh ja, das werde ich! Selbst wenn ich diesbezüglich andere Intentionen gehabt hätte, wäre es schwierig gewesen, meinem jämmerlichen Dasein selbst ein Ende zu bereiten. Aber das will ich auch gar nicht. Nicht mehr.
Vor ein paar Wochen habe ich anders darüber gedacht. Zu jener Zeit, als ich trotz frischer Wunden als abnormes Lustobjekt der Frau des Professors hinhalten musste. Wie oft hatte sie meinen blutenden Torso bestiegen? Wie oft hatte sie ihren nimmer satten Schritt über meine Haut gerieben?
„Du willst es doch auch“, hatte sie dabei gestöhnt. Und ich hatte geschrieen. So lange, bis ich das Gefühl hatte, meine Kehle sei mit dicken Tauen ausgefüllt. Nicht selten hatte ich dabei Blut gespuckt.
Immer wieder hatten ihre Lippen versucht, Blut in meine Männlichkeit zu pumpen. Doch mein Schwanz blieb tot.
„Ich weiß, dass du es auch willst!“
Wie hatte ich diesen Satz und mein jämmerliches Dasein gehasst.
Und nachdem sie sich der Erfolglosigkeit über meine ehemalige Standfestigkeit hingegeben hatte, wickelte sie die Verbände von meinen linken Arm ab. Hier hatten sie nur die Hand entfernt. Und ich hatte erkennen müssen, warum.
„Oh ja, nur du kannst mich befriedigen!“, schrie Frau Professorin. Früher hätte mich der Satz stolz gemacht. Heute drang meine frisch verkrustete Wunde in Öffnungen ein, von denen ich es niemals für möglich gehalten hatte, dass es möglich wäre.
Ich konnte mich nicht wehren. Ihre Enge brachte nach wenigen Stößen die Wunde zum Aufreißen. Rotes Gleitmittel rann meinen Arm hinab, bevor mich der Schmerz in eine alles erlösende Dunkelheit versinken ließ.
Und wenn ich dann erwachte, war das einzige was ich sah, die mickrige Lampe an der Wand vor meinen Augen. Sie gab mir Trost, während sich der Schmerz pulsierend durch meinen Körper fraß.
Jetzt ist es wieder still.
Kein Stöhnen mehr. Es war Robs Stöhnen, das ich gerade gehört hatte, dessen bin ich mir jetzt sicher. Ich blicke auf den schweren Plastikvorhang, der neben meinem Bett von der Decke bis zum Boden hängt. Auf der anderen Seite liegt Robert Bertel, oder so ähnlich. Sie hatten seinen schreienden Körper vor drei Tagen hier herein geschoben. Auch er war von allen länglichen Körperteilen befreit worden; und seinen Schreien nach zu urteilen, ebenfalls ohne Narkose und Einverständnis.
Die Frau hatte gesagt, ihr Mann solle ihm was geben, damit das Schreien aufhöre, und Professor Hartwig hatte ihm eine lange Kanüle in den Hals gesteckt, direkt durch den vibrierenden Kehlkopf. Dann war er still. Mein fassungsloser Blick durch die Gitterstäbe meines Kinderbettes war den Beiden entgangen.
Ich war also nicht der Einzige. Wie viele mag es vor mir gegeben haben? Oder war ich der Erste? Sind sie durch mich – durch meine abstruse Idee – erst auf den Geschmack gekommen? Aber das bezweifle ich mittlerweile.
„Jetzt hilf mir, den OP sauber zu machen!“, hatte der Professor gesagt, während ein weißes Schaumbläschen aus dem Einstechloch in Roberts Hals getreten war. Und während mein neuer Zimmernachbar sich gurgelnd nass machte, hatten sie beide den Raum verlassen. Die schwere Tür zum Operationssaal war ins Schloss gefallen.
Ich hatte lange auf seinen Körper geschaut. Die Wunden waren mit dickem, schwarzem Garn vernäht worden; ein breiter Ledergürtel verband seinen Brustkorb mit dem Bett.
Irgendwann hatte Robert dann wieder seine Augen aufgeschlagen. Er hatte mich angestarrt und sofort angefangen zu schreien.
„Halt dein Maul!“, hatte ich ihn angefaucht. „Oder willst du, dass sie wieder kommen?“
Dann hatte er geweint.
„Wer bist du?“
„Robert Bertel. Mein Name ist Robert Bertel.“
Das war das Einzige, was er zu mir gesagt hatte.
„Er wird es nicht lange machen!“, hatte Professor Hartwig am darauf folgenden Tag bemerkt, als er mit flinken Fingern Roberts Tropf auswechselte. „Du wirst nicht lange Spaß mit ihm haben.“
Ich sah das Gesicht seiner Frau, die gespielt einen Schmollmund zog. „Ich dachte, dein Mittel ist so hervorragend?“
„Vielleicht nur bei ihm.“ Er deutete in meine Richtung. „Er ist Schmerz gewöhnt. Er liebt ihn.“ Mein Magen zog sich zusammen.
„Dann lass es mich noch ein bisschen ausnutzen.“ Ihre Hand wanderte zum Schritt ihres Mannes. „Obwohl du diesmal nicht so schön gesägt hast. Es ist ja nicht mehr viel übrig.“
Sie hatten Robert in den Nebenraum geschoben, der an unser Zimmer grenzte. In den Raum, in dem nur eine große, latexüberzogene Matratze lag; in den Raum, in den auch ich immer geschoben wurde, wenn die Frau Professorin ihrer Lust frönen wollte.
Ich hatte ihn den Fickraum getauft. Hierhin hatten sie den frisch operierten Robert Bertel gebracht. Und trotz der geschlossenen Tür hatten sich seine Schreie in jede Pore meines Körpers gebohrt. Und insgeheim war ich froh darüber, dass es nicht meine eigenen waren ...
Jetzt ist es still. Wir sind allein.
„Rob?“, versuche ich es leise, doch von der anderen Seite des Vorhangs dringt kein Laut zu mir herüber. Er hatte doch gerade noch gestöhnt.
„Rob? Kannst du mich hören?“
Nichts.
„Robert? … Es wird wieder. Glaub mir. Die Schmerzen lassen nach. Hast du gehört?“ Etwas in mir drin sagt mir, dass er mich nicht hört. „Rob, wir werden zusammen hier verschwinden. Hörst du? Wir werden irgendeine Lösung finden. Bitte, Rob … Sag doch nur ein Wort ... Stöhn doch einfach … Bitte.“
Doch Robert Bertel sagt nichts. Der Raum hinter dem Vorhang bleibt still. So still wie der Tod selbst.
Er darf nicht tot sein! Gott, lass ihn noch leben. Sie wird sonst mich wieder nehmen.
Zwei Tage lang hatte ich meine Ruhe gehabt, zwei ganze, lange Tage, dank Robert Bertel. Mein Fleisch hatte es regelrecht genossen. Obwohl es vor Roberts Eintreffen nicht mehr wehtat. Zumindest nicht so wie am Anfang. Und inzwischen konnte ich mich auch wehren. Inzwischen mussten sie mich zu zweit in den Fickraum tragen, und sie mussten mich dort festschnallen. Der Rest meines Körpers konnte zwar nicht viel ausrichten, doch wand ich mich jedes Mal wie ein Ertrinkender, dem man Arme und Beine verzurrt hatte, um ihn in einen tiefen Tümpel zu werfen.
Der Professor hatte ein seltsam aussehendes Metallgestell neben der Latexmatratze aufgestellt, so dass dicke Riemen meinen Körper mit dem Stoff verbinden konnten.
Meinen linken Arm steckten sie in eine Art Schiene. Er ragte dann immer steil nach oben.
Und wenn sich die Frau dann darauf setzte, keuchend und ihre straffen Brüste massierend, verließ der Professor den Raum. Einmal war er im Türrahmen stehen geblieben und hatte onaniert. Und niemals hatte ich bei dem ganzen Treiben eine Erektion bekommen.
„Rob?“
Ich schließe die Augen und warte auf ihr Eintreffen. Gleich wird sie kommen. Ihre Lust ist unersättlich. Sie wird kommen ...
* * *
„Och Mann …“
Ich zucke hoch. Hinter dem Vorhang sind Stimmen. Ich hatte Recht, sie sind da.
„Ich hab´s doch gesagt“, zischt der Professor.
„Aber so schnell?“
Sie reden über Robert. Er muss tatsächlich gestorben sein.
„Er war halt ein Schlappschwanz.“
Etwas poltert.
„Mist“, flüstert die Frau.
Der Vorhang wird langsam zur Seite geschoben. Ich schließe die Augen und atme ruhig … gleichmäßig. Ich spüre ihren Atem über meinem Bett. Dann wieder leise Schritte, die sich entfernen. Das Geräusch des Vorhangs, der zugezogen wird.
„Er schläft“, sagt sie leise.
„Also musst du dich weiter mit ihm beschäftigen.“ Hartwig lacht. Er meint mich.
„Er wird langweilig. Seine Wunden sind schon fast verheilt.“
„Nun, wir können nachsägen, wenn du magst.“
Ich spüre, wie mein Herz zu rasen beginnt. Mein Atem wird schneller, und ich zwinge mich, ihn ruhig zu halten.
„Was ist mit der Fettabsaugung morgen früh?“ Die Frau ist nur noch schwer zu verstehen.
„Es ist zu gefährlich“, sagt der Professor eindringlich, und ich höre ihn an etwas Metallischem herumhantieren. Dann furzt jemand.
„Aber du hast gesagt, dass er niemanden etwas erzählt hat“, sagt die Frau.
„Er hat seiner Familie erzählt, dass er auf eine Geschäftsreise muss. Das habe ich gesagt. Es ist ihm peinlich, dass jemand erfährt, dass er zum Schönheitschirurgen geht. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie ihn nicht irgendwann vermissen werden.“
„Aber wenn doch niemand weiß, dass er hier ist, dann wird doch auch keiner nachfragen.“ Die kindliche Naivität der Frau ist schon fast niedlich.
„Und wenn er doch etwas gesagt hat?“ Der Professor scheint ungeduldig zu werden. Es beginnt, unangenehm zu riechen. „Lass uns lieber bei Mister Schmerzfrei noch ein bisschen abschneiden. Ich könnte ihm die Gesäßmuskeln amputieren. Was hältst du davon?“
Mein Magen krampft ruckartig zusammen. Beißende Galle schießt in meinen Mund. Ich presse die Lippen zusammen, schlucke.
„Er ist langweilig. Und du willst doch nicht, dass ich mich langweile, oder?“
Ich höre ein Schmatzen.
„Warum ist er langweilig?“
„Er ist halt langweilig.“
„Ich könnte ihn häuten.“
Die Räder von Robs Bett geben quietschende Geräusche von sich.
„Ich weiß nicht“, sagt die Frau. „Das hatten wir doch alles schon.“
Tränen füllen meine Augen. Ich kann nicht glauben, was ich höre. Will nicht glauben.
„Dann kann er aber auch weg“, sagt der Professor ernst.
„Wirfst du ihn ins Säurebad? Ich meine, lebend?“
„Wenn du willst.“
„Wir könnten ihn mit der Schaukel langsam reingleiten lassen.“ Jetzt wird die Stimme der Frau wieder lauter – erregter.
„Du wirst von Mal zu Mal schlimmer. Ist dir das schon aufgefallen?“
„Deshalb hab ich dich doch geheiratet. Ich möchte alles mit dir auskosten.“
Wieder dieses ekelerregende Schmatzen. Sie steckt ihm erneut die Zunge in den Hals, und ich kann förmlich den weißen Schleim sehen, der an ihren Mundwinkeln herabläuft.
Ich stelle fest, dass mein Mund geöffnet ist und mein Atem stoßweise meine Lungen verlässt. Es stinkt nach frischer Magensäure, überdeckt den warmen Furzgestank, der durch den Raum schwebt.
„Zuerst kommt Herr Bertel weg“, sagt der Professor. „Und dann schlage ich vor, wir warten die Fettabsaugung ab. Wenn der es durchsteht, dann hast du ja erst mal wieder was.“
„Du willst es doch tun? Morgen früh? Und wenn sie nachforschen? Hast du keine Angst mehr?“ Hektisch, kindlich. Ich kann mir sogar vorstellen, wie sie erwartungsvoll mit den Beinen aufstampft.
„Wir werden es riskieren, denke ich. Ich möchte doch nicht, dass sich mein Engel langweilt. Und wenn unsere Fettabsaugung überlebt, dann schicken wir deinen inzwischen ermüdenden Freund zum Baden."
Ein Schweißtropfen entsteht auf meiner Stirn. Ich möchte ihn wegwischen, liege jedoch auf meinem langen Arm. Der rechte kommt nicht dran. Ich will schreien.
„Für morgen früh habe mir auch schon was Schönes einfallen lassen", sagt der Professor.
„Oh, erzähl, bitte.“
Die schwere Tür fällt ins Schloss.
Jetzt weiß ich auch, was sie mit den Leichen tun. Ich spüre, wie mein Körper zittert. Und wenn der Neue morgen früh die Behandlung der Beiden überlebt, dann bin ich dran. Das haben sie gesagt.
Die mickrige Wandlampe sieht zu mir herüber.
Sie werden dich in Säure tauchen, schreit sie. Gaaaanz langsam.
Meine Bauchmuskeln zittern. Ich muss hier raus.
Na klar! Nimm deine Beine in die Hand und renne.
Zum ersten Mal im Leben verfluche ich meine perverse Geilheit. Wohin hatte sie mich geführt?
Na, sie hat dafür gesorgt, dass du das hier überlebt hast. Bis jetzt zumindest.
„Halts Maul!“, brülle ich die Lampe an. „Halt, verdammt noch mal, dein schäbiges Maul!“
Weißt du noch, wie sie dir dein Bein vorgehalten haben? Weißt du das noch? Die Stimme ist in meinem Kopf. Ich will meine Hände gegen die Ohren pressen. Ich sehe den Professor mit einem Plastiksack in den Fickraum kommen.
Weißt du es noch?
Nein! Nein!
Die Frau hält in ihren rhythmischen Bewegungen inne. „Oh sieh mal“, ruft sie freudestrahlend. „Kennst du das noch?“
Ich blicke in ihr grinsendes Gesicht, während sie meinen Stumpf tiefer in sich hineinschiebt. Der Professor hat grüne Handschuhe an.
Weißt du es noch?
Ich höre das Wimmern, das nicht über meine Lippen kommen darf. Die Lampe ist nicht echt. Ich höre sie nicht. Und doch kreischt sie durch mein Inneres, reißt die Schubladen der verdrängten Erinnerungen heraus.
Der Professor stellt den Sack auf den Boden.
Nein, nein! Ich sehe ihn nicht.
Weißt du es noch?
Er holt einen länglichen, grauen Gegenstand daraus hervor. Die Frau presst sich die Hand vor Mund und Nase, stößt einen gutturalen Laut aus, als der Verwesungsgeruch den Raum erfüllt. „Wow! Das ist ja abgefahren“, keucht sie.
Der Professor grinst, fasst das Bein mit beiden Händen.
Nein!
Die Lampe lacht. Du weißt es noch!
Und als Hartwig mit dem Bein auf mich eindrischt, kommt seine Frau zu einem schreienden Orgasmus …
Ich weine. Ich will es nicht, doch es bricht aus mir heraus.
Ich spüre, wie mein rechtes Bein zu jucken beginnt. Ich weiß, dass es nicht echt ist, aber es juckt zwischen meinen Zehen. Und ich weine weiter.
* * *
Ein Geräusch reißt mich aus dem Schlaf.
Ich spüre, wie Panik in mir aufsteigt. Wie lange habe ich geschlafen? Ich blicke zur Seite, der Vorhang schweigt mich wie immer an. Da, wieder das Geräusch. Mein Atem wird schneller. Es sind Teile von Beethovens Symphonie.
Ganz leise nur dringen sie durch die schallgeschützte Tür zu mir herüber.
Es ist wieder soweit!
Demnach muss es bereits früher Morgen sein; der Tag der Fettabsaugung.
Ich presse meine Armstümpfe auf die Ohren. Beethoven verstummt. Ich höre mein Blut durch die Adern rauschen; das dumpfe Pumpen meines Herzschlags suggeriert mir das stakkatohafte Schlagen einer Pauke. Mein Körper dreht sich, zum ersten Mal. Mein linker – langer – Arm greift nach dem oberen Ende des Holzgitters. Ich drehe mich weiter und ziehe mich hoch. Und zum ersten Mal seit über zwei Monaten sehe ich meine Umgebung nicht mehr aus der Horizontalen.
Ein leichter Schmerz durchzieht meinen Unterleib. Ich blicke hinab, und ein unechtes Grinsen entsteht auf meinem Gesicht. Ich stehe tatsächlich auf den kläglichen Resten meiner Oberschenkel. Langsam bewege ich mich etwas seitwärts, vorsichtig nur. Doch der Schmerz wird nicht stärker.
Ich erreiche das Fußende des Bettes und sehe an dem Vorhang vorbei die dicke, schallgeschützte Tür zum Operationsraum. Dumpfe Schreie dringen hindurch.
Wieder schießt mir das Säurebad durch den Schädel. Wenn ich es schaffen könnte, mich über den Rand des Bettes zu hangeln, könnte ich mich von dort hinunter fallen lassen, direkt auf den Kopf. Vielleicht hätte ich Glück und mein Genick würde dabei brechen. Ich müsste nur den Kopf schräg halten.
Dann könnten sie sich ihre Säuregeschichte sonst wo hinstecken. Ich schätze die Entfernung zum Boden auf höchstens einen Meter, aber wenn mein Kopf richtig aufschlägt ...
Ich klemme den Rand des Bettes unter meine Achsel und ziehe mich höher.
Die Schreie werden schriller, Beethoven lauter.
Ich ziehe mich weiter, immer höher. Mein verdammter, nicht vorhandener Zeh juckt schon wieder.
Immer lauter. Schreie und Orchester bilden eine disharmonische Einheit.
Das Bett beginnt zu schwanken. Meine nackte Brust liegt fast auf der Umrandung der Gitterstäbe.
Und dann verschwindet die Tür vor meinen Augen. Ich sehe den Boden auf mich zurasen, will schreien und schlage auf. Ein krachender Schmerz durchfährt meinen linken Arm. Ich beiße die Zähne zusammen bis es knirscht. Kann den kurzen Schrei nicht unterdrücken.
Das umgefallene Kinderbett hat meinen Arm unter sich begraben. Vorsichtig schiebe ich meinen Körper aus dem Bett. Der Schmerz wird härter.
Bitte, lass ihn nicht gebrochen sein.
Die Kälte des Fußbodens dringt durch meine Haut, fühlt sich an wie die eiskalte Umarmung der Frau Professorin.
Vorsichtig ziehe ich den Arm unter dem Holz hervor. Er ist leicht geschwollen an der Stelle, wo die Stäbe ihn auf die Fliesen gedrückt haben. Behutsam lege ich ihn auf meine Brust und drücke ein wenig. Noch immer ist der Schmerz da, doch es fühlt sich nicht so an, als wäre der Knochen in Mitleidenschaft gezogen worden. Für einen Augenblick bin ich erleichtert, bis ich erkenne, dass mein eigentliches Ziel – der Kopfsprung – nicht erreicht ist.
Ich liege hier auf dem Boden – hilflos wie ein Welpe kurz nach der Geburt – und das Säurebad rückt immer näher. Vielleicht stirbt die Fettabsaugung ja. Vielleicht brauchen sie mich dann noch? Er wird langweilig, höre ich die Frau Professorin sagen.
Nein, sie brauchen mich nicht mehr. Lediglich noch zu einem Zweck: geifernde Belustigung beim zischenden Zersetzen meines Fleisches.
Der sanfte Schein der Wandlampe lässt meinen Körper seltsam blass wirken. Und zum ersten Mal, seit damals, betrachte ich ihn genauer. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, einen so großen Penis gehabt zu haben. Aber vielleicht liegt es auch nur an der Relation zu dem jetzigen Zustand meiner Schenkel. Ich bin ein Mann, dessen Schwanz länger ist als seine Beine.
Der Sarkasmus meiner inneren Stimme treibt mir die Tränen in die Augen. Und das einzige, was die erdrückende Stille des Raumes durchbricht, ist mein leises Schluchzen.
Stille?
Ich verstumme. Realisiere.
Nichts.
Wo ist Beethoven? Wo ist die Symphonie der Schreie?
Ich bewege meinen Kopf in Richtung Tür.
Es ist tatsächlich absolut still. Und das kann nur bedeuten, dass sie fertig sind. Oder das die Prozedur durch eine kurzzeitige Ohnmacht der Fettabsaugung unterbrochen ist. Und Letzteres konnte wiederum bedeuten, dass sie gleich herein kommen könnten.
Ich kann mir durchaus nicht vorstellen, dass sie, wenn sie mich hier auf dem Boden vorfinden, noch länger mit dem Säurebad warten werden.
Panik steigt in mir auf. Ich versuche, meine immer hektischer werdende Atmung zu kontrollieren. Speichel tropft auf den Boden, meine bebenden Lippen halten ihn nicht mehr. Sie sind taub, wie nach einem Zahnarztbesuch. Ich will schreien, will nicht sterben. Nicht in Säure.
Ich robbe mich zu dem Plastikvorhang. Meine Schulter berührt den Stoff. Er ist seltsamerweise angenehm warm. Mein linker Arm zieht mich weiter, und die Stümpfe meiner ehemaligen Beine wollen ihn tatkräftig unterstützen.
Hinter dem Vorhang ist nichts. Robert ist weg. Vermutlich bereits in einem anderen Aggregatzustand.
Irgendwie hatte ich gehofft, ihn hier doch noch zu finden. Aber was hätte das auch gebracht? Zwei Torsos gegen den Rest der Welt.
Ich drehe mich auf den Rücken und genieße die Kälte, die augenblicklich den Druck in meiner Blase erhöht. Wie mochte es sich wohl anfühlen, in Säure getaucht zu werden? Ob es schnell geht?
Ich schließe meine Augen, und mein Atem wird ruhiger. Vielleicht ist es besser so. Ja, vielleicht.
* * *
„Na wen haben wir denn da?“
Ich reiße die Augen auf, will um mich schlagen.
„Ist der kleine Mann aus dem Bett gefallen?“
Die grinsende Fratze der Frau Professorin stiert mich an. Ihr nackter Körper ist an einigen Stellen mit winzigen Blutspritzern geziert. Diesmal trägt sie keine Nylons, sondern schwarzglänzende Stiefel, die bis über ihre Knie reichen.
„Was ist passiert?“, höre ich die Stimme des Professors aus dem Operationsraum.
„Er ist nur rausgefallen.“
„Dann pack ihn wieder rein und komm her. Dein Freund hier ist gleich wieder so weit.“
Ich blicke in ihre grünen Augen. Es ist mir vorher noch nie aufgefallen, dass sie grüne Augen hat. Sie beugt sich herunter zu mir.
Im Operationsraum dröhnt ein Paukenschlag. Beethoven beginnt wieder.
„Durch deine Dummheit verdirbst du mir noch den ganzen Spaß“, sagt sie gefährlich leise, und ihre Arme umfassen meinen Oberkörper. Ihre grünen Augen haben einen seltsamen Glanz.
„So was solltest du nicht tun.“ Sie spricht lauter gegen die Musik an. Jetzt kann ich ihren Atem in meinem Gesicht spüren. Er riecht nach Sperma.
Ihre heißen Hände kriechen unter meinen Rücken. Sie leckt ihre Lippen, doch sie lächelt nicht. Sonst lächelt sie immer, wenn sie so tut, als sei sie böse auf mich.
„So was solltest du wirklich nicht tun.“ Wieder dieser Spermageruch. „Wir werden dich nachher bestrafen müssen.“ Jetzt grinst sie doch. In ihren Augen sehe ich, dass sie an das Säurebad denkt, sehe es in ihrem Grinsen, in ihrem ganzen widerwärtigen Dasein.
Ein Schrei zerreißt die Situation. Kurz und laut.
„Wo bleibst du denn?“, kämpft die Stimme des Professors gegen die Musik an.
„Ich komme sofort!“ Sie brüllt genau in mein Gesicht.
„Das glaube ich dir aufs Wort“, flüstere ich.
Ihre grünen Augen zucken für einen winzigen Augenblick, sie hat nicht verstanden, was ich damit gemeint habe, dann beiße ich zu.
Ein harter Ruck geht durch meinen Körper, als sie ihre Arme unter meinem Rücken und gleichzeitig mit ihren nuttigen Fingernägeln einen Teil meiner Haut wegreißt. Ich weiß nicht, was meine Zähne erwischt haben, irgendwas Hartes in ihrem Hals. Sie will sich losreißen, doch mein linker Fickarm liegt in ihrem Nacken. Ich spüre die verbliebenen Muskeln, die ihren Kopf gegen meinen pressen.
Ein gurgelnder Schrei spritzt gegen meine Stirn. Es klingt nicht echt, mehr, als würde jemand versuchen, unter Wasser zu schreien. Warme Brühe umspült meine Zähne. Ich schlucke nicht, presse den Kiefer nur noch fester zusammen. Ich spüre Knorpel, der knirschend nachgibt. Ihre Nägel bohren sich in mein Fleisch. Es tut noch nicht einmal weh. Für einen winzigen Augenblick registriere ich die harte Erektion zwischen meinen Beinstumpen, dann reiße ich den Kopf ruckartig zur Seite.
Ein fleischiges Stück hängt zwischen meinen Zähnen. Ich berühre es mit der Zunge; es ist groß, und ich spucke aus, sehe es rosa-weiß auf den Fliesen liegen. Es muss der Kehlkopf sein.
Die Frau reißt sich los, prallt gegen die Wand. Mein Freund, die Lampe, lässt das Loch in ihrem Hals für mich scheinen. Winzige Fleischlianen zieren den Rand der Wunde. Der herausschießende Strahl lässt sie flattern, filigranen Händen gleich, die mir zuzuwinken scheinen.
Die Finger der Frau Professorin wollen sich in die Fliesen graben, die Nägel brechen ab, während ihr Hals ejakuliert. Ihre Augen sind riesig, starren gegen die Decke. Urin und Kot bilden eine Einheit zwischen ihren zuckenden Beinen. Sie denkt nicht einmal mehr daran, das herauspulsierende Blut mit den Händen zu halten.
Im Nebenraum wird Beethoven lauter.
Jetzt sieht sie mich an, und für einen winzigen Augenblick erkenne ich eine tiefe Traurigkeit in ihren Augen. Sie saugt die Luft ein; Luft, die keine mehr ist, die lediglich aus ihrem penetranten Lebenssaft besteht.
„Stirb!“, brülle ich ihr entgegen. „Stirb doch endlich!“
Sie tut es.
„Wo bleibst du denn, Liebling?“
Mein Körper wirbelt herum. Beethoven wird leiser, das Quietschen eines Stuhls dringt stattdessen herein. Ich sehe die offene Tür zum Operationsraum, rieche den Kot der toten Frau.
„Was tun Sie da?“ Das war eine andere Stimme, leise wimmernd, ängstlich. Vermutlich die Fettabsaugung.
Der Gestank wird penetranter, und ich schiebe mich von der Frau weg.
„Was tun Sie da?“, fragt die kleine Stimme der Fettabsaugung wieder. Ich lausche. Was geht da drin vor? Warum schreit er nicht mehr?
„Liebling, wo bleibst du denn?“ Die säuselnde Stimme des Professors. Wieder das Quietschen des Stuhls.
Ich rolle mich auf den Bauch, berühre die Stiefelspitzen der Frau. Ihre Beine sind gespreizt, ich will die Sauerei dazwischen nicht sehen.
Der Professor beginnt ein Lied zu summen.
„Was tun Sie da?“
„Liebling?“
„Was tun Sie da?“
Meine Gedanken rasen. Was soll ich machen? Ich versuche die Situation zu greifen, nackt auf dem Boden liegend, neben dem von mir getöteten Liebling des Professors. Einem Gegner, der im Gegensatz zu mir noch über alle seine Gliedmaßen verfügt, und die er mit Sicherheit auch einzusetzen weiß. Er wird sich nicht überrumpeln lassen. Nicht, wenn er sieht, was hier vorgefallen ist.
Professor Hartwig summt weiter und quietscht.
Vorsichtig rutsche ich Richtung Tür. Mein Atem schlägt mir entgegen, riecht blutig. Noch einmal spucke ich aus. Ich will nichts von ihr in mir haben. Die Kälte der Fliesen beginnt auf der Haut zu schmerzen. Es erscheint mir eine Ewigkeit zu dauern, bis mein Körper die Tür erreicht, bis ich spüre, wie sich ein drohendes Kratzen in meinem Hals ausbreitet. Es schwillt an, ich muss es weghusten. Nicht jetzt! Ich versuche zu schlucken, darf nicht husten. Doch warum eigentlich nicht? Er weiß doch, dass ich hier drin bin. Die Erleichterung dieser Erkenntnis bricht aus mir heraus wie das Kratzen aus meinem Hals, laut, hallend und scheinbar eine Unendlichkeit dauernd.
Nebenbei nehme ich wahr, wie das Lied des Professors für einen kurzen Moment verstummt. Die Fettabsaugung kichert. „Was tun Sie da?“, gluckst er, kichert weiter wie ein pubertierendes Mädchen. Meine Schulfreundin Simone hat auch immer so ätzend gekichert, wenn ich ihr in den Schritt gefasst habe.
Versuch das jetzt mal … Es ist wieder die Wandlampe in meinem Kopf. Jetzt wird sie bestimmt nicht mehr kichern. Ich hasse die Lampe.
Vorsichtig blicke ich um die Tür herum, werde für einen Moment von dem hellen Neonlicht des Operationsraums geblendet. Zuerst erkenne ich den Tisch, dieses mir durchaus bekannte, glänzende Chromgebilde mit dem Loch in Arschhöhe. Ein Kerl von gigantischem Ausmaß liegt darauf. Die Fettabsaugung!
Professor Hartwig hockt auf einem kleinen drehbaren Stuhl an dessen Kopfende. Immer wenn er sich bewegt, quietscht es. Er hat ein Fernglas auf der Nase, zumindest sieht es so aus. Eines dieser Dinger, die Ärzte aufsetzen, um sehr feine Arbeiten durchführen zu können.
Die Fettabsaugung kichert. Etwas hängt an seinem Bauch herunter, endet in einem Eimer.
Ich kann nicht erkennen, woran der Professor arbeitet. Aber eigentlich weiß ich es.
Meine Augen brennen; für einen Moment sehe ich den Professor hereinstürmen, und noch während des Laufens tritt er mir ins Gesicht. Nein! Ich unterdrücke einen Schrei, höre Hartwig auf seinem Stuhl summen. Es ist nicht real.
Meine Gedanken sind wirr, ich kann sie nicht fassen. Die Kälte schmerzt, der Gestank schmerzt, und diese verdammte Hilflosigkeit schmerzt.
„Schatz!“ Der Schrei des Professors donnert zu mir herüber. Ich sehe, wie er sich umdreht, reiße den Kopf zurück. Keuchend liege ich auf dem Rücken hinter der Tür. Der herausgebissene Kehlkopf der Frau Professorin liegt glänzend neben ihrem Bein. Die Pfütze aus flüssigem Kot und Urin hat ihn umspült.
Ich versuche meine Atmung zu kontrollieren, mein Herz hat sich bis in den Hals geschoben, lässt ihn auf und abschwellen. Glitzernde Punkte zerplatzen vor meinen Augen, ein stetiges Surren umgibt mich. So sanft … so schön …
Der Stuhl des Professors bewegt sich, ich höre das dumpfe Quietschen.
Das Bild vor meinen Augen verschwimmt. Ich blicke durch einen Tunnel, der immer enger wird. Bloß nicht ohnmächtig werden … nur … ganz … kurz … schlafen …
* * *
Ich schreie! Oder war es der Schrei des Professors? Ich reiße die Augen auf, sehe für einen Moment nur Schwärze. Der Tunnel vor meinem Gesicht detoniert, die Realität brandet in meinen Verstand. Sanftes Licht! Umgefallenes Kinderbett! Gefliester Boden! Beißender Gestank! Wieder ein Schrei …
Ich sehe den gebeugten Rücken des Professors, höre ihn schreien. Es ist ein Schrei der ungläubigen Wut, ein Schrei des bodenlosen Hasses. Er hockt vor dem stinkenden Kadaver seiner Frau, hat ihren erschlafften Körper gegen seine Brust gedrückt und schreit.
Ich wirble herum, schlage kurz mit dem Kopf gegen die offene Tür. Ich sehe wie Hartwig herumfährt, sehe das Skalpell in seiner Hand. Es blitzt für einen winzigen Moment; ein wunderschöner, heller Strahl, der mich verzaubern möchte.
„Ahhhhhhh…“ Er springt auf mich zu, das Skalpell hoch erhoben, einem altertümlichen Rittersmann gleich, das Schwert zum tödlichen Schlag bereit.
Ich versuche blitzschnell dem glänzenden Schnitt auszuweichen, recke unbewusst den Arm nach vorn.
Die winzige Klinge streift die frisch verheilte Haut an meinem Stumpf. Ich habe für einen Moment das Gefühl, das Metall zu spüren. Es ist heiß, dringt mit einer faszinierenden Leichtigkeit durch mein Fleisch; selbst der kurze Ruck, als es auf den Knochen trifft, berührt meinen Verstand. Und über allem der unbändige Schrei des Professors.
Seine freie Hand greift in mein Haar, reißt den Kopf hoch. Wieder sehe ich das Schwert zum finalen Schlag erhoben.
Mein linker Arm wirbelt hoch, trifft auf etwas Hartes. Es knackt laut. Der Schnitt verfehlt meinen Hals, gleitet über den Kieferknochen. Jetzt schreie ich, spüre, wie sich ein nasser Schwall über meine Brust ergießt, spüre, wie der Griff in meinem Haar für einen Augenblick verschwindet. Ich muss ihn im Gesicht erwischt haben, sehe, wie er die Hände vor die Nase presst, ein blutiger Bart spült sein Kinn hinab.
Ich stoße meinen Körper nach vorn. Hellrotes Blut wird aus dem geteilten Ende meines Armstumpfs gepumpt, hinterlässt eine gleitende Spur. Die Beinstümpfe treiben mich weiter. Wo ist der Professor?
Ich wage es nicht meinen Kopf zu drehen. Ich robbe. Schneller. Immer schneller. Mein Schrei passt sich den Bewegungen an, unrhythmisch, keuchend.
Ich erreiche die Tür, spüre, wie etwas meinen Arsch berührt – eine Hand – das Skalpell? Ich wirble durch die Öffnung, drehe mich. Mein Ellbogen schlägt gegen die Tür – ich sehe den Professor mit blutverschmiertem Gesicht nach mir greifen – und mit einem gewaltigen Ruck schleudere ich sie ins Schloss. Mein Körper presst sich gegen den weichen Schallschutz und ich spüre, wie von der anderen Seite dagegen geschlagen wird.
Mein schriller Schrei flacht langsam ab, wird zu einem wimmernden Ausatmen.
Zum ersten Mal freue ich mich, dass sich die Tür nur von dieser Seite öffnen lässt.
Ich keuche, und der metallische Blutgeschmack zwischen meinen Zähnen erzeugt einen leichten Würgereiz.
Eine leise Stimme hinter meinem Rücken lässt mich herumfahren. „Hallo?“
Ich sehe den Operationstisch, sehe den Instrumentenwagen – blutverschmiert – davor stehen; ich sehe die riesige Lampe. Nur der Spiegel fehlt.
Die Fettabsaugung liegt auf dem Tisch und blinzelt in die Luft. Sein gesamter Körper ist mit dicken Lederriemen am Tisch fixiert, ebenso der Kopf. Der quietschende Hocker des Professors steht noch immer in Kopfhöhe.
Ich sehe die offene Schädeldecke, das leicht pulsierende Hirn mit den dünnen Nadeln, die daraus hervorragen.
„Hallo? Ist hier jemand?“ Seine Stimme klingt ängstlich – beinahe kindlich.
Was haben sie mit ihm getan? Wo war seine Schädeldecke? Auf dem Instrumentenwagen steht eine silberne Schüssel, Haare zieren den Rand.
„Hallo, ich höre Sie doch? Ich kann meinen Körper nicht spüren. Hallo?“
Er atmet heftig, ich sehe es an seinem Brustkorb, der sich verzweifelt gegen den Lederriemen presst. Mit jedem Wort wanken die dünnen Nadeln in seinem Hirn, wie Fahnenmasten in einem Herbststurm. Lässt sich tatsächlich das Schmerzzentrum ausschalten?
Mein Blick wandert weiter. Wieder entdecke ich die zwei langen, rosafarbenen Bänder, die von seinem Unterkörper herabhängen. Sie enden in einem silbernen Eimer auf dem Boden, gleichen zwei dünnen, blutverschmierten Schlangen; und mit jedem seiner kräftigen Atemzüge winden sie sich ein Stück mehr in den Eimer hinein. Ganz langsam nur, aber stetig. Es ist sein Darm.
„Hallo? So antworten sie doch.“ Er zittert, und die Darmschlangen setzen ihren Weg fort. Schleichend. Ich kann nicht sehen, was der Professor mit ihm gemacht hat; der Bauch ist außer Sichtweite von hier unten. Ich denke, das ist gut.
Wieder spüre ich das Schlagen gegen die Tür. Es ist nicht zu hören, doch ich spüre es in meinem Rücken. Wenn er heraus käme, würde er mich bei lebendigem Leib häuten …
Mein Körper setzt sich in Bewegung. Ich merke, wie mein Blick für einen Moment verschwimmt, sehe den blutenden Armstumpf und die rotglänzende Lache unter meinem Körper. Immer wieder, mit jedem Herzschlag, wird mein kostbarer Lebenssaft aus der Wunde gepumpt. Der Schnitt des Professors ist tief. Mit so etwas kennt er sich aus.
Ich muss etwas finden, um die Blutung zu stoppen, ansonsten wird mein Körper nicht mehr lange mitmachen.
Die Fettabsaugung wimmert; seine Augen sind jetzt fest zusammen gepresst. Er weint. Die Fahnenmasten in seinem Hirn bewegen sich nicht.
Ich krieche weiter. Mein Blick fällt auf einen Schrank an der gegenüberliegenden Wand. Ich sehe die aufgehäuften Verbandrollen; sie könnten mir jetzt helfen. Doch die Unerreichbarkeit brennt sich in meinen Verstand hinein wie ein heißes Eisen in nackte Haut.
Die Fettabsaugung schluchzt jetzt wie ein Kind.
Wieder fällt mein Blick auf die dünnen Schlangen, die beharrlich über den Rand seines Bauches in den Metalleimer verschwinden.
Mein Körper schiebt sich weiter vor. Ich erreiche den Eimer.
Ein beißender Gestank umschlingt mich. Ich muss die Blutung stoppen.
Der Eimer steht vor meinem Gesicht. Das Gedärm hat ihn jetzt bis zum Rand aufgefüllt, und noch immer windet sich mehr hinein. Jetzt ist die Fettabsaugung verstummt. Wie viel Darm hat ein Mensch?
Ich drehe mich auf den Rücken, und stoße den Eimer um. Der Gestank nimmt abrupt zu.
„Hallo? Hallo, was tun Sie da? Können Sie mir helfen?“
Ich spüre, wie es in meinem Magen explodiert, spüre den heißen Strahl, der sich einen Weg nach oben bahnt. Doch als er meinen Mund verlässt, ist es lediglich ein brennender Rest Magensäure, die sich über das frische Gedärm ergießt. Noch einmal würge ich gurgelnde Luft.
„Ich ... ich werde Ihnen helfen. Später“, keuche ich. Doch jetzt musst du mir helfen.
Ich muss die Blutung stoppen.
„Wer sind Sie?“, fragt er mich, und seine Stimme zittert.
Ich antworte nicht. Mein blutender Stumpf greift in die schwammige Masse; meine Zähne erfassen den weichen Strang. Erneut macht sich der Würgereiz in meinem Magen bemerkbar. Ein Keuchen über mir. Ich drehe den Arm, wickle das Gedärm um meinen Muskel. Es dehnt sich. Ich drehe weiter, langsam, vorsichtig. Meine Zähne sind aufeinander gepresst. Der Schnitt in meinem Kiefer schmerzt, dass ich schreien möchte. Ich ziehe den Strang fester, spüre, wie der Darm in meinem Mund beginnt einzureißen. Flüssige Konsitenz dringt hinein, legt sich zäh auf meine Zunge. Wieder übergebe ich mich, doch mein Kiefer öffnet sich nicht.
„Hallo? Was tun Sie da? Können Sie mir helfen?“ Sie haben tatsächlich sein Schmerzzentrum lahm gelegt.
Die Schlinge um meinen Oberarm wird fester. Der Blutfluss aus der Wunde verebbt langsam.
Ich reibe die Zähne aufeinander; die Konsistenz erinnert mich an diese Tintenfischringe vom Rummelplatz. Der Darm reißt. Ich versuche den zweiten Strang zu packen. Er schwankt vor meinem Mund, rutscht durch meine Lippen. Ich kriege ihn, verdammt noch mal, nicht zu fassen.
„Mir wird so komisch ... Können Sie mir ... helfen?“
Ich hab ihn! Meine Zähne arbeiten. Dieser hier scheint wesentlich hartnäckiger, doch er hat keine Chance. Ich sehe, wie über mir ein dicker, glänzender Klumpen über den Bauchrand auftaucht, hervorschwappt. Ich will mich zur Seite rollen, nicht von diesem Ding getroffen werden, doch es erstarrt pendelnd auf halber Höhe zu meinem Gesicht.
Der Mann über mir gurgelt unverständlich. Ich wende den Blick ab.
Die beiden Darmstränge hängen vom Tisch herab, und ihr rotbrauner Inhalt tropft stetig auf den gefliesten Boden. Wie ein undichter Wasserhahn. Die kriechenden Schlangen erstarren in ihrer Bewegung. Die Fettabsaugung ist verstummt.
Ich liege auf dem Rücken, blicke in das grelle Neonlicht und atme schwer. Hatte ich die Fettabsaugung umgebracht? Vielleicht habe ich ihn auch vor einem weitaus grausameren Schicksal bewahrt. Zumindest werde ich mir das einreden.
Ich blicke zur Seite, sehe den Darm um meinen Oberarm. Und dahinter, in einiger Entfernung sehe ich die Tür. Die Tür, durch die ich damals mit einem leicht unguten Gefühl in der Magengegend, noch mit vollständig erhaltenen Extremitäten und nur mit einem leichten OP-Hemdchen bekleidet, diesen Raum betreten hatte. Es ist die Tür zurück in die Freiheit.
Ich drehe mich herum, robbe über die Fliesen, den endlosen Strang Darm hinter mir herziehend. Noch einmal blicke ich zurück zu dem glänzenden Tisch. Der dicke Mann darauf bewegt sich nicht mehr. Sein Brustkorb ist still. „Danke“, flüstere ich.
Ich erreiche die Tür. Jetzt nur noch auf die Beine. Es ist mühselig, doch es klappt. Mein Armstumpf drückt die Klinke und die Tür springt auf. Sie ist tatsächlich nicht verschlossen.
Ich schiebe mich hindurch. Der breite Flur ist dunkel. Seltsam. Wo war das Personal? Blöde Frage, sie machen es allein. Und wenn nicht, sollte ich froh darüber sein, hier allein zu sein.
Ich krieche weiter, blut- und kotverschmiert und keuchend. Immer weiter.
Nach einer scheinbar unendlichen Weile entsteht vor meinen Augen die Eingangstür der Klinik. Draußen beginnt es hell zu werden. Wie lang hatte ich kein Sonnenlicht mehr gesehen? Ich sehe Regentropfen an der Glasscheibe hinunterlaufen, durchsichtigen Darmschlangen gleich. Ich sehe Scheinwerferlicht in einiger Entfernung, winzige, helle Wandlampen. Vereinzelte Menschen, die von ihren Beinen über den Asphalt getragen werden. Auf dem unschuldigen Weg zur Arbeit.
Da draußen ist die Freiheit. Langsam krieche ich weiter.
Werde ich jemals wieder frei sein? Was sollte es für eine Freiheit sein, gefangen in einem Körper ohne Arme und Beine? Eine Freiheit ohne innere Werte; ohne Stolz.
Vielleicht hätte mir das Säurebad eine schnellere Freiheit gewährt. Wer weiß das schon.
Ich höre das Knallen einer Tür, ganz dumpf nur, weit hinter meinen Rücken. Ich krieche schneller. Freiheit …