- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 12
Augenblick
Überarbeitete Fassung:
Ich schließe die Augen. Lasse die Musik auf mich einrieseln. Es ist dunkel im Zimmer, ich sitze vor dem Schrank, du irgendwo beim Bett, wie schon so oft. Das einzige Licht ist das flackernde des Laptops. Überall riecht es nach dir. Wir nehmen wohl beide nicht wirklich wahr, was sonst noch geschieht, nur die Musik, leise Beats, Synthesizer, kein Gesang.
Du hast einige Kerzen angezündet und der Geruch nach ihnen vermischt sich mit dem deinen und lässt mich noch mehr verlangen. Ich bin süchtig danach. Dir. Kurz öffne ich die Augen und sehe auf die Uhr, es ist halb drei. Ob wir schlafen gehen sollten? Aber das würde bedeuten, dass ich ins andere Zimmer gehen würde. Da wäre nicht so viel von dir, denn du wärest immer noch hier. Also bleibe ich sitzen. Die Musik ist hektisch und jeder, der nicht gerne Techno hört, würde davon wohl wacher werden. Ich werde schläfrig, genau wie du. Wir sind’s gewohnt. Schon ein Zufall irgendwie, dass ausgerechnet du meinen Musikgeschmack so perfekt teilst.
Es redet immer noch niemand. Es ist friedlich, so still hier mit dir. Es ist schön, dich hier zu wissen. Ich müsste aufstehen und schlafen gehen. Und vor allem müsste ich aufhören, an dich zu denken. Aber das funktioniert natürlich nicht, und weil ich nicht aufhöre, an dich zu denken, will ich auch nicht gehen.
Irgendwann muss ich gehen, das weiß ich. Immerhin wohne ich nicht hier. Aber ich will so lange wie möglich bleiben. Schiele in deine Richtung, du hast die Augen geschlossen. Ob du schon schläfst? Nein, du döst genauso vor dich hin, wie ich. Dieses Gefühl, unendlich müde zu sein, aber trotzdem wach zu bleiben, im Sitzen, einfach dahin zu dämmern. Die Musik berieselt uns weiter. Die Menge an Daten würde wohl für einige Tage reichen, doch so lange werden wir wohl nicht wach bleiben. Obwohl ich gerne so lange bleiben würde. Gerne noch viel, viel länger bleiben würde.
Langsam werde ich zu müde, um noch klare Gedanken zu fassen. Sie sind irgendwie verschwommen, haben aber alle mit dir zu tun. Womit auch sonst? Deine Wohnung riecht so sehr nach dir. Und deine Kleidung. Und du überhaupt selbst. Ich könnte mich einfach neben dich setzen und die ganze Nacht lang nur noch an dir schnuppern. Hältst du mich für verrückt? Nein, ich könnte nicht nur an dir schnuppern, ich müsste dich auch ansehen. Du siehst süß aus, wenn du schläfst. Oder so aussiehst, als würdest du schlafen. Jedenfalls süß. Verachtest du mich für meine Gedanken? Und wenn ich dich ansehen würde, und dich riechen würde, dann würde ich auch hören, wie du atmest. Wie du lebst. Wie du. Alles du. Ich schlucke schwer. Wann werde ich es endlich einsehen, dass ich dich nicht haben kann? Werde ich es jemals einsehen?
Ich schließe die Augen wieder. Jetzt höre ich wieder vorwiegend die Musik. Und dein Geruch ist natürlich noch da. Er verfolgt mich sogar, wenn ich nicht bei dir bin. Menschen, die an mir vorbei laufen haben manchmal das gleiche Waschmittel. Manchmal das gleiche Deo. Aber niemand riecht genau wie du. Ich weiß nicht, ob es immer noch das gleiche Lied ist. Technolieder sind manchmal ziemlich lang. Es ist mir egal. Alles irgendwie, außer dir. Müdigkeit kann auch wie eine Droge wirken. Sie vernebelt die Wahrnehmung und ruft Phantasien hervor, die man nicht wieder loswird. Ich sollte endlich aufstehen und schlafen gehen. Noch ein bisschen hier bleiben, ein bisschen. Dich noch einmal ansehen, kurz, von weitem. Es ist höchstens ein Meter, doch ich weiß, dass die wahre Distanz unüberbrückbar ist. Ich liebe dich.
Es ist jetzt Viertel vor drei. Langsam stehe ich auf und gehe ins Bad. Als ich heraus komme und im Nebenzimmer verschwinde höre ich dich ins Bad gehen. Ich liege im Bett und starre vor mich hin, hundemüde und doch hellwach. Du tauchst an der Tür auf und wünschst mir eine gute Nacht. Ich wünsche es dir ebenfalls. Dann gehst du wieder in dein Zimmer. Die Musik ist immer noch an und ich höre sie auch nicht ausgehen. Bin ich irgendwann eingeschlafen?
Wo ist er? Wo zum Henker ist er, verdammt, wo ist der Schlüssel? Hatte ich ihn nicht in die rechte Hosentasche ... zu spät, da sind sie, ich muss hier weg, sofort. Die Tür ist versperrt, der Schlüssel nicht da, wie soll ich entkommen? Die schwarze Mauer, kann ich sie überwinden? Nein, sie ist zu hoch. Verdammt, gleich sind sie da. Ich kann schon ihre Stimmen hören, ihren Atem spüren, die Hitze, ich fange an zu schwitzen. Noch einmal abklopfen, vielleicht ... da ist er, oh Gott, da ist der Schlüssel, dem Himmel sei Dank, hoffentlich ist es nicht zu spät – sie krallen sich an mich ... ein Blitz durchzuckt das Dunkel, ich kann kurz die Mauer deutlicher sehen, woraus besteht sie? Als wäre sie gegossen, Beton, undurchdringlich, der Schlüssel fällt mir aus der Hand, mein Weg ist versperrt, sie hängen an meinen Beinen, lachend. Irgendwo muss ich doch noch einen – habe ich nicht noch einen – im Rucksack, oder vielleicht um den Hals – ja, da muss einer sein, ein weiterer Schlüssel. Donnergrollen, ich blicke mich um, nichts ist zu sehen, nur Schwärze um mich, sie kriechen an mir herauf, was soll ich tun? Habe ihn, den Schlüssel in meiner Hand, doch da hängen sie schon an meinem Arm, ich kann ihn nicht heben. Ich muss, ich muss ihn heben – ich will nicht sterben, ich schreie: „Lasst mich nicht zurück“, weiß, ihr seid dort, hinter der Mauer, könnt mir öffnen „Lasst mich nicht alleine“ – ihr öffnet nicht, ich hebe den Arm, langsam – „Helft mir“, ich höre das Lachen jetzt dicht an meinem Ohr, ich stecke den Schlüssel ins Schloss und versuche zu drehen, ein Blitz schlägt neben mir ein und der Boden verschwindet, ich halte den Schlüssel, er steckt und hält mich, hänge an der Tür, die Mauer schwankt, sie lachen und lachen und lachen – werden schwerer, ich kann mich nicht halten. Kralle mich an den Türsims und drehe den Schlüssel, die Tür schwenkt auf, wie von Geisterhand, da steht ihr und seht mich. Eine grüne Wiese und blauer Himmel. Ich sehe Leben. „Stirb“, flüstern sie in mein Ohr, „Nein!“, schreie ich, strecke dir die Hand entgegen „Bitte!“ – „Stirb!“, schreien sie und du nickst und ich starre dich an und ich lasse los. Die Dunkelheit umfängt mich. Und sie lachen.
Als ich aufwache steht mir der Traum noch immer vor Augen. Ich drehe mich um, will aber nicht einschlafen. Du schläfst immer länger als ich. Es gibt Dinge, die man nicht ändern kann, Situationen, aus denen man nicht entfliehen kann. Dinge, die die Gesellschaft verurteil, du und ich, sie und sie, doch du kannst mir nicht helfen, mit meinen Gefühlen klar zu kommen, denn du erwiderst sie nicht. Ob du doch schon wach bist?
Ich hätte es dir nicht sagen sollen. Auch wenn sich nichts verändert hat, im Grunde. Du bist nicht unerreichbarer als vorher. Ich weiß nicht, wie ich mich an deiner Stelle verhalten würde. Waren wir gute Freundinnen, sind wir es noch? Ich höre dich aufstehen.
Hast du dich jemals so traurig gefühlt, dass du glücklich warst?
Ich atme ein
Atme aus
Alles ist wie vorher
Friedlich
Meine Zeit verrinnt
Doch ich bin ruhig
Meine Ziele sind unerreichbar
Und es erfüllt mich mit Gelassenheit
Ich muss nicht kämpfen
Ich kann leben
Ich lächele dich an
Du lächelst zurück
Unsere gemeinsame Zeit ist jetzt
Mehr kann ich nicht verlangen
Ich bin alleine
Und lächele noch immer
Schließe die Augen
Sehe Bilder
Sehe nichts
Bin ruhig
Öffne sie
Mein Kopf ist leer
Die Gedanken sind klar
Draußen ist es kalt
Entdecke es neu
Das Gefühl, zu leben
Wir sitzen beim Frühstück. Reden wie immer, du lachst, ich lache, im Hintergrund die Musik, ist es die gleiche wie gestern Abend? Heute Morgen? Deine Augen leuchten, während du erzählst. Und ich tue, als wäre alles okay. Es ist auch alles okay, jetzt. Wo ich deine Stimme höre und dich sehe und Gemeinschaft mit dir habe. Bis meine dunklen Träume zurückkehren werden. Doch jetzt ist es noch nicht soweit.
Zu etwas wird es nie soweit sein. Wie sehr ich es auch hoffe. Du liebst ihn, ich liebe dich.
Morgen wird alles anders sein. Mein Leben und dein Leben und vor allem unser Leben. Aber im Grunde genommen ist es mir egal. Vielleicht, weil ich es nicht ändern kann. Oder auch einfach, weil ich lieber die Zeit genießen will, die jetzt grade ist, ohne mir Gedanken um die Zukunft zu machen. Ich verabschiede mich von dir. Gehe die steile Treppe hinunter und stehe vor deinem Haus. Dein Geruch fehlt mir. Du fehlst mir. Langsam gehe ich nach Hause.
Du fragst, was ich will
Was ich will
Hören aus deinem Mund
Die Worte
Du wirst sie nicht sagen
Ich warte darauf
Wie kann ich dir zeigen
Dass ich liebe