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Artischockenherz

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12.12.2004
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Artischockenherz

Artischockenherz

Frank zerdrückte die Fliege mit dem Daumen am Fensterglas.
Seit zwei Stunden sah er ihr schon zu. Immer wieder brummte sie die Scheibe entlang nach oben, seitwärts, hinunter und zurück. Kein Entkommen.

Er spuckte auf sein Taschentuch und putzte das Glas sauber.
Das Eckzimmer im 4. Stock wäre perfekt gewesen um Champignons zu züchten.
Die Einrichtung karg. Ein Stuhl, ein Beistelltisch und drückende Hitze.
Durch den halb geöffneten Vorhang beobachtete er den Gemüseladen an der Kreuzung.
Herr Brunner hatte um 7 Uhr geöffnet und war seitdem nicht mehr herausgekommen. Sein Lehrling Mike schleppte nach und nach große Kisten mit Äpfeln, Sellerie und Artischocken nach draußen, drapierte sie und wischte den Straßenstaub vom Gemüse.
Die Mittagshitze zwang Frank seine Jacke auszuziehen. Er ordnete sein Taschentuch neu an und wischte sich den Schweiß aus dem Nacken und von der Stirn.

Es war sehr still geworden. Der Straßenverkehr schrumpfte auf ein Auto pro Stunde und die Fußgänger flüchteten in die Lokale um sich abzukühlen.
Der Vibracall ließ sein Handy über den Tisch rutschen.
„Hallo? Nein, er ist noch drinnen. Ja, ich weiß. Wir kriegen ihn heute noch, keine Sorge.“, sagte er knapp und legte auf.
Frank rieb sich die Augen und betrachtete sein graues Gesicht in der Reflexion des Fensters.
„Jetzt bist du 61 und noch immer auf der Jagd!“, sagte er und versuchte ein paar Grimassen zu schneiden. Eine der wenigen Freuden, denen er sich noch hingab.
Er starrte auf den Eingang des Ladens. Brunner war ein Informant der übelsten Sorte. Er verkaufte an jeden. Der untersetzte Händler sagte immer: „Es gibt keine schlechten Informationen, nur zu wenig Geld um sie zu bezahlen!“. Umso intensiver war sein Chef deswegen bemüht, ihn hopps zu nehmen.
Vorsichtig, schob er den alten Stoff zur Seite und fixierte ein Zimmer im Haus schräg gegenüber. Dort saß sein junger Gegner. Ein aufstrebender Spezialist aus Bangkok, der die Jalousien fest verschlossen hielt. Wie aus dem Lehrbuch.
Dem Grauhaarigen war klar, dass er den Fang machen musste, um in den Ruhestand zu gehen. 40 Jahre weltweite Erfahrung, gegen ein paar Glückstreffer. Dieses Schwein, würde ihm sein Kunstwerk nicht versauen.
Er fühlte sich sicher, denn er konnte warten.

Hustend schlurfte er in den Nebenraum und kam mit einem Koffer zurück.
Langsam ließ er das Handy nach einem Kontrollblick in die Hosentasche gleiten.
Während er sich unter dem Trägerleibchen kratzte, legte Frank sein Werkzeug auf den Beistelltisch. Kolben, Visier, Lauf.
Bedächtig ließ er seine Lesebrille auf die Nase gleiten und begutachtete die Munition.
Ein Magazin mit Stahlmantelgeschossen, ein Magazin normal.
Der alternde Killer setzte sich, entnahm die ersten fünf normalen Patronen und begann mit seinem geliebten Messer große Kreuze in die Spitzen zu schnitzen.

Ab und zu fixierte er über die Brillenränder die Straße.
„Gemüsesuppe, Gemüsesuppe, ist guuuut für Dich!“, summte er die Melodie eines Werbespots vor sich hin.
Ein plötzliches Blitzen ließ ihn hochschrecken. Die Jalousien hatten sich bewegt.
„Es geht los!“, murmelte er und zwängte sich in seine Jacke.
Die alte geölte Maschine Frank Reiser war angelaufen. Er steckte die Lesebrille auf den Kopf und visierte das Gewehr des Gegners an.
„Jalousien! Das hast du nicht von mir. Idiot!“, dachte er und zielte auf den Kopf des Jungkillers. „Na, dann schauen wir mal was du noch so kannst!“. Er legte das Gewehr zur Seite und wählte die Notrufnummer. „Ja! Ich möchte einen Notfall melden! An der Ecke Reinbacherstraße, ja genau, bei Brunner ist ein Mann niedergeschlagen worden! Danke!“

Der Countdown hatte begonnen. Drei Minuten.
Frank nahm die Brille vom Kopf, öffnete das Fenster und kniete sich hin.
An der gegenüberliegenden Hauswand führte er den wandernden Lichtpunkt seines Laserpointers in das Visier des Thailänders. „Hehe!“, lachte der Profi.
Der junge Spezialist, fuhr zurück in die Dunkelheit.
Ganz langsam kam der Lauf des Gegners zurück und bewegte sich in seine Richtung.
Frank sah, dass er ihn erkannt hatte, winkte mit der Linken und sagte: „Jaja, mein Junge, hier drüben, du Wixer!“. In der Ferne hörte man Sirenen.
Sein Handy brummte. „Ja! Was ich hier mache? Rate mal! Komm mir nicht in die Quere Sohnemann! Was? Du drohst mir? Ich hab dich in diese Welt gesetzt, ich kann dich auch wieder rausholen, klar! Schlechter Vater? Fick dich! Pack dein Spielzeug ein und verschwinde! Achja? Das wollen wir sehen!“
Das Gespräch hatte eine für ihn gefährliche Lautstärke angenommen.
Er warf das Handy zur Seite und fixierte die Stirn seines Sohnes.
Bilder von Abraham schossen durch seinen Kopf.
Da waren sie nun. Generationskonflikt und Totenstille. Eine letale Kombination.

Franks Körper war bis zum letzten Muskel gespannt. Er spürte sogar seine Kopfhaut.
Das Ticken seiner Armbanduhr wurde von seinem Herzschlag übertönt.
Er atmete langsam ein und aus, jede Bewegung seines Kontrahenten fürchtend.
Atem und Herzschlag wurden eins. Zeit. Zeit. Zeit.
Eine Wolke warf ihren Schatten über den Jungkiller.
Lautlos schickte er das Projektil auf seine Bahn durch den Knochen, den Frontallappen, das Kleinhirn und darüber hinaus.
Sein Gegenüber verlor den Halt und sackte in sich zusammen.

Die Sirenen waren nur mehr zwei Straßen entfernt.
In Windeseile zerlegte er sein Gewehr, versteckte den Koffer und rannte auf die Straße, in die bereits ein Streifenwagen einbog.
Er hob die Hand und winkte ihnen.
„Tag Kollegen!“, sagte er, als sich das Seitenfenster öffnete. „Was ist hier los?“, kam es von einer rothaarigen Uniformierten zurück. „Dürfte falscher Alarm gewesen sein. Macht mal ne Runde, ich paß hier auf!“. Der Wagen fuhr langsam weiter und bog wieder ab.
Frank rückte seine Uniform zurecht, wischte sich den Schweiß unter der Schirmmütze ab und betrat Brunners Laden. Brunner stand hinter der Theke.
„Guten Tag! Was ist los?“, fragte dieser ein paar Artischocken polierend.
„Heinrich Brunner?“, fragte Frank. Der Händler nickte ängstlich.
Frank griff nach seinem Messer.
„Schöne Grüße von Rankmeier! Verkauf deine Infos an die Bullen in der Hölle!“.
Damit rammte er dem Erschrockenen die Klinge durch die Brust.
Auf dem Weg nach draußen, griff er sich ein paar Artischocken und verstreute sie um den Sterbenden.
„Wird ein schönes Bild auf der Titelseite! Gemüse ist gesund!“, kicherte er.
Er nahm einen Apfel, biß hinein und ein stechender Schmerz durchzuckte ihn.
„Verdammt, ich muß ja noch zum Zahnarzt! Diese Typen können einem echt wehtun!“
Pfeifend schlenderte er die Straße hinunter und stieg in seinen Wagen.

 

So meine Freunde, trotz harter Lernzeiten, präsentier ich euch einen kleinen Gabelbissen.
FF, Fiel Fergnügen :D

LE

 

Hi Lem,
schön mal wieder was von dir zu lesen, auch wenn mich deine Geschichte ziemlich uneins zurück lässt.

Der Anfang ist dir recht gut gelungen und gibt sehr schön die Litanei und Langeweile wieder, die ein Killer vermutlich durchmacht, bevor der entscheidende Augenblick endlich da ist.

Die Passage mit dem Sohn würde ich an deiner Stelle gänzlich umschreiben. Ich habe zwar kurz überlegt, dass der Jungkiller und Franks Sohn zwei vollkommen verschiedene Personen sein könnten, doch wird dies in der Geschichte nicht klar genug herausgearbeitet, so dass ich einfach davon ausgehen muss, dass Frank seinen eigenen Sohn nicht bloß für ein "Schwein" hält, sondern ihn auch noch erschießt.
Da könnte ich noch eher nachvollziehen, wenn er ihm einfach das Gewehr unbrauchbar schießt und die Geschichte somit den Charakter eines Killer-Wettkampfes zwischen Vater und Sohn bekommt.

Auch die letzten Sätze gefallen mir gar nicht.
OK, es wird beschrieben, dass Frank ein absolut emotionsloser Killer ist (tötet seinen Sohn und geht mit der Zahnarztbemerkung direkt zu seinem Alltag über), doch zu dieser Gefühlskälte passt der gekünstelte Humor nicht.


Hier noch ein paar Textanmerkungen, die mir beim Lesen aufgefallen sind.


Er steckte die Lesebrille auf den Kopf und visierte das Gewehr des Gegners an.
Da du zuvor geschrieben hattest, dass er die Brille auf die Nasenspitze gleiten lässt, würde hier besser "Nasenrücken" statt "Kopf" passen. Oder klemmt er sie an der Stirn fest?
Ich hab dich in diese Welt gesetzt, ich kann dich auch wieder rausholen, klar!
Das nachgestellte "klar" macht den Satz zu einer Frage. -> ?
„Guten Tag! Was ist los?“, fragte dieser ein paar Artischocken polierend.
Komma nach "dieser".
Der Händler nickte ängstlich.
Warum sollte er ängstlich nicken? Schließlich steht im Frank als Polizist gegenüber. Der Verkäufer würde wohl eher irritiert nicken.


Fazit: Stilistisch eine recht gut beschriebene Szene, die ich aber inhaltlich für überarbeitungswürdig halte.

Gruß, Zensur

 

Hi Zens,

danke fürs lesen und bemerken.

Das war auch meine Aufgabenstellung. Das ganze nur mit Andeutungen rüberzubringen, daß sie Vater und Sohn sind.
Auch die Tatsache, das er so ungeniert zur Tagesordnung übergeht war gewollt.
Arbeit und Privatleben. Selbst für einen Killer zwei Paar Schuhe.

Aber ich werde mich deiner Kritik annehmen.
Bin auch für Vorschläge sehr dankbar.

Freut mich aber, daß dir der Stil gefallen hat. Da ich kein Killer bin, war es in bisserl schwer die Langeweile so zu treffen, daß es für den Leser nicht langweilig wird.

Wieder mal ne Fingerübung :D

lg, LE

 

Also, ich habe die Geschichte ähnlich empfunden, jedenfalls was den Anfang betrifft: Der war richtig klasse. Aber dann hältst du das Niveau nicht ganz, wie ich finde. Dass der andere Killer sein Sohn ist, finde ich sehr seltsam. Klar, solche Sachen soll es geben. Aber der Prot soll einen Auftrag erledigen und sein Sohn ebenfalls, das ist irgendwie komisch. Also, ich kann das schwer ausdrücken, aber ich hab nur darauf gewartet, dass sich herausstellt, dass sein geplantes Opfer sein Vater ist. Auch finde ich, hast du zu früh aufgelöst, dass der Prot. ein Killer ist. Mir stieg die Ahnung gerade in der Kehle auf, da hast du es verraten, das war ein bisschen enttäuschend.
Außerdem finde ich, hätte die Geschichte nach der Sache mit den Artischocken zu Ende sein können. Das mit dem Zahnarzt finde ich überflüssig, auch wenn ich weiß, warum du es geschrieben hast. Tatsächlich ist das Bild mit den Artischocken gut, wie es auch der Prot sagt, aber dann finde ich, ist die Geschichte abgerundet. Der Zahnarzt stört ein wenig.
Also, wie gesagt: Der Anfang ist absolute Klasse, da war ich richtig gespannt wies weitergeht, aber dann baust du nach meinem Empfinden, zu viele, auf Englisch heißt das: Gimmicks, also Spielereien, Extras oder so ein, die die GEschichte ein wenig überladen.
Ich hoffe, die Kritik kommt nicht zu harsch rüber.

LG

 

Hi Lem,

schön mal wieder deinen Nick zu sehen und gleich noch eine KG dazu :)

Ohne große Emotionen beschreibst du den Job eines Killers, der so nebenbei noch seinen Sohn ausschaltet.
Hat der Auftraggeber, Frank den Mord nicht mehr zugetraut und sicherheitshalber, den Sohn noch angesetzt?
Vielleicht könntest du den Hass zwischen Vater und Sohn etwas deutlicher machen. Oder der Vater erschiesst seinen Sohn in Notwehr, weil der seinen Job übernehmen will und ihn deshalb schon einigemale versucht hat umzubringen?
Es mag an der späten Stunde liegen, aber ich verstehe nicht ganz, warum Frank seine Kollegen angerufen hat :hmm:

Dein Stil gefällt mir wirklich gut. Nur der Vater Sohn Konflikt ist mir zu undurchsichtig.

Wieder mal ne Fingerübung
Ich will mehr :D

lieben Gruß, coleratio

 

Freunde, ihr habt recht, war wiedr mal ne Fingerübung, aber keine Sorg, vor Weihnachten kommen noch ein paar toole Überarbeitungen vorbei.

Stimmt, bei den Anfängen paß immer alles, und dann hängt es durch. Da ist wohl mehr Denkarbeit gefragt. Aber kein Meister ist vom Himmel gefallen. Dank Eurer Hilfe wird das schon :D

@hermes: je harscher umso besser!

@col: du willst mehr, du kriegst mehr :D

lg, LE

 

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