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Asche

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10.09.2007
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Asche

Seltsam, die alten Stufen hinunterzugehen. Vorbei an Wänden voller Flyern und abgerissenen Plakaten, weiter runter in den Keller, als würde ich nicht selbst gehen, sondern magnetisch angezogen werden von dem, was hinter der Tür liegt. Musik schallt die Treppe hoch, es riecht nach Zigarettenrauch und Bier. Alles ist kleiner geworden, die Stufen, die Gänge. Vielleicht bin ich zu lange weggewesen, aber ich muss noch einmal herkommen, ein Bier und einen Kurzen trinken, wie früher, und dann raus, vielleicht für immer.

Ich wische die Handflächen an meiner Jeans ab und stoße die Tür auf. Das Session ist leer für einen Freitagabend, hinterm Tresen eine hübsche Bedienung. Sie blickt kurz auf, tut desinteressiert, aber ich merke, dass sie mich gut findet. Ansonsten: Ein paar Barfliegen vor ihren Biergläsern, eine Gruppe Fünfzehnjähriger am Kicker, ein Spielautomat dudelt seine Melodie in die Runde. Alles wie früher, sogar einige der alten Poster hängen noch da.

„Kölsch und ‘nen Klaren bitte.“

Sie lächelt vorsichtig zurück. Während sie das Bier zapft, fällt mein Blick auf ihre enge Jeans. Aber da ist dieses merkwürdige Gefühl, beobachtet zu werden, als würden mich die Gestalten auf den Postern anstarren, Lemmy von Motörhead schaut misstrauisch auf mich herab. Dem echten Lemmy hab ich schon die Hand geschüttelt, aber der hier sieht irgendwie anders aus, bedrohlich. Und ich fühle mich, als müsste ich vor ihm Zeugnis ablegen über mich, über meine Wanderjahre. Ich kippe den Kurzen herunter und verschütte etwas von dem Bier, weil meine Hand plötzlich zittert. Und in dem Moment sehe ich ihn.

Er sitzt im Halbdunkel und ich weiß nicht, warum ich ihn sofort wiedererkannt habe. Alt sieht er aus, die langen blonden Haare sind ab, er trägt ein blaues Hemd und kauert über einem Buch. Er muss mich beim Reinkommen gesehen haben. Ich gehe auf ihn zu.

„Wolfgang?“

Er blickt auf, tut überrascht und ruft:

„Bernd. Das gibt’s ja nicht.“

Er mustert meine tätowierten Arme. „Siehst gut aus“, murmelt er.

„Wie geht’s, Dir?“, frage ich, „komm, Bierchen“, drehe mich um zur Bedienung aber er winkt hastig ab:

„Nur ‘ne Cola.“

Ich schaue in sein Gesicht, suche nach dem, was mich früher so fasziniert hat, und die Vergangenheit überkommt mich.

Es ist fünfzehn Jahre früher, mehr Lärm hier unten, Aufregung, überall Leute, denen ich die Hand schüttele, nach ein paar Jahren in der Szene kennen sie mich. Was waren das für Zeiten 1991, 1992, Metallicas „Black Album“, Guns n‘ Roses „Use Your Illusion“, Schlag auf Schlag, ein Hammeralbum nach dem anderen. Rock n‘ Roll überall, ein neuer Sound, die Achtziger überwunden, aber dann denke ich: Jetzt schummelst Du, Bernd, den Sound hast Du damals nicht bemerkt, hast nur auf die Gitarren geachtet, die Riffs, die Soli, und immer wieder auf Wolfgang, den großen Helden.

Und ich sehe ihn, wie er im Session auf der Bühne steht, ein Solo spielt, pures Feuer, der Randy Rhoads von Bonn, lange Mähne, durchtrainierte Arme, E-Gitarre, sehe, wie die Finger seiner linken Hand über die Bünde huschen, die Saiten ziehen, in der Rechten zuckt das Plektrum unendlich schnell, es ist wie Magie, er beschwört die Noten, immer wieder klassische Arpeggios, verzerrt in der verrauchten Luft, Schlagzeug und Bass im Hintergrund und Wolfgang geht völlig auf in der Musik, die Augen geschlossen, eine unglaubliche Präsenz, ein junger Gott, die Weiber lieben ihn. Und ich denke voller Stolz: Mein Lehrer. Ein bisschen von dem Applaus fällt ja auch auf mich herab, als die Kerle ihre Kippen in den Mund stecken, um die Hände zum Klatschen freizuhaben und die Mädels ihre Gläser in die Höhe recken und jubeln.

Kritik gab’s natürlich auch:

„Zu viel Gefrickel“, knurrte Mark und kippte seinen Schnaps herunter, „bisschen unsauber, die Coverversion von ‚Mr. Crowley‘.“

Und das von meinem besten Freund, dessen Lehrer nirgendwo spielte, höchstens in irgendwelchen Blues-Clubs vor alten, bärtigen Männern! Ich erinnere mich, wie ich vor Wut mein Bierglas auf den Tisch gehauen habe und es zerbrochen ist, irgendwer meinte noch, Wolfgang sei in den Achtzigern hängengeblieben, diese ewige Randy Rhoads-Kopie, das Original sei doch schon mausetot, und dieses klassische Gedudel mache heute niemand mehr. Countryeinflüsse seien in, dreckiger Sound. Aber Wolfgang ließ sich nicht beirren, zog sein Ding durch. Irgendwann kommen mal Buch und Lehrvideo, meinte er. Und ich fragte wann es endlich eine CD gäbe. Abwarten und Bier trinken, die Zeit sei noch nicht reif, die Aktien stiegen, die Leute würden schon noch an seine Tür klopfen.

Und heute spricht er von „dunklen Jahren“, schwierigen Zeiten, musste sich ein bisschen umorientieren, aber jetzt ist alles gut. Er wollte doch immer mal was anderes machen, neue Wege gehen. Und Verwaltungshochschule NRW, das sei schon ziemlich spannend. Da sehe man die Dinge mal mit anderen Augen. Ich trinke einen Schluck. Er nickt. Ich denke an meine Sammlung von E-Gitarren, meine Verstärkerwand, die signierten Alben. Irgendwie hatte ich immer erwartet, dass wir uns einmal wiedertreffen würden, aber nicht so.

„Und Du?“ fragt er.

Ich zucke mit den Achseln: „Wohne in San Francisco. Hab ‘nen Job bei einer Plattenfirma. Musik produzieren und so.“

Er winkt ab.

„Alles Mist, kommt doch nur noch seelenloses Zeugs raus heutzutage. Echte Musik ist verloren gegangen.“

Er schwenkt sein Colaglas, als müsste er die unsichtbaren Zutaten mischen. Ich merke, wie etwas in mir hochkocht.

„Machst Du denn noch Musik mit Seele?,“ frage ich und mustere sein Hemd, seine kurzen Haare.

Er lacht abfällig.

„Leck mich,“ dreht sich zur Kellnerin um: „Jägermeister“.

Er wankt aufs Klo. Der Alkohol bekommt ihm nicht gut. Ich checke mein Blackberry. In Kalifornien ist es jetzt neun Uhr und eine Email nach der anderen kommt rein.
„Pete: Can you take care of this?“ tippe ich, als Wolfgang zurückkommt.

„Was’n das?“ fragt er.

„Blackberry.“

Ich will das Gerät in meine Tasche stecken, aber plötzlich greift er mein Handgelenk.

„Kommst dir vor wie der King, nicht wahr? Stolzierst hier rein mit deinem scheiß Gerät und deinen scheiß Klamotten und meinst, es uns allen zeigen zu müssen.“

Er wedelt mit den Armen. Ein einsamer Trinker blickt auf. Die Bedienung wäscht Gläser.

„Komm Wolfgang, bleib locker,“ sage ich.

„Ich sag dir mal was, Bernd“, ruft er, „als du bei mir in die Gitarrenstunden gekommen bist, da warst du nichts. Gar nichts! Ein kleiner, pickliger Junge, nicht mehr!“

Ich will gerade etwas sagen, da reißt er mir das Blackberry aus der Hand, schmeißt es gegen die Wand und lacht wild. Und dann geschieht es. Ich schlage meine Faust in diese grinsende Fratze hinein, die einmal meinem Lehrer gehörte, links-rechts, er fällt, und als die Bedienung ruft „aufhören!“, da hab ich schon 50 Euro auf den Tisch gelegt, mein Blackberry aufgehoben und bin auf dem Weg nach oben. Und ich weiß, nicht nur Wolfgang, sondern auch Randy Rhoads liegt da auf dem Boden, der junge Gott im Session, alles verloren, auf seinem eigenen Territorium geschlagen, ein Schatten, Asche, nicht mehr, aber ich drehe mich nicht um, nur noch die Treppe hoch und raus hier.

In San Bernardino, Kalifornien, liegt er begraben, der echte Randy Rhoads, jung gestorben, keine dreißig, „wie ein Komet verglüht“, hat Wolfgang mal gesagt. Als ich an einem Frühlingstag von LA zurück nach San Francisco gefahren bin, habe ich den Umweg gemacht, ich musste ein bisschen nachdenken. Stille, Sonne, jemand hatte frische Blumen vors Grab gelegt. Ich empfand nichts. Wolfgang hatte mir erzählt, er sei früher einmal hier gewesen. Aber so richtig habe ich ihm das schon damals nicht geglaubt.

 

Hallo TebeEm,

ich fand die Geschichte ganz gut, die Nostalgie kommt gut rüber.

Er schwenkt sein Colaglas, als müsste er die unsichtbaren Zutaten mischen. Ich merkte, wie etwas in mir hochkocht.

Da bist du mit den Erzählzeiten ducrheinanderkommen...

Das Ende finde ich verwirrend. So wie er Wolfgang da auf die Fresse haut... das hat mir gefallen, aber dann meinst du plötzlich Randy Rhodes sei tot, was ja auch noch Sinn macht... aber dann bist du an einem Grab in San Bernadino? Vielleicht müsste ich wissen wer da begraben liegt... ich tu's aber nihct. Und so macht das Ganze für mich wenig Sinn...

trotzdem nett zu lesen, vor allem diese Baratmosphäre hast du gut eingefangen.


mfg,


JuJu

 

Hi TeBeEm

Eine Geschichte die vielversprechend anfängt. Der erste Abschnitt erinnert mich an einen kürzlichen Besuch in meiner eigenen ehemaligen Stammkneipe.;) Kann mich da JuJu (was sind das nur für nicks - Donnerlittchen grins) anschliessen, es gelingt dir sehr gut, die Nostalgie des Protagonisten zu beschreiben, die er fühlt, als er runter ins Session geht.

Alles ist kleiner geworden... (1. Abschnitt)
Alles wie früher, ... (2. Abschnitt)

Ist das nicht ein Widerspruch?

Den Dialog zwischen Bernd und Wolfgang finde ich, einschliesslich des Éclats -eigentlich auch gelungen. Was aber leider bleibt, ist- wie es JuJu schon erwähnt hat - das verwirrende Ende. Es kommt nicht wirklich klar rüber, was es mit dem Grab auf sich hat, so dass man als Leser am Ende einen Bruch in der Geschichte wahrnimmt. Ansonsten hat mir die Geschichte aber gefallen und mich an eigene Erfahrungen erinnert. Sehr schön finde ich, wie du eingefangen hast, dass man Vergangenes nicht zurückholen kann. Hörte mir nach dem Lesen übrigens wieder mal "Paradise City" von Guns'n Roses an und begann in Erinnerungen zu schwelgen...

Metallische Grüsse:)
palerider

 

hi TeBeEm,
echt geil die geschichte, find ich super, das musik gelabere, hat mich schon immer beeindruckt.
Ich finde vor allem gut, dass mal einer nochmal auf den Punkt gebracht hat, was Musik früher und heute war/ist und dass sie heute im Gegensatz zu früher reichlich beschissen ist. Ob du der ansicht bist, oder nicht, deine charaktere sind es jedenfalls und das macht die für mich sympathisch.

Gruß,
Johanna

 

Hallo zusammen,
@JuJu:
Danke für die zwei Hinweise – ich hab entsprechend kleine Änderungen eingefügt und hoffe, es wird jetzt klarer. Habe ursprünglich noch mehr dringehabt, was die Doppelfigur Wolfgang-Randy Rhoads betrifft, es dann aber gekürzt und dadurch ist vielleicht ein bisschen an Klarheit verloren gegangen.

@Palerider:
Auch Dir vielen Dank - Witzig, die Guns n‘ Roses Appetite for Destruction ist in der letzten Zeit auch wieder öfters aus meinen Boxen geschallt...und Besuche in ehemaligen Stammkneipen – oh je, die haben immer etwas Gefährliches an sich ;-)
Auch hier hoffe ich, dass einiges ein bisschen klarer geworden ist, aber wenn ich mal ein paar freie Stunden habe, werde ich nochmal über die Geschichte drübergehen – auch was den „Widerspruch“ angeht, muss ich nochmal drüber nachdenken.
Up the Irons!

@JohannasVisions:
Tja, viel Gutes ist meiner Meinung nach nach den Jahren bis1995 nicht mehr rausgekommen, wenn auch vereinzelt noch das durchgezogen wird, was früher so gut war! Aber die Diskussion gehört vielleicht an eine andere Stelle ;-)
Freut mich, dass Dir die Geschichte gefallen hat!

@SabineK63:
Für Dein Verständnis der Geschichte würde ich Dir jetzt am liebsten ‘nen Kölsch und ‘nen Klaren ausgeben ;-) – genau darum ist es mir gegangen, und solche Leute trifft man ja leider wirklich manchmal in ehemaligen Stammkneipen...
Der Abschnitt mit den Postern gehört wohl wirklich nochmal auf den Prüfstand gestellt, bist ja schon die Zweite, die da etwas irritiert aufgemerkt hat.

Dank + Gruß Euch allen
TeBeEm

 

Hallo TeBeEm,

wieder eine schöne Geschichte von Dir. Kenne mich zwar mit der Metal Szene nicht so aus (Randy who?), aber das tat der Geschichte keinen Abbruch. Es ist ja quasi auf alle Musikrichtungen usw. übertragbar. Die Träume von damals, das was bleibt. Und dass man in dem Moment, wo man behauptet, die Musik heutzutage sei nur noch Mist, sein wahres Alter verrät!!
Es gibt immer wieder gute Musik, nur bleiben manche Leute in der Vergangenheit hängen.

Vom Gitarrengott zum Verwaltungsangestellten ist ja kaum noch zu toppen. Höchstens mit einem peinlichen Auftritt bei Big Brother.
Und Jägermeister trinkt er auch noch…
Gern gelesen,

Sammamish

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Tebeem,

finde die Geschichte auch super.

Du hast hier einen dieser Kerle beschrieben, die man in einer Kneipe sitzen sieht. Die haben so eine erhabene Aura und dennoch kommen sie einem bei näherer Betrachtung irgendwie verdammt arm vor. Man überlegt sich dann, was den Kerl mit seinen 50 Jahren dazu bewegt, immer noch Tag ein, Tag aus in einer kleinen Bar zu hocken und seine Kurzen zu trinken.

Der von dir Beschriebene ist Wolfgang Nr. 1292 aus der Kneipe XY irgendwo in Deutschland. Und du hast ihn perfekt getroffen, finde ich.

Kenne die Version von früher zwar nicht, aber zumindest jetzt wirft dein Ende für mich keine Fragen auf. Ist alles absolut einleuchtend und ich finde es auch passend.

Halt. Eins fällt mir noch ein. Warum muss das Handy gerade ein Blackberry sein? Das gefällt mir nicht. Würde es zumindest an 1-2 Stellen durch Handy ersetzen.

Ansonsten schöne Geschichte

Gruß
Markus

 

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