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Apfelkuchen
Der Nachgeschmack von Apfelkuchen
Ich liege auf dem kalten Küchenboden. Mit zusammengekniffenen Augen schiele ich auf mein Blatt Papier, weil der warme Ofen an dem ich liege so viel Wärme ausstrahlt, dass sich mein linkes Auge anstrengen muss, um nicht zu blinzeln. Eigentlich warte ich nur darauf, dass der Kuchen fertig wird, den ich früher immer mit meiner Oma, dann mit meiner Mutter und am Ende immer nur alleine für die ganze Familie gebacken habe. Heute backe ich den Kuchen für mich selbst. Nicht weil ich Lust habe ihn zu essen, sondern weil ich etwas gebraucht habe, was mich an früher erinnert, und um mich endlich wieder wohlfühlen zu können, mich von allem abzulenken.
Die letzten Tage habe ich vieles getan um mich besser zu fühlen. Ich habe Dinge gemacht, die sinnvoll sind und die ich auf meiner endlosen Liste des Fertig-werden-Wollens abhaken konnte. So wie es eigentlich immer ist. Ich habe gearbeitet und meinen Kleiderschrank ausgeräumt. Ich habe meine angefangenen Bücher zuende gelesen und bin jeden Tag joggen gewesen...
Aber all das hat es nur noch schlimmer gemacht. Es füllt mich nicht aus, weil ich weiß, dass es mich auch vorher nicht ausgefüllt hat und dass ich joggen gehen kann bis ich blau werde, bevor ich das Gefühl bekomme endlich am Ziel zu sein. Es füllt mich genauso wenig aus hier auf den Fliesen zu liegen und wie in meiner Kindheit Briefe zu schreiben, weil ich nicht sehnsüchtig darauf warte mir die Finger am viel zu heißen Kuchen verbrennen zu können und nicht wie früher an nichts anderes denke als an diesen banalen Kuchen.
Früher hat mir genau das gereicht um glücklich zu sein. Vielleicht war ich noch nicht einmal glücklich. Aber es war alles so einfach und ich war mir sicher, dass es einfach bleiben könnte. Und irgendwie ist es das auch geblieben, aber eben nicht das Gleiche. Ich möchte wie früher morgens von alleine wach werden und ohne einen Blick in den Spiegel zu werfen, den ganzen Morgen damit verschwenden im Garten zu spielen, ohne zu wissen, dass es überhaupt möglich ist, seine Zeit zu verschwenden. Ich möchte wirklich kein Kind mehr sein, auch wenn die letzten Zeilen danach klingen. Aber ich hasse es, wie sehr immer alles was ich tue einen Sinn haben muss, dass alles nur ein weiterer Punkt auf meiner unendlichen To-do-Liste ist. Und wenn es ein Apfelkuchen ist, der gebacken werden muss um die letzten Eier im Kühlschrank zu verbrauchen, oder um die kurze Auszeit zu nehmen, die mir zwischen Wäsche waschen und einkaufen gehen zusteht.
Ich trauere nicht um die "gute alte Zeit" oder die "Unbeschwertheit" der Kinder, über die die Großmutter im Schaukelstuhl staunt. Ich suche den Grund dafür, warum es mich so unglücklich macht, endlich tun zu dürfen was ich möchte, haben zu können was ich will, und sinnvolles zu tun wenn ich es kann. Ich kann mir nicht erklären, warum ich mich nicht darüber freuen kann Zeit zu haben einen Kuchen zu backen, ganz für mich alleine, in meiner eigenen Wohnung, zu meiner Lieblingsmusik. Ich kann einfach nicht verstehen, warum ich nicht aufhören kann daran zu denken, dass es bloß eine Pause ist von dem was ich noch zu erledigen habe, dass ich besser ein weiteres Buch lesen könnte, anstatt Dinge zu Papier zu bringe,n die keiner lesen wird oder die mir nicht weiterhelfen, weil sie ganz genauso schon in meinem Kopf geschrieben standen. Ich kann mir nicht erklären was es heißt Kind oder was es heißt erwachsen zu sein. Ich weiß nicht was davon ich eher bin oder was davon ich eher sein möchte. Manchmal kann ich mir die Welt erklären, manchmal habe ich keine Ahnung was das Wort "Welt" überhaupt bedeuten soll. Aber ich weiß, dass ich es nicht länger ertrage, wenn ich mich nicht mehr in die frühere Zeit flüchten kann, obwohl mich die jetzige überfordert, und dass ich den Kuchen lieber mit meiner Oma und meiner Mutter zusammen gebacken hätte, weil ich sie beide vermisse.