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Andalusien kann sehr kalt sein

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28.11.2014
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Andalusien kann sehr kalt sein

Der leichte Hauch ihres Parfüms kitzelt meine Nase. Sie muss ganz in der Nähe sein, steht wahrscheinlich gleich neben mir, schaut auf mich herab, überlegt, zögert, ahnt vielleicht, dass ich mich nur schlafend stelle.
„Lea“, sagt sie leise, „es wird Zeit. Der Mann mit dem Mietwagen wartet schon.“
Seit Beginn unserer Reise verzichtet sie auf das ‚Tante’. Warum, weiß ich nicht, doch es gefällt mir.
Ich öffne die Augen und sehe in ihr junges Gesicht. Es ist etwas Forschendes darin. Ich frage mich, was sie ihr aufgetragen haben. Acht zu geben, dass ich nichts Unüberlegtes tue, dass ich genug esse, dass es nicht zu viel Wein wird? Was noch? Ich weiß es nicht – und eigentlich interessiert es mich auch nicht.
Julia stellt den Teller mit dem kaum berührten Abendessen auf das kleine Tablett, greift nach der halbvollen Weinflasche, ist unschlüssig, lässt sie stehen und nimmt nur das leere Glas.
„Du hast übrigens vergessen, mich als Fahrer einzutragen.“
Ich schließe die Augen. Noch habe ich keine Lust, über irgendetwas nachzudenken. Gestern an der Rezeption. Das Formular. Schon möglich, dass ich das vergessen habe. Aber das wird sich wohl nachholen lassen.
„Oder möchtest du dich etwa selbst ans Steuer setzen?“
Bevor mich das Ungewohnte dieser Bemerkung erreicht, ist sie schon aus dem Zimmer. Merkwürdiges Mädchen. Ich drehe mich zur Seite, schaue auf die Wand und wünsche mir, einfach so liegen zu bleiben, nichts zu spüren, nichts zu denken.


Durch die perlenden Regentröpfchen des Seitenspiegels sehe ich die graue Autoschlange. Kurve um Kurve schrauben wir uns aufwärts. Julia schaut konzentriert nach vorne und umfasst das Lenkrad, als wolle es sich ihrem Griff entziehen. Ich stelle mir die Fahrer hinter uns vor, wenn unsere Bremslichter wieder einmal viel zu früh aufleuchten.
Endlich eine Gerade. Wir sind auf dem Pass.
„Lass uns eine Pause machen, Julia. Da müsste gleich ein Aussichtspunkt kommen.“

Sie öffnet meine Tür: „Lea, komm, steig doch auch aus!“
Mit dem Radio beschäftigt, schüttle ich den Kopf: „Geh du nur. Mir ist das noch zu kalt.“
„Ach, komm schon.“
Krächzende Geräusche. Der Sucher findet hier oben nur schwer einen Sender.
„Toller Blick.“ Julia muss eine Hand über die Augen halten. „Wie im Flugzeug. Und Schnee liegt da. Schnee! In Andalusien! Jetzt im Mai!“
„Lass nur.“ Ich ziehe die Tür zu mir. „Ich kann mir das alles auch von hier aus ansehen.“
Unverhofft zerreißen harte Klavierschläge die Ruhe des Morgens. Die Stelle kommt mir bekannt vor. Irgendein Russe.
Julia gibt auf und mit einem dumpfen Ton rastet die Tür ein.

Wir sind nicht allein hier oben. Ein junger Mann sucht nach der richtigen Position, um alles gleichzeitig auf’s Bild zu bekommen: seine Begleiterin, das Wolkenmeer unterhalb der kleinen Steinmauer und die sich bis zum Horizont ausdehnende, weißbedeckte Bergkette. Nach dem dritten Versuch scheint der Frau das Hin und Her zu reichen. Sie zieht die dünne Jacke enger zusammen und strebt dem Parkplatz zu.
Die Musik ist ruhiger geworden. Eine Oboe hat ihr poetisches Spiel begonnen. Ich lehne mich zurück und schließe die Augen.

Deine Hand liegt leicht auf meiner Schulter und wir genießen die Stille des Augenblicks. Minutenlang verharren wir schweigend am Rand der kleinen Natursteinmauer. Ich beginne zu frösteln, zwinge mich, unbeweglich zu bleiben. Deine Hand wird schwerer. Und noch bevor ich es höre, weiß ich, was du sagen wirst: „Warte. Gleich. Gib mir nur noch diesen kurzen Moment.“

„Leaaa! Leaaa!“ Der Ruf durchdringt die nun einfallenden Geigen, reißt mich hoch und zwingt mich, zur Seite zu schauen.
Mein Herz beginnt zu rasen. Julia ist auf einen Felsvorsprung geklettert und steht dort mit weit ausgebreiteten Armen, Gesicht und Körper dem weiß-blauen Panorama entgegengestreckt. Ich sehe, dass sie balancieren muss, um ihr Gleichgewicht zu halten. Ich erkenne die Pose und möchte schreien, denn hinter ihr ist kein DiCaprio, der ihr etwas ins Ohr flüstert, der zart ihre Taille umfasst und sie hält, wenn ihr Schwanken stärker wird.
Meine Hand sucht den Fensteröffner.
„Julia, komm sofort da runter! … Julia! … Bitte!“
Sekundenlang steht sie wie erstarrt. Ganz langsam dreht sie sich zur Seite und schaut rüber. Ich kann diesen Blick nicht deuten.
Mit einem gewagten Satz springt sie auf den Schotterboden der Plattform, knickt ein wenig ein, richtet sich wieder auf und kommt zum Auto, begleitet von Paukentönen, die düster über den Platz hallen. Ich habe nicht mitbekommen, dass die Musik irgendwann wilder geworden ist.
Ohne mich anzuschauen, öffnet sie die Tür und setzt sich neben mich.
„Was sollte der Blödsinn?“, frage ich schärfer als beabsichtigt, denn ich muss die jetzt schrill einsetzenden Bläser übertönen. Reflexartig drücke ich den Knopf. Die schroff eintretende Stille hat etwas Theatralisches.
Ich muss ein paar Mal tief durchatmen, bevor ich mich zur Seite drehen kann.
Julia weint, ganz leise. Eine Träne hat sich gelöst und rinnt, eine dunkle Spur hinter sich herziehend, langsam zum Kinn, bleibt kurz hängen und fällt dann auf ihr Bein.
Als ich ihr ein Taschentuch reichen möchte, beginnt sie zu schluchzen.
Wortlos schauen wir auf das im Sonnenschein glitzernde Schneegebirge.

Allmählich beruhigen wir uns. Julia versucht, die Flecken unter ihren Augen mit dem Handrücken wegzureiben, aber sie verschmiert sie nur. Zurück bleiben zwei ausgefranste, dreckige Halbmonde. Sie ist sehr blass. War sie das schon bei unserer Abfahrt?
Ich lege ihr das Taschentuch aufs Bein. Diesmal greift sie danach.
„Komm, Julia. Lass gut sein. Fahren wir weiter.“

Granada. Alles ist anders, ernüchternd: die staubige Öde des Parkareals, die Unzahl der Hinweisschilder, die schreienden Parkplatzwächter, die langen Busreihen.
Das ist nicht das Granada meiner Erinnerung. Ich spüre, wie ich tiefer in meinen Sitz sinke und am liebsten für mich bleiben möchte. Was soll ich hier?
Sie haben mich überredet – ich habe mich überreden lassen. Es war wohl diese leise Stimme, die mir eine Möglichkeit vorgaukelte, hinauszufinden aus diesem Loch, in das ich spätestens am Ende des Tages zurückfalle.
Und natürlich war es meine Schwester, die wie so oft zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen wollte: „Du bist nicht so allein und kommst auf andere Gedanken.“ „Ihr könnt euch schon mal ein bisschen beschnuppern. Wenn Julia dann im nächsten Semester in deine Mansarde zieht, seid ihr euch nicht mehr so fremd.“
Julia macht ihre Sache gut. Sie spricht spanisch, kümmert sich um alles, organisiert, passt auf, dass alles läuft, wie wir es geplant haben, und quält sich für mich sogar durch endlose Serpentinen.
Nur zu sagen haben wir uns nicht viel. Aber wem hätte ich im Moment überhaupt etwas zu sagen, jetzt, da du dich für immer aus dem Staub gemacht, mich allein zurückgelassen hast. Dir würde ich gerne meinen Frust über all das hier anvertrauen, sagen, wie es um den Zauber Granadas bestellt ist.

Andalusien. Unser Andalusien. Das ist dreißig Jahre her. Was mir geblieben ist, sind Bilder, Ausrisse. Eine enge, quirlige Gasse in Sevilla, rotkarierte Decken auf wackligen Tischen, die samtene Kühle des Abends am Fluss, weiß gekalkte Bergdörfer mit endlosen Ausblicken. Und mittendrin wir – nur wir.

„Die Führung beginnt um zwei.“ Julia wedelt mit den Karten. „Wir können aber schon reingehen und uns das eine oder andere ansehen. Hast du eine Idee, womit du anfangen möchtest?“
Ich habe keine Idee, würde mir am liebsten einen schattigen Platz suchen, an dem es ruhig ist, an dem es keine Menschen gibt.
„Weißt du was, Julia. Wir treffen uns gegen zwei am Eingang. Schau dir nur an, was dir gefällt. Ich mach es mir irgendwo bequem.“

‚Bequem’ geht leider nicht. Es gibt hier keine Bänke und wie damals setze ich mich auf eine dieser niedrigen Steinstufen im Halbschatten. Erst als ich sitze, wird mir klar, dass das Aufstehen schwierig sein wird.
Ruhig ist es hier. Nur das stetige Plätschern der kleinen, sich kreuzenden Fontänen. Ein paar Japaner schleichen vorbei, verbeugen sich dafür, dass ich meine ausgestreckten Beine zu mir ziehe. Dann sind auch sie im Palast verschwunden. Der Innenhof ist zu einem sakralen Ort geworden.

Aus dem kühlen Halbschatten der Kolonnaden schauen wir in den Patio, spüren seine Zeitlosigkeit. Du möchtest die Andacht des Ortes nicht stören, murmelst leise etwas von all denen, die hier gelebt haben: Römer, Juden, Araber, engstirnige katholische Könige. Ich höre Namen, die mir nichts bedeuten, die ich gleich wieder vergesse.
„Was glaubst du, was von uns bleibt, wenn wir nicht mehr sind?“, unterbreche ich dich flüsternd.
Du legst den Reiseführer zur Seite. Überlegst. „Wahrscheinlich nicht viel ... Mit Sicherheit keine Paläste.“
Ich strecke meine Beine, lehne mich an eine Säule.
„Meinst du, dass da gar nichts bleibt?“
„Keine Ahnung.“ Eine Strähne meines Haares hat es dir angetan und du wickelst sie um einen Finger.
Ich nehme deine Hand, möchte, dass du mir zuhörst.
„Aber irgendwas muss doch bleiben. Es kann doch nicht sein, dass wir einfach weg sind, so als hätte es uns nie gegeben.“
„Kinder. Man sagt, in unseren Kindern leben wir weiter.“
„Und wenn wir keine Kinder haben? Was dann? Ende – aus – gar nichts?“
Du lässt dir Zeit, greifst wieder nach meinem Haar.
„Erinnerungen.“
„Erinnerungen?“
„Ja, das wird es sein. Erinnerungen der anderen an uns. Vielleicht wird da jemand sein, der uns für irgendetwas dankbar ist, der lächelt, wenn er an uns denkt?“
Du streichst mir das Haar aus der Stirn, schaust mir in die Augen und grinst: „Oder für immer sauer auf uns ist.“
Dir ist nach Zärtlichkeit, nicht nach philosophischem Geplänkel.

Julia ist schon vor mir zurückgekommen. Nach vorne gebeugt sitzt sie auf einer Bank und betrachtet etwas in ihrer Hand. Erst, als ich neben ihr stehe, zuckt sie zusammen und rückt zur Seite – etwas weiter als nötig.
„Na, bist du beeindruckt?“
Sie nickt. „Sehr. Alles ist wirklich sehr schön.“
Wie so oft bricht unser Gespräch einfach ab. Wir sitzen schweigend und schauen auf die Türme der Burganlage.
Die Sache am Pass fällt mir ein. Und ihr Gesichtsausdruck.
„Julia, ist alles in Ordnung mit dir?“
„Ja. Alles okay.“
„Wirklich?“
„Ja. Ja. Alles in Ordnung.“
Sie verschränkt die Arme. Ich verstehe. Aber ich möchte nicht aufgeben.
„Oder ist es etwas mit mir? Du kannst es ruhig sagen.“
„Nein, nichts mit dir.“
Sie dreht sich zu mir. Ihre Augen sind grün mit ein bisschen Braun in der Mitte. Hat sie eigentlich einen Freund?
„Weißt du, Lea. Diese Reise … Das ist deine Reise.“
„Ja, und es ist schön, dass ich dich dabei habe.“ Ich tätschle ihre Hand, doch sie beachtet meine Geste gar nicht.
„Das mit dir ist wirklich nicht ganz leicht.“
Sie schaut zur Burg.
„Du bist da und gleichzeitig nicht da. Du lächelst und bist nett, aber alles eigentlich nur, damit man dich ganz schnell wieder in Ruhe lässt.“
Ihr Blick wird unsicher und sucht Halt an ihren Händen.
„Irgendwie suhlst du dich in deiner Trauer.“
„Ich suhle mich in meiner Trauer? Empfindest du das so?“
„Ja. Und du passt gut auf, dass niemand dich dabei stört.“
Sie hebt den Kopf. „Nur heute morgen, … da oben in der Sierra, als du so wütend geworden bist … Weißt du, da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass du mich überhaupt wahrnimmst.“
Sie holt tief Luft.
„Und außerdem: Es gibt nicht nur dich auf der Welt.“
Es fällt mir schwer, bei dieser Phrase nicht zu lächeln. Doch sie achtet gar nicht auf mich.
„Andere Menschen kommen auch nicht immer weiter, … und wissen nicht, was sie tun sollen. … Auch sie möchten am liebsten einfach liegen bleiben.“
Bevor ich etwas erwidern kann, werden wir abgelenkt.
„Lea, sieh mal, ich glaube, die warten auf uns.“
Wir haben nicht bemerkt, dass sich inzwischen ein paar Leute eingefunden haben, die wie wir an der Führung teilnehmen wollen.
Julia springt auf und läuft winkend zu ihnen.

Ein Bild liegt auf der Bank. Ich nehme es an mich.


Wieder werden die verzweifelten Fahrer in den Autos hinter uns riskante Überholmanöver in Erwägung ziehen.

„Lea, sollen wir oben noch mal eine kleine Pause machen?“
„Ja, warum nicht. Aber …“
Sie errät meine Gedanken: „Keine Sorge. Diesmal ohne Akrobatik.“

Der Aussichtsplatz ist leer. Wir parken so, dass wir vom Auto aus einen Blick nach Osten über die zur Ebene abfallenden Bergketten haben. Sogar das Meer ist zu sehen. Die Abhänge vor uns sind karg und graugrün, das Weiß der Berge im Norden hebt sich scharf ab vom dunklen Blau des Himmels.
Kaum spürbar, aber stetig verändert sich die Szenerie. Die von der untergehenden Sonne angestrahlten Wolken zerrinnen zu pastellfarbenen Streifen und allmählich nehmen die Bergketten den Ton alten Kupfers an. Gleichzeitig vermehren sich die Grautöne über uns, bis zum Schluss die Ebene völlig im Dunkeln liegt und die Lichter der Dörfer aussehen wie weiße Stecknadelköpfe auf dunklen Kissen.

„Lea, schau mal in den Rückspiegel.“
Der Himmel hinter uns ist feuerrot.
„Das ist fantastisch! Komm, lass uns aussteigen!“
Diesmal lasse ich mich nicht bitten. Wir setzen uns auf die kleine Mauer und schauen nach Westen. Während es hinter uns Nacht ist, steht der Himmel über den Bergen vor uns in Flammen. Ich verliere mich in diesen Anblick, kann nicht aufhören, zu schauen, und wünsche mir, dieses Erlebnis endlos zu verlängern. Nach und nach lösen Blau- und Lilatöne das Orange-Rot ab. Dann erst siegt auch dort die Dunkelheit.
Julia neben mir beginnt zu frösteln. Ich lege meinen Arm um ihre Schulter und wundere mich, dass mir nicht kalt ist.
„Was meinst du? Sollen wir weiter?“ Sie sagt es ganz leise. „Oder sollen wir noch ein bisschen bleiben?“
„Nein, ich glaube, jetzt können wir fahren.“

Im Auto fällt es mir ein.
„Julia, …“
„Ja, Lea?“
„Noch etwas.“ Ich knipse das Licht an und fasse in meine Tasche.
„Hier, ich glaube, das hast du auf der Bank vergessen.“
Julia schaut auf das Bild.
„Du hast das?“
Ich reiche es ihr und stumm betrachten wir das winzige Wesen.

All die Fragen, die mir durch den Kopf gehen, seitdem ich das Bild von der Bank genommen habe, drängen nach vorne. Ich wäge ab und verwerfe, fürchte, das Zerbrechliche unserer neuen Vertrautheit durch plumpe Neugierde zu gefährden.

Julia fährt mit dem Zeigefinger über die noch undeutliche Kontur, umrundet sie immer wieder.
Es braucht Zeit, bis ich mich traue, unsere Stille zu durchbrechen.
„Julia, mir ist wichtig, dass du etwas weißt: ...“
Die Feierlichkeit meiner Stimme stört mich und ich beginne noch einmal. Doch es wird nicht besser:
„Weißt du, wie immer du dich entscheiden wirst: …“
Ich stocke wieder. Was rede ich da für einen Blödsinn? Hat sie sich nicht längst entschieden?
„Julia, vor der Zukunft solltest du keine Angst haben.“
„Ja?“
„Dass du bei mir wohnen kannst, das weißt du. Das Haus ist groß genug.“
„Ja.“
Hört sie mir eigentlich zu? Aber ich muss ihr das jetzt sagen, später fehlt mir vielleicht der Mut dazu.
„Da ist noch etwas, was ich dir geben kann.“
„Ja?“
„Sieh mal. Ich habe jetzt viel Zeit, sehr viel Zeit. … Mehr als ich für mich brauche.“
Immer noch liegt ihr Blick auf dem kleinen Bild und ich frage mich, ob sie das, was ich sage, überhaupt erreicht.
Julia hebt den Kopf und lächelt. Und diesmal ist sie es, die ihren Arm um mich legt. Ich spüre, wie sich eine Träne löst und nehme das Taschentuch, das sie mir reicht.

 

Hallo Barnhelm,
so viel Lob von allen Seiten - und das auch sehr zurecht. Das ist ja ein fast makelloser Text, die Proportionen stimmen, die Sprache ist klar, die Autorin klug. Und doch scheint mir, dass Deine Stärke (handwerklich versiert) ein bisschen auch eine Schwäche ist. Was ist sagen will: Mir ist der Text dann doch etwas zu selbstgenügsam. Ein bisschen mehr Verzweiflung (statt sanfter Melancholie) und hier und da explizitere Aussagen (statt allzu schlanker Dialoge) - zumindest mir würde das gefallen. Alles in allem aber zweifellos ein sehr starker Text, der auch berührt. Kompliment!

 

Liebe/r JPHoffmann,

ich begrüße dich bei den Wortkriegern und wünsche dir hier viel Spaß.
Schön, dass du dich schon ein bisschen besser in der Welt der Wortkrieger und ihrer Austausch-Geflogenheiten zurechtfindest und danke für deinen Kommentar.

Beginne ich mit dem Ende:

Alles in allem aber zweifellos ein sehr starker Text, der auch berührt. Kompliment!

Das höre ich doch gerne.

Vorher relativierst du dein Urteil:

Was ist sagen will: Mir ist der Text dann doch etwas zu selbstgenügsam. Ein bisschen mehr Verzweiflung (statt sanfter Melancholie) und hier und da explizitere Aussagen (statt allzu schlanker Dialoge) - zumindest mir würde das gefallen.

Unter dem ‚bisschen mehr Verzweiflung’ kann ich mir durchaus etwas vorstellen, unter den ‚expliziteren Aussagen’ leider nicht. Da hätte ich schon ganz gerne etwas Konkreteres, um zu verstehen, was du hier meinst. Und auch die Formulierung ‚zu selbstgenügsam’ ist möglicherweise richtig, doch auch hier erschließt sich mir das von dir Gemeinte - so knapp angetippt - noch nicht so recht.

Auf jeden Fall danke fürs Feedback
und auch dir
angenehme Weihnachtsage

wünscht dir
barnhelm

 
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Liebe Barnhelm,

wenn es beim Lesen einer Geschichte nicht eine einzige Figur gibt, der ich am liebsten den Hals umdrehen würde, ist doch etwas faul, oder nicht? Aber ernsthaft, ich finde, Du machst es Deinen Lesern ein bisschen zu leicht, Deine Geschichte zu mögen. Dazu gleich mehr.

Ganz grundsätzlich hat sich Deine Art zu schreiben stark weiterentwickelt, finde ich. Die Härte und Nüchternheit der ersten Texte ist jetzt einer sensiblen, oft poetischen Sprache gewichen. Das gefällt mir sehr gut. Die Dialoge funktionieren für mich, ich sehe die Figuren und ihre Motive klar vor mir, und auch Andalusien erkenne ich wieder. Wenn ich an meine Erfahrungen in Tarifa, Granada und Sevilla denke, dann vermisse ich ein wenig die Erwähnung der vielen unterschiedlichen Gerüche, aber das ist Nebensache.

Die einzelnen Abschnitte der Reise passen gut zusammen, nach und nach entwickeln sich Story und Figuren zu einem verständlichen und berührenden Bild, das hast Du sehr gut gemacht, finde ich. Zwei Dinge sind mir aufgefallen, die ich anders gelöst hätte, würde ich so eine Geschichte schreiben. Das ist nicht einmal Kritik, sondern eher persönliche Herangehensweise, denke ich.

Erstens die Wahl der Zeitform. Folgendes ist im Grunde unmöglich:

Ich gehe die Straße entlang, sehe die Häuser links und rechts, die blühenden Bäume. Ich rieche den Duft der Blüten. Ich denke an die zurückliegenden Wochen, in denen ich …

Kein Mensch nimmt die Welt (die innere wie die äußere) auf diese Weise wahr, außer vielleicht für eine kurze Zeit die Teilnehmer eines Vipassanā-Retreats. Die Empfindung und die Beschreibung dieser Empfindung sind zwei verschiedene Dinge. Niemand betrachtet eine Blume und denkt: Ich betrachte eine Blume.

Deshalb gibt es auf der ganzen Welt auch keinen Menschen, dem folgendes durch den Kopf geht:

Der leichte Hauch ihres Parfüms kitzelt meine Nase.

Nun könntest Du einwenden, dass das Deine Figur ja eben nicht lediglich denkt, sondern erzählt. Aber da liegt der Knackpunkt. Das ist unmöglich. Entweder wir erleben die Welt oder wir reflektieren über das, was wir erlebt haben. Beides zur gleichen Zeit geht nicht, zumindest nicht in der Komplexität, die zum Erzählen einer Geschichte nötig ist.

Überhaupt: Eine Geschichte ist immer etwas Geformtes. Sie entsteht nicht spontan, sondern stets retrospektiv. Mit anderen Worten: Niemand erlebt eine Geschichte. Geschichten entwickeln sich erst hinterher, indem wir Ereignisse miteinander in Verbindung setzen. Woher weiß Deine Erzählerin, welche Begebenheiten zur Geschichte gehören und welche weggelassen werden können?

In der Summe bedeutet das für mich, dass diese Zeitform den Effekt einer scheinbaren Unmittelbarkeit damit erkauft, dass jeder Leser, der die menschliche Wahrnehmung kennt, weiß, dass es so einfach nicht passiert sein kann. (Natürlich gehen alle Leser mit dem Wissen daran, dass es sich um Fiktion handelt. Aber dieser Punkt ist noch bedeutsamer, denn das hat in etwa den gleichen Stellenwert, als würde der Erzähler behaupten, er könnte mit einem Röntgenblick die inneren Organe seiner Mitmenschen durchleuchten. So wie es die Erzählerin behauptet, kann es nicht gewesen sein.)

Vielleicht übersehe ich da etwas. Wie siehst Du das?

Zweitens das Thema Widerständigkeit. Adorno forderte, dass Literatur vor allem Wut auslösen müsse, und von allen Kriterien nach denen Intellektuelle Literatur beurteilen ist Widerständigkeit die am meisten geschätzte. Habe ich gelesen. Ich kann das nicht beurteilen, aber im Fall Deiner Geschichte finde ich trotzdem, dass das Ganze ein wenig zu lieb und verständnisvoll über die Bühne geht.

Es gibt da diesen Hauch von Konflikt, die Tante ist ein wenig abweisend (was wir natürlich verstehen, denn schließlich hat sie einen Verlust erlitten) und die Nichte ist ein bisschen verstimmt (wir verstehen auch das, denn schließlich will sie ja ihre Tante trösten und eine schöne Zeit mit ihr verbringen). Und dann erfährt die Tante durch einen Zufall (!), dass die Nichte schwanger ist und sieht wie in einem Spiegel vor sich, dass sie in ihrer (verständlichen) Trauer nur an sich und ihre eigenen Gefühle gedacht hat. Und natürlich ändert das kleine Wesen auf dem Ultraschallbild sofort ihre Haltung. Hach, das geht zu Herzen.

Sei mir nicht böse, ich mach mich nicht lustig darüber, naja ein bisschen vielleicht. Aber Deine Figuren sind eben so lieb und verständnisvoll, so empfindsam und … gut - man möchte sie alle umarmen.

Hätte ich diese Geschichte geschrieben, dann wären beide Figuren etwas widerständiger geworden. Zumindest am Anfang. Sie hätten sich der Umarmung des Lesers widersetzt und gesagt: Du kannst mich mal, ist mir egal, ob Du mich magst oder nicht. Mach es dem Leser nicht zu leicht. Natürlich ist es ein Balanceakt.

Ungerechterweise kann eine literarische Figur in der Theorie niemals zu schlecht, zu gemein oder zu dumm sein. Sie kann aber sehr wohl zu gut, zu empfindsam, zu sympathisch sein.

Ich hoffe, meine Gedanken bringen Dir ein bisschen was.

Lieber Gruß
Achillus

 

Liebe barnhelm,

also, mein Kürzungsvorschlag im Dialog, der war rabiat und provokant. Das hab ich schon beim Schreiben gemerkt. ;) Ich bin jedenfalls gespannt und werde weiterverfolgen, wie sich die Dialoge entwickeln.

Etwas liegt auf der Bank. Ich nehme es an mich.

Zu der Stelle wollte ich noch einmal etwas schreiben. In meinem ersten, unbeholfenen Kommentar konnte ich noch nicht genau benennen, was mich an der Stelle stört:
Das ‚etwas‘ ist mir zu vage, sozusagen Geheimniskrämerei dem Leser gegenüber. Das solltest du meines Erachtens zu einem Stück Papier präzisieren.
Gleichzeitig würde es mir gefallen, wenn deutlich würde, dass sie zu dem Zeitpunkt, da sie es an sich nimmt, noch nicht bemerkt, dass es ein Ultraschallbild ist. Möglicherweise liegt da noch mehr Papier, eine Zeitschrift, ein Werbeprospekt? Du willst uns die Szene, in der die Protagonistin für sich alleine die Bedeutung des Blattes begreift, nicht zeigen. Das finde ich richtig, aber dann sollte das auch für den Leser ganz deutlich sein. Keine Ahnung, ob dir das hilft. Ich merke immer mehr, wie schwierig es eigentlich ist, konstruktive Kommentare zu schreiben. :shy:

Ein zeitloses Thema, das du da gewählt hast, und bei mir schwingen da eigene Erinnerungen und Gedanken mit. Die zeitlichen Konstellationen in Familien sind immer wieder anders. Wer wird wann schwanger, welche Großelternteile/Onkel/Tanten lernt ein Kind noch kennen, welche versterben schon vor seiner Geburt, so dass nur Erzählungen bleiben, Familienähnlichkeiten werden heraufbeschworen, aber man ist sich nicht mehr begegnet, hatte keine gemeinsame Zeit miteinander, so in der Art. Ein großartiges Thema.

Weihnachtliche Grüße
Anne

 

Lieber Friedel: Zum Jahresende möchte ich dir einmal für dein unermüdliches Flusen-Suchen danken.

Ha, die Formatierungsleiste ist wieder da und Anlass genug, sie auch zu nutzen.

Liebe barnhelm (das vertrautere Minna lass ich mal weg - wie kam Lessing eigentlich auf den Vornamen seiner Heldin ...),

ich bin gerührt. Nee, das wäre nun zu viel, auch noch Handtücher hier liegen zu haben, um die Träne wegzuwischen, dafür hab ich viel zu nah am Kommödchen und Harald Schm. gebaut. Aber ein bisschen bin ich schon gerührt ...

Danke dfür und aus Wandalusien (Wandalismus ist ja erst durch Voltaire in die Welt gekommen, der namenspendende Verband ostgermanistischer Zunge hat sich nicht anders verhalten, als die latinisierte Zivilisation nebst den Bartträgern, die beschwerlich da durchmarschierten mit Kind und Kegel)

schöne Tage zwischen den Jahren!

von Friedel, dem Dante Friedchen und/oder Het windje

 

Liebe barnhelm,

von Beginn an fasziniert mich die spröde Lea. Obwohl du aus ihrer Sicht schreibst, bin ich gleich mit Julia identifiziert und ich denke, wie ätzend es sein muß, mit einer muffeligen Tante, bei der man auch noch einziehen will, den Urlaub zu verbringen. Sich immer das leidende Gesicht ansehen müssen, obwohl man sich soviel Mühe gibt. Wie einsam sich Julia fühlen muss. Sie kommt mir so vor, als wäre sie Leas Krankenschwester. Bis sie ihre Tante auf der linken Spur überholt und sich in Selbstmörderpose auf den Felsen stellt. Klasse!

Seit Beginn unserer Reise verzichtet sie auf das ‚Tante’. Warum, weiß ich nicht, doch es gefällt mir.

Dein Text ist voll von so raffinierten Details.


Ich stelle mir die Fahrer hinter uns vor, wenn unsere Bremslichter wieder einmal viel zu früh aufleuchten.

Auch schön, dass die Jüngere die Vorsichtigere, Ängstliche ist.


„Lass nur.“ Ich ziehe die Tür zu mir. „Ich kann mir das alles auch von hier aus ansehen.“
Unverhofft zerreißen harte, exzentrische Klavierschläge die Ruhe des Morgens. Die Stelle kommt mir bekannt vor. Irgendein Russe.
Julia gibt auf und mit einem dumpfen Ton rastet die Tür ein.

Grandios gemacht. Wie sie ihre Nichte missachtet. Ihre Bemühungen abweist und sofort bei ihrem Kram ist. Nee, also mir geht es anders als Achillus, die löst doch einiges bei mir aus.


Wir sind nicht allein hier oben. Ein junger Mann sucht nach der richtigen Position, um alles gleichzeitig auf’s Bild zu bekommen: seine Begleiterin, das Wolkenmeer unterhalb der kleinen Steinmauer und die sich bis zum Horizont ausdehnende, weißbedeckte Bergkette. Nach dem dritten Versuch scheint der Frau das Hin und Her zu reichen. Sie zieht die dünne Jacke enger zusammen und strebt dem Parkplatz zu.
Die Musik ist ruhiger geworden. Eine Oboe hat ihr poetisches Spiel begonnen. Ich lehne mich zurück und schließe die Augen.

Wunderschöne Beschreibung.


„Leaaa! Leaaa!“ Der Ruf durchdringt die nun einfallenden Geigen, reißt mich hoch und zwingt mich, zur Seite zu schauen.

Ich verstehe nicht ganz, warum Julia hier nach ihr ruft. Fände es, glaube ich passender, wenn Leahs Blick zufällig nach draussen fällt.


Was ist los mit diesem Mädchen?

Auch am Ende dieser Stelle empfinde ich Leah noch sehr spröde. Sie realisiert nur langsam, dass da was nicht stimmt. Wirkt eher irritiert, als mitfühlend.


Wie so oft bricht unser Gespräch einfach ab. Wir sitzen schweigend und schauen auf die Türme der Burganlage.

Und bisher hat sie selbst für die Beziehung auch nichts getan. Das ändert sich jetzt.


„Lea. … Diese Reise … Das ist deine Reise.“
„Ja, und es ist schön, dass ich dich dabei habe.“ Ich tätschle ihre Hand, doch sie beachtet meine Geste gar nicht.

Wie Leah erst mehr insistiert als gewohnt, dann aber wieder so eine Phrase bringt, eine beschwichtigende Geste macht. Aber sie hat die Tür für Julia schon geöffnet und die möchte sprechen.

Der Dialog, wo Julia erzählt, wie schwierig es mit Leah ist, der ist mir zu explizit. Tatsächlich finde ich den Vorschlag von Anne49, da zu kürzen, gut. Hier reagiert Leah übrigens wiederum überraschend wenig gekränkt und das nimmt mich wieder für sie ein.

Und Annes zweiten Vorschlag, von einem Zettel zu schreiben, den sie auf der Bank findet, gefällt mir auch.


Julia neben mir beginnt zu frösteln. Ich lege meinen Arm um ihre Schulter und wundere mich, dass mir nicht kalt ist.

Toll. Endlich fließt da was zwischen ihnen und ihr wird warm. Sie findet zu ihrer Stärke.


Das Ende ist mir irgendwie etwas zu romantisch. Vielleicht wenn der allerletzte Satz wegfiele und es bei diesem wunderbar Unbeholfenen zwischen den beiden bliebe.

Ich bin sehr beeindruckt, wie gut es dir gelingt, diese Zwischentöne zu zeigen. In Andalusien habe ich mal einen traumhaft schönen Urlaub verbracht, toll, wie du das Ganze mit dieser Reise verflochten hast. Hat mir sehr gut gefallen, barnhelm.

Fröhliche Weihnachten wünscht

Chutney

 

Lieber Achillus, Liebe Anne 49, lieber Friedrichard und liebe Chutney,

jetzt wird es bei mir leider doch ein bisschen eng, weil ein paar Weihnachts-Festivitäten anstehen, auf die ich meine Aufmerksamkeit richten muss. Keine Ahnung, ob zwischendurch Zeit bleibt, ausführlich auf eure wirklich hilfreichen Kommentare einzugehen. Ich melde mich spätestens am 27.

Euch allen schöne Weihnachten und liebe Grüße
von
barnhelm

 

Lieber Achillus,

danke für deinen wieder einmal sehr anregenden Kommentar. Immer schaffen es deinen Äußerungen, mich zum Überlegen zu bringen und scheinbar Sicheres in Frage zu stellen. So auch diesmal.

Ich habe ein bisschen gebraucht, um hinter deine erste Anmerkung zu steigen. Und du hast natürlich recht, wenn man logisch an meinen ersten Satz herangeht und auf die Unmöglichkeit hinweist, eine Geschichte im Präsens zu erzählen. Denn, das habe ich verstanden, wie schon das von ‚Geschehen’ abgeleitete Wort sagt, kann man nur Vergangenes erzählen. Und die Perspektive des Ich-Erzählers im Präsens ist natürlich noch problematischer. Gegen deine Meinung lässt sich eigentlich nichts anbringen, außer, dass ich es als Stilmittel betrachte und es durchaus eine Reihe von Beispielen gibt, in denen das ebenso gemacht wird und – je nachdem, wie großzügig man es betrachtet – auch funktioniert.

Ein Beispiel von vielen:

Als ich aufwache, ist die andere Seite des Bettes kalt. Ich strecke die Finger aus und suche nach Prims Wärme, finde aber nur das raue Leinen auf der Matratze. Prim muss schlecht geträumt haben und zu Mutter geklettert sein. Natürlich. Heute ist der Tag der Ernte.
Ich stütze mich auf den Ellbogen. Das Licht im Schlafzimmer reicht aus, um die beiden zu sehen. Meine kleine Schwester Prim, auf der Seite zusammengekauert, eingesponnen in Mutters Körper, Wange an Wange. Im Schlaf sieht meine Mutter jünger aus, immer noch erschöpft, aber nicht so resigniert. …
So beginnen die ‚Tribute von Panem’.

Trotz der Einsicht, dass das alles eine logische Unmöglichkeit ist, lasse ich es in meiner Geschichte mal so, wie es nun mal ist. Denn nach wie vor gefällt es mir eigentlich. Aber es war interessant, auf dieses Paradoxon hingewiesen zu werden und ich werde es bei zukünftigen Geschichten im Kopf behalten.

Nun zu einem anderen Punkt: Alle in meiner Geschichte sind dir ‚zu lieb’, der Konflikt ist zu harmlos und alles zusammen wird der Forderung Adornos

Adorno forderte, dass Literatur vor allem Wut auslösen müsse, und von allen Kriterien nach denen Intellektuelle Literatur beurteilen ist Widerständigkeit die am meisten geschätzte.
nicht gerecht.

Erst mal überrascht und amüsiert es mich ein wenig, dass du meine kleine ‚Tante-Nichte’-Geschichte als Literatur bezeichnest. Davon ist sie mMn sehr weit entfernt. Ich habe nur im Rahmen dieser Challenge mal wieder einen Beitrag kredenzt und dabei als Hobby-Schreiberin versucht, mein Bestes zu geben. Dabei war mir eigentliche die sprachliche Seite am wichtigsten. Teilweise scheint mir das gelungen zu sein, teilweise noch nicht so recht. In meinem Kopf war die Idee, ein kleines Kammerspiel zu veranstalten, in dem zwei unterschiedliche Frauen zueinander finden. Eine kleine alltägliche Situation halt. Ich liebe solche Konstellation, bin mir aber bewusst, dass sie – je nach Anspruch des Lesers - als recht brav aufgenommen werden können.
Wie also könnte mein Plot oder mein Personal ‚Wut’ auslösen? Indem ich Lea zerrissener darstelle, die beiden Protagonistinnen härter aufeinanderprallen lasse, wie der eine oder andere das vorschlägt? Darüber habe ich nachgedacht. Ich könnte Lea in ihrer Suche nach Sinn vielleicht sehr nahe an einen Selbstmord heranbringen oder ihren und Julias innere Konflikte expliziter machen. Das würde den Leser vielleicht stärker in die innere und äußere Auseinandersetzung ziehen. Das sicher. Aber dafür brauchte alles viel mehr Raum, als ich meiner Geschichte bisher gebe. Ich erwäge durchaus so etwas in dieser Richtung.

Nur ob dieser letztendlich sehr alltagsverhaftete Konflikt im Leser so starke Emotionen auslösen könnte, wie von Adorno gefordert, bezweifle ich doch sehr.

Fazit: Ich stimme dir zu, dass ich das Konfliktpotential (das innere der Personen und das äußere der Auseinandersetzung) meiner Geschichte stärker hätte ausschöpfen könnte, damit am Ende beide nicht ‚so lieb’ bleiben. Darüber werde ich nachdenken. Mir liegt es eigentlich nicht, meinen Figuren übertrieben negative Eigenschaften zu verpassen, nur damit der Konflikt als solcher auch klarer nachvollzogen werden kann. Und außerdem habe ich ein wenig Angst davor, in ein Schwarz-Weiß-Szenarium zu geraten.

Achillus, wie immer danke ich dir für deine anregenden Gedanken.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Hi barnhelm!

Eine schöne, bitter-süß-melancholische Geschichte ist das. Die Elemente sind mit viel Feingefühl und sehr zart aufeinander abgestimmt. Insgesamt hat mir die Geschichte gut gefallen und ich habe sie gern gelesen.

[...] Römer, Juden, Araber, engstirnige katholische Könige.
In der Aufzählung belegst du ausschließlich die -katholischen- Könige mit einem (negativen) Adjektiv. Da habe ich mich gefragt, warum ausgerechnet hier eine solche Präzisierung gewählt wurde. Mal davon abgesehen, dass ich diese Beschreibung schön plastisch und greifbar finde, denn unter Engstirnigkeit kann man sich gut etwas vorstellen.

Dein Stil als solcher ist gewohnt tadellos und die Geschichte souverän geschrieben. Von der Erzählweise hat mich die Geschichte fast ein wenig an Frischs' Homo Faber erinnert.

Und lustig fand ich diese Stelle hier:

„Leaaa! Leaaa!“
Sorry, aber da hatte ich einfach auch das Bild vor Augen, wie Julia während dieses Ausrufs mit rudernden Armen einen Abflug vom Geländer macht:D.
Das wäre ja nicht witzig und keine Ahnung, was da in meinem Kopp vor sich geht, aber ich musste halt grinsen, als ich das las.;)

Schön hast du auch die Verknüpfung zwischen der Taschentuchszene hinbekommen, wie sich die Rollen am Anfang und Ende vertauscht haben. Das war gut durchdacht.

Eine gute Geschichte, die sich schön liest.

Einen guten Rutsch ins neue Jahr ohne engstirnige Zeitgenossen wünscht dir der EISENMANN

 

Anne49 schrieb:
Das ‚etwas‘ ist mir zu vage, sozusagen Geheimniskrämerei dem Leser gegenüber. Das solltest du meines Erachtens zu einem Stück Papier präzisieren.
Gleichzeitig würde es mir gefallen, wenn deutlich würde, dass sie zu dem Zeitpunkt, da sie es an sich nimmt, noch nicht bemerkt, dass es ein Ultraschallbild ist. Möglicherweise liegt da noch mehr Papier, eine Zeitschrift, ein Werbeprospekt? Du willst uns die Szene, in der die Protagonistin für sich alleine die Bedeutung des Blattes begreift, nicht zeigen. Das finde ich richtig, aber dann sollte das auch für den Leser ganz deutlich sein. Keine Ahnung, ob dir das hilft. Ich merke immer mehr, wie schwierig es eigentlich ist, konstruktive Kommentare zu schreiben.

Liebe Anne49,

danke für deinen Hinweis. Meine Gedanken gehen in die Richtung deines Vorschlags. So ganz zufrieden war ich mit meiner Lösung nicht und du bringst es gut auf den Punkt.
Und das Mitdenken und Alternativen aufzeigen ist ja allemal etwas Konstruktives.

Dir schon jetzt einen guten Rutsch ins neue Jahr
und
Liebe Grüße von
barnhelm

Und auch dir, lieber Friedrichard danke für deine Zeilen.

Rutsch sicher und angenehm ins neue Jahr.

Liebe Grüße
barnhelm


Liebe Chutney,

auch dir danke für deinen wohlwollenden Kommentar.

Chutney schrieb:
„Leaaa! Leaaa!“ Der Ruf durchdringt die nun einfallenden Geigen, reißt mich hoch und zwingt mich, zur Seite zu schauen.
Ich verstehe nicht ganz, warum Julia hier nach ihr ruft. Fände es, glaube ich passender, wenn Leahs Blick zufällig nach draussen fällt.
Das soll auch nicht so ganz klar werden. Ich hatte mir dieses Rufen als ein Auf-sich-aufmerksam-Machen Julias gedacht. Wenn Lea nur zufällig hinschaut, wäre diese Intention mMn nicht erfüllt.

Chutney schrieb:
Der Dialog, wo Julia erzählt, wie schwierig es mit Leah ist, der ist mir zu explizit. Tatsächlich finde ich den Vorschlag von Anne49, da zu kürzen, gut. Hier reagiert Leah übrigens wiederum überraschend wenig gekränkt und das nimmt mich wieder für sie ein.
Ich bin dabei, alle Äußerungen zu diesem Dialog zu sichten und eure Anregungen zu durchdenken. Die Feiertage bringen es leider mit sich, dass das Forum ein wenig in den Hintergrund treten muss und ich mein Vorhaben noch etwas vor mir herschiebe. Aber eine Änderung kommt bestimmt.

Liebe Chutney, ich freue mich, dass wir uns im nächsten Jahr begegnen werden und ich freue mich auch, dass du an dieser Challenge teilnimmst. Sobald mein Freiraum wieder etwas größer ist, werde ich mich zu deiner Geschichte äußern. Mein erster Eindruck von ihr ist sehr positiv.

Auch dir ein schönes Jahresende und einen guten Rutsch ins neue Jahr.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Lieber Eisenmann,

schön, dass dir meine kleine Geschichte gefallen hat, obwohl das sicher nicht dein favored Ding sein wird.

In der Aufzählung belegst du ausschließlich die -katholischen- Könige mit einem (negativen) Adjektiv. Da habe ich mich gefragt, warum ausgerechnet hier eine solche Präzisierung gewählt wurde.

Ja, das hat ein bisschen mit meiner Geschichtsbetrachtung zu tun: Den Römern war es eigentlich egal, welche Gottheiten die unterworfener Völker hatten, Hauptsache sie huldigten dem jeweiligen Kaiser – und hin und wieder klauten sie durchaus Götter unterworfener Völker, wenn es ihnen in den Kram passte (schau mal bei Konstantin). Da waren sie eher pragmatisch. Wer ihnen nützte, wurde schon mal leicht übernommen.
Die Juden und Araber waren für mein Empfinden schon recht aufgeklärt und tolerant und ließen andere Auffassungen zu. Das waren die christlichen Herrscher nicht: Im Jahr 1492 vertrieb man aus Andalusien alle Juden und im Jahr 1609 alle noch in Spanien lebenden (inzwischen christlichen) Mauren.

Und lustig fand ich diese Stelle hier:
„Leaaa! Leaaa!“
Sorry, aber da hatte ich einfach auch das Bild vor Augen, wie Julia während dieses Ausrufs mit rudernden Armen einen Abflug vom Geländer macht .
Diese Szene habe ich wirklich erlebt: Eine meiner jungen Freundinnen überraschte mich auf einer Gebirgsfahrt mit eben dieser Pose und – das muss wohl an meinem Alter liegen – ich reagierte wie meine Lea 'not amused'. Lustig konnte ich an dieser riskanten Haltung nichts finden. Aber ich kann nachvollziehen, wie das auf dich gewirkt hat.

Lieber Mann aus Eisen, komm gut ins neue Jahr und hüte dich vor echten und eingebildeten Haien:D.

Liebe Grüße
barnhelm

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe barnhelm

ein sanfter, berührender Text ist dir da gelungen. Eine Familiengeschichte im Kleinformat. Ruhige Töne, ungesättigte, aber nicht kontrastarme Farben. Man darf sich darauf einlassen und ein bisschen in der Stimmung deiner Worte mitschwingen. Dann ist es vorbei. Es hat gut getan. Hier ein paar Anmerkungen:

dass ich mich nur schlafend stelle.

„Lea“, sagt sie leise, „es wird Zeit. Der Mann mit dem Mietwagen wartet schon.“

du benutzt einige Füllwörter, die m. E. nach nicht viel zur Bedeutung deiner Sätze beitragen

Warum, weiß ich nicht, doch es gefällt mir.

"Ich weiß nicht warum, doch es gefällt mir" dein Spiel mit der Syntax führt hier ein bisschen ins Leere. Das würde ich kürzen.

Es ist etwas Forschendes darin

es liegt etwas Forschendes darin. (fänd ich von der Varianz schöner)

Ich frage mich, was sie ihr aufgetragen haben. Acht zu geben, dass ich nichts Unüberlegtes tue, dass ich genug esse, dass es nicht zu viel Wein wird?

würde ich ein bisschen mit deutlicheren Satzzeichen durchtakten. Hier bietet es sich an.

Ich frage mich, was sie ihr aufgetragen haben; acht zu geben, dass ich nichts Unüberlegtes tue? Dass ich genug esse? Dass es nicht zu viel Wein wird?

Ich weiß es nicht – und eigentlich interessiert es mich auch nicht.

Füllwörter ... (an der Stelle überlasse ich dir erst mal das Feld und gehe mal mehr auf andere Aspekte)

Schon möglich, dass ich das vergessen habe. Aber das wird sich wohl nachholen lassen.

(will doch lieber mit Klugscheißereien weitermachen ...) drei mal ‘das‘. Aus dem zweiten ließe sich problemlos ein 'es' machen. schon möglich, dass ich es vergessen habe.

schaue auf die Wand und wünsche mir

--> "schaue die Wand an."
Wenn du auf die Wand schaust, deutet das präpositional mehr auf ein darauf, also ein auf das obere einer deckenlosen Wand Schauen.

Julia schaut konzentriert nach vorne und umfasst das Lenkrad, als wolle es sich ihrem Griff entziehen.

hier könntest du ein bisschen ‘ausdünnen‘. Du hast da zwei Beobachtungen, die eigentlich nicht zusammengehören. Das geradeaus Schauen, das Greifen.

-->Konzentriert umfasst Julia das Lenkrad, als wolle es sich ihrem Griff entziehen.

Mit dem Radio beschäftigt, schüttle ich den Kopf

Ich befummele das Radio, schüttle den Kopf.

Wenn sie mit dem Radio 'beschäftig' ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie dabei den Kopf schüttelt. Wenn sie es ziellos ‘befummelt‘ schon eher.

Mein Herz beginnt zu rasen.

Ich mag diese ausgepinselten Reaktionen nicht so. An einer schnellen Aktion (sie geht hin) oder der nachfolgenden Frage (Was macht sie da bloß - die könnte btw. etwas konsternierter sein) wird das auch deutlich

Wortlos schauen wir auf das im Sonnenschein glitzernde Schneegebirge.

schön (pars pro toto - es gibt hier auch sehr sehr viele Stellen, die mir gefallen, die ich nicht alle einzeln anführen werde)


Allmählich beruhigen wir uns. Julia versucht, die Flecken unter ihren Augen mit dem Handrücken wegzureiben, aber sie verschmiert sie nur.

das erste kannst du weglassen

Zurück bleiben zwei ausgefranste, dreckige Halbmonde.

gut. sofort in Worte übersetzt. Gute Beobachtung.

Diesmal nimmt sie es.

könnte plastischer sein: Diesmal greift sie danach.

weiß gekalkte Bergdörfer mit endlosen Ausblicken.

schön!

Und mittendrin wir – nur wir.

too much (Wäre es deine dramatische Zuspitzung am Ende, da würde ein bisschen Pathos nicht schaden, aber hier finde ich es zu viel)

„Und wenn wir keine Kinder haben? Was dann? Ende – aus – gar nichts?

ähnlich. Obwohl ich den ganzen Absatz insgesamt sehr schön finde!

Abschließend kann ich sagen mir gefällt deine Geschichte. Ich glaube allerdings auch, du könntest noch ein bisschen mehr Zeit in den Entwurf stecken. Man spürt hier und da weiche Stellen auch wenn im Kern alles schon sehr stark zusammengewebt ist. Du könntest noch etwas auswüchsiger werden. Eine Sache noch: Bitte schau dir nicht meine aktuellen Stories an. Ich muss mich ein bisschen schämen, weil die sind nicht für Kritikeraugen gemacht.

Bis bald!
Carlo

 

Liebe barnhelm,


eine sehr feinfühlig erzählte Geschichte, die ich gerne gelesen habe, wenngleich mir gegen Ende die versöhnliche Entwicklung Leas ein wenig zu schnell geht. Dass dann auch noch Tränen fließen - okay es ist nur eine einzige, die sich löst - und ein Taschentuch gereicht wird, ist mir ein wenig too much. Für meinen Geschmack könntest du den potentiellen Verlauf ein wenig offener halten - ich denke, weiter Ausbauen wirst du den Text ja nicht wollen. Eine Möglichkeit wäre, auf den Großteil des letzten Dialogs bzw. der Innenansicht zu verzichten.
Du könntest bsp. hier den Absprung vollziehen:
Julia fährt mit dem Zeigefinger über die noch undeutliche Kontur, umrundet sie immer wieder.
Es braucht Zeit, bis ich mich traue, unsere (die) Stille zu durchbrechen.
ENDE.
Die dadurch offengehaltenen Räume zwängen mMn den Leser förmlich dazu, weiter nachzudenken, ohne einen Haken dahinter setzen zu können, nach dem Motto: Alles klar, Ende gut, alles gut.
Ich denke, die Geschichte könnte so noch länger nachhallen. Das aber nur so ein Gedanke von mir.

Ein weiterer Punkt ist die Sache mit dem Ultraschallbild. Ich muss zugeben, der Zufall hat mich da auch gestört. Das passt schon prima ins Konstrukt des Autors - leider lese ich das dann halt auch so. Kann natürlich einfach nur an mir liegen, klar.
Ich habe darüber nachgedacht, wie du das Problem (für mich :)) lösen könntest. Eine interessante Variante könnte mMn sein, dass Julia das Bild mit voller Absicht hat liegen lassen. Du bräuchtest nur ein, zwei Sätze, um das anzudeuten. Ich finde, das wäre auch im Bezug zu Julia schlüssig, die ja versucht, Lea aus ihrem Trauerhaus zu locken bzw. ihr irgendeine Reaktion u.o. Wahrnehmung abzutrotzen. Zudem sind Ängste in Julia verankert, wohl aufgrund ihrer Situation (Zukunftsängste?). Würde also schon passen für mich.
Das aber auch nur so eine Idee. Kannst ja mal darüber nachdenken, wenn du willst.


Kleinkram:


Der leichte Hauch ihres Parfüms kitzelt meine Nase.
Es gab ja schon ein wenig Diskussion zu deinem ersten Satz :).
Was mich daran stört, ist das Adjektiv. Das Leichte ist bereits im Substantiv "Hauch" enthalten - also redundant. Der Duden definiert in seiner Bedeutungsübersicht "Hauch" u.a. mit "leichter Luftzug", "leichter Duft". Würde ich also rausschmeißen.

... meine Nase. Sie muss ganz in der Nähe sein, steht wahrscheinlich gleich neben mir, schaut auf mich herab, überlegt, zögert, ahnt vielleicht, dass ich mich nur schlafend stelle.
Ist schon klar, aber man könnte zumindest einen falschen Bezug herstellen, was dann natürlich unfreiwillig komisch wirken würde :D.
Warum nicht gleich "Julia" im zweiten Satz einführen?

Ich frage mich, was sie ihr aufgetragen haben.
Wer sind "sie"? Würde ich umschiffen. Vorschlag: Ich frage mich, was ihr aufgetragen wurde.

Gestern an der Rezeption. Das Formular. Schon möglich, dass ich das vergessen habe.
Mich hat das ein wenig irritiert, dass Julia nicht als Fahrerin angegeben wurde, in Bezug auf Rezeption - habe da einfach ein Hotel vor Augen. Vorschlag: Gestern am Schalter. Oder: Gestern bei der Autovermietung.

„Oder möchtest du dich etwa selbst ans Steuer setzen?“ Bevor mich das Ungewohnte dieser Bemerkung erreicht, ist sie schon aus dem Zimmer. Merkwürdiges Mädchen. Ich drehe mich zur Seite, schaue auf die Wand und wünsche mir, einfach so liegen zu bleiben, nichts zu spüren, nichts zu denken.
Würde ich streichen. Wieso das Ungewohnte? Da erwartete ich noch etwas. Auch das "Merkwürdige" ... hm ... ich würde das rausnehmen, dann fände ich auch Leas Reaktion stärker.

Durch die perlenden Regentröpfchen des Seitenspiegels sehe ich die graue Autoschlange.
Streng genommen ist das natürlich schlicht nicht möglich - das Bild ist also unpräzise.

„Geh du nur. Mir ist das noch zu kalt.“
Exemplarisch: An der wörtlichen Rede könntest du hier und da noch etwas schrauben.
Vorschlag (zum Verdeutlichen): „Geh nur. Mir ist's zu kalt.“ Oder: „Geh nur. Mir ist kalt.“ Oder: „Geh nur. Ist mir zu kalt.“
Wie gesagt, exemplarisch, ist aber auch nicht so, dass ich mich jetzt wirklich daran gestört hätte - sind halt so Kleinigkeiten, die in Summe den Text noch weiter verbessern könnten - zumindest in meinen Augen.

Deine Hand liegt leicht auf meiner Schulter und wir genießen die Stille des Augenblicks.
Ist natürlich gewagt, das weißt du selbst. Finde ich auch gut, dass du das Wagnis eingehst, andererseits verlöre der Text mMn nichts, wenn du anstelle "Du" das "Er" setzen würdest - gilt für all die kursiven Einschübe. Brauchst du das wirklich unbedingt? Du vergraulst sicher den einen oder anderen Leser damit, denke ich. Ich würde das nochmals überdenken.

Der Ruf durchdringt die nun einfallenden Geigen ...
Sind nicht so viele Füllsel im Text - die meisten davon stören mich auch nicht. Dieses hier springt mich dann aber doch an :).

Mein Herz beginnt zu rasen.
Könnte auch raus - gerade, weil du die Gefahrenszene schon sehr ausführlich beschreibst. Ist zudem recht abgegriffen, finde ich.

Ich kann ihren Blick nicht deuten. Ist das Trotz? Mit einem gewagten Satz springt sie auf den Schotterboden der Plattform, knickt ein wenig ein, richtet sich wieder auf und kommt zum Auto, begleitet von Paukenschlägen, die düster über den Platz hallen.
Du lenkst hier meine Gedanken in diese Richtung; das gefällt mir nicht. Spannender wäre es - vielleicht ja auch für dich als Autor - wie unterschiedlich die Leser selbst diesen Blick deuten würden - die ganze Szenerie.

Eine Träne hat sich gelöst und rinnt, eine dunkle Spur hinter sich herziehend, langsam zum Kinn, bleibt kurz hängen und fällt dann auf ihr Bein. Als ich ihr ein Taschentuch reichen möchte ...
Hast du das bewusst gemacht - diese Beschreibung einzuflechten, die sich beinahe 1:1 am Ende wiederholt? Umgekehrt quasi.

Erst jetzt fällt mir auf, dass sie sehr blass ist. War sie das schon bei unserer Abfahrt?
Da ihr das erst jetzt auffällt, finde ich die Frage in Folge redundant. Würde sie streichen.

Und natürlich war es meine Schwester, die wie so oft zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen wollte: „Du bist nicht so allein und kommst auf andere Gedanken.“
Ich frage mich, ob sie von der Schwangerschaft weiß. Finde ich gut, dass ich mich das frage :) Das rechne ich deinem Text positiv an.

„Die Führung beginnt um zwei.“ Julia wedelt mit den Karten. „Wir können aber schon reingehen und uns das eine oder andere ansehen. Hast du eine Idee, womit du anfangen möchtest?“
Ich habe keine Idee, würde mir am liebsten einen schattigen Platz suchen, an dem es ruhig ist, an dem es keine Menschen gibt.
„Weißt du was, Julia. Wir treffen uns gegen zwei am Eingang. Schau dir nur an, was dir gefällt. Ich mach es mir irgendwo bequem.“
Noch mal exemplarisch folgender Vorschlag:
„Die Führung beginnt um zwei.“ Julia wedelt mit den Karten. „Wir können aber schon rein.“
Ich würde mir am liebsten einen schattigen Platz suchen, wo keine Menschen sind.
„Weißt du was, wir treffen uns dann. Ich mach's mir solange irgendwo bequem.“

Erst als ich sitze, wird mir klar, dass das Aufstehen schwierig sein wird.
Würde ich ins Futur setzen: schwierig werden wird.

Ihr Blick wird unsicher und sucht Halt an ihren Händen.
So ein klassisches Beispiel für: Show, don't tell. Und so halb hast du das ja schon, so 'ne Mischform. Dass sie was mit den Händen macht, den Blick darauf beschränkt, reicht doch schon, um Unsicherheit zu vermitteln, nicht?

„Ich suhle mich in meiner Trauer? Empfindest du das so?“
„Ja.“ Sie hebt den Kopf. „… Nur heute morgen, … Da oben in der Sierra, als du so wütend geworden bist … Weißt du, da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass du mich überhaupt wahrnimmst.“
Sie holt tief Luft. „Und außerdem: Es gibt nicht nur dich auf der Welt.“ Es fällt mir schwer, bei dieser Phrase nicht zu lächeln. Doch sie achtet gar nicht auf mich.
„Andere Menschen kommen auch nicht immer weiter, … und wissen nicht, was sie tun sollen. … Auch sie möchten am liebsten einfach liegen bleiben …“
Die klare Antwort, v.a., dass sie den Kopf hebt, zeigt mir: Jetzt macht sie mal 'ne Ansage, jetzt ist sie soweit - traut sich das. Deshalb stören mich die ganzen Pünktchen in Folge - stören mich auch so :), ich finde das nicht stimmig, ich erwarte jetzt, nach der Geste und so, dass sie in Redefluss kommt und nicht stammelt. Das würde ich mir echt nochmals ansehen, und überdenken, barnhelm.


So, hier steige ich aus, zum Ende habe ich mich ja oben schon geäußert.
Letztednlich ist das alles Jammern auf hohem Niveau, barnhelm. Ich möchte nochmals betonen, dass mir deine Geschichte wirklich gut gefallen hat, ich denke aber, du könntest noch etwas mehr rauskitzeln, um das Ding noch heller strahlen zu lassen :).
Trotzdem: Sehr schöner Text, auch so wie er dasteht, ganz klar.


Vielen Dank fürs Hochladen!


hell

 

Liebe maria.meerhaba,

ja, es ist wie immer: Wir beide werden, was meine Texte betrifft, wohl nie so recht zusammenkommen. Und gerade deshalb freue ich mich, dass du es wieder einmal versucht hast und danke dir dafür.

Ich bin ja seit einigen Monaten irgendwie kaputt und kann nur selten Gefallen an einer Geschichte finden. Irgendetwas stimmt halt nicht mit mir.

Interessanterweise geht es mir ziemlich ähnlich. Und auch ich habe beschlossen, das Problem auf meiner Seite zu suchen. Es sind wohl unsere Vorlieben und auch die Maßstäbe, die sich verändert haben und wir sind schwerer zu begeistern als früher, als wir weniger ‚vorbelastet’ an Texte herangegangen sind. Das ist wohl auch ein Resultat unserer WK-Aktivitäten.

Wie fremd wir uns doch sind.
Das würde ich streichen. So eine Frage solltest du nicht stellen, sondern sie zeigen und das tust du ja davor, als sie fragte, was mit dem Mädchen los sei. Da zeigst du uns doch, dass der Tante das Innenleben des Mädchens fremd ist. Außerdem bremst diese Frage den Lesefluss und ich finde ihn einfach unpassend.

Ja, das ist ein Satz, über den ich auch nachdenke. Wenn sich das Leben in den nächsten Tagen wieder etwas ‚normalisiert’ hat, werde ich mich mit all den Anregungen, die ich in der letzten Zeit erhalten habe, noch einmal an die Arbeit machen und das eine oder andere ändern. Kann durchaus sein, dass ich mich auch von diesem Satz verabschiede.

Ja, und zu deinen anderen Problemen mit meinem Text kann ich leider nicht so recht etwas sagen. Ich glaube, dass auch das mit unseren Vorlieben zu tun hat – und die sind bei dir sicherlich andere als bei mir.
Liebe Maria, auf jeden Fall noch einmal ein ganz liebes Danke, dass du dich trotzdem an meine Geschichte begeben hast.

Ich wünsche dir einen guten Rutsch und ein stressfreies 2018.

Liebe Grüße
barnhelm

Ps: Lieber Carlo Zwei, lieber hell,
zu euch beiden werde ich frühestens morgen kommen, denn da muss ich doch ein wenig mehr überlegen. Schon jetzt danke ich euch für eure Kommentare und wünsche auch euch einen schönen Jahreswechsel.

 
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Liebe barnhelm,

ein tolles Neues Jahr wünsche ich Dir!

Deine Geschichte habe ich schon vor ein paar Tage gelesen und angesichts der vielen Kommentare, die ich nicht alle gelesen habe, ist es schwer noch etwas zu Deinem Text zu sagen. Noch dazu ist das Thema eines, welches mich (typisch Mann?) nicht so sehr interessiert. Die Beziehung zwischen Tante und Nichte, ohne großen Konflikt, naja, ist einfach nicht so meines.

Tja, und dann, Du hast es vielleicht auch gesehen, habe ich generelle ein "Problem" (Wort zu stark), mit Ich-Perspektive und Präsens. Aber ich kann das schon auch ausblenden beim Lesen und nehme die ganzen Widersprüche hin, was aber einen gewissen "inneren Widerwillen" erzeugt.

Zum Beispiel beim ersten Satz:

Der leichte Hauch ihres Parfüms kitzelt meine Nase.

Meine Reaktion darauf ist nur: So denkt kein Mensch.

Aber ich will die Diskussion nicht wieder aufmachen. Letztlich ist es eben Geschmackssache und andere stören sich vielleicht überhaupt nicht daran.

Abgesehen davon, finde ich, dass Du das "Frauenthema", ich nenne jetzt einfach mal so, was nicht abwertend gemeint ist, in seiner Zartheit sprachlich gut umgesetzt hast.

Ein kleiner Kritikpunkt ist, dass mir das Alter von Julia aus dem Text heraus nicht klar wird. Teilweise verhält sie sich fast kindlich, doch sie muss älter sein, da sie bspw. schon einen Führerschein hat.

Ein paar sprachliche Kleinigkeiten sind mir noch aufgefallen.

exzentrische Klavierschläge

Ich kann mir vorstellen, was Du meinst, aber das Bild passt nicht. Denn die Exzentrizität eines Schlages kann man vielleicht sehen, aber nicht hören. Hören kann man bei Schlägen die Dynamik, das Anschlagsverhalten vielleicht noch, aber dazu muss man schon sehr feine Ohren haben und lange selbst Klavier spielen.

Was man hören kann ist natürlich eine exzentrische Interpretation der Musik.

begleitet von Paukenschlägen, die düster über den Platz hallen.

Schläge selbst können nicht hallen, sondern nur die Paukentöne, die durch die Schläge erzeugt werden.

Ansonsten sind mir nur Widersprüche aufgefallen, die durch die Ich-Perspektive und das Präsens begründet sind, die ich aber, wie gesagt ausblende.

Unterm Strich finde ich den Text berührend, zärtlich, gut geschrieben, aber einfach nicht mein Ding, weil mir darin zu wenig Pfeffer steckt.

Tut mir leid, dass ich nicht mehr beitragen kann und Dir meine Äußerungen wahrscheinlich nicht viel helfen werden.

Gruß
Geschichtenwerker

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Carlo Zwei,

danke für deine sehr ausführliche Auseinandersetzung mit meinem Text. Ich werde einige von deinen Anregungen sicher in meine Überarbeitung aufnehmen, weil sie mir einleuchten, so z.B. dein Hinweis auf die Füllwörter.

Hier bin ich mir allerdings noch nicht ganz sicher, wie die richtige Zeichensetzung aussehen könnte:

Ich frage mich, was sie ihr aufgetragen haben; acht zu geben, dass ich nichts Unüberlegtes tue? Dass ich genug esse? Dass es nicht zu viel Wein wird?
Schon möglich, dass ich das vergessen habe. Aber das wird sich wohl nachholen lassen.
(will doch lieber mit Klugscheißereien weitermachen ...) drei mal ‘das‘. Aus dem zweiten ließe sich problemlos ein 'es' machen. schon möglich, dass ich es vergessen habe.
Leuchtet mir ein.

schaue auf die Wand und wünsche mir
--> "schaue die Wand an."
Wenn du auf die Wand schaust, deutet das präpositional mehr auf ein darauf, also ein auf das obere einer deckenlosen Wand Schauen.
Habe ich so auf Anhieb leider noch nicht ganz verstanden.

Mit dem Radio beschäftigt, schüttle ich den Kopf
Ich befummele das Radio, schüttle den Kopf.
Also, ich habe bei ‚befummeln’ eine andere Assoziation.

Allmählich beruhigen wir uns. Julia versucht, die Flecken unter ihren Augen mit dem Handrücken wegzureiben, aber sie verschmiert sie nur.
das erste kannst du weglassen

Natürlich.

Abschließend kann ich sagen mir gefällt deine Geschichte. Ich glaube allerdings auch, du könntest noch ein bisschen mehr Zeit in den Entwurf stecken. Man spürt hier und da weiche Stellen auch wenn im Kern alles schon sehr stark zusammengewebt ist.
Ja, das ist auch mein Empfinden. Heute geht’s los. Ich habe mir das Wichtigste aus allen Kommentaren, so auch aus deinem, zusammengestellt und beginne heute mit dem Überarbeiten. (Geht es eigentlich nur mir so, dass mir tausend andere Dinge einfallen, die ich im Moment lieber täte?:D Aber so ist das eben. Fällt mir Mephisto ein: Das erste steht euch frei, beim zweiten ...)

Lieber Carlo, ganz ganz lieben Dank für dein sehr ausführliches Beschäftigen mit meinem Text.

Und dasselbe möchte ich auch dir sagen, lieber hell.
Danke für deine sehr vertiefte Auseinandersetzung mit meinem Text. Das ist mehr, als ich erwarten durfte.

Wie auch andere beschäftigt dich mein erster Satz. Und da merke ich schon gleich, dass es (wieder) an meine ‚darlings’ geht, die ich u.U. wohl doch killen muss.
Und so ist das wohl auch bei deinen beiden nächsten Überlegungen. Ich gehe – wie schon in meiner Antwort an Carlo gesagt, heute Nachmittag noch mal durch den Text und schaue, wie sich die verschiedenen Vorschläge im Zusammenhang darstellen. Wenn ich fertig bin, werde ich mich noch mal melden und vielleicht schaust du dann mal, was ich von deinen vielen guten Ideen übernommen habe.

Mit den Füllseln habt ihr beide, du und Carlo, recht. Da ändere ich bestimmt etwas.

Hast du das bewusst gemacht - diese Beschreibung einzuflechten, die sich beinahe 1:1 am Ende wiederholt? Umgekehrt quasi.

Ja, das war eigentlich so beabsichtigt.

Erst jetzt fällt mir auf, dass sie sehr blass ist. War sie das schon bei unserer Abfahrt?
Da ihr das erst jetzt auffällt, finde ich die Frage in Folge redundant. Würde sie streichen.

Wird geändert.

Erst als ich sitze, wird mir klar, dass das Aufstehen schwierig sein wird.
Würde ich ins Futur setzen: schwierig werden wird.
Eben so.

Die Pünktchen stören mich inzwischen auch. Nur frage ich mich, wie ich Pausen und Zögern anders darstellen kann. Muss ich drüber nachdenken.

Ich möchte nochmals betonen, dass mir deine Geschichte wirklich gut gefallen hat, ich denke aber, du könntest noch etwas mehr rauskitzeln, um das Ding noch heller strahlen zu lassen .

Wird gemacht. Ob es besser wird, werden wir dann sehen.

Lieber hell, danke dir für deine Mühe, die – wie auch in deinen anderen Kommentaren – mehr ist, als das, was ich zu meinem Text erwartet habe. Toll, wie du Alternativen aufzeigst und konstruktiv Vorschläge einbringst.

Ich wünsche dir und Carlo ein zufriedenstellendes 2018.

Liebe Grüße euch beiden.

barnhelm

 

Liebe barnhelm,

die Sprachlosigkeit der Trauer, dieses Tief-in-sich-selbst-verstecken, die vorsichtigen, zärtlichen, scheuen Erinnerungen, das zaghafte Sich-Öffnen deiner Protagonistin, spiegelt der Text ganz besonders intensiv, sodass ich mich als Leser durch den Text tragen lasse, obwohl ich ihn anfangs öde und allzu karg fand. Fast möchte ich im Nachhinein sagen, dass er noch eine Spur karger sein dürfte, das eine oder andere Adjektiv weggelassen werden könnte, um einen noch stärkeren Schwarzweiß-Filter zuzulassen. Mehr Fülle, Sprach-Opulenz könnte die Geschichte vertragen, sie ambivalenter machen, wenn du die Erinnerungen an den Verstorbenen noch fetter gestaltest, ihre Liebe aus ihr herausquillt wie Wasser aus einem übervollen Regenfass.

Mir hat die Geschichte sehr gefallen, so rührend und zart und respektvoll behandelt sie Trauer und den Weg aus den Tränen herauszufinden.

Im Einzelnen:

Ich öffne die Augen und sehe in ihr junges Gesicht.
ein junges Gesicht, hm, das klingt nichtssaegnd, ich sehe ihre Jugend? Oder ein Deteil, die Haut?

sehe ich die graue Autoschlange.
hier findet sich ein Hinweis auf das Schwarzweiße ihres Blickes, das könnte man noch an anderen Stellen verstärken

Eine Oboe hat ihr poetisches Spiel begonnen.
klar klingen Oboen hübsch poetisch, aber andere Instrumente auch und warum du sie Prokofjev oder Rahcmaninoff nicht erkenne lässt, verstehe ich nicht.

, jetzt, da du dich für immer aus dem Staub gemacht hast. Dir würde ich gerne meinen Frust über das alles hier anvertrauen, sagen, wie es um den Zauber Granadas bestellt ist.
hier versteckt sich Wut, die ließe sich plastischer zeigen, emotionaler

„Was glaubst du, was von uns bleibt, wenn wir nicht mehr sind?“, unterbreche ich dich flüsternd.
Du legst den Reiseführer zur Seite. Überlegst. „Wahrscheinlich nicht viel ... Mit Sicherheit keine Paläste.“
kann sein, dass sie sich an diesen Dialog erinnert, aber so genau? Mir ist das zu viel.

„Ja, das wird es sein. Erinnerungen der anderen an uns. Vielleicht wird da jemand sein, der uns für irgendetwas dankbar ist, der lächelt, wenn er an uns denkt?“
sehr schön

Dir ist nach Zärtlichkeit, nicht nach philosophischem Geplänkel.
der Satz ließe sich streichen, weil er das zuvor nur erklärt,

bis zum Schluss die Ebene völlig im Dunkeln liegt und die Lichter der Dörfer aussehen wie weiße Stecknadelköpfe auf dunklen Kissen.
wie schön, weiße Stecknadelköpfe

„Was meinst du? Sollen wir weiter?“ Sie sagt es ganz leise. „Oder sollen wir noch ein bisschen bleiben?“
„Nein, ich glaube, jetzt können wir fahren.“
auch die Stelle finde ich sehr stark

Eine komplizierte Angelegenheit, wenn man in einem Auto nebeneinander sitzt.
Ich spüre, wie sich eine Träne löst. „Wär’ doch toll, wenn endlich wieder Leben ins Haus käme“, sage ich mit rauer Stimme und nehme das Taschentuch, das Julia mir reicht.
das mit der komplizierten Angelegenheit klingt unbeholfen, entweder genauer oder einfach weglassen. Das, was sie sagt, könntest du auch streichen und würdest die Wirklung, glaube ich, verstärken.

Vielen Dank für diese zarte Geschichte und liebe Grüße
Isegrims

 

So, meine lieben Kommentatoren, ich habe jetzt eine ganze Reihe eurer Anregungen versucht einzuarbeiten, zumindest diejenigen, die mir nach einigem gedanklichen Hin und Her einleuchteten. Ob es insgesamt runder geworden ist, müsst ihr entscheiden. Mit ein paar Stellen bin ich immer noch nicht ganz zufrieden, daran bastle ich noch. Geschichtenwerker und Isegrims: Euch antworte ich morgen. Ein paar eurer Anregungen habe ich aber schon übernommen.

 

Lieber Geschichtenwerker,

danke für deinen Kommentar, obwohl meine Geschichte so gar nicht dein ‚Ding’ ist. Das kann ich gut nachvollziehen. Auch ich habe mich im Rahmen der Challenge mit einigen Texten befasst, die ich normalerweise sicher nach den ersten Zeilen wieder weggelegt hätte. Aber das ist auch eine interessante Erfahrung, die Qualität von Texten mitzubekommen, die einem sonst gar nicht begegnet wären.

Zur Präsens/Ich-Erzähler-Sache ist schon viel gesagt worden. Auch, wenn ich es hier nicht geändert habe, so ist mir das Paradoxe der Sache doch bewust geworden und ich werde mir das bei meiner nächsten Geschichte vor Augen halten.

Zu deinen Anmerkungen:

exzentrische Klavierschläge

Leuchtet mir ein und ist geändert worden.


begleitet von Paukenschlägen, die düster über den Platz hallen.

Schläge selbst können nicht hallen, sondern nur die Paukentöne, die durch die Schläge erzeugt werden.

Ist ebenfalls geändert worden.

Lieber Geschichtenwerker, ich danke dir für’s Vorbeischauen und kluge Mitüberlegen.

Liebe Grüße
barnhelm

Hallo Isegrims,

Mir hat die Geschichte sehr gefallen, so rührend und zart und respektvoll behandelt sie Trauer und den Weg aus den Tränen herauszufinden.
Wie schön, dass du das so siehst. Darüber habe ich mich am meisten gefreut.

Zu deinen Anmerkungen:

Eine Oboe hat ihr poetisches Spiel begonnen.
klar klingen Oboen hübsch poetisch, aber andere Instrumente auch und warum du sie Prokofjev oder Rahcmaninoff nicht erkenne lässt, verstehe ich nicht.

Ich glaube, ich habe das schon irgendwo erwähnt: Ich war von der 1. Sinfonie Schostakowitschs, die ich eine Woche vorher gehört hatte, so angetan, dass ich aus dem Gedächtnis ein paar Eindrücke verarbeitet habe. Die Erwähnung des Namens finde ich auch jetzt noch nicht wichtig, weil das für mich immer so was von Herausstellen von speziellem Wissen hat. Ich lasse das deshalb mal so, wie es ist.

, jetzt, da du dich für immer aus dem Staub gemacht hast. Dir würde ich gerne meinen Frust über das alles hier anvertrauen, sagen, wie es um den Zauber Granadas bestellt ist.
hier versteckt sich Wut, die ließe sich plastischer zeigen, emotionaler

Habe ich etwas verstärkt.

„Was glaubst du, was von uns bleibt, wenn wir nicht mehr sind?“, unterbreche ich dich flüsternd.
Du legst den Reiseführer zur Seite. Überlegst. „Wahrscheinlich nicht viel ... Mit Sicherheit keine Paläste.“
kann sein, dass sie sich an diesen Dialog erinnert, aber so genau? Mir ist das zu viel.

Das ist natürlich ein vollkommen richtiger Hinweis. Aber der würde für den ganzen Dialog gelten. Ich lass es vorerst einmal so.

Dir ist nach Zärtlichkeit, nicht nach philosophischem Geplänkel.
der Satz ließe sich streichen, weil er das zuvor nur erklärt,

Ja, das tut er. Aber er gehört zu meinen Darlings, die ich vielleicht später killen werde.

Eine komplizierte Angelegenheit, wenn man in einem Auto nebeneinander sitzt.
Ich spüre, wie sich eine Träne löst. „Wär’ doch toll, wenn endlich wieder Leben ins Haus käme“, sage ich mit rauer Stimme und nehme das Taschentuch, das Julia mir reicht.
das mit der komplizierten Angelegenheit klingt unbeholfen, entweder genauer oder einfach weglassen. Das, was sie sagt, könntest du auch streichen und würdest die Wirklung, glaube ich, verstärken.

Habe ich auf deine Anregung und – ich glaube, Chutney s geändert. Keine Ahnung, ob es jetzt besser geworden ist.
Isegrims, ich danke dir für deinen sensiblen Kommentar und wünsche dir frohes Schaffen beim Überarbeiten deines eigenen Textes. Egal, wie die ganze Sache ausgeht, mir hat das Mitmachen bei der Challenge viel Spaß gemacht und ich hoffe dir auch – nachdem der Stress mit dem Einhalten der Deadline vorbei ist. Ansonsten sehen wir uns ja im Juni, worauf ich mich sehr freue.

Liebe Grüße
barnehlm

 

Liebe barnhelm,

bei so vielen bereits vorhandenen Kommentaren fällt es mir schwer, noch eine konstruktive Kritik abzugeben, was mich aber nicht daran hindern soll, noch einen kleinen Leseeindruck zu hinterlassen und dir zu sagen, dass mich deine ruhige, melancholische Geschichte sehr berührt hat. Du hast diese beiden Frauen in ihren jeweiligen Befindlichkeiten sehr glaubhaft gezeichnet, und Andalusien, wo ich noch nie gewesen bin, sehe ich beim Lesen richtig vor mir. Und will da jetzt hin!

Wie gesagt, nicht viel Konstruktives, nur Kleinkram:

Durch die perlenden Regentröpfchen des Seitenspiegels sehe ich die graue Autoschlange

Warum Tröpfchen? Tropfen sind doch auch klein genug …
Und „Regentröpfchen des Seitenspiegels“ klingt für mich so, als wären diese besagten Tröpfchen ein fester Bestandteil des Spiegels, vllt. lieber „…auf dem Seitenspiegel“?


Eine Träne hat sich gelöst und rinnt, eine dunkle Spur hinter sich herziehend, langsam zum Kinn, bleibt kurz hängen und fällt dann auf ihr Bein.
Als ich ihr ein Taschentuch reichen möchte, beginnt sie zu schluchzen. ….

Ich lege ihr das Taschentuch aufs Bein. Diesmal greift sie danach.
„Komm, Julia. Lass gut sein. Fahren wir weiter.“


Also, bei diesem Absatz habe ich mich allerdings gefragt, warum Lea nicht trotz ihrer eigenen Trauer wenigstens einmal nachfragt, warum Julia weint. Und warum sie „Lass gut sein“ sagt, als hätte es ein Gespräch gegeben ...
Aber sicher willst du das so, um ihre Teilnahmslosigkeit hervorzuheben?


Hat sie eigentlich einen Freund?

Das kommt mir ja eigentlich auch etwas unglaubhaft vor, dass Lea das nicht weiß, bzw. sich erst so spät die Frage stellt.


Kaum spürbar, aber stetig verändert sich die Szenerie. Die von der untergehenden Sonne angestrahlten Wolken zerrinnen zu pastellfarbenen Streifen und allmählich nehmen die Bergketten den Ton alten Kupfers an. Gleichzeitig vermehren sich die Grautöne über uns, bis zum Schluss die Ebene völlig im Dunkeln liegt und die Lichter der Dörfer aussehen wie weiße Stecknadelköpfe auf dunklen Kissen.

„Lea, schau mal in den Rückspiegel.“
Der Himmel hinter uns ist feuerrot.
„Das ist fantastisch! Komm, lass uns aussteigen!“
Diesmal lasse ich mich nicht bitten. Wir setzen uns auf die kleine Mauer und schauen nach Westen. Während es hinter uns Nacht ist, steht der Himmel über den Bergen vor uns in Flammen. Ich verliere mich in diesen Anblick, kann nicht aufhören, zu schauen und wünsche mir, dieses Erlebnis endlos zu verlängern. Nach und nach lösen Blau- und Lilatöne das Orange-Rot ab. Dann erst siegt auch dort die Dunkelheit.


Diesen ganzen Absatz mit der Naturbeschreibung finde ich wunderschön! Ein tolles Gemälde!
Und ich merke, wie auch Lea ungefähr ab hier ihre Augen öffnet und wieder empfangsbereit ist für Schönes, für positive Erinnerungen und für die Veränderungen, die das Leben für sie wieder lebenswert machen werden.

Ich habe deine Geschichte gerne gelesen.

Liebe Grüße von Raindog

 

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