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Außer Plan
Außer Plan
Wie bei jedem Geschlechtsakt überkam ihn auch diesmal kurz vor dem Höhepunkt dieser Siegerstolz: mal wieder eine Nummer geschoben, mal wieder bewiesen, ein ganzer Kerl zu sein. Später lag er neben ihr, sie rauchten Zigaretten, lachten und alberten herum. Ines war verrückt nach ihm, so wie die meisten Mädchen im Studentenwohnheim, und er wußte das und genoß es. Er hatte kurzgeschnittenes, blondes Haar, ein feminines Gesicht, weit auseinanderstehende, grüne Augen und einen vollen Mund, dessen Lippen mitunter so rot waren, daß sie wie geschminkt wirkten. Mit seinem Aussehen konnte er fast jedes Mädchen haben, und er rechnete es sich als Großzügigkeit an, seine Gunst seit über einem Jahr der gleichen zu schenken. Natürlich war seine Wahl nicht auf eine x-beliebige gefallen. Ines war ein langbeiniges, langmähniges Geschöpf mit riesigen Augen, das aussah wie Nastassja Kinski in jungen Jahren.
Die Türklingel schellte. „Verdammt." Dirk machte einen halbherzigen Versuch, sich zu erheben, und ließ sich wieder zurückfallen. „Geh du doch mal ran."
„Hat der Herr mal wieder seine Paschaallüren?!" Ines warf sich einen Morgenmantel über, zog den Gürtel zu und ging nach draußen. Sie meldete sich an der Haussprechanlage. Nach wenigen Sekunden war sie wieder zurück. „Ein Anruf für mich." Sie zog Jeans und Sweatshirt an, band ihre Turnschuhe zu und ging nach unten. In der Eingangshalle des Studentenwohnheims, in dem sie mit Dirk wohnte, gab es eine Telefonzelle, in der auch ein Apparat stand, auf dem die Bewohner angerufen werden konnten.
Es dauerte lange, bis sie zurückkam. Ihr Gesicht war ernst, und feuchte Spuren um die Augen zeigten, daß sie geweint hatte.
„Mein Vater hat einen Herzinfarkt gehabt. Ich muß heute noch hin."
„Wie geht's ihm denn?" Dirk stand auf, um sich anzuziehen.
„Sein Zustand ist ernst. Möglicherweise überlebt er die Nacht nicht. - Kommst du mit?"
Er legte seine Hände auf ihre Schultern und sah ihr in die Augen. „Ines, so leid es mir tut, aber es geht nicht. Die Klausur am Freitag ist zu wichtig, und ich hab" noch eine Menge zu lernen bis dahin."
Ines sah ihn unbewegt an. „Er hat dich sehr gern, und wenn er nicht überlebt, hast du dich nicht von ihm verabschiedet."
„Oh, verdammt, Ines, mach's mir doch nicht so schwer." Dirk zog sie an sich in dem Versuch, seinen Worten Nachdruck zu verleihen. „Ich mag ihn auch und würde ihn gerne besuchen, aber wenn ich die Klausur versäume, war das ganze Semester umsonst."
„Und wenn du nachschreibst?!"
„Es ist bereits der zweite Versuch, da kann ich nicht nachschreiben, und das weißt du ganz genau. Bitte, Ines, setz" mir nicht so zu. Ich kann wirklich nicht."
In der Wartehalle des Bahnhofs tranken sie einen Kaffee, um eine Wartezeit von einer Dreiviertelstunde zu überbrücken. Durch die sich immer wieder öffnenden Schwingtüren, die nach draußen führten, drang die Lautsprecheransage vom Bahnsteig. Eine psychisch kranke Frau mit ausgezehrtem Gesicht berauschte sich an ihrem eigenen Räuspern und folgte, einen Fuß exakt vor den anderen setzend, einer Markierung auf dem Fußboden. Wenige Minuten vor Abfahrt des Zuges gingen sie auf den Bahnsteig. Es war Mitte Februar und entsprechend kalt. Fröstelnd zog Ines ihre Jacke zu. Beide schwiegen bedrückt.
Donnernd fuhr der Zug ein. Ines wartete, bis er zum Stillstand gekommen war, nahm ihre Reisetasche vom Boden auf und öffnete eine Wagentür.
„He!" Dirk sah sie mit verletztem Ausdruck an. „Willst du gar nicht von mir verabschieden?" Sie drückte ihm einen Kuß auf den Mund. „Bis in ein paar Tagen dann."
„Bis in ein paar Tagen" wiederholte Dirk getreulich in dem Versuch, die Situation zu retten. Ines reagierte nicht. Er beobachtete sie, wie sie einstieg und in dem Waggon Platz nahm. Sie kam nicht ans Fenster, sondern blickte ihn nur hin und wieder durch die Scheibe an. Dirk blieb stehen, bis der Zug anfuhr. Er hob die Hand zum Gruß, bekam keine Antwort und verließ den Bahnsteig mit einem Kloß im Hals, die Hände in den Taschen.
Die Frau mit dem ausgezehrten Gesicht bettelte einen Mann in dunklem Anzug um eine Zigarette an. Eine Gruppe von Türken stand am Zigarettenkiosk und folgte Dirk mit den Blicken. Draußen dunkelte es bereits. Die Taxifahrer auf dem Bahnhofsvorplatz standen neben ihren Autos und unterhielten sich lautstark über die Wagendächer hinweg. Schneetreiben setzte ein, das Dirks Haare durchnäßte und ihm Schneeflocken in die Augenbrauen setzte. Er wischte sich das Gesicht ab und schlug den Kragen seiner Jacke hoch.
In der Studentenkneipe, die er mit Ines gewöhnlich aufsuchte, war nur wenig Betrieb. Ein betrunkener Mann Anfang der Zwanzig, den Dirk aus dem Hörsaal kannte, saß an einem der Tische und musterte ihn unverhohlen. Dirk hob die Hand zum Gruß, ging jedoch an dem anderen vorbei, bevor der ihn ansprechen konnte. Er hatte keine Lust, sich in ein Gespräch verwickeln zu lassen. Er setzte sich an den Tresen und sah der Bedienung, einer Germanistikstudentin, entgegen.
,Hallo. - Ein Pils, bitte."
Die Bedienung zapfte das Bier und stellte es ihm wortlos hin. Dirk trank einen langen Zug und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum vom Mund. Bereits jetzt spürte er die Wirkung des Alkohols. Nach einer Stunde und zwei weiteren Bieren hatte er den leichten Grad von Betrunkenheit erreicht, der Probleme unbedeutend erscheinen läßt und den Betrunkenen euphorisiert. Er sah auf die Uhr. Zum Einkaufen war es zu spät, doch er hatte ohnehin keine Lust, sich etwas zu kochen. Er warf einen Blick auf die an der Wand hinter dem Tresen hängende Karte mit den Gerichten, die in dieser Kneipe erhältlich waren und entschied sich für eine Frikadelle mit einem Brötchen. Bei dem Versuch, die Plastikhülle, die den Senf umgab, zu öffnen, riß er sich den Fingernagel ein. Schließlich platzte sie auf und ergoß braungelben, kalten Senf auf seine Hände. Ärgerlich reinigte er sich mit einer Papierserviette. Die Frikadelle schmeckte nach kaltem, erstarrtem Fett, das Brötchen war altbacken und zäh. Immerhin war er nach dem Essen einigermaßen satt. Er winkte der Bedienung, zahlte und ging.
In seinem Zimmer fand er sein zerwühltes Bett vor. Benutztes Geschirr stapelte sich im Waschbecken. Wenn er sich vor dem Schlafengehen noch die Zähne putzen wollte, mußte er es wegspülen. Das ganze Zimmer war unaufgeräumt und schmutzig.
Verdrossen setzte er sich auf die Bettkante. Ein Anruf bei Ines lohnte noch nicht, denn noch war sie sicherlich nicht zu Hause. Er befürchtete Peinlichkeit, falls er ihre Mutter oder eines ihrer Geschwister an den Hörer bekam. Sicherlich war es besser, wenn er wartete, bis Ines ihn anrief.
In dem Chaos und dem Schmutz, die in dem Zimmer herrschten, würde er nicht schlafen können. Stöhnend machte er sich daran, Ordnung zu schaffen und sauberzumachen. Nach einer Stunde hatte er es geschafft. Aufatmend stellte er den Staubsauger in den Wandschrank zurück und räumte das Geschirr in den oberen Teil. Dann setzte er einen Kaffee auf. Er war inzwischen wieder nüchtern und konnte den Rest des Abends nutzen, sich auf seine Klausur vorzubereiten.
Am nächsten Morgen, dem Dienstag, erwachte er bereits von dem Einrasten des Stundenzeigers seines Weckers, noch bevor der erste Piepton kam. Der vergangene Tag war ihm sofort wieder gegenwärtig, wenn auch der Schlaf die Bedrücktheit gemildert hatte, unter der er am Vorabend gelitten hatte. Zwei Tassen starken, schwarzen Kaffees putschten ihn auf und versetzten ihn in gute Stimmung.
Die Übungsgruppe am Morgen war weniger langweilig, als er befürchtet hatte. Beim Mittagessen in der Mensa unterhielt er sich mit seinem Kommilitonen und Freund Bernhard, mit dem er bereits die Schule besucht hatte. Am frühen Nachmittag war die letzte Veranstaltung vorbei. Als er das Studentenwohnheim erreichte, hoffte er auf einen Anruf von Ines. Sie kannte seinen Stundenplan. Um fünf war noch kein Anruf gekommen. Verdrossen steckte er seine Telefonkarte ein und ging nach unten in die Telefonzelle. Als er die Nummer halb gewählt hatte, legte er wieder auf. Zum Teufel, wenn Ines es auf eine Nervenprobe ankommen lassen wollte, dann konnte sie die haben. Schließlich konnte sie sich denken, daß er auf ihren Anruf wartete. Das war in der Situation, in der er sich befand, am einleuchtendsten.
An diesem Tag war es weniger kalt als am Vortag. Als er in die Stadt ging, ließ er seine Jacke offen. Der Jahreszeit entsprechend war es bereits dunkel. Er ging durch eine schlecht beleuchtete Seitengasse und achtete nicht darauf, wohin er trat. Als er einen weit auf dem Bürgersteig geparkten BMW auf der Straßenseite umgehen wollte, stolperte er über ein hölzernes Regal, das dort auf dem Boden stand und stürzte. Fluchend vor Schreck saß er auf dem Boden. Stechende Schmerzen im Fußgelenk ließen auf eine Verstauchung schließen.
Die Fahrertür des BMW öffnete sich und eine dunkelhaarige Frau um die Fünfzig trat auf die Straße. Trotz der mangelhaften Beleuchtung konnte Dirk den Schreck in ihrem Gesicht ablesen. „Entschuldigen Sie bitte vielmals meine Nachlässigkeit" sagte sie und beugte sich zu ihm herab. „Ich habe das Regal auf die Straße gestellt und einfach vergessen. - Haben Sie sich verletzt?" Sie hatte eine angenehme Altstimme. die zu ihrem schulterlangen, dunkelbraunen Haar paßte. Dirk erhob sich und versuchte, seinen schmerzenden Fuß zu belasten, knickte jedoch ein. Er konnte einen Schmerzenslaut nicht unterdrücken.
Die Frau öffnete die hintere Tür des Wagens und ließ Dirk sich auf ihrer Schulter abstützen. Er setzte sich in den Fond des Wagens und legte sein Bein hoch. Die Frau nahm auf dem Fahrersitz Platz und drehte sich zu ihm herum.
,Selbstverständlich fahre ich Sie zu einem Arzt, wenn Sie darauf bestehen" sagte sie. „Ich kann Sie aber auch zu mir nach Hause bringen und Ihren Fuß dort bandagieren. Darin bin ich recht gut."
In der Beleuchtung im Wageninneren fiel Dirk auf, wie schön die Frau war. Aufmerksam sah sie ihn an und wartete auf seine Antwort.
„Ich denke auch, daß eine Bandage reicht" sagte Dirk. ~Man muß nicht wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt."
Die Frau lächelte, schlug die Tür zu und startete den Wagen. Die Fahrt führte in ein Dorf. Vor einer Villa hielt die Frau an. Den Wagen zu verlassen und eine Außentreppe zum Haus hinaufzugehen, fiel Dirk schwer. Wieder stützte er sich auf die rätselhafte Unbekannte, die vor der Haustür ihre Handtasche öffnete und den Schlüssel herausnahm. Die Einrichtung des Hauses entsprach seinem Äußeren. Eine Freitreppe führte in den ersten Stock, den größten Teil des Erdgeschosses nahm ein riesiger Wohnraum ein, an dessen einer Längswand sich ein Kamin befand. Mächtige Bücherregale bedeckten die gegenüberliegende Wand. Eine Sitzgruppe aus schwarzem Leder mit einem Glastisch stand mitten im Raum.
Dirk legte seine Jacke ab und nahm auf der Ledercouch Platz. Die Frau verschwand im ersten Stock und kam nach einigen Minuten mit einem Verbandskasten zurück. Ohne große Umschweife machte sie sich daran, Dirk den Turnschuh und den Socken auszuziehen. Sie setzte sich neben ihn und nahm seinen Fuß in ihren Schoß. Sanft übte sie Druck auf sein Gelenk aus..
„Tut das weh?" fragte sie. Dirk schüttelte den Kopf. Sie prüfte weiter, bis Dirk stechenden Schmerz verspürte. Mit sicheren Bewegungen legte sie einen festen Verband an.
Ihr Duft und ihre Schenkel, auf denen sein Fuß lag, erregten ihn. Ihre Besorgnis um ihn und ihre weibliche Art taten ein übriges. Als sie sich herabbeugte, um den Verband zu befestigen, berührte ihn eine ihrer großen Brüste. Er befürchtete, sie würde ihn nun wieder nach Hause fahren. Sie sah ihn lächelnd an und schien seine Befürchtung zu erraten.
„Wollen Sie ein Glas Wein mit mir trinken?" fragte sie und erhob sich, als er nickte. Wieder verschwand sie für einige Zeit und kam mit einer Flasche und zwei Gläsern zurück. Die Flasche zusammen mit einem Korkenzieher gab sie Dirk. Der begriff nicht gleich, wie die etwas komplizierte Mechanik des Geräts funktionierte und hatte Angst, sich zu blamieren. Dann goß er ein, wartete, bis die Frau ihr Glas ergriff und hob seines an, um ihr Bescheid zu tun.
,Wie heißen Sie?" Die Frau setzte ihr Glas auf dem Tisch ab. „Dirk. - Und Sie?"
Die Frage, die seiner Antwort unmittelbar folgte, ließ die Frau lachen. „Ich heiße Erika."
„Erika" echote Dirk und hätte sich im gleichen Moment für seine ungeschickte Art ohrfeigen können.
„Uns haben unsere Eltern noch nicht Jeanette oder Theresa getauft. Wir haben noch Namen wie Monika, Gisela und Erika bekommen."
Sie stand auf, ging zum Kamin und nahm ein gerahmtes Foto in die Hand, das auf dem Sims stand. Sie überreichte es Dirk. Es zeigte zwei Mädchen von etwa zehn Jahren, die in rührend altmodischen Kinderkleidern vor einem Haus standen.
„Das sind meine Schwester und ich. Das Foto ist kurz nach dem Krieg entstanden."
„Wie alt sind Sie denn?" platzte Dirk heraus. Erika lachte, zögerte jedoch einen fast unmerklichen Moment mit der Antwort.
,Ich bin zweiundsechzig" sagte sie. Dirk war schockiert, und sie spürte es und war verletzt. „Wie kommt es, daß Sie noch so jugendlich aussehen?" fragte er. „Entschuldigen Sie bitte meine Offenheit und Plumpheit, aber Sie sehen wirklich nicht wie die typische Zweiundsechzigjährige aus. Sie sind schön."
Sie öffnete ihren großen Mund zu einem strahlenden Lächeln. „Ich habe mich einfach gut gehalten" sagte sie. „Nehmen Sie zum Beispiel Petra Schürmann oder Sophia Loren. Die sind auch in dem Alter und sehen noch gut aus."
Sie hob ihr Glas und trank ihm zu. Dann legte sie eine CD mit Liedern von Neil Diamond in den Player und schaltete die Stereoanlage ein. Dirk erhob sich und belastete probeweise seinen Fuß. Die Bandage war gut angelegt, er konnte fast normal auftreten. Er setzte sich neben Erika.
„Sie sind bestimmt verheiratet" sagte er. „ Eine Frau wie Sie bleibt nicht allein."
„Sie haben recht" antwortete sie. „Allerdings müssen Sie nicht befürchten, mein Mann könnte plötzlich hereinkommen. Er ist beruflich unterwegs und kommt erst morgen abend zurück."
Was sie gesagt hatte, implizierte ein Verhältnis zwischen ihnen. Dirk sah sie von der Seite an und wagte es, seinen Arm um sie zu legen. Sie lächelte angesichts seiner etwas ungeschickten Art, ließ es sich jedoch gefallen. Sie rückte näher an ihn heran, und wieder spürte er ihre Brüste. Ungestüm griff er nach ihr.
„Langsam" sagte sie und befreite sich von seinem Griff. „Wir haben alle Zeit der Welt. Es gibt keinen Grund, sich zu beeilen."
Er verstand. Sie wollte den Abend mit ihm verbringen und Lust und Begierde langsam steigern. Dies Beisammensein mit dem einen, erklärten Ziel, das Bewußtsein, daß diese schöne und reife Frau auf ihn wartete, steigerte seine Erregung.
Als die Flasche leer war, verschwand Erika im Schlafzimmer im ersten Stock und kam in einem tief ausgeschnittenen Hauskleid zurück. Der Anblick der vollen, schönen Wölbung in ihrem Dekollete ließ ihn nach ihren Brüsten greifen. Da gab es keinen die Formen abschwächenden und verhüllenden Babyspeck, ihre Brüste waren scharf gezeichnet wie die Muskeln eines Bodybuilders.
Im Schlafzimmer in einem riesigen Doppelbett nahm er sie. Das Bewußtsein, in die Scheide einer Frau einzudringen, die seine Großmutter sein konnte, steigerte seine Erregung in einem Maß, das er nicht für möglich gehalten hatte. Langsam bewegte er seinen steinharten Penis vor und zurück, darauf bedacht, den Akt nicht durch einen vorschnellen Erguß zu beenden. Als der Höhepunkt dann kam, löste er in seinem Kopf eine Explosion aus, die ihn sich wieder und wieder zusammenkrümmen ließ. In langen Strahlen spritzte er seinen Samen in die Frau, geschüttelt von einer schier endlosen Ejakulation.
Später lag er neben ihr, wohlig müde und befriedigt bis in die letzte Faser seines Körpers. Oft hatte er sich mit Ines über die vermeintlichen alten Säcke lustig gemacht, die nach dem Akt schliefen. Nach dem Akt mit Ines war er mit ihr in die Kneipe oder ins Kino gegangen. Nun lag er hier und hatte nur noch den einen Wunsch, seine durch einen gewaltigen Orgasmus verursachte Erschöpfung auszuschlafen.
„Weck" mich in einer Stunde" murmelte er. Was Erika antwortete, hörte er schon nicht mehr. Er schlief tief und traumlos.
Als er erwachte, fiel Sonnenlicht durch das Fenster. Erschrocken vergegenwärtigte er sich, in einem fremden Haus zu sein und mit einer verheirateten Frau geschlafen zu haben. Sein erster Impuls war, sich anzuziehen und das Haus zu verlassen. Dann jedoch entspannte er sich. Erika hatte ihm versichert, daß ihr Mann erst am Abend zurückkehren werde.
Sie lag gleichmäßig atmend neben ihm. Jetzt, im hellen Licht der Sonne, entdeckte er feine Linien in ihrem Gesicht, die er am Abend übersehen hatte. Die Partie unter ihren Augen war leicht angeschwollen.
Er erhob sich vorsichtig, um sie nicht zu wecken, kleidete sich an und ging ins Erdgeschoß. Nach einigem Suchen fand er die Küche und setzte Kaffee auf. Dann goß er sich eine Tasse voll ein und rauchte eine Zigarette.
Kurze Zeit später kam Erika herunter. Sie trug einen weißen Morgenmantel und lächelte Dirk ein „Guten Morgen" zu. Dirk fühlte sich unbehaglich. Der Gedanke an ihr Alter machte ihm zu schaffen.
„Was ist mit dir?" Erika sah ihn forschend an.
„Ich werde die Befürchtung nicht los, dein Mann könnte plötzlich und unvorhergesehen nach Hause kommen."
„Nein." Erika schüttelte ihren Kopf. „Das ist es nicht. Es ist mein Alter. Du hast das Gefühl, eine Perversion begangen zu haben, etwas Ähnliches wie Nekrophilie."
Dirk kapitulierte vor ihrem Scharfblick. „Tut dir das weh?" fragte er.
„Vor ein paar Jahren hätte es das noch" antwortete sie. „Jetzt ist es mir egal."
Ihre Selbstsicherheit machte sie für ihn sofort wieder begehrenswert, doch nach dem, was er gesagt hatte, wagte er nicht, sie noch einmal zu berühren. Eine Weile blieben sie noch in der Küche sitzen, ohne daß die Befangenheit verschwand, in der sie sich befanden. Dann erhob sich Dirk und murmelte, in die Universität zu müssen. Er zog seine Jacke an, verabschiedete sich verlegen und verließ das Haus. Draußen fand er nach einigem Suchen eine Haltestelle und fuhr mit dem Bus zurück in die Stadt.
Während der kommenden Tage war er so durcheinander, daß ihm das Lernen unmöglich wurde. In der Klausur am Freitag gab er nach zwanzig Minuten ein fast leeres Blatt ab. Die sichere Fünf, die dies bedeutete, war ihm egal.
Am Samstag kam Ines zurück. Als sie in sein Zimmer kam, stellte sie ihre Reisetasche ab und schlang die Arme um ihn.
„Endlich" sagte sie. „Ich habe dich so vermißt."
„Was ist mit deinem Vater?"
„Er ist außer Lebensgefahr. In ein paar Wochen kommt er in eine Rehaklinik."
Sie unterhielten sich eine Weile, dann erhob Ines sich und begann, sich auszuziehen. Als sie halb nackt war, sah sie Dirk fragend an, der noch angezogen auf dem Bett saß.
„Was ist mit dir?" fragte sie. „Hast du keine Lust?"
Widerstrebend begann Dirk, sich zu entkleiden. Als sie dann nackt vor ihm stand, süß und jungmädchenhaft, die Hüften vorgeschoben, so daß ihm der Geruch ihrer Scheide in die Nase stieg, da erregte sie nicht die mindeste Begierde in ihm. Sie warf einen Blick auf seinen schlaffen Penis.
„Was hast du denn?" fragte sie. „Ist irgendwas nicht in Ordnung mit dir?"
„Ich hab" wohl zuviel Streß gehabt die letzte Zeit" entgegnete er und lachte in dem Bemühen, der Situation die Verfänglichkeit zu nehmen. Sein Lachen klang blöde. „Wahrscheinlich hab" ich zuviel gelernt."
„Das ist Blödsinn" sagte Ines und sah ihn forschend an. Er hielt ihrem Blick nicht stand.
„Du hast eine andere" sagte sie und setzte sich auf die Bettkante. Er machte gar nicht erst den Versuch, sie zu belügen.
„Wer ist es?" fragte sie, und als er nicht sofort antwortete, wiederholte sie die Frage schreiend. „Du kennst sie nicht" entgegnete er. „Ich hab" sie selbst erst an dem bewußten Abend kennengelernt."
Ines war unerbittlich. „Wie heißt sie?"
Er wand sich unter ihrer Inquisition. „Ines, bitte, vergiß die Sache doch einfach. Welche Rolle spielt es, wie sie heißt?"
„Wie heißt sie?" wiederholte Ines beharrlich.
„Sie heißt Erika."
„`Erika'?!" echote Ines und legte ihre Stirn in Falten. „Wie alt ist sie denn?"
Das war die Frage, die er am meisten gefürchtet hatte. Betreten sah er zu Boden. „Muß ich dir jede Frage zweimal stellen? Wie alt ist deine Erika?"
„Sie ist zweiundsechzig."
Ines starrte ihn fassungslos an. „Zweiundsechzig? Bist du pervers?!!" Ihre Stimme war zu einem Kreischen geworden und überschlug sich. Mit Tränen in den Augen fuhr sie in ihre Kleider und stürzte hinaus.
Er folgte ihr nach einer Viertelstunde. Sie lag weinend auf ihrem Bett und hatte das Gesicht in den Armen vergraben.
Er setzte sich zu ihr.
„Mich bringt die Sache genauso sehr durcheinander wie dich." Dies sollte eine Entschuldigung sein, doch Ines reagierte nicht. „Ich komme selbst nicht mehr zurecht."
„Geh doch zu deiner Erika." Ines setzte sich auf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Vielleicht nimmt sie dich mit zu einem bunten Seniorenabend."
Sie war zu aufgebracht, als daß eine Unterhaltung mit ihr einen Sinn gehabt hätte. Er verließ ihr Zimmer.
In der folgenden Zeit versuchte er, Klarheit in seine Gefühle zu bringen. Gut, er hatte mit einer Zweiundsechzigjährigen geschlafen, doch die Frau war außergewöhnlich schön und erregend gewesen. Wahrscheinlich hätte jeder andere an seiner Stelle genauso gehandelt. Weshalb also war dies ein Problem für ihn?!
Nach ein paar Tagen stellte er fest, daR Erika ihm fehlte. Mit ihrer reifen und sinnlichen Art unterschied sie sich so sehr von den Mädchen seiner Altersgruppe, daß ihn die Gespräche mit seinen Kommilitoninnen frustrierten und langweilten. Er spürte Lust, ein weiteres Mal mit Erika zu schlafen.
Aber wie sollte er das anstellen? Einfach bei ihr zu Hause aufzutauchen, dazu fehlte ihm der Mut. Ihr Mann würde ihn vermutlich hinauswerfen. Sie anzurufen, war ihm nicht möglich, weil er ihren Nachnamen nicht kannte.
Der Zufall kam ihm zu Hilfe. In der regionalen Tageszeitung entdeckte er ein Foto von ihr. Aus dem Begleittext ging hervor, daß sie Erika Werner hieß und die Frau des Herzchirurgen Dr. Peter Werner war. Sie war ausersehen, im Mai ein neues Herzzentrum der Universitätskliniken einzuweihen.
Das war seine Chance. Er konnte sie bei dieser Eröffnungsfeier aufsuchen. Ines besuchte ihn in seinem Zimmer. Sie hatte ihren Ärger überwunden. „Hallo. - Darf ich hereinkommen?"
Er machte eine einladende Handbewegung. Sie nahm Platz. Ein Gespräch kam nicht in Gang. Er spürte, daß er nie wieder mit ihr schlafen können würde. Ihr Verhältnis war zu Ende, und beide wußten es. Nach einer Weile erhob sie sich und ging.
In der Zeitung entdeckte er ein Stellenangebot eines Frankfurter Softwarehauses und schickte Bewerbungsunterlagen ein. Er hatte das Gefühl, mit seinem Studium an der Realität vorbeizuleben. Die nicht bestandene zweite Prüfung bestärkte ihn in dem Entschluß, es aufzugeben. Nach einigen Wochen erhielt er einen Termin für ein Vorstellungsgespräch, für das er sich neu einkleidete. In dunklem Anzug, mit blauem Hemd und Krawatte nahm er den Zug nach Frankfurt. Während des Gesprächs gab er sich cool und wunderte sich, wie leicht ihm das fiel. Kurze Zeit später erhielt er die Zusage.
Unter der Woche stand er jetzt täglich um halb sechs auf. Seine Art veränderte sich, er legte einige halbgare Ansichten ab. Er wurde härter und gleichzeitig duldsamer. Einige seiner ehemaligen Kommilitonen brachen den Kontakt zu ihm ab. Er zog aus dem Wohnheim aus und nahm sich eine Zweizimmerwohnung. Er hatte das Gefühl, endlich selbstbestimmt zu leben.
Gruppen von Gästen - die Herren im dunklen Anzug, die Damen in großer Garderobe - standen vor dem Gebäude des neuen Herzzentrums. Journalisten schossen Fotos. Es war eine milde und warme Mainacht.
Dirk stand etwas verloren da. Den Mut, herzukommen, hatte er gehabt, doch wie er weiterhin vorgehen sollte, davon hatte er keine Ahnung. Vor allem hatte er Erika noch nicht zu Gesicht bekommen. Er befürchtete, sie würde so abgeschirmt sein, daß er keinerlei Möglichkeit bekam, an sie heranzutreten.
Als er in das Gebäude hineingehen wollte, hielt ihn ein Muskelprotz in dunklem Anzug höflich, aber bestimmt, um seine Einladung an. Dirk hatte keine und sah sich suchend um. In einiger Entfernung, am anderen Ende des Foyers, sah er Erika. Sie entdeckte ihn im gleichen Moment und sah ihn befremdet an. Dann gab sie dem Muskelprotz ein Zeichen, Dirk hineinzulassen. Sie trug ein fußlanges Abendkleid und sah so schön aus, daß es Dirk einen Stich gab. Er spürte, daß er sich in sie verliebt hatte, und befürchtete, bei ihr abgemeldet zu sein. Sie kam auf ihn zu.
„Dirk?!" sagte sie. „Was willst du hier? Es ist wirklich nicht der passende Moment für irgendwelche Gefühlsduseleien."
„Das weiß ich" antwortete er. „ich werde dir auch keine Szene machen, sei ganz beruhigt. Ich hatte bloß das Gefühl, dich unbedingt wiedersehen zu müssen, und habe keine andere Chance gesehen. Wenn ich einfach bei dir zu Hause aufgetaucht wäre, dann wäre dir das bestimmt noch viel ungelegener gekommen."
Sie sah ihn aufmerksam an, dann lächelte sie und führte ihn ein Stück weg von dem Trubel der übrigen Gäste.
„Wie geht es dir? Was macht dein Studium?"
Er berichtete in einigen Sätzen von seiner Stelle in Frankfurt. Dann schnitt er das Thema an, das ihn als einziges interessierte.
„Ich kann dich einfach nicht vergessen" sagte er. „Ich habe das Gefühl, daß all das, was ich mit Frauen vorher erlebt habe, überhaupt nicht zählt angesichts des einen Mals, das ich mit dir geschlafen habe. Wahrscheinlich bin ich verrückt, aber ich frage dich trotzdem: `Willst du mit mir zusammenleben?"`
Sie sah ihn einigermaßen sprachlos an. Dann ergriff sie seinen Arm.
„Dirk, du bist wirklich verrückt, wenn du das ernst meinst. Ich bin zweiundsechzig, und damit bin ich vierzig Jahre älter als du. Wie sollte das wohl gutgehen?! Nach ein paar Monaten hättest du genug von mir!"
Er sah sie an. „Ich glaube nicht, daß das der wahre Grund für deine Ablehnung ist. Ich glaube, daß du einfach nicht willst. Du hast zwar mit mir geschlafen, aber als Lebensgefährte bin ich dir nicht gut genug. Wahrscheinlich gönnst du dir öfter einen jungen Kerl, doch die sind eben bloß was für’s Bett."
„Gut, Dirk" sagte sie und ihre Stimme klang ungewohnt scharf. „Wenn du es schon so genau wissen willst: du hast recht. Ich schlafe hin und wieder mit einem Studenten, aber ich verlasse doch nicht meinen Mann wegen eines grünen Jungen. Und jetzt nimm dich bitte zusammen, mein Mann kommt auf uns zu."
Dr. Peter Werner, glatzköpfig und untersetzt, mit einem enormen Bauch, richtete das Wort an seine Frau. Aus seinen weißen Manschetten schauten affenartig behaarte Pranken heraus. Dirk schien er überhaupt nicht zu registrieren. Der machte zum erstenmal in seinem Leben die Erfahrung, einem solchen Mann, der für ihn als Rivale früher nicht in Betracht gekommen wäre, unterlegen zu sein.
„lch komme in fünf Minuten" sagte Erika zu ihrem Mann, der sich entfernte. Dann wandte sie sich wieder an Dirk.
„lch kann dir leider nicht dienen" sagte sie. „Die Vorstellung, daß wir ein Paar werden, ist einfach zu abwegig, und irgendwann siehst du das auch ein. Aber du kommst darüber hinweg. Und jetzt geh bitte und mach es uns beiden nicht so schwer."
Sie berührte ihn mit ihren Lippen und ging. Dirk sah ihr nach, dann verließ er die Feier.
Im Sommer lernte er eine Dreiundvierzigjährige kennen, die ihn erregte und ihn verstand.