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Aschenkur
Der schwarze Walter hatte einen Lindwurm im Gedärm. Die Scheißerei plagte ihn seit Harfleur. Fuß um Fuß schritt er am Ufer eines Flusses entlang, von dem keiner recht wusste, wie er hieß, und bei jedem Geräusch, das er aus dem Wald hörte, schreckte er auf und dachte: Die Franzosen sind da.
Auch jetzt wieder. Ein Knacken im Gebüsch, schon hatte er die Hand am Langbogen auf seiner Schulter, doch es schlug sich nur ein wackrer Kamerad aus dem Wald, der sich den Wanst hielt. Mit gehobenen Händen lief er auf den schwarzen Walter zu und rief „Ich ergebe mich, o mächtiger Schweinehirt! Möge mich dein Pfeil niemals erlangen.“ Dann wischte er die Hände an Walters Hose ab und setzte sich in der Kolonne neben ihn.
„Wenigstens hab ich was gelernt“, murrte Walter und trottete weiter.
„Ich auch!“, behauptete der Bastard.
„Du bist kein Pfarrer“, murrte der rote Edd von der anderen Seite.
„Sehr wohl! Ich beweise es dir. Schweinehirt!“, rief er. „Was war dein Vater?“
„Schweinehirt“, murmelte der schwarze Walter, der dieses Gespräch schon viel zu oft geführt hatte.
„Und deiner, meine Schönheit, was war deiner?“
„Jäger“, sagte der rote Edd.
„Und du bist?“
„Jäger“, sagte der rote Edd.
„Und nun begibt es sich eben, dass euer aller Lieblingskamerad der Sohn eines wohlbelesenen Pfarrers war. Was mich, quod libet delentantur, eben auch zu einem ebensolchem Quidem macht!“
„Quod was?“, fragte der rote Edd.
„Das ist Latein! Die Sprache haben wir uns ausgedacht, damit nicht jeder dahergelaufene Schweinehirt in unsere geheimsten Mysterien eingeweiht wird!“
„Verstehe. Pastor?“
„Ja?“
„Du stinkst nach Scheiße.“
Als der Bastard zu einer Erwiderung ansetzen wollte, stupste ihn Walter mit dem Ellenbogen in die Rippen und deutete mit dem Kopf über seine Schulter. Da ritt ein Edelmann, schwer gepanzert auf einem armseligen weißen Gaul, klappte sein Visier hoch und sagte: „Spart euch die Luft fürs Laufen. Es ist noch weit bis Calais.“
„Wenn die Franzosen uns nicht vorher kriegen“, sagte der rote Edd.
„Dich haben sie wohl schon gekriegt“, sagte der Edelmann und ritt weiter.
„Ich weiß gar nicht, was er hat“, sagte der rote Edd und drehte seinen Kopf so, dass Walter auch die linke Seite seines Gesichts sehen musste. Dort wo ihn die Sehne seines eigenen Langbogens geküsst hatte. „Die Damen in Harfleur haben sich jedenfalls nicht beschwert“.
Der rote Edd fasste sich kräftig in den Schritt und Walter rannte in den Wald. Der Lindwurm rief.
Das bisschen Geld war es kaum wert, dachte Walter, als ihm braunes Wasser aus dem Leib rann. Dieses Scheiß Land mit dem Scheiß Wasser und dem Scheiß Fluss.
Vor Harfleur hatte der Bastard noch gesagt: „Frankreich wäre gar nicht so schlecht, ohne die Franzosen!“
Und der rote Edd hatte noch gesagt, dass auch er plane, Frankreich zu erobern. Nicht wie die feinen Herren mit dem Schwert, sondern lieber mit dem Schwanz. „Den Boden musst du mir noch zeigen, auf dem meine Saat nicht aufgeht!“
Aber das war vor Harfleur gewesen. Bevor sie die Ruhr erwischt hatte und bevor diese froschfressenden Franzosen es auf eine Belagerung hatten ankommen lassen. Jetzt hatten sie ein Heer am Arsch und kamen nicht über den verdammten Fluss nach Calais und der verdammte König ließ marschieren und marschieren. Jeden Morgen vor Sonnenaufgang, wenn Walter schon wach lag, hörte er die Leichensammler durchs Lager streifen.
„Und wieder ein paar weniger“, flüsterte der rote Edd dann, wenn er schon wach war, drehte sich um und schlief weiter.
Der Bastard sagte dann etwas auf Latein mit vielen Q’s und V’s, meinte: „Der hat es hinter sich“, rollte sich auf die Seite und schlief weiter.
Aber der schwarze Walter konnte nicht mehr schlafen.
Gott, der Lindwurm brachte ihn um. Sein Arsch war wund, als hätte er ihn mit einem der Kräuter abgewischt, an denen die Schweine starben, wenn sie sie fraßen.
Klirren im Gehölz, dabei konnte er die Kolonne noch sehen, trotzdem zog Walter das Kurzschwert. Die Franzosen kannten den verdammten Wald. Zwar sagte der rote Edd immer: Der König schickt schon seine Kundschafter. Aber der rote Edd sagte auch, dass die Franzosen Jesus gekreuzigt hätten, und in ihrer Stadt, Paris, zu einem goldenen Kalb beteten. Und dass eine französische Muschi nach Rosenblüten duftete und ihre Ärsche eng und feucht seien, sagte der rote Edd auch.
„Was tust du da?“, fragte ihn eine Stimme.
„Ich scheiße, wenn es genehm ist.“
„Ist es“, sagte die Stimme. Wieder eine schwere Rüstung, wieder irgendein Lord. Die brauchten das doch nicht. Die hatten doch ihr Land und ihre Leute und mussten nicht, nur weil ein paar Schweine das falsche Kraut gefressen hatten, nach Scheiß Frankreich ziehen. Der schwarze Walter verstand so vieles nicht.
„Dysenteria?“, fragte der Mann.
„Walter“, sagte Walter.
Der Mann nahm ein paar Blätter vom Boden, steckte sie sich in den Mund und kaute auf ihnen herum, dann hob er etwas Erde auf und aß sie. „Wegen der Übersäuerung“, sagte er. „Das hilft.“
Walter machte sich in die Kolonne, beeilte sich, zu Edd und dem Bastard aufzuschließen. Als er sie endlich erreicht hatte, flüsterte er: „Wir sind verloren. Wir werden von erdfressenden Idioten kommandiert.“
„Wenigstens waren deren Eltern verheiratet“, sagte der rote Edd.
„Und wenigstens müssen die beim Rasieren noch aufpassen, sich nicht zu schneiden“, sagte der Bastard.
So trotteten sie weiter.
„Komm“, sagte der rote Edd, während sie kampierten und zeigte in Richtung des schwarzen Wagens.
„Da fällt dir der Schwanz ab“, sagte der Bastard.
„Willst du wirklich eine Trosshure mit Scheißerei ficken?“, fragte Walter.
Edd kratzte sich über die nässende Wunde, die früher mal eine Gesichtshälfte war, nickte und spuckte dann aus.
„Ja, dieser Sohn des heiligen Vaters“, erklärte er dann feierlich, „soll mit französischem Saft am Lendenschwerte ins Paradies ziehen!“
„Kannst du denn nur übers Ficken reden?“, fragte der Bastard.
„Ist mir schon klar, dass deinesgleichen Probleme mit gesunder Leidenschaft hat. Ich hoffe nur, dass meine Söhne mir nicht gram sind, nur weil ich nicht gleich jede vor den Pfarrer zerre, die mir gefällt.“
Der Bastard hob einen Finger und setzte an, etwas zu sagen, überlegte es sich dann doch anders, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schloss die Augen.
„Wenn es Gott nicht gefallen würde, dass wir ficken“, murrte der rote Edd. „Warum macht es dann soviel Spaß?“
Der schwarze Walter hoffte inniglich, dass der Bastard schon schlief und einige Momente lang sah es auch so aus, als hätten sie eine ruhige Nacht vor sich. Doch schließlich schüttelte der Bastard den Kopf, setzte sich auf, hob den Finger und begann über Versuchungen zu dozieren und über einen Garten und Quo vadis! Ja? QUO VADIS, frage ich!
Walter verließ das Zelt und schlug sich erneut in den Wald.
Quinn zündete sich mit dem Zippo eine Zigarette an, während die anderen Freizeit hatten. An ihm ging gerade ein Freibauer mit Langbogen vorbei und aus den Geräuschen im Wald war klar zu erkennen, dass auch ihn die Ruhr erwischt hatte. Angewidert wandte sich Quinn ab und dachte, dass er der Familientradition hätte folgen und nach dem Historik-Studium Taxifahrer hätte werden sollen, statt das Studium nach zwei Semestern zu schmeißen und einen auf Fremdenführer zu machen.
Und was für eine Bagage sie ihm wieder zugeteilt hatten! Jedesmal bekam er die Freak-Show!
„Mann, Mann, Mann!“, sagte der Junge, ein zwanzigjähriger Vollarsch, der tatsächlich fast immer seine Mutter im Schlepptau hatte. Der Junge stellte sich neben Quinn und zündete sich auch eine Zigarette an. „Das ist so geil. Ja, echt wie in echt.“
„Scharf beobachtet.“
„Und die können uns echt nicht-“
„Nein.“
„Aber wir die.“
„Ja.“
„Sehen, mein ich.“
„Genau.“
„Auch anfassen?“
„Nein.“
„Mann, Mann, Mann: Ist das geil.“
„Da“, sagte Quinn. „Der schwarze Wagen da drüben.“
„Ja?“, fragte der Junge, als hätte Quinn ihm grade erzählt, dass es zu Weihnachten ein V-Girl gab.
„Muschis“, flüsterte Quinn und der Junge dackelte verzückt ab, während Quinn die Zigarette austrat.
„Es ist fantastisch, wirklich fantastisch“, sagte die Mutter, die er vor einem Lagerfeuer fand. „Wenn man sich das überlegt. Man ist ja unsterblich. Ist doch so, oder? Vielleicht, überlegen Sie sich das mal. Man lebt ja ewig, wenn man dabei beobachtet werden kann.“
„Das ist sehr tiefsinnig“, sagte Quinn und verdrehte die Augen.
„Ich dachte, es ist mehr wie Fernsehen früher, aber es ist ja echt. Die leben! Die leben ja richtig.“
„Dieser Mann da zum Beispiel!“, sagte sie und deutete auf einen armen Tropf, der kreidebleich im Gesicht war und morgen oder spätestens übermorgen an der Ruhr krepieren würde. „Schauen Sie, wie er leidet“, sagte die Mutter und ging nun um ihn herum. „Dieses tiefe Uneinssein mit dem Schicksal. Er wurde gezwungen zu töten. Von der warmen Brust seiner Mutter hat man ihn gerissen und nun das Gesicht. Dieser unvorstellbarer Gram. Dieser Grimm, der ihn plagen muss.“
Der Soldat sah tatsächlich mitleiderregend aus, bis ihm ein gewaltiger Furz entwich, der das Feuer entfachte. „Der plagt mich schon seit Harfleur!“, schrie er dann und seine Kameraden johlten und wieherten.
„Genießen Sie doch noch ein bisschen das Odeur“, sagte Quinn. „Wir werden nicht mehr lange hierbleiben.“
„Ach, wohin geht es denn dann? Hoffentlich nicht schon zur Schlacht.“
„Nein, nein, das dauert noch. Wir schauen uns mal die Franzosen an.“ Dann noch die Rede, ergänzte er in Gedanken, ein paar Minuten Regen in der Dunkelheit und dann die Schlacht. Ein achtstündiges Gemetzel, das ihn schon beim ersten Mal schnell gelangweilt hatte.
„Haben Sie eigentlich meinen Sohn gesehen?“
„Nein. Dachte, der wär bei Ihnen.“
„Er ist noch so zart, wissen Sie.“
Die letzte Mitreisende war auch die einzige, deren Gesellschaft Quinn länger als zwei Minuten ertragen konnte. Auch wenn sie ein verwöhntes Miststück war, das von Papa die Reise bezahlt bekommen hatte.
Er fand sie in einem der Planenzelte, wo sie über einem kräftigen Mann hockte.
„Hey“, sagte er.
Das Mädchen hüpfte mit dem Po auf dem Brustkorb des Mannes auf und ab und natürlich auch durch ihn hindurch.
„Albdruck!“, schrie sie. „Verstehen Sie!“
„Ja“, sagte Quinn und schaute über seine Schulter, in der Hoffnung, noch irgendwie einen Ausweg aus diesem Leben zu erkennen.
„Vielleicht bin ich nun – Ha! – der Ursprung dieses Mythos! Und alles, was wir über Albträume wissen und so, kommt von –“, wieder hüpfte sie energisch, „genau diesem Moment!“
„Gut möglich“, sagte Quinn und verdrehte die Augen. Wenigstens ist sie scharf, dachte er.
„Da!“, schrie sie. „Er hat sich bewegt! Sehen Sie doch, er hat sich bewegt. Er spürt mich!“
Nun kauerte sie neben seinem Ohr und schrie: „Du wirst steeeeeeerben! Der Herr will es! Geh nicht nach Agincourt! Du wirst steeeeeeerben!“
Voll Freude strahlte sie Quinn an.
„Sehen Sie! Ich ändere die Zukunft.“
Diese phasenverschobene Projektion zur Tour nach Agincourt ist eintausenddreihundertachtundvierzig Mal durchgeführt worden, dachte Quinn. Es ist sicher, vollidiotensicher, dachte er mit einem Blick auf das scharfe Mädchen. Keiner hier hat irgendein Hirnleiden oder spricht in Zungen oder weiß der Geier was. Das hatte man alles genau untersucht, bevor es überhaupt das erste Mal genehmigt wurde. Deshalb musste er auch jedem, der ihn – als hätte er überhaupt Ahnung davon – fragte, ob man nicht mal eben fix: Kreuzigung Jesu, bestimmt auch geil, antworten: Dies sei im Moment aus technischen Gründen nicht möglich, aber man arbeite daran.
„Ja“, sagte Quinn. „Aber seien Sie doch bitte vorsichtig.“ Fügte dann noch mit raunender Märchenerzähler-Stimme hinzu: „Die Menschheit ist vielleicht nicht bereit, einen anderen Weg zu gehen, als den, den sie gegangen ist.“
„Hä?“, fragte das Mädchen.
„Kommen Sie“, sagte Quinn. „Ich will Ihnen da hinten noch was zeigen.“
„Moment noch“, sagte das Mädchen, beugte sich zu dem Mann hinunter und flüsterte: „Steeeeeerben!“
Als der schwarze Walter wieder ins Zelt kam, hörte er das gleichmäßige Schnarchen des roten Edd, aber mit dem Bastard war irgendwas nicht in Ordnung. Er atmete schwer und zitterte am ganzen Körper. „Edd, Edd“, rief Walter und beugte sich über den Bastard, der plötzlich die Augen aufriss, ihn wie einen Geist anstarrte und ihm einen gewaltigen Schwinger gegen den Kopf donnerte.
Die Welt wurde schwarz um den schwarzen Walter.
„Walter, Walter?“
Der riesige Schädel des Bastards genau vor seinen Augen.
„Ich dachte, du willst mich umbringen.“
Walter reckte den Kopf zur Seite und spie Galle aus Regionen seines Magens, von denen er gar nicht wusste, dass es sie gab. Dass da überhaupt noch was drin ist, dachte er benommen.
„Warum bei den Sieben Höllen sollte ich so was tun?“, fragte er. Seine Augen schmerzten, also schloss er sie.
„Ich hab einfach geträumt. Schlecht geträumt.“
„Dich plagt dein Gewissen“, murrte der rote Edd von der anderen Seite. „Ich schlafe wie in Abrahams Schoß und träume von …“
„Agincourt“, hörte Walter jemanden sagen. „Agincourt. Da können Sie mal richtige Männer in Aktion sehen. Aber schön wird das nicht. Es ist ziemlich eklig und lang. Ein Gemetzel.“
„Aber auch aufregend, oder?“, fragte nun eine Frauenstimme.
„Wenn man auf so was steht, klar.“
„Und der König?“
„Kommen Sie.“
„Oui, oui! Isch zeige eusch nün, wie wir die elenden Engländer bezwüngen!“, sagte ein kleiner Franzose und Quinn musste an dieser Stelle jedes Mal schmunzeln. Das Übersetzungsprogramm musste jemand zusammengebaut haben, der sich für ziemlich komisch hielt.
„Wer ist das?“, flüsterte das scharfe Mädchen neben ihm. „Auch ein König?“
Klar, dachte Quinn. Jede halbwegs passabel aussehende Frau verknallte sich in den Scheiß Heinrich den Fünften.
„Das ist Charles d’Albret. Er wird die französische Armee befehligen.“
„Warum denn kein König?“, wollte das Mädchen wissen.
„Im Moment sitzt Karl der Sechste auf dem Thron Frankreichs“, sagte Quinn mit seiner Seminarstimme. „Die Geschichte hat ihm zwei Beinamen gegeben. Le Bien-Aimé, der Vielgeliebte.“
„Das klingt aber nett“, sagte die Mutter.
„Und Le Fou, der Wahnsinnige.“
„Oh“, sagte die Mutter.
„Paranoide Schizophrenie oder so was. Wahrscheinlich würde er versuchen, sein Schwert zu essen, wenn man ihm eins geben würde.“
„Cool“, sagte der Junge.
„Weißt du, wie Pyrrhus gestorben ist?“
„Nee, wie denn?“
„Hat in einer Stadt gekämpft und ein Soldat hat ihn mit einem Speer verletzt. Als er sich zu ihm umdrehen und ihn töten wollte, hat die Mutter dieses Soldaten einen Dachziegel auf ihn geworfen und ihn damit erschlagen.“
„Und?“
„Nichts, fiel mir nur grad ein.“
„Kommen wir nun zu le Demonstration!“, sagte Charles d’Albret und hatte auf einmal einen Langbogen in der Hand. „Dies is die bevorzugte Waffe unserer Feinde! Sie ’aben nicht den Mut, sich uns wie wahre Männer zu stellen.“
Dann zeigte er dem versammelten Heer einen schweren Plattenpanzer, den er in einigem Abstand von einem Diener hochhalten ließ, der arme Kerl hatte an dem Panzer schwer zu schleppen. Charles d’Albret feuerte einen Pfeil auf den Panzer, der wirkungslos an der dicken Stahlschicht abprallte.
„E Voilà! Der Sieg gehört uns!“
„Auch kluge Menschen sagen manchmal furchtbar dumme Sachen“, sagte Quinn und sah sich die Reihe des Heeres an. „Das ist das französische Heer.“
„Das sind echt viele“, sagte der Junge.
„Es sind vor allem schwer gepanzerte Edelmänner, deren Väter und ältere Brüder in den Schlachten von Crecy und Poitiers getötet, beschämt und gedemütigt wurden. Naja, vielleicht auch nur eins von den dreien. Charles d’Albret hat einen Schlachtplan erstellt. Das ist der Typ mit dem Bogen. Drei Wellen sollen angreifen, mit den Edelmännern in einer wichtigen Position auf den Flanken, aber da alle denken, der Kampf dauert nur ein paar Wimpernschläge-.“ Quinn schaute in den Himmel. Nein, sah nicht nach Regen aus. „- denken sie, dass sie in der ersten Reihe kämpfen müssen, um überhaupt noch etwas Ruhm abzukriegen. Sehen Sie sich ruhig etwas um. Sie werden siegesgewisse, junge Menschen treffen. Die schon überlegen, was sie mit dem Lösegeld für die englischen Adligen so alles kaufen können und die bald alle von Krähen gefressen werden. In vierzig Minuten geht es weiter.“
„Und es ist wirklich kein König da?“, fragte das Mädchen.
„Ich zeig Ihnen ein paar Herzöge“, sagte Quinn und nahm das Mädchen bei der Hand.
„Wenn ich’s euch doch sage, ich habe Stimmen gehört.“
„Ich hab dich da wohl am Schädel erwischt“, sagte der Bastard.
Der rote Edd drehte den Kopf knackend im Nacken und sagte: „Ich hab auch Stimmen gehört, O mon amour, bitte nischt so ’art, isch bin nur schwäschliche Nüdeln gewöhnt.“
„Die Franzosen werden uns bei Aschenkur stellen!“
Ein Wiehern, der schwarze Walter drehte den Kopf und ein Visier wurde nach oben geklappt: „Woher will ein Bauer etwas von den Plänen der Franzosen wissen?“
„Nichts, nichts, edler Herr“, sagte der Bastard schnell. „Wir haben nur gescherzt.“
Dunkel- und hartäugig musterte der Edelmann den schwarzen Walter, sein Blick ging ihm durch und durch. „Die Franzosen streiten sich untereinander. Wir werden bald die Somme überqueren und in Calais einschiffen. Aschenkur“, sagte der Edelmann und lachte blechernd. „Wo soll das überhaupt sein?“
Als der Lord weitergeritten war, flüsterte Walter leise: „Das Gemetzel wird lang und furchtbar sein.“
„Meine Damen, mein Herr, wir befinden uns am Vorabend der Schlacht von Agincourt, am 24. Oktober 1415. Morgen ist der Sankt Crispians Tag. Ein in Vergessenheit geratener Feiertag. Der berühmte Dichter William Shakespeare hat die Rede, die Sie gleich hören werden, und die von niemand anderem als König Heinrich dem Fünften gehalten wird, in seinem gleichnamigen Drama etwas, sagen wir, ausgeschmückt. Das Drama wird Ihnen sicher allen ein Begriff … nein? Nun gut. Lauschen wir den Worten seiner Majestät.“
Quinn zündete sich eine Zigarette an und starrte verächtlich auf die scharfe Tussi, die fast schon sabbernd neben dem König stand und ihn anhimmelte.
Der Junge neben ihm sagte: „Ein Maschinengewehr und diese ganzen Ritter.“
„Ja“, sagte Quinn und nickte. „Das denk ich auch oft.“
„Dass so viele von ihnen morgen nicht mehr da sein werden“, sagte die Mutter und tätschelte ihren Sohn, der sich unter ihrem Griff wand.
Weit hinten im Heerlager gab es leichte Unruhen. Ein paar Rufe wurden laut. Das war Quinn bei den früheren Reisen nie aufgefallen. Wahrscheinlich war er da noch ganz bei Shakespeare gewesen, und hatte im Geiste die karge Ansprache des Königs durch die Worte des Dichters ersetzt: Wir kleine Schar, wir wenigen. Ach ja, denn Morgen ist Sankt Crispians-Tag. Die eigentliche Rede hatte sich auf das Anrufen Gottes, ein paar wüste Beschimpfungen der Franzosen und das Versprechen auf französische Weiber beschränkt.
Das Mädchen versuchte gerade ihre Zunge in das Ohr des Königs zu stecken. Enttäuschung reihte sich an Enttäuschung.
„Er hat Aschenkur gesagt!“, beharrte der schwarze Walter.
„Das ist ein Zufall“, sagte der Bastard. „Du hast doch gehört. Ein paar Hundert Bewaffnete Mann. Wir werden den Himmel schwarz färben mit unseren Pfeilen.“
„Ich hab vorhin einen Kundschafter getroffen. Er sprach von vierzigtausend“, sagte der rote Edd.
„Ach, wer hört denn auf irgendwelche eichelfressenden Waliser? Die können doch nicht mehr als ihre Nasen zählen.“
„Das mit Aschenkur ist schon ein sehr seltsamer Zufall.“
Der Regen drosch gegen die Zeltplane.
„Zugegeben“, sagte der Bastard.
„Und du hast doch auch so schlecht geträumt“, sagte der schwarze Walter.
„Ja“, sagte der Bastard und kratzte sich übers Kinn.
Quinn stand neben den anderen auf einem Acker und schrie gegen das Toben des Sturmes an. „Das ist das Feld von Agincourt. Es wird die ganze Nacht über schwer regnen. Das Feld ist frisch gepflügt worden. Der Regen wird es aufweichen und in einziges Matschfeld verwandeln. Die schwer gepanzerten Franzosen werden bis zu den Knien in den Matsch sinken und wenn sie die Engländer endlich erreicht haben, werden sie kaum noch die Kraft haben, das Schwert zu heben. Außerdem können hier vielleicht hundert Mann nebeneinander laufen, sie behindern sich gegenseitig und stürzen übereinander. Die leicht gepanzerten englischen Bogenschützen werden im Nahkampf noch die französischen Ritter zu Hunderten erschlagen. Die Franzosen werden eine katastrophale Niederlage erleiden.“
„Aber die Reiterei?“, schrie der Junge.
Dann war es still und die Sonne brannte auf das Matschfeld. Quinn konnte die beiden Armeen sehen. Die schimmernden Rüstungen und flatternden Banner der Franzosen und das müde abgekämpfte, dunkle Heer der Engländer.
„Kommen Sie“, sagte Quinn und lief auf ein paar Bogenschützen zu.
„Sehen Sie, sie hauen Holzpflöcke in den weichen Boden. Da kommt die Reiterei!“
„Ich hör sie wieder!“, schrie der schwarze Walter und spannte den Bogen.
„Ruhig jetzt!“, schrie der Korporal.
„Aschenkur!“, schrie der Bastard.
Die schwer gepanzerten Streitrösser schossen auf sie zu, die dünnen Pflöcke würden sie kaum aufhalten können.
„Scheiße, Scheiße, Scheiße“, brüllte der rote Edd.
Matsch spritze auf.
„Schießt“, schrie der Korporal.
Der schwarze Walter ließ den Bogen fallen, drehte sich um und rannte um sein Leben.
Quinn beobachtete mit Entsetzen, wie die linke Flanke der Engländer unter dem Ansturm der französischen Ritter zusammenbrach, ohne dass die Reiter die Bogenschützen überhaupt erreicht hatten. Als ein Pferd durch das Mädchen geschossen kam, stürzte sie zu Boden. Etwas, auf das sich Quinn eigentlich gefreut hatte, doch jetzt starrte er sie entsetzt an und fragte: „Mein Gott, was haben Sie getan?“ Nur dass er gar nicht das fragte, sondern etwas ganz anderes.
„Moi?“, antwortete das Mädchen.