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Auftrag unbekannt
Das Raumschiff fiel wenige Lichtstunden von dem kleinen, roten Stern aus dem Negativraum. Für galaktische Verhältnisse war es ein ziemlich kleines Raumschiff, und seine stumpfgraue, fleckige Hülle zeugte von den vielen Jahrhunderten, die es unterwegs gewesen war, um das Ziel seiner Mission zu erreichen.
Der Bordcomputer hatte es all die langen, stillen Jahre mit einer Perfektion durch die Hälfte der Galaxis gesteuert, die man seinen veralteten und verstaubten Schaltkreisen gar nicht zugetraut hätte. Noch während einige seiner Schaltungen damit beschäftigt waren die fünfköpfige Besatzung aus dem Tiefschlaf zu erwecken, begannen andere seiner Module bereits mit der Auswertung der einkommenden Daten. Das sich vor dem Schiff ausbreitende Sonnensystem wurde gescannt und die Daten dann verarbeitet.
Mit der emotionslosen Sachlichkeit einer Maschine registrierte der Bordrechner, daß nur drei der fünf Menschen nach den reaktivierenden Behandlungen Lebenszeichen zeigten. Die Schaltkreise begannen nachzuforschen und fanden als Ursache für das Ableben der zwei anderen Besatzungsmitglieder schließlich irgendwelche defekten Zuleitungsventile, die im Laufe der Jahrhunderte ihren Dienst aufgegeben und so die Schlafbehälter der beiden Menschen nicht mehr ver- und entsorgt hatten. Der Computer vermerkte den Defekt im Logbuch und begann dann den Kurs des Raumschiffes auf den Planeten zu ändern, von dem die Datenauswertung das positivste Bild gezeichnet hatte.
Bedingt terraähnlich hatte die Positronik die kleine Steinkugel klassifiziert, die ihren alten Mutterstern in einer mittleren Entfernung von vier Millionen Kilometern umkreiste. Eine Sauerstoff-Stickstoff Atmosphäre war vorhanden, und wollte man den Schaltungen und Sensoren des Computers glauben, dann konnte man sogar mit größeren Wassermassen auf der Oberfläche rechnen.
Die Kosten und Mühen des milliardenschweren Unternehmens hatten sich bereits in diesem Augenblick amortisiert.
Drei Männer taumelten ermattet aus ihren Schlafkammern, begrüßten sich wortkarg und versuchten sich dann durch Leibesübungen und einige Minuten unter der Ultraschalldusche wieder zum Leben zu erwecken. Neonröhren sprangen in den all den Jahrhunderten unbenutzten und unbetretenen Räumen an, das Heizsystem wurde auf menschliche Temperaturen hochgefahren, und die stählerne Zigarre, das Raumschiff, erwachte zum Leben.
Der Computer meldete dem Schiffscommander ein unbedeutendes Leck im Wasserkreislauf, doch den Mann, der irgendwann vor unendlich langer Zeit als Commander Fraser die Mission offiziell geleitet hatte, interessierte das nicht sonderlich. Er hockte um den kreisrunden Tisch in der engen Messe und nuckelte an seinen Vitaminkonzentraten. Auch die anderen noch lebenden Mitglieder der Besatzung, Lieutenant Kinley und der farbige Corporal Thomas schienen über den gemeldeten Defekt nicht sonderlich besorgt.
Kinley schob mit einem angewiderten Gesichtsausdruck den Rest seines Vitaminpaketes von sich und lehnte sich in dem leise knarrenden Rohrstuhl zurück.
"Was ist mit Peters und Augley?", seine Stimme klang rauh und ungewohnt in den Ohren der beiden anderen Männer.
Commander Fraser blickte für einen Augenblick von seiner Vitamin-C Tüte auf und hob die Schultern.
"Der....Computer hat eine Fehlfunktion in ihren Tanks festgestellt", erwiderte er dann zögernd mit unsicherem Ton in der Stimme.
"Schade, Peters war in Ordnung", war Thomas' einziger Kommentar.
Wieder kehrte Schweigen ein, bis Lieutenant Kinley es erneut brach.
"Sind wir eigentlich da?"
Fraser hob die Schultern.
"Ich war noch nicht in der Zentrale. Aber ich glaube schon."
"Warum sollte uns der verdammte Computer sonst geweckt haben?", fragte Corporal Thomas und erwartete darauf von keinem seiner Kameraden eine ernstzunehmende Antwort.
Die Drei vertieften sich wieder in ihre Nahrungsaufnahme.
Geräuschvoll schlürfte Commander Fraser seine Tüte leer und schob sie dann achtlos von sich.
"Sagt mal, Jungs, was mir schon die ganze Zeit über durch den Kopf geht: Wo sind wir überhaupt?"
Thomas und Kinley blickten ihren Vorgesetzten fast verständnislos an.
"Ich meine, was war eigentlich noch unser Auftrag? Was....?"
"Ich dachte Du wüßtest das ", brauste Kinley auf, " Dafür bist Du doch der Kommandant".
Fraser rieb sich seinen Vollbart. Man konnte ihm deutlich ansehen, wie angestrengt er grübelte.
"Ich hab schon die ganze Zeit überlegt, aber...."
"Sollten wir nicht irgendwas erforschen?", fragte Thomas leise. Das Gesicht des Commanders erhellte sich.
"Richtig...., ich erinnere mich....Da war irgendein Stern, zu dem sie uns geschickt haben....aber...", dann versank er wieder in Schweigen.
"Laßt uns in die Zentrale gehen. Fragen wir den Computer", entschied Kinley und erhob sich, ohne auf eine Reaktion seines Vorgesetzten zu warten.
Die drei Männer verließen also die Messe und begaben sich durch leere Korridore und die Schlafkabinen in den vorderen Teil des Schiffes. Alles kam ihnen seltsam vertraut vor, so als wären sie schon vor langer Zeit einmal durch diese Räumlichkeiten geschritten.
Die drei Männer zwängten sich in die enge Kommandozentrale und ließen sich auf den drei vorhandenen Sitzen nieder, die vor mächtig imposant aussehenden Armaturenbrettern montiert waren. Unzählige Lämpchen glühten in den verschiedensten Farben, unzählige Zeiger standen auf irgendwelchen Meßskalen und gaben Bericht über Zustand und Lage des Schiffes ab, wenn man in der Lage war diese Instrumente lesen zu können....
Commander Frasers Miene verfinsterte sich zusehens, als seine hilflosen Blicke über die Unzahl von Schaltern und Anzeigen glitten.
"Computer", rief er dann laut, "Was ist unser Auftrag?".
Die Maschine antwortete sofort mit ihrer unpersönlichen Stimme.
"Erforschung des Zielsterns 404 Alpha. Aufklärung der auf Terra empfangenen Radiosignale".
"Aha", machte Lieutenant Kinley und fragte dann:
"Wie lange sind wir unterwegs gewesen?"
"937 Erdjahre", schnarrte die Stimme, die direkt aus dem Gehirn des Schiffes kam.
"Und wie weit sind wir von zuhause weg?", fragte Thomas ein bißchen kleinlaut.
"17356 Parsec".
"Parsec ?", er blickte seine beiden Gefährten unverständlich an.
"Wieviel macht das in Lichtjahren?", wandte er sich dann erneut an den Computer, denn an diese Maßeinheit konnte er sich gerade noch erinnern.
"56580,56 Lichtjahre", meldete die körperlose Stimme mit unumstößlicher Ruhe.
"Donnerwetter, das ist weit", nickte Corporal Thomas dann und rieb sich seinen spärlichen Kinnbart.
"Wir sollten vielleicht mal nach dem Schiff fragen", flüsterte Kinley und warf seinem Vorgesetzten einen ernsten Blick zu. Der Commander nickte und setzte zum Sprechen an.
"Computer, wie ist der Zustand des Raumschiffes?"
"Sekundärhüllenstruktur 94 % intakt", begann der Computer.
"Primärhüllenstruktur 99,5 % intakt. Meteoritendeflektor 3 bis 7 ausgefallen. Instandsetzung vor Rückreise unbedingt nötig. Lebenserhaltungssystem 98 % funktionsfähig. Tertiärwasserkreislauf defekt. Generator 4 ausgefallen.
Lycke - Antrieb 100 % funktionsfähig."
"Ist eine Rückreise möglich?", unterbrach Kinley den Computer in seiner Auflistung.
"Nach Reparatur von Meteoritendeflektor 3 bis 7 ja".
Der Lieutenant blickte Fraser fragend an und flüsterte dann, fast als hatte er Angst, daß der Computer ihn hören konnte:
"Wie repariert man einen Meteoritendeflektor?"
Fraser hob kurz die Schultern.
"Augley war unser Ingenieur".
"Augley ist tot", stellte Thomas von hinten sachlich fest.
"Ja, das stimmt wohl, Augley ist tot", murmelte Fraser fast andächtig.
"Also kann keiner von euch so ein Ding reparieren?". Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, was der Lieutenant, der zu Beginn der Mission mal erster Offizier des Schiffes gewesen war, mit einem ernüchterndem Seufzen sagte.
"Ich muß so was auch nicht können", verteidigte sich Thomas augenblicklich. "Ich bin schließlich nur....nur.... verdammt, was war denn noch meine Aufgabe hier....?" . Der Farbige versank in Schweigen.
Seufzend ließ sich Commander Fraser im Sitz des Piloten zurücksinken und blickte aus den Cockpitsichtluken. Die Sterne strahlten im ruhigen Glanz, und fast zum Greifen nah stand eine dunkelrote Sonne im Raum, eine Tatsache, die Fraser für einen Augenblick irritierte.
"Welche Farbe hatte denn noch unsere Sonne?", fragte er in den Raum hinein.
"Richtig, ich war nur der Wissenschaftsoffizier", rief Thomas, der froh war sich endlich wieder an seine ursprüngliche Aufgabe zu erinnern, doch bereits im nächsten Augenblick versank er wieder in mißtrauischem Schweigen.
"Oder war es doch was anderes......?"
"Hey, Kinley", rief Fraser ungeduldig, nachdem ihm keiner auf seine Frage geant-wortet hatte.
"Hm?"
"Welche Farbe hat unsere Sonne?"
"Was weiß ich....", murrte der Lieutenant. "Weiß, glaube ich" fügte er noch hinzu und starrte dann weiter hinaus. Verschwommen konnte er sich an einen strahlend weißen Glutball an einem blauen Himmel erinnern - Szenen, die wie aus einem anderen Leben waren.
"Commander?"
"Ja, Kinley?", Fraser blickte für einen Augenblick in das Gesicht seines ersten Offiziers, das halb im Schatten der nur spärlich beleuchteten Zentrale lag.
"Haben wir versagt, Commander?"
Fraser blickte wieder hinaus auf den roten Glutball. Er glaubte fast seine Wärme spüren zu können, doch das war natürlich eine Sinnestäuschung.
Doch er mußte Kinley die Antwort schuldig bleiben. Für einen Augenblick glaubte Fraser vor seinem geistigen Auge all das aufblitzen zu sehen, was einmal ihre Mission ausgemacht hatte: Ziel, Sinn, Zweck, eine enorme Wichtigkeit ihres Gelingens...
Doch ebenso schnell senkte sich wieder der beruhigende Mantel des Vergessens über seine Gedanken.
Drei Männer saßen in einem kleinen nadelförmigen Raumschiff, mit dem sie vor fast einem Jahrtausend von ihrer Heimatwelt aufgebrochen waren und die halbe Galaxis durchflogen hatten.
Vier Spiralarme lagen zwischen dem kleinen Sternenschiff und einer Welt, auf der die letzten Trümmer der Zivilisation allmählich vom Staub und Sand der Wüsten zugedeckt wurden.
Die einzelnen Nomadenstämme, die nach Nahrung und Beute durch die Wüsten der Erde zogen, wußten nichts mehr von einem Sternenschiff, das einst den stolzen Namen 'New Terra' getragen hatten - Sie wußten nichts von dem einsamen Commander Fraser und seiner Besatzung, und würde die 'New Terra' irgendwann einmal zurück-kehren, dann wäre es für sie, als würden die Götter vom Himmel steigen.
Der Fluch der Zeit hatte sich erfüllt.
- ENDE -