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Auf der Jagd
Er formt die Enden der beigen Papiertüte zu einem Filter und lässt die Bohnen in die Mühle gleiten. Nur er macht so Kaffee. Mit der Hand. Ehrlich! Für mich ist Kaffee einfach nur Kaffee. Für Ben ist es eine Kunst. Er kann stundenlang über Mahlstufen, Zubereitung und Anbau reden.
Seine kräftigen, kurzen Finger drehen mühelos und gleichmäßig das Mahlwerk. Ich fixiere sie. Möchte sie berühren. Die monotone Bewegung unterbrechen. Dann stelle ich sie mir am Abzug einer Waffe vor und spüre, wie mir heiß wird, mein Herz hämmert.
Das erste Mal traf ich ihn auf dem Geburtstag einer Freundin. Ihre Eltern waren verreist und sie hatte das riesige Haus am Kölner Stadtwald für sich allein. Ich hatte Überstunden im Büro gemacht und mich spontan entschlossen für eine Stunde vorbeizuschauen. Im Auto zog ich meine Bürokluft aus und fand ein blaues Sommerkleid in meiner Für-alle-Fälle-Tasche. Deo, Parfüm, etwas Lipgloss. Das musste reichen.
Die Sonne schien. Es war Juni. Nach dem zweiten Gin Tonic hielt ich Small Talk, lachte und konnte mich sogar ein bisschen amüsieren. Wir wurden vorgestellt und sein erster Satz war: „Du bist sehr hübsch.” Er sagte das ganz nüchtern, fast kalt, legte den Arm um mich, stellte mir Freunde vor und füllte mein Glas immer wieder auf. So plump und doch irgendwie charmant.
Plötzlich war er verschwunden. Ich fand ihn vor den Toiletten in eine lautstarke Diskussion mit einer hübschen Brünetten verwickelt. Er bemerkte mich, ließ sie stehen. „Stress?”
Er sah mich an.
„Ich mag kein Drama. Aber ich mag dich.”
Wir gingen zurück.
Irgendwann fanden wir den richtigen Moment, küssten uns oder ich küsste ihn, waren allein unter den anderen. Mein Kleid rutschte über die Knie, Leute starrten uns an. Gänsehaut auf den Armen. Leichtigkeit im Herzen. Ich blieb die halbe Nacht mit ihm in einem der Gästezimmer. Bis ich nach Hause fuhr, obwohl ich viel zu betrunken war. Ich fühlte mich wieder wie achtzehn.
„Machst du kurz weiter?“ Ich schnappe mir die Mühle und drehe. Kurz berühren sich unsere Finger. Kleine Mini-Stromschläge, die nicht weh tun, aber wieder an laue Sommernächte mit Gänsehaut erinnern.
Aus dem Schrank holt er einen kleinen Wasserkocher mit Gradzahlanzeige und eine Küchenwaage.
Ich übergebe ihm fast schon festlich und stolz den gemahlenen Kaffee und er misst grammgenau die Menge für zwei Tassen ab, während er das Wasser auf 90 Grad erhitzt. Dann wäscht er einen Papierfilter aus und setzt ihn in die Aeropress ein.
Mit einer kleinen Kupferkanne gießt er Wasser in die Karaffe und Kaffeegeruch verbreitet sich in der kleinen Küche. In Gedanken male ich mir Namen für einen YouTube - Channel aus in dem er über die Feinheiten der Kaffeezubereitung referiert. CoffeeBen, Ben[...], Der Kaffeemacher[...], Auf eine Tasse mit Ben[...]…
Jetzt ist der Moment in dem ich den Kaffee in den höchsten Tönen loben muss. Dass gehört dazu: „... voll im Geschmack,... würzig,...die Röstaromen kommen richtig durch...“
Ben nickt zufrieden. „Guter Kaffee braucht Zeit und Liebe. Hast du dir endlich eine Mühle gekauft?“ Ich lächle und denke an meine neue, rote, definitiv nicht Co2-neutrale Nespresso Maschine, die ich auf jeden Fall das nächste Mal verstecken musste, bevor er zu Besuch kommt.
„Wie läuft es so?”
Ich beiße mir auf die Lippe und knibble an dem ehemaligen Nähmaschinentisch, den er bei einem überteuerten antiken Möbelhändler gekauft hat, einen Holzspan ab. Als ich nicht antworte, schaut er auf.
„Alles okay?“ Es ist schwer ihm was vorzumachen. Weder was meine Vorliebe für moderne Küchengeräte noch was meine Gedanken und Emotionen angeht.
Mein Daumennagel bohrt sich in eine weitere Ritze des Tisches und ich beginne langsam zu reden. Über meinen Opa, seinen Jagdschrank, die Geschichten von der kleinen Prinzessin morgens bei ihm im Bett und von seinen Händen auf meinem Körper. Damals, als ich vier war.
Und von meiner Wut. Die jeden Tag größer wird. Die mich in den letzten Wochen völlig vereinnahmt hat. Die mich nicht mehr atmen lässt, meine Kehle zuschnürt und die dafür sorgt, dass wöchentlich Porzellan gegen meine Wände fliegt.
Die Worte hören sich fremd an. Hallen in dem kleinen Raum wieder, bohren sich in meinen Kopf und lösen mein Gehirn in einer Nebelschwade auf.
Ich fühle mich wie in Trance, nippe am Kaffee und schmecke diesmal wirklich Aromen von Honig, Waldbeeren und Nüssen. Atme den Dampf ein. Halte mich an der Tasse fest. Rede immer weiter.
Aus den bodentiefen Fenstern blicke ich in den grauen Winterhimmel. Vereinzelt fallen Schneeflocken herunter. Fast so, als ob sie oben jemand verloren hätte. Jede Flocke eine Erinnerung.
Er hat keinen Ton gesagt. Die Tasse Kaffee ist unberührt. Seine Augen bohren sich in meine. Glänzend, fokussiert, wie ein dunkler See in der Nacht.
Ich halte es nicht aus. Starre auf die Wand mit den Abzeichen, Orden, Familienwappen und den Siegelring an seinem Ringfinger. Zeiten bei der Armee über die er selten spricht und wenn, dann mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Die lustigen Sachen halt, nicht unsere Ängste. Da sind wir ähnlich. Diese Gleichheit ist unser Band und ich habe es soeben zerschnitten.
Er kippt den Kaffee aus und nimmt die Flasche mit dem achtzehn Jahre alten Laphroaig.
Die Whiskey Gläser mit Gravur hatte ich ihm zu seinem letzten Geburtstag geschenkt.
Seetang und Meer. Ein Brennen, dass von der Kehle in den Bauch, hoch in die Brust und dann in den Kopf steigt. Mein Kopf wird wieder klar. Der Nebel verschwindet.
„Ich kläre das.“
Er stellt sein Glas etwas zu laut auf den Tisch und lässt es Halbkreise drehen.
„Nein. Deswegen habe ich es dir nicht erzählt.”
Ich will mit ihm schlafen. Meinen Kopf leeren. Meine Nase in der Kuhle an seinem Hals vergraben und seinen Geruch atmen. Mein Inneres nach außen kehren. Nur fühlen. Nicht denken.
Er nimmt meine Hände. Legt sie behutsam auf seine Handgelenke. Sie zittern leicht und sind kalt.
„Willst du mir wieder zeigen, wie ich mich befreien kann, wenn mich jemand an den Handgelenken festhält?” Ich lächle ihn an, unsicher, und drehe seine Hände wie ein Buch, dass ich öffnen will, nach außen.
Nichts zu sehen von seinem für ihn so typischen, leicht spöttischen Lächeln.
„Dafür ist es wohl zu spät.”
Er steht auf, geht um den Tisch herum. Legt seine Arme auf meine Schultern. Sie sind schwer wie Felsbrocken. Es fühlt sich an, als ob ich ihn trösten würde. Ich streiche durch seine dunklen Haare. Reibe eine vom Haargel verklebte Strähne zwischen meinen Fingern. Im Abendlicht leuchten einzelne silberne Haare wie Glitzerfäden auf.
Er senkt den Blick und taxiert den Boden.
Ich knabbere an seinem Ohr, kralle meine Fingernägel etwas zu Feste in seine Oberarme, suche seine Lippen. Sein Kopf ist starr, seine Augen etwas zu weit auf. Er nimmt meine Hände behutsam weg, legt sie auf seine Brust, bedeckt sie mit einer Hand. Eisklötze.
„Nein, nicht jetzt!”
Ein Nein ist ein Nein bei ihm.
Ich stoße mich von ihm ab, haste zur Tür und renne die fünf Treppen runter, immer zwei Stufen auf einmal, bis ich an der Haustür kalte Luft atme. Meine Jacke habe ich liegen lassen und fröstelnd gehe ich zum Auto. Unter dem Scheibenwischer ist ein Knöllchen. Ich zerdrücke es zu einer Kugel und verfehle den Mülleimer.
Als ich losfahren will, steht er vor der Motorhaube. Ich drücke im Leerlauf aufs Gas.
Ich betrachte ihre Silhouette im Halbdunkel des Morgengrauens. Sie liegt mit dem Rücken zu mir gewandt in der weißen Bettwäsche, die Decke zwischen ihren Schenkeln. Sie liebt weiße Bettwäsche. Als sie das erste Mal in meiner Wohnung war, ist sie nach dem Sex direkt gegangen und meinte trocken: „Wenn du willst, dass ich bei dir schlafe, kauf neue Bettwäsche. Weiße.“
Normalerweise ändere ich weder mich, noch meine Wohnung. Aber bei ihr ist es anders. Sie ist mein Zuhause geworden und so will ich ihr auch eins geben.
Die Vorhänge sind auf und draußen funkeln die ersten Lichter im dunklen Winternebel. Kalte Luft weht in das kleine Schlafzimmer. Ihre Füße sind eiskalt. Ich ziehe die Bettdecke über ihre Schultern und fasse ihr mit einer Hand unter das bauchfreie Top. Mit der anderen streichle ich ihren Oberschenkel. Ihre Haut ist warm und weich. Die noch feuchten Haarsträhnen riechen nach Waldhonig und süßem Harz. Irgendwie männlich. Sie dreht sich zu mir um, legt mir einen Arm und den Hals und presst ihren dünnen Körper noch enger an mich. Eine Hand liegt auf meiner Brust. Meinem Herzen. Als ob sie das gleichmäßige Pochen in sich aufsaugen will, bis unsere Herzen synchron schlagen. Das Rot ihrer Nägel und das Weiß meiner Brust sehen aus wie ein Absperrband. Diese Flatterbänder an Baustellen. Ich erzähle ihr, was wir tun werden. Was ich tun werde. Sie nickt nur.
„Wie spät ist es?”
“Vier Uhr dreißig.”
„Viel zu früh.”
Ich küsse sie auf die trockenen Lippen.
Sie streift sich die Seidenshorts von den Beinen, zieht das Shirt aus, legt sich auf mich, ihre Hände in meine. Ihre Brüste sind warm und weich und einzelne Haarsträhnen kitzeln mich im Gesicht. Der Druck ihrer Hände wird fester und ihre Lippen sind jetzt feucht. Mein Zuhause.
Wir ziehen uns an. Er geht zum Waffenschrank und nimmt einen Revolver und Munition heraus. Sorgfältig verstaut er beides unter seiner Jacke.
Händchenhaltend laufen wir hastig die Treppen hinunter und er öffnet einen dieser teuren Mercedes, die er fährt.
Er fährt schnell aber sicher. Mit ihm Auto zu fahren erinnert mich immer an meine Jugend im Pott. Laute Motoren, wummernde Bassboxen, Autorennen an roten Ampeln, getunte Golf 3 und Neonlicht im Fußraum. Mit Ben zu fahren ist wie ein Remake. Eine Deluxe Version meiner Jugend. Eine Mischung aus altem Hip-Hop, Rock und irgendwas mit Gitarren, dass ich noch nie gehört habe, dröhnt laut aus den Boxen. Soldatenmusik. Nach einer Stunde sind wir da. Das Haus meiner Großeltern kommt mir unwirklich vor. Das große Grundstück mit dem angrenzenden Jagdgebiet wirkt auf den ersten Blick wie das Cover eines Rosamunde Pilcher Romans. Der nächste Nachbar ist fast einen Kilometer entfernt. Die Auffahrt aus weißen Kieselsteinen, die gepflegten Rosenbüsche, und die strahlend weiße Treppe mit den fünfzehn Stufen die zum Eingang führt. Alles perfekt gepflegt ohne einen Makel.
Um Punkt sieben öffnet mein Opa die Tür. Sein Weimaraner Rüde Otter springt die Treppen hinunter und schaut in meine Richtung.
„Los, geh!” Ich öffne die Beifahrertür und laufe ihm entgegen, tätschle seinen Kopf.
„Anna, was machst du denn hier um die Uhrzeit?”
„Ich hatte Streit mit Ben und konnte nicht schlafen. Immerhin konnte ich sein Auto klauen.“
Ich lächle gekünstelt und zwinkere ihm verschwörerisch zu. „Ich habe heute frei. Nimmst du mich mit in den Wald?”
Opa schüttelt den Kopf. „Was hat er jetzt wieder angestellt? Der scheiß Krieg hat ihn zum Wrack gemacht, na ja, wem sag ich's.” Er atmet laut aus und fährt dann hastig fort. „Scheiß Wüstenstaaten. In denen die Menschen aus den Flüssen trinken in denen sie ihre Kinder baden. Die ihre Ziegen und Schafe besteigen und ihre Frauen, die meist noch Kinder sind, verschleiern.“
Das gerade er von verschleierten Kindsbräuten sprach und sich darüber aufregte. Egal.
Er sieht immer noch gut aus für seine achtundsiebzig Jahre. Schlank, fit und dichtes Haar, dass von grauen Strähnen durchzogen immer noch die nussbraune Farbe erahnen lässt, die es einmal hatte.
„Was hat Krieg mit Fremdgehen zu tun?”
Er sieht mich an. Schüttelt nochmal den Kopf. „Schon wieder? Du musst das beenden!”
„Werde ich.” Werde ich nicht! Niemals.
Wir biegen in den kleinen Waldweg hinter dem Haus ein. Ich drehe mich unauffällig um. Ich kann Ben nicht sehen. Ich weiß aber, dass er da ist. Meine Füße knirschen unter dem frischen Raureif, die Sonne kommt langsam zwischen den schon fast kahlen Ästen hindurch. Die Luft ist kalt und feucht.
Kurz denke ich tatsächlich an Bens Eskapaden. Treu war er nie gewesen. Aber ich hatte es auch nie verlangt. Wir hatten dem Ganzen nie einen Namen gegeben und doch war es so viel mehr, als alles was ich kannte. Ich schaute weg und lebte damit. Nahm mir selber Freiheiten, die ich nie bekommen hatte. Schmerz ignorierte ich. So war unser Weg. So war es gut.
Otter ist irgendwo im Wald verschwunden. Er geht immer seine eigenen Wege.
Wir schweigen.
Es wirkt, als wäre Opa schon ewig hier im Wald. Lange bevor es Bäume und Felder gab. Doch merke ich, wie fremd er mir ist. Ich stecke meine Hände tiefer in die warme Daunenjacke und balle sie zu Fäusten.
Als wir erneut abbiegen wollen steht Ben vor uns. Die dunkelgrüne Wollmütze tief im Gesicht. Er geht auf uns zu. Langsam. Taxierend. Opa bewegt sich nicht. Doch ich höre seinen schneller werdenden Atem. Er stellt sich vor mich. Ben lacht. „Du willst sie vor mir beschützen? Ausgerechnet du?”
Opa setzt zum Antworten an. Ben zieht in Sekunden die Waffe, zielt und drückt ab. Opa sieht mich starr an. Die Pupillen sind geweitet. Dann sackt er zusammen. Holz knackt. Ein Specht hämmert in einen Baumstamm. Er liegt vor meinen Füßen. Sein Brustkorb ist regungslos. Otter kommt aus dem Gebüsch geschossen. Er stellt sich vor Opa und bellt. Ben sammelt die Hülse ein. Hievt sich Opa über dir Schulter und trägt ihn die zehn Minuten Fußweg bis zu der Stelle an der er sein Auto geparkt hat. Er hält nicht einmal an. Alles geht so schnell. Otter läuft uns hinterher Richtung Haus. Er bellt immer noch. „Was machen wir mit dem Hund?“ „Bring ihn in den Zwinger.“
Ich will Otter am Halsband fassen, doch er schnappt nach mir und springt am Kofferraum hoch. Opa liegt auf den weißen Kieseln. Von den Rosenblättern tropft Wasser. Ben dreht Otter mit zwei Griffen auf den Rücken und führt in dann Richtung Garten.
Im Kofferraum liegt eine Plastikplane. Er wickelt Opa darin ein und wir fahren los.
„Und jetzt?”
„Ich fahre dich zu mir. Dann hole ich Alex ab und wir erledigen den Rest.”
Ich drehe die Musik lauter. Warte, dass ich etwas spüre. Irgendetwas fühle. Doch da ist nichts. Einfach Leere.
Das ging so verdammt schnell. Keine fünfzehn Minuten.
„Alles gut?”
Er sieht mich an. Intensiv. So wie immer. Seine Augen sind feucht.
Ich nicke.