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Atemlos
Der Wind trocknete meine spröden Lippen weiter aus, und Staub verklebte meine Wimpern zu salzigen Klumpen. Mein Weg zum ersten Mal geebnet, ich sah den Himmel, der grau war, der wunderschön und neu war.
Ich atmete die Luft, so rein wie nie. Ich schloss die Augen und wollte an Wiesen denken, an Wiesen in vielfältig lodernden Grüntönen und an sanft gerundete Hügel.
Aber ich dachte brennende Hitze, ich dachte Maisfelder.
Ich dachte vierzig Grad in Indiana.
Die Luft steht und flirrt so schläfrig wie gefährlich. Kaum wahrnehmbare Brisen lassen die endlosen Maisfelder rascheln. Die meterhohen Halme stehen dicht, trocken und messerscharf. In der Ferne verlieren sie sich in silbernes Flirren. Es ist still, nur das Summen grosser Fliegen ist zu hören, dazu riecht man den widerlich süssen Mais, eine Kuh, die sich an dem ekelhaften Zeug überfressen hat. Zehn Reihen weiter liegt ihr aufgeblähter, zerplatzter Kadaver. Das Brummen wird lauter, zu Mais und Aas gesellt sich der Gestank von Erbrochenem.
Wir gehen weiter, wir gehen über die brüchige Erde. Sie sieht aus wie plötzlich getrockneter Schlamm.
Wir gehen weiter, wir gehen zuerst nach Osten, dann nach Süden, und dann sehen wir nicht mehr, wo die Sonne ist. Wir gehen nach nirgendwo.
Der Durst, der Durst und die rauen Härchen der Maiskolben, die uns hart über die Wangen streifen. Meine Knöchel bluten, der Schnitt ist nicht zu sehen. Ich biege die Halme trotzdem auseinander.
Die Maiskolben schmecken bitter und sind hart, es ist Tierfutter. Viel zu trocken. Da vorne ist ein Hügel.
Das ist er, der Hügel, der Hügel, man sieht
nicht mehr als das Maismeer um uns herum. Jemand ist nicht mehr da. Die andere Jemand kratzt Mückenstiche auf und weint.
Ich gehe weiter, die winzigen Schnitte an Armen und Beinen sind mit Staub gepudert. Die Füsse sind in den Schuhen aufgequollen.
Die andere Jemand ist nicht mehr da. Ich höre sie rufen, immer leiser und leiser. Ich antworte nicht.
Ob Adern platzen, wenn das Blut zu heiss wird? Ich ziehe die Schuhe aus und reisse einen Zehennagel ein. Die Schuhe um meinen Hals schlagen gegen meine Brust, also werfe ich sie weg.
Es wird zum zweiten Mal dunkel.
Ich sehe den Hügel, der Hügel ist vor mir. Schweiss badet die Kuhle zwischen Schulter und Hals. Der Staub tanzt in der untergehenden Sonne; golden und rot und immer roter.
Das Rascheln wird leiser.
* * *
Nachdem Kelpie mir Wodka mit Strychnin gegeben hat, legt mich ein analeptischer Keulenschlag hin.
Ich sehe wieder Dächer, Dächer überall. Und den Himmel. Er ist jetzt schwarz.